SHUN

Foto© by Adrian Ferdinand

Wände aus Gitarren

Die Band aus Münster veröffentlicht ihr Debütalbum „Songs From The Centrifuge“ praktischerweise vor Ort auf This Charming Man Records, das damit sein muskalisches Spektrum um ein weiteres Genre anreichert: Shoegaze.

Wie ging das mit euch einst los?

Martin: SHUN gibt es seit 2016, unsere Freundschaft geht aber ein bisschen weiter zurück. Ich hatte unseren Drummer Jan im Englischstudium kennen gelernt, der wiederum mit Maxim und Mitch über das Skaten in Kontakt war. Irgendwann ging es dann los, dass wir zusammen viel auf Shows gingen, zum Beispiel in der Baracke, die bei Mitch und mir direkt um die Ecke war. So ging das erst mal ein paar Jahre, bis wir irgendwann selbst immer mehr Lust bekamen, eine Band zu gründen. Eine genaue Vorstellung, wie das werden soll, hatte aber niemand – und einen Proberaum auch nicht. Wir hatten Glück, dass Jans damaliger Mitbewohnerin Hanna ein Kellerraum in Münsters Kreuzviertel gehörte und sie unsere Idee supporten wollte.

Schaut man sich eure Facebook-Posts an, sieht es so aus, als wären eure Aktivitäten phasenweise doch eher sporadisch gewesen, dennoch seid ihr als Band zusammengeblieben. Wie kam das?
Martin: Um ganz ehrlich zu sein, selbst bei der Ankündigung des neuen Albums hätten wir Facebook fast vergessen „mitzunehmen“. Wir hängen einfach selber kaum noch dort ab, Instagram hat der Plattform doch deutlich den Rang abgelaufen. Aber auch auf Insta haben wir zwischenzeitlich lange nichts gepostet, außer hier und da mal eine kleine Story, die aber im Nachhinein nicht mehr sichtbar ist. Es gab einfach eine Zeit lang nichts zu berichten, was man jetzt ins Internet hätte herausposaunen müssen. Ich denke, ein großer Faktor dabei war, dass sich ab 2019 viele Dinge für uns privat verändert haben. Wir waren alle mit dem Studium fertig, Mitch und Jan sind in andere, teils weit entfernte Städte gezogen und ich habe mich beruflich noch mal gänzlich umorientiert und hatte wenig Zeit. SHUN war aus meiner Sicht vor allem immer ein Produkt des Zeitverbringens miteinander, da wir fast alle Aspekte immer selbst in die Hand genommen haben. Eine Weile haben wir sogar bei mir in der WG-Küche von Hand unsere Merch-Shirts gesiebdruckt, inklusive Dunkelkammer in meinem Zimmer für die Siebe und „Backen“ der Shirts in meinem Backofen zum Trocknen der Farbe. So was machst du nicht einfach alleine aus Langeweile. Ich zumindest nicht. Somit hatten alle Aktivitäten einen Dämpfer bekommen, weil wir weniger zusammen waren, aber irgendwie war immer klar, dass da noch mal was kommen muss. Umso schöner, dass uns selbst jetzt nach der langen Pause so viele Leute positive Rückmeldungen gegeben haben. Leute schreiben uns, dass sie „Nothing Quite As Heavy“, unser Tape von 2018, immer noch geil finden und gerne hören, und für mich selbst ist das irgendwie schon so weit weg, weil sich für uns so viel geändert hat in der Zwischenzeit – das zeigt mir aber, dass es gut war, dass wir am Ball geblieben sind, und das meine ich ganz unabhängig davon, ob unsere LP nun gut ankommt oder nicht.

„Songs From The Centrifuge“ kündigt ihr mit den Worten an: „Nach fünf Jahren als Band ist es auch mal an der Zeit.“ Was dauert an so einem Album so lange?
Martin: Wir haben seit 2016 einzelne lose Songs und 2018 mit „Nothing Quite As Heavy“ eine Tape-EP releaset und dann damit einen Haufen Shows gespielt. Dass wir anfingen, über ein Album nachzudenken, begann so Mitte 2019, wir hatten ein paar neue Songideen rumliegen, aber noch kein Konzept und keinen Plan dafür im Kopf – für uns war es in dieser Zeit schon cool, wenn wir überhaupt zum Proben zusammenkommen konnten. Das Ganze hat sich dann mehr und mehr gemausert, je mehr Ideen zusammen kamen. Wir haben uns diesmal gewünscht, mehr im Studio selbst an den Songs zu arbeiten, etwas herumzuprobieren und auch Pogos Input vor Ort dazu zu hören. Die Aufnahmen haben im Oktober 2020 begonnen, sich aber auch ewig hingezogen. Die Musik ist ja auch nur ein Teil des Ganzen, wir wollen immer zu allem unseren Senf dazugeben, und somit stimmen wir untereinander immer extrem viel ab, wenn es um Dinge wie Artwork, Videos etc. geht.
Jan: Nach fünf Jahren war es für uns als Band Zeit, unsere Entwicklung und unsere Songs mal zu veröffentlichen, da wir uns alle einig waren, dass es trotz der Veränderung der äußeren Umstände zu schade wäre, die Songs einfach so im Proberaum verpuffen zu lassen. Gleichzeitig wollten wir es auch irgendwie für uns „richtig“ machen und nicht einfach zwölf Songs hinrotzen, um ein Album zu füllen. Daher haben wirklich viel an den einzelnen Songs gearbeitet, um das Beste rauszuholen. Sicherlich haben sich auch unsere Einflüsse in dieser Zeit verändert, weshalb es auch schwer war, manche Passagen für uns dauerhaft interessant zu gestalten. Wir wollten einen Sound schaffen, der für uns nicht schon bei den Aufnahmen langweilt, sondern den wir auch nach längerer Zeit immer noch ansprechend finden.

Ihr geht offen mit dem Genrebegriff „Shoegaze“ um – viele Bands scheuen davor zurück, sich zu kategorisieren oder kategorisieren zu lassen.
Martin: Ich sehe eine Genrebezeichnung als grobe Kennzeichnung, um schnell zu checken, ob eine Band meine Baustelle sein könnte oder nicht. Ob man in eine „Schublade“ passt, ist, schätze ich, für die meisten Leute sowieso ein Korridor, der auf den eigenen Hörerfahrungen basiert. Shoegaze ist als Schublade damit auch schon groß genug, dass sich darin vieles verbergen kann. Passt also für mich, auch wenn es insgesamt noch andere Einflüsse bei uns gibt.
Jan: Ich sehe die Kategorisierung Shoegaze weniger als einen Nagel, den wir um jeden Preis treffen müssen, sondern viel mehr als eine Art Richtungsanzeige und Orientierung. Gesang als Instrument. Reverie in Wänden aus Gitarren. Wir können mit der Platte das Genre nicht neu erfinden, sondern versuchen, dessen Spannweite auf das Album zu übertragen. Daher gingen wir mit viel Offenheit für Neues beziehungsweise Altes ins Studio und haben mit Pogo sicherlich jemanden gefunden, der uns dazu an vielen Stellen noch einmal guten Input und Anstöße liefern konnte. Vor fünf Jahren hätte ich nie geglaubt, einmal mit Eselsgebiss und Hammond-Orgel im Studio zu stehen und mir zu denken: Geil, das passt mega.

Welche Platten sollte man kennen, um den Weg zu eurem Album nachvollziehen zu können?
Martin: Wir sind da sicher nicht die Einzigen, aber wir feiern alle vier unglaublich „Peripheral Vision“ von TURNOVER. Das Ding war für uns ein Rieseneinfluss, quasi von Anfang an. Beim Schreiben hieß unser Song „Dreaming in color“ auch lange Zeit einfach „Turnover-Song“, weil wir dieses unbeschwerte und gleichzeitig melancholische Feeling einfangen wollten. Ein anderer großer Einfluss waren sicherlich die beiden letzten PINEGROVE-LPs „Skylight“ und „Marigold“. Wir wollten dieses Mal zumindest stellenweise einen etwas erdigeren Indierock-Vibe mit reinbringen, und ich glaube, das kam vor allem, weil wir diese Alben so gut fanden. Wer zum Beispiel „RPM“ von unserer Platte hört, der merkt, dass wir auch eher klassischen Post-Punk der verträumten Sorte gerne in die Mischung einbringen wollten. „Script Of The Bridge“ von den CHAMELEONS oder „Choke“ von SOFT KILL – und andere, die bringen ja gefühlt jedes halbe Jahr ein Album raus – waren da wichtig für uns. Es gibt noch haufenweise andere Einflüsse, manche auch eher unterbewusst – wir haben eine Playlist auf Spotify zusammengestellt, wo man sich mal durchhören und die Augen verdrehen kann.

Ihr seid aus Münster, wie euer Label This Charming Man auch. Also eine logische Wahl?
Martin: Wir fanden TCM immer schon cool, und weil wir nicht wenige TCM-Bands selbst abfeiern, könnte man sagen, es war ein kleines Träumchen, dort irgendwann auch mal was rauszubringen. Ich weiß noch genau, wie ich 2012 zum ersten Mal bei Green Hell in Münster reinkam und meine vorbestellte THE TIDAL SLEEP-LP mit Extra-Jutebeutel bei Chris, der damals dort arbeitete, abholte. Der Kontakt für die Platte kam letztendlich dadurch, dass ich vor einigen Jahren eine zeitlang bei TCM beim Mailorder mitgearbeitet habe und wir uns damals angefreundet, kurzzeitig auch zusammen bei ENDE/NEU gespielt haben – diese Band kommt irgendwann hoffentlich auch noch mal zurück ... Ich habe Chris also von den neuen SHUN-Songs erzählt und er hat sich darauf eingelassen, das mit uns durchzuziehen. Wir waren natürlich total glücklich darüber – TCM ist auch über Münster hinaus eine Instanz, aber die Arbeit an der Platte lokal zu halten, hat uns gereizt – Münster war für uns immer Dreh- und Angelpunkt durch die gemeinsame Zeit, und auch die Aufnahmen fanden letztlich bei Pogo McCartney in Münster statt.