REVOCATION

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Höllische Zeiten

Der Pandemie sei Dank hat die Bostoner Band ihr achtes Studioalbum komplett selbst produziert. Wir sprechen mit Mainman David Davidson über das Konzept und warum es gerade jetzt zu einer Wiederkehr des Klargesangs kam.

David, weißt du schon beim Schreiben eines Liedes, ob es Klargesang enthalten wird?

Ich hörte den Klargesang schon im Kopf, als wir das Lied aufgenommen haben. Das ist der Vorteil davon, wenn man selbst der Produzent ist und nicht auf die Zeit achten muss. Nicht dass das uns in der Vergangenheit gehindert hätte, irgendetwas umzusetzen. Aber in einem anderen Studio ist Zeit Geld. Da willst du vorbereitet ankommen, außer du hast ein riesiges Budget. Ich versuchte also unvoreingenommen an die Sache heranzugehen, mich in vielerlei Hinsicht auszutoben. Ich hatte die volle Kontrolle. Nach „The Outer Ones“ dachte ich, dass wir jetzt wohl eine richtige Death-Metal-Band sind und komplett auf Klargesang verzichten können. Wir hatten ja auf dem ersten Album „Empire Of The Obscene“ diesen melodischeren Klargesang oder wie auch immer du das nennen möchtest. Auf „Great Is Our Sin“ hatten wir bislang den meisten Anteil davon. Normalerweise hätte man jetzt erwarten können, dass wir mit „The Outer Ones“ noch weiter in diese Richtung gehen. Doch ich wollte den Hörern damals ein Schnippchen schlagen. Wir haben komplett auf den klaren Gesang verzichtet. Es gibt viele Bands, bei denen man immer genau weiß, was man zu erwarten hat. Unsere Fanbase erlaubt es uns aber, uns künstlerisch auszuleben. Es sollte auch auf „Netherheaven“ ursprünglich keinen Klargesang geben. Bei „Strange and eternal“ hatte ich aber irgendwie das Gefühl, dass wir gerade im Schlussteil etwas Spezielles bringen müssen. Wenn du an das Konzept der Hölle denkst, kommt dir natürlich auch sofort das Konzept vom Himmel in den Kopf. Ich dachte also, es wäre cool, eine Art dämonischen Chor einzubauen. Der Song ist von Robert Chambers und dessen Buch „Der König in Gelb“ inspiriert. Vielleicht hast du die erste Staffel von „True Detective“ gesehen. Auch da wird der Protagonist vom Konzept des gelben Königs verfolgt. Der Regisseur der Serie war stark von Chambers inspiriert. Das Buch „Der König in Gelb“ ist eine Sammlung von Kurzgeschichten. Wie bei Lovecraft gibt es auch hier einen Mythos, der sich durchzieht, eben das Drama um den gelben König. Der erste Akt dieses Stücks erscheint noch ganz normal, der zweite lässt die Menschen jedoch verrückt werden. Das fand ich eine sehr coole Idee und ein gutes Futter für Death-Metal-Lyrics. Gerade gewisse religiöse Texte können deinen Geisteszustand ein wenig manipulieren. Je nachdem wie gläubig du bist. In einer der Geschichten von Chambers befindet sich die Hauptfigur am Ende in einer Kirche. Er schaut hoch zum Altar und zur Orgel und Stück für Stück löst sich die Realität auf, bis er dem König in Gelb gegenübersteht. Der gibt sich dann als bösartige, allmächtige Gottheit zu erkennen. Dieses Bild wollte ich einfangen. Das Licht, das in unsere Realität einbricht, den Chor der Engel, die aber eigentlich Dämonen sind, und die Konfrontation mit dem König in Gelb. Das wollte ich vertonen.

Nun ist es so, dass REVOCATION im Death Metal nicht die Ersten sind, die ein Album über die Hölle schreiben.
Ich war selbst hin- und hergerissen, was das Konzept angeht. Zuallererst ist das Ganze mal eine Hommage an die infernalischen Death-Metal-Bands, mit denen ich aufgewachsen bin. Ich wurde katholisch erzogen, auch wenn meine Mutter jetzt nicht super religiös war. Sie wollte, dass ich auf eine private katholische Schule gehe und ein produktives Mitglied der Gesellschaft werde. Ich spielte sogar Jesus in einem Theaterstück in der Schule und wurde vor den Augen meiner Mutter gekreuzigt.

Glückwunsch dazu!
Danke! Haha. Die Rolle wollte ich damals unbedingt. Ich hatte schon früh Spaß daran, auf der Bühne zu stehen und zu spielen. Diese Ikonografie war also Teil meiner Erziehung. Bis ich auf die Mittelschule gekommen bin, glaubte ich an diese religiösen Glaubenssätze. Wie konnte ich auch nicht? Ich wurde ja in diesem Umfeld großgezogen. Heute denke ich natürlich, dass das alles großer Quatsch ist. Zusammen mit einer gehörigen Portion Skeptizismus hat mir Death Metal dabei geholfen, aus diesem Denken auszubrechen. Das Konzept der Hölle ist dennoch im Metal sehr verbreitet, es gibt aber weitere wichtige mit dem Genre assoziierte Aspekte, die nicht so oft beleuchtet werden. Freie Meinungsäußerung, freies Denken, das Treffen von eigenen Entscheidungen oder das Hinterfragen von Autoritäten. Neben seiner Brutalität kann man bei einigen Bands also noch weitere Dinge aus der Musik ziehen. Zur gleichen Zeit waren Religionen in der Vergangenheit mal mehr, mal weniger große Bedrohungen. Für eine kurze Zeit war das Christentum ein einfaches Ziel. Es schien so würde als würde sein gesellschaftlicher Einfluss zurückgehen und man könnte ganz einfach draufhauen. Schaut man sich Umfragen aus der jüngsten Vergangenheit an, tendiert die Welt immer mehr in Richtung Agnostizismus und Säkularismus. Gerade in Amerika ist es aber so, dass die Rechten und Evangelikalen eine, aus meiner Sicht, absolut unheilige Allianz bilden. Auch wenn die das sicher anders sehen. Das ist sehr beunruhigend. Ich zitiere hier immer gerne Thomas Jefferson: „Ewige Wachsamkeit ist der Preis ewiger Freiheit.“ Wenn du zu selbstzufrieden wirst, dann greifen Leute nach der Macht, von denen du das eigentlich nicht möchtest. Das Christentum fühlt sich also aktuell nicht mehr nach einem leichten Ziel an. Angesichts des Aufschwungs von theokratischen und totalitären Gruppen, die die Grenzen zwischen Staat und Kirche einreißen möchten, war ich der Meinung, dass ich diesen Zeitgeist aufgreifen und diese diabolische, infernale, satanische Platte schreiben muss.