SCHLUMPF

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500 Mal AGNOSTIC FRONT

Wer in den letzten Jahren ein Interview mit AGNOSTIC FRONT oder HATEBREED gemacht hat, wird zwangsläufig über ihn gestolpert sein: Schlumpf, der langjährige Tourkoordinator und -manager dieser Combos hat immer seine Finger im Spiel. Dass er aus Essen kommt, mit Vornamen Marcus heißt und seit Ende der Neunziger Jahre dieser Art von Arbeit nachgeht, wissen nicht viele. Wie diese Lichtgestalt der deutschen Punk/Hardcore-Szene überhaupt eingestiegen ist und was für schlimme Geschichten es „on tour“ alles gibt, erfahrt ihr an dieser Stelle. Denn er ist seit Jahrzehnten mittendrin statt nur dabei!

Marcus, jeder kennt dich nur unter deinem Spitznamen „Schlumpf“. Woher kommt der?

Wenn der Nachname Schloemp lautet und alle in den frühen Punk-Teenagerjahren irgendwelche extrem unüblichen Spitznamen hatten, war klar, dass bei mir schnell Schlumpf rauskommt.

Du bist seit Jahrzehnten als Tourmanager bei MAD Tourbooking für verschiedene Bands unterwegs. Kannst du uns erläutern, was man in diesem Beruf eigentlich macht und was die Sonnen- sowie die Schattenseiten dieser Aufgabe sind?
Die meisten aktiven Künstler sind Klienten von Booking-Agenturen. Diesen immensen Zeitaufwand der Tourorganisation kann und will kein Künstler selbst stemmen. In meinem Falle ist das MAD Tourbooking. Die Agentur kümmert sich in erster Linie um die Auftrittsorte, die Veranstalter und damit die finanziellen und logistischen Deals, welche vertraglich abgesichert werden. Zusätzlich bieten sie auch weiteren Service wie das Buchen von Flügen, den Transport, die Backline beziehungsweise die Vertonung an. Dann komme ich als Tourmanager ins Spiel. Zuerst buche ich den Tourbus und stelle die Crew zusammen, also Techniker, Merchandiser etc. Bei AGNOSTIC FRONT spreche ich mich im Vorfeld dahingehend mit Roger ab. Wir schauen dann, ob es sich zum Beispiel eher lohnt, bei einer Tour auf einen Nightliner zu verzichten und lieber den Van zu nutzen und in Hotels zu übernachten. Wenn wir mit einem Van fahren, biete ich mich oft als Fahrer an, denn dann hat man wenigstens was zu tun, haha. Wenn man stundenlang im Auto sitzt, wird es sonst schnell langweilig. Aber Spaß beiseite, einer von uns muss sowieso fahren, weil im Van nur maximal neun Sitze sind. Wenn ich die Infos für die Tour seitens der Agentur bekommen habe, plane ich jeden einzelnen Tourtag per Zeitplan so detailliert wie möglich. Dazu gehören oft viele Mails und Telefonate mit Veranstaltern, weil es Fragen zum Essen, zur Technik, dem Platz oder Equipment, zum Busparkplatz etc. pp. gibt. Diese so genannte Pre-Production kann sich ewig ziehen, je nachdem wie akribisch man arbeitet beziehungsweise wie kommunikativ dein Ansprechpartner ist. Das Ziel ist ein reibungsloser Ablauf. Dazu gehört auch die Koordination mit der Presse. Bei AGNOSTIC FRONT zum Beispiel habe ich die Interviews gerne nach dem Abendessen, da sind die Jungs deutlich entspannter. Mir gefällt an dem Beruf vor allem, dass ich eine geile Zeit mit Freunden haben kann und dazu noch an Orte komme, die ich so vielleicht nie kennen gelernt hätte. AGNOSTIC FRONT kenne ich mittlerweile schon über dreißig Jahre und wir haben viele gute Stunden auf Tour verbracht. Im Übrigen hat man als Tourmanager eine immense Verantwortung, sowohl der Agentur als auch der Band gegenüber. Dass da das Stresslevel ohnehin hoch ist, kann sich jeder vorstellen. Man ist fast die ganze Zeit unter Strom, weil man ja viele Sachen gleichzeitig auf dem Schirm haben muss. Oft gewinnen die Leute von einem Tourmanager den Eindruck eines griesgrämigen Diktators, aber meistens ist man nur hochkonzentriert und will das Beste für seine Band und alle Beteiligten in der jeweiligen Situation.

Dann gehört eine gute körperliche Fitness sicher auch dazu. Du bist seit einigen Jahren im Bereich des Ultralaufens aktiv ...
Na ja, einem gesundheitlich schwer angeschlagenen Menschen würde ich nicht empfehlen, Tourmanager zu werden. Neben der ständigen Habachtstellung gesellt sich oft Schlafmangel hinzu. Eine gute körperliche Kondition ist da von Vorteil. Früher habe ich ja geboxt und da war Lauftraining immer ein wichtiger Bestandteil. Gelaufen bin ich ohnehin immer gerne, vor allem in der Natur. 2013 bin ich meinen ersten Marathon gelaufen und im Frühjahr 2016 habe ich für mich beschlossen, alle zwei Monate mindestens eine Marathonlänge zu laufen. Wenn du erst mal auf diesem Long-Distance-Level bist, musst du dich nicht mehr mit superlangen Trainingsläufen vorm Wettkampf verrückt machen. Dann ist der eine Wettkampf oft gleichzeitig die Vorbereitung für den nächsten, der dann meist noch härter wird. Zwischen den Wettkämpfen muss man sich nur fit halten, um „geölt“ zu bleiben. Aber je länger die Pause, desto mehr tut’s weh beim nächsten Lauf, haha. Auf Tour geht das Laufen aber eher schlecht, und wenn du in drei Wochen Tour ein bis drei Mal laufen gehen kannst, ist das schon viel. Das mache ich dann danach. Ich brauche dafür schon einen freien Kopf, denn wie bereits gesagt, ist auf Tour zu viel los.

Wie bist du eigentlich in den Beruf als Tourmanager reingerutscht?
Eigentlich komme ich aus Essen und bin seit 13. Lebensjahr dem Punk verfallen. Nach Berlin bin ich 1984 gezogen. Da war ich gerade 17 Jahre alt geworden. Ich wollte dahin, wo das Leben tobt. Feuer frei! Mein junges Leben war voll dem Punkrock und dem damals noch jüngeren Hardcore gewidmet. Ältere befreundete Punks aus Duisburg hatten mir gesagt, sie hätten noch Platz für mich in ihrem besetzten Haus in der Görlitzer Straße in Kreuzberg. Das war übrigens das Haus, dessen Bild auf der ersten VORKRIEGSJUGEND-EP drauf ist. Die halbe Band hat damals dort gewohnt. Das war ein reines Punkrock-Haus, also überwiegend Punks und ein paar Skins. Teilweise krasse Gestalten, aber alles einmalige Charaktere. Eine räudige Zeit. Verglichen mit der heutigen Punk-Szene war das alles deutlich brachialer. Das waren richtige Straßenjungs. Heute würde man diesen Habitus teilweise eher mit Rap verbinden. Einige sind natürlich dabei auch auf der Strecke geblieben und mit wehenden Fahnen direkt in die Hölle geritten. Das West-Berlin der Achtziger Jahre steckte ja voller Möglichkeiten. Man hat Konzerte besucht, Leute getroffen, selbst Bands gegründet und und und. Wir sind ja auch überall hingefahren, also auch in andere Städte und Länder, um Konzerte und Bands zu sehen. Als Tourmanager habe ich irgendwann Ende der Neunziger Jahre angefangen. Wir in Berlin sind eine kleine Szene rund um den Hardcore und meine Freunde Marc und Ute von MAD Tourbooking waren und sind ja ein Hauptbestandteil davon. Mein Kumpel Mosh war eigentlich die ganzen Neunziger Jahre mit Bands unterwegs, aber ich nicht. Ich hatte da noch andere Arbeit, aber immer ausgeholfen, wenn Not am Mann war. Oder bin spontan eine Woche mal mit auf Tour gefahren.

Hast du irgendwas in der Richtung deines heutigen Jobs gelernt?
Nein, wir sind alle voll ins kalte Wasser gesprungen, ohne irgendeine abgeschlossene Ausbildung in der Veranstaltungsbranche oder ähnlichem. Alles basierte auf Vertrauen, Freundschaft und dem Willen alles zu geben. Übrigens hatten wir in den 90ern noch keine Laptops, Navis oder Smartphones und jedes Land hatte noch seine eigene Währung. Was hab ich umgetauscht ... Und dann kam eins zum anderen. 1998, glaube ich, hatte mich Ute gefragt, ob ich Bock hätte, DISCIPLINE und HARD RESISTANCE auf Tour zu begleiten. Da musste ich fahren und sie als Tourmanager unterstützen. Das lief ganz gut, so dass mich Marc einige Monate später für eine siebenwöchige Tour in den USA mit OXYMORON als Support für DROPKICK MURPHYS quasi gebucht hat. Zwischendurch habe ich alles Mögliche gemacht, viel auf dem Bau gearbeitet und so weiter. Anfang der 2000er wollte ich auch mal richtig seriös werden und als Übersetzer arbeiten. Dazu hatte ich bei der Berliner Kant-Akademie eine Aufnahmeprüfung abgelegt. Als mich die Dame von denen anrief, um mir zum Bestehen zu gratulieren und ein Vorstellungsgespräch mit mir abzusprechen, war ich leider mit THE BUSINESS auf Tour. Und wir legten gerade mit der Fähre Richtung Skandinavien ab, so dass sich das Funksignal und somit die Stimme der Anruferin langsam ausdünnte und ich mich leider dahingehend nicht mehr zurückmelden konnte. Und dann kamen Schlag auf Schlag die ganzen Touren rein und ich habe fast alle mitgenommen. Die anderen Pläne waren somit auf Eis gelegt und ich nun Tourmanager.

Du hast schon erwähnt, dass du viel für AGNOSTIC FRONT arbeitest. Als ich vor einigen Jahren Roger interviewte, bezeichnete er dich sogar als sechstes Bandmitglied. Ähnlich steht es mit HATEBREED, für die du auch ein unverzichtbares Puzzleteil bist. Erzähl uns mal etwas zu deiner Beziehung zu diesen Bands. Wie oft hast du AGNOSTIC FRONT zum Beispiel schon live gesehen?
AGNOSTIC FRONT fand ich schon seit ihrer „United Blood“-EP sympathisch. Ihr späterer Crossoversound aus Punk, Metal und Hardcore sowie die dahinterstehende Message hat mich dann richtig umgehauen. Unsere Freundschaft begann vor über dreißig Jahren. 1990 habe ich mit meiner Band ENDLESS STRUGGLE in Kopenhagen im bekannten Ungdomshuset als Support für VERBAL ABUSE und eben AGNOSTIC FRONT gespielt. Das Konzert war Mitten im Winter, es war arschkalt und wir haben den Jungs dann noch geholfen, alles auszuladen, weil sie verspätet ankamen. Damit hatte man schon die erste Basis. Im Laufe der Jahre sind wir als Berliner Hardcore-Fraktion natürlich viel herumgekommen und man hat sich immer wieder getroffen. So entstehen dann Freundschaften. Später haben wir die Jungs auch in den Staaten besucht, und ich übernachte nach wie vor bei Vinnie, wenn ich in New York bin. Die Leute aus der Berliner Hardcore-Szene, die später MAD Tourbooking gründeten, waren ja schon früh mit AGNOSTIC FRONT befreundet und dieses Familybusiness haben wir über die Jahre beibehalten: Mosh macht noch immer den ganzen Merchandise-Kram, ich betreue sie auf Tour und Marc oder Ute handeln vorher alles aus. Über die Jahre habe ich sie bestimmt über 500 Mal live gesehen, wenn das mal reicht. Da ich die Setlist schon so oft gehört habe, liege ich auch Roger immer wieder in den Ohren, mal wieder einen älteren Song zu spielen, den es schon länger nicht mehr live gegeben hat. Manchmal lässt er sich auch darauf ein, wobei die Setlist bei den ganzen Alben natürlich wohl überlegt sein will. Man will ja, dass alle Leute auf ihre Kosten kommen. Vor kurzem habe ich mal wieder „Liberty & Justice“ gehört und dachte noch, dass da auch ein paar richtig gute Songs drauf sind, die mal wieder live performt werden müssen. Da werde ich Roger mal wieder etwas mit nerven, hahaha. HATEBREED hatte ich auf deren erster Tour 2001 in Berlin im K17 kennen gelernt. Mein guter Freund David von CoreTex war damals Tourmanager und DrumTech. Ein Arbeitsverhältnis ist erst auf der Resistance-Tour 2002 entstanden. Wir waren mit AGNOSTIC FRONT auch mit an Bord und da gab es wieder einen dieser legendären Abende, wo wir unsere Kollaboration per Handschlag ausgemacht haben. Feuchtfröhlich schworen wir uns, für immer zusammenzubleiben, egal ob der Erfolg METALLICA in den Schatten stellen würde oder ob sie in die tiefste Gosse stürzten. Hahaha, ganz so krass sind sie ja nicht durchgestartet, aber trotz ihres Erfolgs arbeiten wir immer noch gut und gerne zusammen. Dass ich so lange mit diesen Bands zusammenarbeiten kann, beruht auch auf einem ganz einfachen Ding: dem gegenseitigen Vertrauen!

Du hast mir irgendwann mal erzählt, dass du in den Hochzeiten knapp acht Monate im Jahr mit Bands auf Tour warst. Welche Länder hast du noch nicht bereist?
Klar gibt es noch Orte, die ich als Tourmanager noch nicht gesehen habe. In Asien war ich zum Beispiel noch nie auf Tour, ich zähle hier jetzt mal nicht Istanbul und Tel Aviv dazu. Ich habe zwar schon mal AGNOSTIC FRONT in Bangkok überrascht, aber gearbeitet habe ich da noch nicht. Auch in Australien bin ich noch nie gewesen, genauso wenig wie in Südamerika. In Europa sowie in den USA war ich oft unterwegs und mit HATEBREED haben wir auch schon in Johannesburg auf einem Metal-Festival gespielt. Wobei die Hardcore-Szene in Südafrika eher in Kapstadt angesiedelt ist.

„What happens on tour stays on tour“, ist eine Regel, die es verbietet, wilde Geschichten zu erzählen. Vielleicht kannst du doch mal eine kleine Ausnahme für uns machen und etwas aus dem Nähkästchen zu plaudern.
Da gibt es Sachen, die sind so abgefuckt und dreckig, die kannst du gar nicht erzählen! Oft ist es aber Situationskomik, die nur für die Anwesenden lustig oder interessant ist. Das ist für Außenstehende gar nicht witzig. Aber ich kann dir eines versichern: Mir ist so gut wie alles passiert, was du dir vorstellen kannst. Und noch tausend Sachen mehr, hahaha!

Wenn du einmal auf die Zeit zurückblickst, was hat sich deiner Meinung nach am meisten an oder in der Hardcore-Szene und auch am Tourbusiness verändert?
Was man festhalten muss, ist die deutlich gesteigerte Professionalität. Nimm allein mal einen Van, der heute neun Sitze mit allen möglichen Anschlüssen für Handys oder Laptops sowie Tische und eine Ladefläche für das Equipment hat. So was gab es früher nicht. Da ist man mit drei klapperigen Camping-Bullis gefahren, in die man sich reingequetscht hat. Früher gab es auch keine Agenturen, die alles im Vorfeld planen. Früher war deutlich mehr DIY-Spirit am Start, was oft zu Lasten des Komforts gegangen ist. Dies lag bestimmt auch daran, dass die ganze Hardcore-Szene viel größer geworden ist. Früher war das eine kleine, eingeschworene Truppe. Wortwörtlich der harte Kern der Punk-Szene. Damals, fand ich, gab es deutlich mehr Gemeinschaft. Damit meine ich vor allem geteilte Freude und Leidenschaft. Bands haben sich gefreut, spielen zu dürfen, und das Publikum war heiß drauf, die Band zu sehen. Egal, ob da 50 oder 200 Leute waren. Heute steckt mehr kommerzielles Interesse hinter der Hardcore-Szene, was für sich genommen ja nicht schlecht ist. Wenn man nichts verdient, wird es schwer, die Tour zu finanzieren. Vielleicht war man früher auch mit weniger zufrieden. Für mich gab es Anfang der Neunziger Jahre dazu eine Schlüsselszene, als ich den Auftritt von SICK OF IT ALL auf dem Roskilde Festival gesehen habe: Noch nie hatte ich etwa 10.000 Leute bei einem Hardcore-Konzert abgehen sehen. Für mich war dies das Bild vom Scheideweg des Hardcore: Entweder es entwickelt sich richtig etwas oder es ist der Anfang vom Ende. Zum Glück ging es in die richtige Richtung, sonst würden wir heute kein Interview führen.

Zu guter Letzt noch eine Frage zur Corona-Situation: Wie finanzierst du deinen Unterhalt, wenn du nun nicht mehr als Tourmanager arbeiten kannst?
Ja, Corona hat natürlich dahingehend alles lahmgelegt. Für mich gibt es eine staatliche Soforthilfe für Solo-Selbstständige. Außerdem bin ich wie früher auf dem Bau tätig. Aber natürlich freue ich mich darauf, wieder als Tourmanager arbeiten zu können.