STATUES

Foto© by Ossian Danielsson Öberg

Gut gegooglet

STATUES? Bands mit diesem Namen gibt es einige, doch hier geht es um die schwedische Band aus Umeå, die Anfang 2019 ihr Debüt „Adult Lobotomy“ auf Crazysane veröffentlichte und mit dem Nachfolger „Holocene“ nun auf Lövely aus Schweden gelandet ist. Sänger, Texter und Gitarrist Johan Sellman beantwortete diese Fragen.

Das Anthropozän ist eine geologische Epoche, die auf den Beginn eines bedeutenden menschlichen Einflusses auf die Geologie und die Ökosysteme der Erde zurückgeht. Was unterscheidet das vom „Holozän“?

Ich denke, dass es nur ein anderer Wissenschaftszweig ist, der die Epoche Holozän nennt statt Anthropozän. Ich habe es gegooglet und bin über den Namen gestolpert. Ich google viel, wenn ich Texte schreibe. Vielleicht ist es unbewusst von BON IVER inspiriert. Wir hätten also genauso gut Anthropozän für den Titel verwenden können.

Und was impliziert er, worum geht es in dem Titeltrack „Ending the Holocene“?
Wir schreiben über das Ende einer Ära, das bedeutet nicht unbedingt, dass die Erde implodiert und Frösche vom Himmel fallen. Beim Ende des Holozäns geht es schon um den Zusammenbruch von vielem, aber auch um die Geburt von etwas Neuem. Ich habe relativ große Hoffnungen, dass diese chaotischen Zeiten dazu führen, dass die Menschheit aufwacht und Verantwortung übernimmt. STATUES ist für uns so was wie eine Katharsis. Wir spielen schneller und intensiver als in unserer Jugend, und wir lieben es, unserer Wut freien Lauf zu lassen beim Schreiben und Musikmachen. Das macht es leichter, die Dinge im Alltag zu genießen. Ich weiß nicht, ob unsere Texte die Ansichten anderer Menschen verändern können, aber es ist eine großartige Möglichkeit, um zu sagen, was wir denken – besser als auf die Bühne zu gehen und Emo zu sein.

Generell befasst sich euer Album mit eher negativen Fragen und Themen. Um es mit eurem Song „Something in the water“ zu sagen: Hat man euch was ins Wasser getan oder warum diese ... Negativität?
Ich vermute, die Negativität hat mit der Klimaangst zu tun. Und mit dem Aufstieg der Rechtsextremen, die in Europa und anderswo politischen Einfluss gewinnen. Und mit den bevorstehenden Wahlen in den USA, die für die Demokratie, wie wir sie kennen, fatal sein könnten. Wenn man Songs schreibt, sind Übertreibungen ein Stilmittel, um etwas erreichen, aber gleich nachdem das Album aufgenommen wurde, wurde alles noch schlimmer.

Lass uns über SST Records sprechen, da euer Label sagt: „STATUES könnten unter ‚typische SST-Band‘ einsortiert werden“. Nenn mir also bitte die Top 5 der SST-Platten, die wir kennen müssen, um zu verstehen, woher ihr musikalisch kommt.
SACCHARINE TRUST „Paganicons“, BLACK FLAG „Damaged“, HÜSKER DÜ „Zen Arcade“, SONIC YOUTH „Sister“, DINOSAUR JR „You’re Living All Over Me“. Damit hast du die perfekte Inhaltsangabe von STATUES. Punk-Intensität, Geschwindigkeit, Melodien sowie Dissonanz und Verspieltheit. SST haben auch viele seltsame Alben veröffentlicht, wie vom ausgeflippten Zoogz Rift, so dass ihr Katalog nie langweilig wird. Ich habe mehr als dreißig SST-Veröffentlichungen auf Vinyl und ich höre sie immer noch sehr oft.

Und welche Nicht-SST-Bands müssen erwähnt werden?
SWERVEDRIVER und CHAVEZ waren und sind für uns sehr wichtig.

Wie würdest du musikalischen Fortschritt definieren?
Musikalischer Fortschritt könnte bedeuten, dass sich eine Band oder ein Künstler entwickelt, indem er eine neue Richtung einschlägt. Die Musik kann komplexer werden oder neue Einflüsse aufnehmen. Manche Bands möchten ihren Fans und ihrem typischen Sound treu bleiben. In unserem Fall haben wir uns sozusagen zurückentwickelt zu dem, wie wir vor langer Zeit geklungen haben. Wir drei haben Anfang der Neunziger Jahre Punk gespielt, bis wir 2005 versuchten, die FLAMING LIPS zu sein auf einer Platte, die nie fertiggestellt wurde. Das Problem war, dass Bands wie FLAMING LIPS und viele andere so viel besser waren als wir. Aber nachdem wir als alte Säcke die Punk-Abteilung in unseren Plattensammlungen wiederentdeckten, haben wir STATUES wiederbelebt und spielen jetzt einfacher, härter und schneller als je zuvor. Und es kam besser an als vorher. Das war für uns das Beste, aber wenn eine Band oder ein Künstler sich weiterentwickeln will, dann sollen sie ihrem Herzen folgen, anstatt immer wieder das gleiche Album rauszubringen.

Stichwort Corona: Man hört viel über den „schwedischen Sonderweg“ im Umgang mit dieser Pandemie. Wie ist die Situation in Umeå?
Abgesehen von ein paar Städten hatte man COVID-19 in Nordschweden bisher unter Kontrolle, wir hatten also Glück. Natürlich gibt es es auch hier keine Konzerte, also haben wir beschlossen, digital weiterzumachen. So haben wir drei Musikvideos gedreht. Und wir hatten das Glück, mit anderen lokalen Bands für das „Umeå Hardcore TV Party“-Event gebucht zu werden, bei dem in zehn Stunden fast zwanzig Bands spielten. Wir haben auch ein Live-Set aufgenommen, das wir im Herbst veröffentlichen werden. Natürlich vermisse es aufzutreten, aber das ist kein wirkliches Problem verglichen damit, dass viele Menschen Angehörige oder ihre Arbeit verloren haben.

Ihr wart früher in Bands wie STARMARKET, KVLR und THE VULTURES. Was ist aus denen geworden?
STARMARKET haben sich im vergangenen Jahr noch mal für eine Tour zusammengetan und das erste Album wiederveröffentlicht. Ich glaube, das zweite Album soll irgendwann in diesem Jahr kommen. KVLR haben sich 2005 aufgelöst und es gab nie eine Reunion, es war richtig, etwas Neues anzufangen. THE VULTURES hatten nach ihrem Demo auf Umeå Hardcore Records 1991 nie wieder einen physischen Release. Aber wir haben 2017 das Album „Nightmare Material“ digital herausgebracht und wir nehmen diesen Herbst wieder was Neues auf.

Angeblich hattet ihr vierzig Lieder, als ihr ins Studio gegangen seid und nach drei Stunden kamt ihr mit elf fertig aufgenommenen wieder heraus. Warum verbringen andere Bands Tage und Wochen im Studio?
Wir haben immer viel Material und nutzen die produktive Phase voll aus. Unser Plan für die Aufnahmen war, so viele „First Takes“ wie möglich zu nehmen, um die Energie zu halten. Wir sind auch richtig erschöpft, wenn wir zu lange spielen, und werden nachlässig, wenn wir müde sind. Die ersten zwei Alben sind so entstanden. Andere Bands sind besser darin als wir, die Songs im Studio zusammenzubasteln. Ich glaube, das passt nicht wirklich zu uns. Unser Rezept: Gute Vorbereitung und dann Geld zurückbekommen für die nicht genutzte Studiozeit.