SILVERBACKS

Foto© by Róisín Murphy O'Sullivan

Kein Neid auf erfolgreiche Nachbarn

Sie kommen aus Dublin, machen keinen Folk, wurden nach ihrem ersten Album „Fad“ als heißer Scheiß des Indierock gehandelt – und mussten sich diesbezüglich dann doch den FONTAINES D.C. aus der eigenen Nachbarschaft geschlagen geben. Gleichwohl macht das Emma, Kilian, Peadar, Gary und Daniel von den SILVERBACKS keineswegs aus. Sie gönnen. Und sie können – Musik in allen möglichen Facetten nämlich, was sie mit ihrer neuen Platte „Archive Material“ beweisen. Über die sprechen die fünf im Interview – und über so einige andere Dinge.

Ihr kommt aus Irland. Die meisten Leute denken, dass Bands von dort Folk spielen müssen. Wie könnt ihr eigentlich aus Dublin sein und eben das nicht tun?

Kilian: Wir haben all diese Hardcore-Folklore-Sachen noch nicht wirklich erforscht, aber wer sagt denn, dass wir das auf den kommenden Alben nicht könnten? Zudem würde ich den Leuten, die meinen, als Iren müssten wir Folk spielen, auch gerne sagen, dass Irland der Welt THIN LIZZY geschenkt hat. Und auf unserem neuen Album gibt es einiges an Gitarrenmusik. Vielleicht sind wir nur von einer anderen Art irischer Folklore inspiriert, haha.
Emma: Dazu fällt mir ein Fun Fact ein: Peadars Urgroßvater hat die irische Nationalhymne und einige großartige Rebellenlieder verfasst!
Peadar: Das stimmt, haha.
Emma: Ja, und ich dachte immer, es wäre sicher cool, eines seiner Stücke auf einem zukünftigen SILVERBACKS-Album zu spielen.

Bisher jedoch beschreiben viele Leute euren Musikstil als Art-Rock. Betrachtet ihr das als Kompliment oder als Beleidigung?
Peadar: Wir schränken uns selbst nie ein oder sprechen davon, dass wir Musik in einem bestimmten Stil schreiben, aber Art-Rock scheint als Genre irgendwie der letzte Schrei zu sein, in das wir gerne, sagen wir, hineingeworfen werden.
Gary: Unsere Musik wurde in der Vergangenheit auch schon als Slacker-Rock und Post-Punk bezeichnet. Ich glaube, die Leute wollen dich immer in irgendeine Schublade stecken, damit es einfacher ist, dich mit anderen Bands zu vergleichen. Aber die Songs kommen eben aus uns heraus und klingen, wie sie klingen. Ich gebe zu: Es gibt eine gewisse Vielfalt in unseren Stücken. Da können die Leute schon mal ein bisschen durcheinander kommen und nennen deshalb so viele Genres. Aber solange das Feedback positiv ist und die Leute die Musik mögen, macht uns das nichts aus.

Was ist eure besondere Verbindung zu Dünkirchen? Ihr habt einen Song über Dunkerque geschrieben und zuletzt das Video zu eurem Titelstück „Archive material“ dort gedreht?
Daniel: Kilian und ich sind dort aufgewachsen. Und ich habe mich immer schon gefragt, ob es dort an der französischen Kanalküste eines Tages eine Art Seebad geben wird. Irgendwann, wenn dort alles mehr und mehr aufgebaut wird. Die Gegend, aus der wir beide kommen, war im Ersten und Zweiten Weltkrieg noch ein Schlachtfeld. Ein junger Unternehmer hatte aber die Idee, der Gemeinde dieses Land billig abzukaufen. Und dann grub er die Bombensplitter, die übrig gebliebenen Granaten, die Leichen, die Gewehre und was auch immer aus – und baute dort Häuser. Langsam wurde dieses bebaute Gelände immer größer. Heute gibt es dort nur noch Siedlungen. Und allein der Gedanke, dass es in Dünkirchen jetzt jede Menge Häuser auf ehemaligen Kriegsschauplätzen gibt, hat mich zum Nachdenken darüber gebracht, was dort einmal passieren könnte. Die Leute könnten denken: Okay, wir haben eine wichtige Historie, machen wir noch etwas mehr Geld daraus. Durch ein Seebad oder so.

Ist diese Historie auch der Grund für den Titel des Albums: „Archive Material“?
Daniel: Jein. „Archive material“ war zuerst nur der Titel des Tracks und passte entsprechend. Klar. Aber wir fanden dann, dass es auch als Albumtitel gut funktioniert. Der Gedanke dahinter ist nämlich, dass jeder, der sich in ein paar Jahren einen Reim darauf machen will, wie das Leben während einer weltweiten Pandemie so aussieht, auf dieses Archivmaterial zurückgreifen kann.
Kilian: Übrigens: Ein Freund von uns sagte, dass „Archive Material“ als Albumtitel nicht funktioniere, weil es den Eindruck erwecke, es handele sich nur um eine Zusammenstellung von Outtakes. Und das hat uns dann noch mehr gefallen und wir haben es erst recht als Titel genommen, haha.

Ihr seid ja noch eine recht „junge“ Band, die SILVERBACKS gibt es erst seit ein paar Jahren. Wie groß ist vor diesem Hintergrund überhaupt euer bisheriges musikalisches Archiv?
Daniel: Wir haben weit über 200 fertige Songs. Das heißt, es gibt jetzt schon einiges an gutem Material, das es hoffentlich auf zukünftige Alben schaffen wird, wenn uns der kreative Saft mal ausgehen sollte, haha. Das bedeutet aber auch: Einige Songs werden höchstwahrscheinlich nie das Licht der Welt erblicken. Richtig drauf haben wir als Band derzeit etwa vierzig Songs. Die können wir bei Konzerten spielen.

Das ist eine Menge. Vierzig Songs haben nicht mal die RAMONES geschafft.
Daniel: Ja, haha. Aber bevor wir „Fad“ veröffentlichten, hatten wir unsere Setlist einfach sehr häufig gewechselt, weil wir generell dazu neigen, uns zu langweilen, wenn wir immer nur die gleichen Songs spielen. Einen ganz neuen, ungewöhnlichen Song auf die Setlist zu packen, hält uns auf Trab.

Wir sprachen eben über die Kategorie eurer Musik. Gehen wir jetzt mal etwas ins Detail: Welche Bands sind euch wichtig? Welche haben euch bei all diesen Facetten beeinflusst?
Gary: Der Traum der SILVERBACKS ist es, so lange wie möglich Musik zu machen – und aus diesem Grund würde ich auf erfolgreiche Bands wie YO LA TENGO und SONIC YOUTH verweisen. Ich denke, wenn man sich den Backkatalog dieser Bands anschaut, findet man eine große Vielfalt an Sounds. Und ich hoffe, dass wir in den kommenden Jahren genau das auch erreichen werden.

Nachdem ihr euer Debütalbum „Fad“ veröffentlicht hattet, schätzten euch nicht wenige Leute als das nächste große Ding im – grob gesagt – Indierock ein. Dann aber kamen FONTAINES D.C., auch aus Dublin. Eure Nachbarn. Und ihnen wurde diese Ehre zuteil. Neidisch auf die Nachbarn?
Daniel: Überhaupt nicht. Sie haben hart gearbeitet und bereits in jungen Jahren zwei beeindruckende Alben veröffentlicht. Außerdem, Eifersucht und Neid auf die Errungenschaften anderer bringen dich nicht weiter und führen nur in eine Sackgasse. Wir sehen uns nicht als Konkurrenten. Wir machen und spielen Musik für uns selbst.

Hegt ihr denn irgendeine Beziehung zu FONTAINES D.C.?
Emma: In unseren frühen Tagen haben sie uns mal eingeladen, sie in der Dubliner Button Factory bei ihrer Headliner-Show zu unterstützen. Ich glaube, das war 2017 ... Wie auch immer: Sie waren sehr nett. Seitdem haben sich unsere Wege aber nur selten gekreuzt.

Einer der neuen Songs heißt „A job worth something“. Welcher Job ist wirklich etwas wert?
Daniel: Es geht darum, sich während der Pandemie besonders nutzlos zu fühlen. Meine beiden Schwestern beispielsweise arbeiten im Gesundheitssektor und haben in dieser für die Menschen schwierigen Zeit einen mutigen und beeindruckenden Beitrag für die Gesellschaft geleistet. Ich dagegen bin Werbetexter für eine Versicherungsgesellschaft – was eine ziemlich düstere Branche ist. Ich denke, es geht letztlich darum, einen Job zu finden, der es einem erlaubt oder einen dazu ermutigt, seinen eigenen Leidenschaften und Interessen nachzugehen, durch den man aber auch einen Beitrag für die Gesellschaft im Allgemeinen leistet.

Ein anderer Song heißt „Different kind of holiday“ und handelt offenbar ebenfalls von der Pandemie.
Gary: Ja. Letztes Jahr sprachen die Leute anstatt von „vacation“ ständig von „stay-cation“ und meinten damit diese verrückte Idee, dass man zwar in den Urlaub fahren sollte, aber Irland auf keinen Fall verlassen sollte. Das ist es, was mir in den Sinn kommt, wenn ich an eine andere Art von Urlaub denke.

Was war das für eine Zeit für euch als Künstlerinnen und Künstler: Ein erzwungener Urlaub? Oder verschwendete Lebenszeit?
Emma: Ich würde es auf keinen Fall als verschwendete Lebenszeit bezeichnen, haha. Das wäre zu deprimierend. Zum Glück hatten wir während der Pandemie alle einen Job und keiner von uns wurde in seinem Nine-to-five-Leben arbeitslos, was eine gute Sache ist. Ich glaube, was wir definitiv zu spüren bekamen, war vor allem dieser Mangel an Auftritten. Wir mussten Tourneen verschieben. Aber wir konnten immerhin noch Musik herausbringen. Es war also nicht alles schlecht.

Eure Musik beruht auf vielen Einflüssen. Wie groß sind die Plattensammlungen eurer Bandmitglieder?
Kilian: Ich weiß nicht, ob du das Kallax-Regal von Ikea kennst?
Peadar: Napster for life, baby, haha!

Doch. Absolut. Ich habe so eines daheim stehen, haha.
Kilian: Okay. Emma und ich jedenfalls teilen uns ein Kallax voller Platten. Daniel hat ein halbes Kallax. Und Gary hat sogar zwei volle bei sich daheim, weil sein Vater DJ ist und er immer wieder ganz zufällig einige seiner doppelten LPs bekommt.