RUSSKAJA

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Brüderchen, komm, tanz mit mir

Vor etwas mehr als 14 Jahren veröffentlichte die 2005 in Wien gegründete siebenköpfige Band RUSSKAJA –„der Schrecken aller russischen Heimatmusikvereine“ – mit „Kasatchok Superstar“ ihr Debütalbum, „als das erklärte Gegenteil von Easy Listening“ mit einem Mix aus Highspeed-Polka-Ska und Punk. Es folgten die Alben „Russian Voodoo“ (2010), „Energia!“ (2013) – ab da zusätzlich mit einer gehörigen Portion Metal –, „Peace, Love & Russian Roll“ (2015), „Kosmopoliturbo“ (2017) sowie „No One Is Illegal“ (2019). Musikalisch auf höchstem Niveau – mit den Hauptinstrumenten Gitarre, Violine, Potete (Kreuzung aus Trompete und Posaune), Saxophon, Bass und Schlagzeug – dreht sich alles um Energie, Bewegung, Tanz und Ekstase. Ob Clubkonzert, Stadtteilfest oder die zahlreichen Festival-Auftritte, RUSSKAJA-Konzerte sind ein Fest der kollektiven Freude und Ausgelassenheit.

Umso betrüblicher sind nun die Begleitumstände, denn das Gespräch mit Sänger Georgij Makazaria führte ich, einige Tage bevor der russische Angriff auf die Ukraine stattfand. Im Interview erläutert Georgij, warum er es anmaßend findet, als Außenstehender die russische Politik zu bewerten, und mit etwas Abstand empfinde ich es auch als anmaßend, von einem gebürtigen Russen diesbezüglich eine Stellungnahme einzufordern, denn eine pazifistische Einstellung ist, hoffentlich nicht nur in „unserer Szene“, selbstverständlich. Die Band spielt natürlich mit dem Bild des „Russen“, positioniert sich aber eindeutig als kosmopolitisch.

Welche Bedeutung steckt hinter dem Bandnamen RUSSKAJA? Russland, Ska und ...?
Russland, das ist das Russische. Russkaja heißt: das Russische, weiblich. Und da kann man sagen, dass wir das Beste vertreten, was Russland zu liefern hat, und das ist die Musik ... und Erdöl. Die Band RUSSKAJA gibt es seit 2005 und wir sind lustig.

Du spielst ja mit dem Bild des Russen. Da fällt mir spontan Ivan Rebroff ein, ein deutscher Sänger, der in den Sechziger und Siebziger Jahren hier als singender Russe mit Fellmütze bekannt wurde.
Ja, den kenne ich. Bekannt wurde er durch die Rolle des Milchmanns Tevje in dem Musical „Anatevka“. Er ist ein großes Vorbild für die Rolle, denn ich spiele den Milchmann Tevje gerade am Badener Stadttheater.

Allerdings wurdest du in Moskau geboren, hast das Land aber mit 15 Jahren verlassen.
Da haben sich schwierige Zeiten für das Land angekündigt, ein Krieg war in Aussicht und ich war im Einberufungsalter, und da hat meine Mutter geschaut, dass ich nicht in diesen Krieg ziehe. Sie hat einen Österreicher geheiratet und ist ausgereist. Ich spiele, sagen wir mal so, mit Klischees, die jetzt nichts mit Politik zu tun haben. Wenn ich da zum Beispiel die Sprache habe oder die russische Musik, das ist ja etwas typisch Klischeehaftes für Russland, und dafür stehen wir, für das Musikalische und für das Künstlerische. Wir haben aber mittlerweile auch schon so viel in englischer Sprache, deutscher Sprache, spanischer Sprache. Russka ist mittlerweile eher aus Traditionsgründen geblieben. Darunter gibt es wirklich eine sehr breite Palette an Kosmopolitismus.

Ihr bezeichnet euch als nicht politische Band. Wenn ich mir aber eure Texte anschaue, finde ich schon, dass sie politische Aussagen enthalten.
Vielleicht im Allgemeinen, aber zu tagespolitischen Themen würde ich mir nicht zutrauen, eine Meinung abzugeben, denn ich lebe ja nicht in Russland. Ich weiß nicht, aber etwas zur russischen Politik oder Innenpolitik zu sagen und dabei in Österreich zu leben, wäre jetzt anmaßend von meiner Seite. Deshalb halte ich mich da komplett raus. Ich werde auch nur gefüttert von den Massenmedien, wie wir alle, je nach dem welche. Aber ich kann mir natürlich auch russische Massenmedien anschauen, die vermitteln übrigens ein komplett anderes Bild. Und eben diese Differenz, westlich versus russisch, die hat mir irgendwann gezeigt, dass die Medien einfach als Instrumentarium eingesetzt werden, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Also kannst du zu einem Thema nur dann wirklich eine Meinung haben, wenn du es selber erlebt hast. Nicht einmal die Leute in Russland wissen, was teilweise dort abgeht, und wir wissen nicht, was so bei uns abgeht.

Bleiben wir bei den Medien und dem aktuellen Russland-Ukraine-Konflikt. Der lässt alte Feindbilder wieder aufleben. Warum ist es so schwierig, sich auch einmal in die Schuhe des anderen zu schlüpfen?
Ich glaube wegen der Angst. Weißt du, ich bin da jetzt nicht der Experte. Es gibt da Experten, die dann an runden Tischen im Fernsehen sitzen und dort auch nur ihre Sicht erzählen. Man muss sich schon selber zum Experten machen, um einen Überblick zu erhalten. Aber ich möchte auch nicht, dass Politik bei unseren Konzerten vorkommt. Oder in unserer Wahrnehmung. Bei uns in der Band ist es so individuell, das ist für uns nicht nachvollziehbar. Wir haben Ukrainer in der Band, jemanden aus Weißrussland, wir sind befreundet. Ich habe ukrainische Freunde, und das bleiben sie auch. Was da auf der Politikebene ausgemacht und entschieden wird– ich lebe nicht dort, ich wähle dort nicht die Regierung –, was soll ich denn dazu sagen?

Bezugnehmend auf euer Stück „No one is illegal“, von eurem letzten gleichnamigen Album, gibt es von dir eine interessante Aussage: „Die politische Gesinnung ist uns egal, es geht um Menschlichkeit, man bezeichnet keinen Menschen als illegal.“ Das ist, wie ich finde, ein sehr guter Ansatz.
Das ist unser Grundprinzip, wir wollen dieses Thema aus der Politik rausholen und in den Bereich der Menschlichkeit bringen. Das ist unser Ansatz, darüber singen wir. Wenn man hier ins Detail geht und uns herausfordert, darüber zu diskutieren, können wir natürlich nicht jedem Idioten eine seriöse Antwort geben. Oder Vorschläge machen, wenn die Leute fragen: „Ja, wo sollen denn alle hin?“ Es ist ein klares Zeichen, dass wir in Frieden kommen, mit den Leuten feiern und dann wieder fahren.

Das ist ein gutes Stichwort, RUSSKAJA-Konzerte sind keine Einbahnstraße. Ihr bezieht das Publikum mit ein, ob durch Wechselgesang oder ein „Spinning Wheel“ bei dem Stück „Psycho Traktor“. Man könnte fast meinen, ihr veranstaltet ein regelrechtes kollektives Auspowerprogramm.
Ja, nur dass wir dann auch selbst schwitzen, wie erst gestern. Wir hatten lange nicht gespielt. Gestern im Proberaum haben wir nach langer Zeit einmal wieder ziemlich lange geübt. Die Musik zwingt einen einfach dazu – ob du jetzt sportlich bist oder nicht, egal –, man kommt ins Schwitzen. Man muss die Energie auch wieder loswerden. Es ist ein Energiekreislauf, man spürt das. Wir fangen alles ab und geben ihnen was, die Leute fangen das auf und wir kriegen irrsinnig was zurück, verarbeiten das wieder und geben das weiter. So geht es das ganze Konzert hin und her, bis beide komplett befriedigt sind. Es ist eigentlich etwas Erotisches. Für uns ist ein Gig gut, wenn dieser Energieaustausch stattgefunden hat. Wir laden alle Leute ein, die Musik mit uns zusammen zu genießen und ausgelassen zu feiern. Man sieht, bei den Menschen kommt dann dieses Rötliche ins Gesicht, das ist ein gesundes Zeichen. Eine gesunde Farbe. Man sieht, okay, wir haben jetzt ein bisschen an Gesundheit gewonnen, das ist doch toll. Schweiß und nasse T-Shirts sind förderlich für unseren Merchandise-Verkauf hinterher. Man kann ja auch gute Laune haben, wenn man total exzessiv ausflippt. Das ist ein sehr positives Ausflippen, ein positives „Rauslassen“ von Angestautem, das führt schließlich zu einer guten Laune im Gesicht. Das gehört schon zusammen. Es ist irrsinnig motivierend, wenn du das, was du da in deiner Kammer irgendwie zusammengeschustert hast, einem größeren Publikum vorspielst und dann tanzt es noch dazu.

Ihr seid auch Teil der von Dirk Stermann und Christoph Grissemann moderierten Late-Night-Show „Willkommen Österreich“. Wie erklärt man das jemanden, der kein österreichisches Fernsehen guckt?
Ja, das ist eine Late-Night-Show, so wie man sie in Deutschland auch kennt. Also im Prinzip zwei Kabarettisten, die Gäste empfangen, so wie bei euch früher Stefan Raab oder Harald Schmidt. Das ist eben ein österreichisches Format mit österreichischen Gags und Schmäh, wie man sie nur in Österreich versteht und lustig findet. Man muss aber sagen, dass sehr viele Gäste aus Deutschland kommen. Und wir sind dort quasi die Studioband.

Welche Aufgaben habt ihr als Studioband?
Man spielt die Jingles, man spielt das Introjingle, wenn die Sendung beginnt. Wir sagen quasi die zwei an. Die zwei Kabarettisten kommen raus und je nachdem, wann die Gäste herauskommen, spielen wir einen Jingle. Oder nach einer MAZ, einer Filmeinspielung. Und dann beginnt der Hauptgrund für unsere Anwesenheit dort: Wenn musikalische Gäste kommen, wird denen angeboten, dass sie uns quasi als Band benutzen oder mit uns zusammen etwas machen. Die musikalischen Gäste können sich das aussuchen: Wollen sie die komplette Band, wollen sie nur Gitarre, wollen sie nur Schlagzeug ... Vielleicht haben sie einen Bassisten dabei, aber keinen Schlagzeuger oder so. Wir stehen gewissermaßen jedem zur Verfügung, der sich dort präsentieren will. Meistens stellen die Leute ihre neuen Alben vor. Udo Jürgens hatte zum Beispiel mal einen Song aus seinem dreißig Jahre alten Programm extra für uns herausgefischt, und Helge Schneider wollte einen Song von uns spielen, weil er das so lustig fand, mit Herbert Grönemeyer haben wir seine neue Single gespielt, mit Nena haben wir zusammen gerockt. Gedacht war es für ein Jahr, und jetzt sind wir seit über 14 Jahren dabei.

Ich habe noch eine Frage zum Kulturpass. Den gibt es in Österreich und ermöglicht etwa Arbeitslosen, Mindestsicherungsempfängern und Asylbewerbern den kostenlosen Besuch von Konzerten, auch euren. Wie funktioniert das? Es ist ja auch eine Frage, mit welcher Auslastung die Veranstaltungsorte kalkulieren. Gibt es diese Plätze quasi gratis obendrauf oder erhalten die Veranstalter dafür einen finanziellen Ausgleich?
Es gab eine Organisation, die auf uns zugekommen ist, nachdem wir „No One Is Illegal“ veröffentlicht hatten. Aber wie die das dann weiter umgesetzt haben, kann ich dir im Detail nicht sagen, daran waren wir als Band nicht beteiligt. Wir haben das nur unterstützt. Mehr Info gibt es auf ihrer Homepage – hungeraufkunstundkultur.at. Insgesamt werden die Corona-Auswirkungen bei den Veranstaltern nachwirken. Es werden wohl tatsächlich die Eintrittspreise steigen, so wie alle anderen Preise auch heutzutage.

Und das, obwohl die Leute sicherlich ausgehungert sind.
Manche Clubs sind gezwungen, das zu machen. Da gibt es sicher auch ein paar Clubs, die sich schon jetzt so positionieren, dass sie sagen, „Wir werden die Preise beibehalten, denn unser Klientel, das zu uns kommt, ist uns wichtig.“ Da gibt es verschiedene Modelle. Natürlich müssen die Leute auch in die Clubs kommen, darum geht es. Wenn dann niemand Kohle hat, oder sich alle fürchten sich anzustecken, dann müssen diese zwei Aspekte erst einmal überwunden werden, und dann kann man wieder normal touren und Konzerte geben.

Natürlich endet dieses Interview nicht ohne eine Frage zu eurem neuen Album „Chronicles“, außer „Russki style“ ist kein neuer Song dabei. Es ist eine Zusammenstellung, ein guter Einstieg mit wichtigen Songs, allerdings ohne Stücke von eurem Debütalbum „Kasatchok Superstar“.
Genau, das ist alles remastert. Das Album stellt ja nur eine Auswahl dar. Wir haben auch eine Vinylversion davon und darauf passt eben nur eine gewisse Anzahl von Stücken, deshalb diese Begrenzung. Die CD-Pressung gibt es quasi obendrauf, für den schnellen Weg nach Amerika.

Du meinst eure US-Tournee mit FLOGGING MOLLY?
Ja. Die haben angefragt und gesagt, dass sie uns gerne auf ihrer Tournee dabeihaben würden, und wir haben gleich zugesagt.