QUICKSAND

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In einem Feed weit, weit entfernt

Dass Walter Schreifels nicht einfach so eine neue QUICKSAND-Platte veröffentlichen würde, müsste bei seiner Geschichte als Gitarrist und Sänger von GORILLA BISCUITS oder RIVAL SCHOOLS klar sein. Mit „Distant Populations“ begibt er sich zusammen mit Sergio Vega und Alan Cage auf eine Reise zu gar nicht mal so weit entfernten Orten. Er hat die Entschleunigung des Corona-Lockdowns dafür genutzt, den Blick aus der Ferne auf das Handeln der Menschen um ihn herum zu richten. Und wenn diese mal von ihren Smartphones hochgeschaut haben, konnte er in Augen blicken, die nicht auf eine rosige Zukunft schließen lassen. Welche Chancen und Möglichkeiten er im Zusammenhang mit Social Media sieht und welche Rolle „Star Wars“ für die Platte gespielt hat, erzählt er im Interview.

Ihr habt euer Album zwar „Distant Populations“ genannt, behandelt aber Themen, die hier auf der Erde sehr präsent sind. Denkst du, dass deine Mitmenschen nicht wirklich checken, was im Moment um sie herum passiert und welche Konsequenzen ihr Handeln hat?

Da gibt es mehrere Aspekte, die hier in Betracht gezogen werden müssen. Zum einen sind viele von uns vor allem mit sich selbst beschäftigt, darauf erpicht, sich selbst zu verwirklichen und ihre eigenen Storys zu schreiben. Das ist manchmal sehr offensichtlich. Aber die Tatsache, dass sich die Menschen während Corona so isoliert haben, hat diese Entwicklung noch verstärkt. Zwar haben wir in unserer global vernetzten Welt endlich angefangen, andere Menschen mehr wahrzunehmen, anderseits sind wir uns aber auch immer noch nicht bewusst, wie sehr unser eigenes Handeln das Leben anderer beeinflusst. Und das oft in einer negativen Art. Wir bekommen den Geist nicht mehr in die Flasche zurück, wenn wir einmal daran gerieben haben. Aber es ist wirklich erschreckend zu sehen, wie sehr manche Menschen von ihren Social-Media-Accounts absorbiert wurden, wo sie ihre Ängste und ihren Hass ausdrücken. Dabei möchte ich jetzt gar nicht düster klingen. Es ist eher eine Beobachtung. Wir müssen darauf achten, dass wir etwas an unserem Handeln ändern und nicht noch weiter in diese Spirale hineingezogen werden.

Normalerweise bist du es ja, der nicht wirklich stillsitzen kann und immer mit seiner Musik unterwegs bist. In Zeiten der Pandemie ist oder war es so, dass du dir die Menschen um dich herum länger anschauen kannst. Hast du etwas entdeckt, das du vorher übersehen hast?
Dadurch, dass soziale Medien den Alltag von so vielen Menschen bestimmen, hat sich unsere Interaktion in manchen Situationen schon stark verändert. Nur um das kurz klarzustellen: Die Platte handelt nicht davon, dass man gegen Social Media sein soll. Es geht eher um den Kontext, in dem sie eine Rolle spielen, wie zum Beispiel in der Politik. Es geht darum, dass ein Leben offenbar unterschiedlich viel wert ist, je nachdem aus welchem Land du kommst. Hier bekommt ein toter Amerikaner mehr Aufmerksamkeit als zum Beispiel 1.004 Menschen, die auf der anderen Seite der Welt bei einem Taifun ums Leben gekommen sind und dass dort auch getrauert wird. Diese Dinge werden über Social-Media-Kanäle ganz schnell und meist ungefiltert an die Massen verteilt. Es macht langsam den Eindruck, als wären wir konditionierte Tiere, die angeleint darauf warten, mit irgendwelchen Storys versorgt zu werden. Ein verdammt deprimierendes Bild, wie ich finde. Aber in dem Zustand befindet sich unsere Gesellschaft im Moment nun mal.

Siehst du auch irgendwelche Vorteile bei Social Media?
Natürlich ist da das hohe Level an Kommunikation, das wir mittlerweile erreicht haben. Viele Menschen haben jetzt natürlich auch Zugang zu Informationen, die sie vorher nur unter großem Aufwand bekommen konnten. Darum geht es zum Teil auch in den Texten, von denen andererseits auch viele sehr persönlich sind. Unter anderem habe ich festgehalten, wie ich in der New Yorker U-Bahn die Leute dabei beobachtet habe, wie ihre Langeweile immer größer wird. Ich möchte nicht wie ein Mecker-Opa rüberkommen, aber es war schon krass zu sehen, dass die meisten Leute in den Zügen ihren Blick nicht vom Smartphone wenden konnten. Ich bin auch überhaupt nicht gegen die Nutzung von Handys. Aber schau dir doch einfach mal die Welt an, so zum Zeitpunkt der Jahrtausendwende. Ebenso wie die Industrialisierung und das Fliegen hat die moderne Kommunikation das Leben der Menschen extrem verändert. Ich habe mal eine alte Stadt in Deutschland besucht, in der Häuser aus dem 16. Jahrhundert standen. Da waren so kleine Türen drin, dass wir uns alle bücken mussten, weil die Leute damals einfach kleiner waren. Seitdem sind wir als Menschen gewachsen und sehen ganz anders aus als noch vor einiger Zeit. Die aktuelle Entwicklung ist damit zu vergleichen, finde ich.

Wie kommt da der Albumtitel ins Spiel?
Offensichtlich spielen Artwork und Albumtitel ein bisschen mit Science-Fiction-Motiven. So wie bei „Star Wars“ sollte es auf der Platte eine mythische Geschichte über eine weit entfernte Welt geben. Dabei ist klar, dass die Bewohner genauso handeln wie wir hier. Es ist für mich immer noch seltsam, über die Schwierigkeiten und Probleme um mich herum zu singen, weil ich ja immer irgendwie Teil der Story bin.

Aber du hast schon eine andere Perspektive eingenommen als auf den vorherigen QUICKSAND-Alben, oder nicht? Irgendwie wirkt es auch so, als sei „Distant Populations“ ein wissenschaftliches Statement.
Unterm Strich bin ich nur ein einfacher Typ aus New York, der Musik macht. Ich bin nicht klüger als andere oder habe bahnbrechende Ideen, um die wichtigen Fragen der Welt zu beantworten. Auf der Platte gibt es ein paar sozialwissenschaftliche Themen, zum Beispiel was wir mit Syrien gemacht haben, beziehungsweise wie das Land verfallen ist. Es ist mittlerweile ein schrecklicher Ort, an dem sich die Menschen täglich gegenseitig umbringen. Und dann gibt es da Regierungen, die Stellvertreterkriege auf dem Rücken dieser Menschen austragen. Das alles passiert, weil irgendjemand uns einzutrichtern versucht, dass ihre Religion brutal oder furchteinflößend sein soll. Dabei geht es darum, dass da andere Kräfte im Spiel sind, die ihre Interessen ohne Gnade durchsetzen wollen. So was passiert gerade auch in Mexiko, einem direkten Nachbarn der USA und nicht auf der anderen Seite der Welt. Es ist eines der gefährlichsten Länder auf dem Planeten mit einem mörderischen Konflikt. Und die Vereinigten Staaten haben da ihre Finger im Spiel – wenn sie nicht sogar für die ganze Situation verantwortlich sind. Und was machen wir, um das zu stoppen? Nichts, da wir Menschen davon ausgehen, dass es ja schon immer so war und unsere Stimme keine Bedeutung hat. Geh mal davon aus, dass diese Scheiße schnell vorbei wäre, wenn wir alle realisieren würden, dass das, was da abgeht, einfach nicht gut ist. Dass wir es beenden müssen. Aber noch mal, ich bin nicht der, der die Antwort auf alle Fragen hat. Aber ich sehe, welchen Einfluss auch Technologie auf die ganze Entwicklung hat und womit zum Beispiel meine 13-jährige Tochter umzugehen hat. Sie ist mit der Technik großgeworden und kennt die Welt nicht ohne Smartphone und Internet. Sie wächst in der Welt von TikTok und Social Media auf. Das Rad lässt sich nicht mehr zurückdrehen und ich habe enorm großen Respekt vor allen jungen Menschen, die mit den Schwierigkeiten und Problemen umgehen müssen, mit denen sie da konfrontiert werden. Schließlich sollst du als junger Mensch ohne Zynismus aufwachsen können. Du sollst die Chance haben, etwas aus dir zu machen, wenn du smart bist. Das Leben hat dir noch nicht in die Eier getreten. Manchmal wäre ich lieber so wie RED HOT CHILI PEPPERS beim Umgang mit solchen Dingen. Bei QUICKSAND geht es aber darum, sich auch mit dringenden Problemen zu beschäftigen und dabei irgendwo doch noch den Funken Hoffnung zu finden. Manchmal scheint es auch so, dass wir uns selbst aufgeben müssen, um ein Teil der Gesellschaft zu bleiben.

Du würdest also sagen, dass wir eher auf dem Weg in die Dystopie sind?
Leider ja! Schau dir mal an, wie sehr unser Leben von Technologien diktiert wird. Und da vor allem von ein paar Firmen. Natürlich google ich, wenn ich etwas suche. Wir führen das Interview gerade auf meinem MacBook und ich nutze ein iPhone. Typen wie Elon Musk gehören einer Generation an, die von Filmen wie „Star Wars“ stark beeinflusst wurde. Sie sitzen jetzt in allen Regierungen und können sich die Zukunft so machen, wie sie wollen. Klar sind die Menschen davon verärgert. Gleichzeitig werden wir aber auch immer paranoider im Miteinander. Uns war es wichtig, die Sache irgendwie noch mit möglichst viel Humor zu nehmen und das Positive zu sehen.

Neben vielen großartigen Songs ist „Colossus“ mein persönlicher Favorit. Was, denkst du, werden die Leute von „Distant Populations“ halten?
„Colossus“ ist auch mein Lieblingssong auf der Platte. Ich habe ein gutes Gefühl, was die Songs auf „Distant Populations“ angeht. Sie fügen sich sehr gut zu einem Album zusammen. Natürlich kann ich die Reaktionen der Hörer:innen nicht vorhersagen, aber ich freue mich schon extrem darauf, die Stücke endlich live spielen zu können und zu sehen, wie sie beim Publikum ankommen.

Lass uns noch einmal über den Science-Fiction-Hintergrund der Platte sprechen. Um im Kontext eures Songs „Rodan“ zu bleiben: Für wen würdest du dich entscheiden, für King Kong oder Godzilla, wenn die sich einen erbitterten Kampf um die Erde liefern?
Da King Kong ein befreundeter Primat ist, bin ich auf seiner Seite. Ich denke, man kann ihm in der Angelegenheit vertrauen und muss sich keine Sorgen machen.

Bleiben wir bei den interessanten Songtiteln. Geht es im Text von „Phase 90“ wirklich um das Gitarren-Effektpedal?
Ja, der Song ist wirklich vom Effektpedal inspiriert, von dem ich übrigens der Meinung bin, dass es im Museum of Modern Art ausgestellt werden soll, da es unheimlich viele Platten und Musiker:innen beeinflusst hat. Am MXR Phase 90 führt kein Weg vorbei.

Wie sieht es mit „EMDR“ aus, einer Form der Psychotherapie zur Behandlung von posttraumatischen Störungen und gleichzeitig auch ein Songtitel auf „Distant Populations“? Hast du es vor dem Schreiben der Lyrics selbst ausprobiert?
Das muss ich verneinen, wobei ich es vielleicht mal versuchen sollte. Eine befreundete Psychotherapeutin hat mir mal davon erzählt, und wie sehr es ihren Patienten geholfen hat. Ich bin dafür, dass progressive Therapien angewandt werden. In unserer traumatisierten Welt sollten wir uns von Sigmund Freud und medikamentöser Behandlung verabschieden.

Da schließt sich direkt meine nächste Frage an. In „Brushed“ singst du „If something’s wrong, look for symmetry“. Was steckt dahinter?
Ich kann mich nicht daran erinnern, wann ich das Zitat aufgeschnappt habe, aber ich mag die hoffnungsvolle Aussage und dass das Leben gleichzeitig gut und schlecht sein kann. Es ist wahrscheinlich das Beste, wenn du beides akzeptieren kannst, ohne zu sehr von einem Gefühlt abhängig zu sein.

Was hast du im Lockdown besonders zu schätzen gelernt?
Das war wahrscheinlich, dass ich die Entschleunigung, die durch den Lockdown entstanden ist, zu akzeptieren gelernt habe. Ich hatte das Glück, dass ich die meiste Zeit auf dem Land gelebt habe, und ich war wirklich erstaunt, wie sehr es mir dort gefallen hat. Schließlich hätte ich mich als Großstadt-Maus bezeichnet, aber anscheinend habe ich Seiten an mir, die ich vorher noch nicht kannte. Mein eigenes Brot habe ich dennoch nicht gebacken.

Kannst du mir zehn Alben nennen, die dabei helfen können, Walter Schreifels oder auch QUICKSAND besser zu verstehen?
Klar, das sind unter anderem MY BLOODY VALENTINE mit der „Glide EP“, FUGAZI mit ihrer ersten EP, LUSH mit „Gala“, SOUNDGARDEN und „Ultramega OK“, „Nowhere“ von RIDE, das JANE’S ADDICTION-Album „Nothing’s Shocking“, BLACK UHURU mit „Sinsemilla“, die COCTEAU TWINS mit „Blue Bell Knoll“, HELMET und „Strap It On“ sowie U2 mit „War“.

Wagen wir zum Abschluss doch noch einen Blick in die Zukunft. Wie werden wir Menschen im Jahr 2061 so drauf sein?
Oh, da habe ich große Bedenken und auch Angst. Dennoch hoffe ich, dass wir fairer mit Tieren umgehen, uns um die Ozeane gekümmert haben, den Planeten wieder heil gemacht und empathischer miteinander umgehen. Irgendwie habe ich aber auch das Bild vor Augen, dass wir alle in Ganzkörperanzügen herumlaufen.