SHARPTOOTH

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Say something

Wer sich mit Gender Studies und Feminismus auseinandersetzen möchte, liest Judith Butler, Margarete Stokowski, Laurie Penny, Caroline Criado-Perez, hört Halsey. Oder SHARPTOOTH aus Baltimore und ihr neues Album „Transitional Forms“. Sängerin Lauren und Gitarrist Lance sprechen mit uns über Sexismus und Hardcore.

Im Opener „Say nothing (In the absence of content)“ singt ihr von „generic mosh calls“. Wann fielen euch oberflächliche Sounds, Slogans und Texte auf?

Lauren: In den letzten Jahren war ich zunehmend frustrierter vom modernen Metalcore und Hardcore. Alle Bands, die in meinem Bekanntenkreis als cool galten, klangen weder innovativ noch inhaltlich interessant. Konträr dazu wurden Bands mit sozio-politischem Ansatz verhöhnt. Seit wann geht es im Hardcore darum, gleich zu klingen, auszusehen oder das Gleiche zu sagen? Diese Musik befähigte mich, meine Wut für etwas Positives zu nutzen.
Lance: Das war, als ich hörte: „Halt’s Maul und spiel! Politik gehört nicht zur Musik!“, während wir über Menschenrechte sprachen. Ich erkannte, dass Musik für viele nur ein Soundtrack für Gewalt ist. In der Szene, in der ich aufwuchs, waren Worte und Inhalte konstruktiv. Man sammelte Wissen und Erkenntnisse, um sein Umfeld besser und gesünder zu machen.

Wer ist dafür verantwortlich? Bands? Publikum?
Lauren: Beide. Bands haben einen Anreiz ihren Inhalt vage zu halten, um die größte Anziehung zu haben. Im Publikum hören viele kaum auf den Inhalt und haben die Einstellung: Ich bin nicht hier, um etwas zu fühlen!
Lance: Es könnte eine Fanbase sein, die nur bestärken möchte, was sie kennt. Gleiches gilt für Bands, die davon profitieren. Wir sehen viele Bands, die bloß einem Hype folgen.

Was hebt euch vom Standard ab?
Lauren: Ich versuche, Musik und Texte zu schreiben, die ehrlich sind, meine gelebten Erfahrungen reflektieren und gleichzeitig ein größeres sozio-politisches Thema repräsentieren. Das neue Album war ein guter Test, um intensive, persönliche Songs zu schreiben und diese auch in einen globaleren Kontext einzubinden. Jeder Song sollte diese Dualität aus Mikro und Makro haben.
Lance: Das Feuer, für das einzustehen, was richtig ist. Ich bin ehrlich, hier steckt kein Geld drin. Vor allem bei unseren Themen. Andere Bands und die Industrie mögen uns nicht. Nicht aufzugeben macht den Unterschied.

Viele Bands bestehen aus weißen Männern. Wann wurde euch bewusst, dass Frauen nicht auf die gleiche Weise betrachtet werden oder privilegiert sind?
Lauren: Ich akzeptierte es lange, was an meiner internalisierten Misogynie lag. Als ich jünger war, glaubte ich unterbewusst fest, dass Männer Frauen überlegen seien. Die Gesellschaft lehrt uns das. Maskulin hieß für mich stark, fähig und seriös. Weiblich schwach, einfach oder verachtet. In meinem Leben bewegte ich mich in vielen männlich dominierten Räumen, wie im Punk oder als Herpetologin, und dachte, ich sei anders. Ich nahm an, dass mich meine Vorliebe für maskuline Dinge besser machte. Je älter ich wurde, desto weniger konnte ich ignorieren, wie Männer über Frauen in meiner Gegenwart redeten oder wie ich meine Femininität ausdrückte. Erst durch andere Frauen erkannte und dekonstruierte ich meine internalisierte Misogynie.
Lance: Mich machte es bei Shows krank, nur Männer zu sehen, die wie ich aussahen oder dachten. Konservatismus tötet Musik. KINGDOM und PASSENGERS diskutierten damals Themen außerhalb des Hardcore. Dieses Umfeld bietet Menschen in ihrer Unterdrückung eine Stimme.

Was habt ihr damals gefühlt?
Lauren: Ich glaubte, mich maskulin verhalten und kleiden zu müssen, um ernst genommen zu werden und nicht von meinem wahren Wert abzulenken. Ich hemmte viele Teile meiner Persönlichkeit, um dazuzugehören. Doch ich lernte, dass ich nichts beweisen muss. Ich kann Extensions, Absätze oder kurze Kleider tragen, in einer Metalcore-Band schreien und bin nicht weniger ein Fan als ein Typ mit einem NAILS-Shirt.
Lance: Ich war wütend und demotiviert. Wir haben im Hardcore den Mindset, dass wir revolutionär wären, aber akzeptieren nur weiße Männer.

Was inspirierte „Hirudinea“?
Lauren: Hirudinea ist Lateinisch für Blutegel, eine passende Analogie für Menschen, die ihre Nähe zum Feminismus nutzen, um sich als aufgeklärt darzustellen, obwohl sie keinen emotionalen oder tatsächlichen Beitrag zur Gleichberechtigung leisten. Die Tipps wollen, wie sie über Sexismus posten sollen, aber nicht zuhören, als ich von meiner Erfahrung mit sexualisierter Gewalt spreche.

Ist toxische Maskulinität ein Problem bei Linken, Punks, der Antifa?
Lance: Es ist weit verbreitet. Männliche Dominanz zu decodieren dauert lange und ist ein wichtiger Teil in unserer Szene. Es geht nicht darum, jemanden argumentativ zu zerlegen, sondern zum Lernen anzuregen.

Was ist das Schlimmste an Mansplaining?
Lauren: Dass der Erklärer glaubt, mehr zu wissen als ich. Mansplaining passiert, wenn Männer mir ein Thema erklären wollen, in dem ich besser ausgebildet und erfahrener bin.
Lance: Das Nach-unten-Treten.

Welchen Wandel gab es zuletzt in der Szene?
Lauren: Es gibt weiterhin keine Vielfalt. 95 Prozent Cis-Männer heißt, es gibt ein Inklusionsproblem. Es gab Stimmen, die meinten, dass Inklusionsansprüche die Minderheiten in der aktuellen Szene abwerten. Das ist aber nur Tokenismus. Wenn nur eine von 200 Bands BIPoC hat, ist das unzureichend, denn diese Band repräsentiert nicht alle Erfahrungen ihrer Demografie. Solange bei Touren, Festivals, Playlists keine Veränderung passiert und sie nicht die Demografie der Welt reflektieren, müssen wir uns mehr anstrengen, Core für alle inklusiv zu gestalten. Eine Frau kann nicht für alle Frauen, ein Schwarzer nicht für alle Schwarzen sprechen. Wir brauchen viele diverse Stimmen, um individuelle Erfahrungen abzubilden.

Eure Zukunftswünsche?
Lauren: Kultivierung von mehr Empathie, Inklusion und Arbeit am Fortschritt.
Lance: Größere Bands sollten über Veränderungen reden, mehrgeschlechtliche Touren, eine offenere Musikindustrie.