SHAME

Foto© by Pooneh Ghana

Bleibt alles anders

Vor fünf Jahren veröffentlichten SHAME ihr Debütalbum „Songs Of Praise“ und waren gleich mittendrin in der New Wave of British Post-Punk. Das Quintett aus London wurde mit Bands wie IDLES oder FONTAINES D.C. weltweit abgefeiert. The hype was real. Aber schon mit dem zweiten Album „Drunk Tank Pink“ klangen SHAME irgendwie anders. Erwachsener, düsterer, experimenteller. Mehr nach TALKING HEADS als nach TV PRIESTS. Mit ihrem dritten Album „Food For Worms“ sind die Londoner den Weg ins Unbekannte weitergegangen. Zehn Songs, in denen sie sich vor allem mit sich selbst und ihrer Freundschaft beschäftigen, wie uns Gitarrist Eddie Green erzählt.

Drunk Tank Pink“ habt ihr im Januar 2021 veröffentlicht. Noch gar nicht so lange her. Was ist seitdem passiert?

Es ist nicht so viel passiert, wie wir uns gewünscht hätten. Denn wir konnten wegen der Pandemie leider keine Tour zum Album spielen. Aber wir haben seit „Drunk Tank Pink“ versucht, unsere Einflüsse weiter auszudehnen und auszutesten, wie weit wir mit unseren musikalischen Möglichkeiten kommen. Wir alle hatten jede Menge Zeit für uns selbst, seit das Album aufgenommen und veröffentlicht wurde. Immerhin ist es uns gelungen, bei einer Handvoll Festivals und ein paar Socially-Distanced-Shows zu spielen. Diese Konzerte waren alle bestuhlt, deshalb haben wir zwei Sets pro Abend gespielt. Es war ein Experiment, das wir hoffentlich nicht mehr wiederholen müssen. Wir kamen uns vor, als wären wir die einzigen Menschen, die zu dieser Zeit noch Konzerte geben. Obwohl es nicht so war wie sonst, war es trotzdem schön, wieder unterwegs zu sein.

Mit „Drunk Tank Pink“ habt ihr mit eurem Sound eine andere Richtung eingeschlagen, weg von den Post-Punk-Klängen von „Songs Of Praise“. Wie ist das bei „Food For Worms“?
Wir haben wir uns jetzt mehr mit Melodien beschäftigt als bisher. „Drunk Tank Pink“ war sehr komplex, das neue Album ist im Vergleich dazu viel zugänglicher. „Drunk Tank Pink“ war in seiner Düsternis nicht so benutzerfreundlich, das ist bei „Food For Worms“ anders. Da sind wieder Songs für jedermann drauf. Wir hatten einfach einen ganz anderen Ansatz beim Songwriting. Allerdings war es nicht so, dass wir uns im Entstehungsprozess einen Plan gemacht und umgesetzt hätten oder so. Im Gegenteil, wir haben die zehn Songs ziemlich schnell in einem Rutsch geschrieben.

Als Einflüsse auf dem neuen Album gebt ihr Lou Reed und THE VELVET UNDERGROUND an, aber auch die deutsche Indie-Band BLUMFELD. Wie seid ihr denn an die geraten?
Unser Manager ist ein wirklich guter Gitarrist und er hat mir irgendwann das Album „L’État Et Moi“ in die Hand gedrückt. Wie eine Art Hausaufgabe. So wie BLUMFELD ihre Gitarren bedienen, das hat mich sehr fasziniert. Dieses Repetitive hat mich sehr an Krautrock erinnert. Dieses Album hat mich wirklich umgehauen, es klingt einfach unheimlich interessant. Einen Song auf der Platte liebe ich besonders, der heißt „Verstärker“. Der hat mich sehr in meinem eigenen Gitarrenspiel sehr beeinflusst.

Was steckt hinter dem Albumtitel „Food For Worms“?
Ich sehe es als Referenz an den Tod. Darüber haben wir beim Songwriting auch viel gesprochen. Egal, was du im Leben machst, am Ende wird immer der Tod stehen und du wirst zum Futter für die Würmer. Das wird uns allen früher oder später passieren. Haha.

Und wie passt das Artwork des kanadischen Zeichners Marcel Dzama dazu? Ein sehr märchenhaftes, fast kindliches Bild von Gestalten, die im Wasser stehen?
Uns ist vorher noch nie ein Gemälde in die Hände gekommen, das wir alle so einmütig geliebt haben. Ich kann dir gar nicht sagen, woran es liegt, aber wir wussten instinktiv sofort, dass die Kunst von Marcel Dzama richtig für uns ist. In unseren Augen hat das Bild unsere Musik perfekt komplettiert, deshalb mussten wir uns einfach darum bemühen, es verwenden zu dürfen. Den inhaltlichen Zusammenhang zwischen Albumtitel und Artwork kann ich dir gar nicht erklären, ich kann die Verbindung nicht in Worte fassen. Wir hatten einfach das Gefühl, dass es sich perfekt ergänzt.

Charlie hat „Food For Worms“ als Ode an eure Freundschaft und als Feier des Lebens bezeichnet. Wie seid ihr auf die Idee gekommen, eure Freundschaft in den Fokus zu rücken?
Unsere Freundschaft wird immer wichtiger, je älter wir werden, weil wir einfach als Band so viel Zeit zusammen verbringen. Unser Verhältnis untereinander zu reflektieren, war uns einfach wichtig und auch die Freundschaft zu pflegen, damit sie weiter wachsen kann. Denn das ist in all der Hektik und Unregelmäßigkeit im Alltag gar nicht so einfach. Deshalb ist es auch das zentrale Thema auf dem Album. Wir haben noch nie zuvor Songs über uns selbst geschrieben, aber an diesem Punkt im Leben erschien es uns als das Richtige.

Der erste Song vom Album, den ich gehört habe, war „Fingers of steel“ mit diesem irren Video. Worum geht’s darin?
In dem Video geht es um diesen ganzen Irrsinn in den sozialen Medien. Die ewige Sucht nach Bestätigung und Anerkennung. Das lässt sich auch auf viele andere Aspekte des Lebens übertragen. Wir sehnen uns doch alle ständig nach irgendeiner Art von Befriedigung. Das Thema dieses Songs kann man also auf viele verschiedene Arten interpretieren, finde ich. Ehrlich gesagt bin ich aber nicht der Texter, dafür ist Charlie zuständig. Wir setzen uns nicht hin und diskutieren ausführlich über die Inhalte der Stücke. Es geht auf jeden Fall um diesen unstillbaren Durst danach, geliebt oder bewundert werden.

Einer meiner Favoriten auf dem Album ist „Yankees“. Wie ist dieser Song entstanden?
„Yankees“ ist in meinen Augen eher ein romantischer Song. Vermutlich ist es das Stück von uns, das am meisten nach Stadion-Rock klingt. Es hat sich irgendwie komisch angefühlt, denn wir hatten vorher noch nie so einen großen Song geschrieben. Da scheinen auch noch unsere Post-Punk-Wurzeln kräftig durch, ich freue mich schon darauf, „Yankees“ live zu spielen. Ich kann mich aber gar nicht daran erinnern, warum der Song „Yankees“ heißt. Vermutlich war es irgendwas total Blödes. Weil jemand gerade ein Shirt von den New York Yankees getragen hat oder so. So entstehen viele unserer Songtitel. Arbeitstitel, die dann so bleiben.

„Food For Worms“ ist das erste Album, das ihr quasi live aufgenommen habt. Mitten in der Festivalsaison. Wie ist das gelaufen?
Das war eine große Herausforderung für uns, denn wir waren zu diesem Zeitpunkt in ganz Europa unterwegs. Zusammen mit unserem Produzenten Flood haben wir uns vorher entschieden, alles live einzuspielen. Das kann ganz schön viel Nerven kosten, wenn sich einer verspielt, müssen alle noch einmal von vorne anfangen. Wieder und wieder. „Orchid“ etwa haben wir mehr als hundert Mal an einem Tag gespielt, bis alle zufrieden waren. Das ist nicht unbedingt etwas, das ich anderen Bands empfehlen würde. Wenn man eine Platte live einspielt, merkt man irgendwann, warum das immer weniger Bands machen. Das war enorm anstrengend, vor allem weil wir immer auf dem Sprung zum nächsten Festival waren. Eine ganze Woche aufnehmen, alles einpacken, nach dem Wochenende wieder alles aufbauen und weitermachen. Das war schon hart, aber gleichzeitig war ich auch froh, dass wir es so gemacht haben. Wir waren in den Battery Studios in Willesden im Nordwesten Londons. Nicht das schönste Studio, wenig Charme, aber sehr geschichtsträchtig.

Warum habt ihr das Album mit Mark Ellis aka Flood produziert? Bei „Drunk Tank Pink“ habt ihr ja noch mit James Ford gearbeitet.
Es war vor allem von sich aus an uns interessiert, das fanden wir natürlich cool. Wir hatten ein Meeting mit ihm und er hat sofort zugestimmt, das Album aufzunehmen, obwohl er zu diesem Zeitpunkt noch kein einziges Demo gehört hatte. Er hat natürlich einen hervorragenden Ruf und hat schon so tolle Bands wie U2, DEPECHE MODE, SMASHING PUMPKINS, PLACEBO oder NINE INCH NAILS produziert. Deshalb waren wir natürlich sofort Feuer und Flamme. Und tatsächlich hat er eine einzigartige Herangehensweise an Musik und Produktion, die ich vorher noch nie so erlebt habe. Eine Art organisiertes Chaos. Er sitzt am liebsten bis sechs Uhr früh an einem Song und will das absolute Optimum aus jeder Idee herausholen. Das hat Riesenspaß gemacht.

Bedeutet die Arbeit mit dem Promi-Produzenten Flood für euch den Sprung aufs nächste Level?
Vielleicht. Im Studio all diese Platin- und Gold-Auszeichnungen zu sehen, war auf jeden Fall ein Zeichen dafür, dass wir nicht mehr in den unteren Ligen spielen. Ich bin mir aber nicht sicher, ob es auch so kommt.