SENSITIVES

Foto© by Band

Schlechte Tänzer

Die Schweden THE SENSITIVES sind auf den hiesigen Bühnen keine Unbekannten. Schon seit vielen Jahren bespielen Martin (gt, voc), Pulan (bs, voc) und Magnus (dr) die eher kuscheligen Konzerträume in unseren Städten. Der kürzlich vollzogene Wechsel zum Label Kidnap Music könnte der sympathischen Band noch mal einen ordentlichen Push geben. Dass die drei vielseitig sind und Spannendes zu erzählen haben, lest ihr im folgenden Beitrag. Bezüglich der Veröffentlichung des neuen Albums „Patch It Up And Go!“ tauschte ich mich mit der kompletten Band aus und erhielt interessante Infos rund um die neue Musik, aber auch darüber hinaus.

Patch It Up And Go!“ wird im November 2023 das Licht der Welt erblicken. Wie seine Vorgänger zeichnet den neuen Tonträger aus, dass er aus einer bunten Mischung aus Punk, Rock’n’Roll, Folk, Ska und anderen musikalischen Einflüssen besteht. Zusammen mit einer ordentlichen Prise Energie macht das den typischen THE SENSITIVES-Sound aus. Ein Grund für diese Vielfalt liegt sicher in der großen Bandbreite im Musikgeschmack der einzelnen Bandmitglieder. Martin zum Beispiel ist vielseitig interessiert und deckt eine große Spannweite von BRUTUS über elektronische Musik bis hin zu poppigeren Sachen ab. Pulan dagegen begeistert sich eher für Punkrock im Stile von AGAINST ME!. Magnus dagegen ist der härteren Gangart nicht abgeneigt und hört gerne Bands wie WOLFBRIGADE und BRUTUS. Das alles zusammen ergibt diesen eigenen THE SENSITIVES-Stil, den sich die Band über die Jahre erarbeitet hat und der sich wie ein roter Faden durch die Alben zieht.

Daneben bringt das neue Album aber auch Veränderungen mit sich. Es klingt im Vergleich zu den Vorgängern etwas roher und in Teilen lauter, was Martin mit dem Entstehungsprozess in Zusammenhang bringt. Dafür muss an dieser Stelle etwas ausgeholt werden. Denn hier spielt die Corona-Pandemie eine Rolle, die die Band ziemlich hart traf. Aufgrund der vielen Beschränkungen konnten die drei nicht mehr außerhalb von Schweden touren, was für sie ein großer Einschnitt war. Unterwegs sein und Konzerte spielen ist ein wichtiger Bestandteil des Bandlebens und fiel jetzt für eine langen Zeitraum weg. Dadurch fehlte der Band der wichtige Kontakt zu Freunden, Fans, Bands, Veranstaltern etc. Das Schreiben und Proben neuer Songs konnte dies nicht im Ansatz auffangen. Da half auch nicht die Möglichkeit, in der nahen Umgebung zu spielen, da in Schweden die Corona-Restriktionen lockerer waren. Um dem etwas entgegenzusteuern wurde ein interessantes Projekt aufgesetzt. Die Band startete auf der Plattform Patreon.com einen eigenen Channel, auf dem Fans gegen ein kleines Entgelt exklusive Songs, Merch und andere Dinge zur Verfügung gestellt bekommen. Das Ganze sollte helfen, den Kontakt zu den engsten Fans zu halten und nebenbei vielleicht auch etwas Geld für den Tourvan und kommende Touren zu generieren. Der Erfolg war übersichtlich, ist aber vermutlich für absolute Die-hard Fans eine interessante Sache. Das Ziel dieses Projekts ist auch nicht sehr hoch gesteckt, so Martin. Wenn sich letztendlich dreißig bis vierzig Fans dort anmelden, wären sie schon glücklich. Als die Pandemie es endlich erlaubte, wieder außerhalb Schwedens auf Tour zu gehen, nutzte die Band das exzessiv aus. Sie haben viele Shows gespielt und ausgefallene Konzerte nachgeholt. Wieder zurück in Schweden war die Band zunächst glücklich über das Erlebte. Gleichzeitig fühlten sie aber auch ausgebrannt. Zu diesem Zeitpunkt setzt nun die Produktion des neuen Albums an. Unter den Eindrücken der anstrengenden Tour und der überstandenen Pandemie entwickeln sich Texte und Musik von „Patch It Up And Go!“. Das Ergebnis ist der rohe und intensive Charakter des Albums, welcher deutlich hörbar ist.

Darauf thematisieren THE SENSITIVES nicht nur relevante Dinge wie Tierrechte, psychische Erkrankungen, Krieg oder die Klimakrise. Sie sind auch selbst aktiv und versuchen, ihren Beitrag zu leisten. Die gesamte Band lebt zum Beispiel vegan und gemeinsam mit Freunden in einem Haus, in dessen Garten sie auch Gemüse zur Selbstversorgung anbauen, erzählt Martin. Für ihr Bandmerch upcyclen sie zum Teil Secondhand-Kleidung, was bei den Fans offenbar gut ankommt. Aber auch konkrete Projekte werden unterstützt. So erwähnt Martin, dass sie gemeinsam eine Unterkunft für Straßenhunde und -katzen in Litauen mit Futter, Medizin und anderen wichtigen Utensilien beliefern. Pulan erzählt von Bandcamps für Mädchen und transgeschlechtliche Menschen in Moldawien, an denen sie mitwirkte. Das Thema ist laut Pulan dort sehr sensibel und die Community aufgrund der vorherrschenden gesellschaftlichen Einstellung in ihrer Lebensweise stark eingeschränkt. Die Camps sollen den Teilnehmer:innen in einem Safe Space positive Energie vermitteln, indem sie gemeinsam Musik machen und erleben, was alles möglich ist. Doch THE SENSITIVES können als Band die Welt nicht im Alleingang retten, gesteht Martin ein. So benötigt das Touren an sich Ressourcen und ist nicht umweltfreundlich. Trotzdem sollte jeder versuchen, seinen Teil zu einer Verbesserung der Situation beizutragen. Egal ob es im kleinen privaten oder größeren Kreis passiert.

Über das Thema psychische Erkrankungen berichtet die Band aus erster Hand. Als Betroffene schrieb Pulan Teile des Textes von „Running in circles“ während der Behandlung ihrer Depression im Krankenhaus. Das Schreiben half ihr in der damaligen Situation, wie sie erzählt. Auslöser für die Erkrankung gah es viele. Einer ist laut Pulan leider auch die Phase der Pandemie, als es nicht mehr möglich gewesen ist, positive Energie aus Konzerten zu ziehen. Den geschilderten Umständen entsprechend ist der Songtext ziemlich düster.

Wie im richtigen Leben gibt es auf „Patch It Up And Go!“ neben den ernsten und dunklen Themen auch Aufhellendes zu hören. Zum Beispiel im Titelsong. Der dreht sich laut Martin darum, ohne Angst neue Dinge anzugehen und einfach raus in die Welt zu ziehen. Denn viel zu oft macht mensch sich unzählige Gedanken, bevor er etwas wagt. In vielen Fällen bereut man es dann im Nachhinein, bestimmte Dinge nicht getan zu haben. Daher sollte jeder einfach loslegen und improvisieren, anstatt alles zu 100% akkurat vorzubereiten. Geht doch etwas schief, kann man immer noch im bekannten MacGyver-Style improvisieren und mit Klebeband lässt sich so einiges flicken.

Interessant ist auch die Geschichte hinter dem Song „Goddamn“, der zu den Lieblingsstücken von Martin zählt. Er schrieb ihn in nur zehn Minuten, nachdem er Kommentare unter einem Artikel auf einer sozialen Plattform las. Es ging um das Thema Elektroautos. Die dazugehörigen Beiträge waren so unterhaltsam, im positiven und negativen Sinn, dass sie als Grundgerüst des Songs dienten. Das Ergebnis kann sich nun jeder anhören. Die Songs des neuen Albums unterstreichen die Vielseitigkeit der Band. Nicht nur im erwähnten musikalischen Sinn.

Was die Pläne für den Rest des Jahres angeht, so werden es sich THE SENSITIVES nicht nehmen lassen, ihrer Lieblingsbeschäftigung nachzugehen. Es stehen Touren in Deutschland für Oktober sowie Dezember an. Auch die Heimat Schweden wird nicht ausgelassen, wo zwischendurch Release-Shows stattfinden werden. Zudem werden sie auch der Schweiz einen Besuch abstatten. Also genügend Möglichkeiten, die Band live zu erleben, um sich von deren Energie und Enthusiasmus mitreißen zu lassen.

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Die Songs von „Patch It Up And Go!“ in wenigen Worten:
„Goddamn“:
2 Minuten und 41 Sekunden voller Energie und heftiger Ansichten.
„Love/hate“: Berlin, Berlin, Berlin ... Liebe oder hasse ich dich? Ich denke, beides!
„La petite mort“: Kein Vorspiel, purer Sex.
„Patch it up and go“: Wörter und Sätze mit Klebeband zusammengefügt.
„Tear down that flag“: Wie sich betrunkene Folk-Punker in Las Vegas anhören würden!
„Something to die for“: Erinnere dich an deine Kindheit, als du Bäume hochgeklettert bist und offene Knie hattest. Ein Zeichen, am Leben zu sein.
„Learn from my mistakes“: Wir dürfen uns nicht von Politikern spalten und aufhetzen lassen, die Menschheit gewinnt dabei nichts.
„Leaving tonight“: Wir ziehen los, kommst du mit uns?
„Better smarter stronger“: Der Versuch, synchrone Tanzmoves während des Refrains hinzubekommen. Schau dir das Video an und gehöre zu den coolen Kids!
„Bullshit“: Lasst uns nett zu Tieren sein, es ist nicht schwer. Einfach machen!
„We dance on wine“: Wir sind schlechte Tänzer und können auch nicht über Wasser laufen, aber wir können auf Wein tanzen.
„Running in circles“: Das Leben mit einem chemischen Ungleichgewicht im Gehirn und der Versuch, sich damit in dieser Welt zurechtzufinden.