SUICIDES

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Deutschlands fast erste Punkband

Deutschland in den späten Siebzigern. München hat THE PACK und TOLLWUT. Hamburg hat BIG BALLS & THE GREAT WHITE IDIOT. Mönchengladbach hat EA80 und Solingen S.Y.P.H. Düsseldorf hat MALE und MITTAGSPAUSE. Berlin hat PVC – und Erlangen hat die SUICIDES, die sich 1977 in Erlangen gründeten. Anlässlich des Erscheinens der DVD „40 Jahre Suicides – von der Steinzeit in die Hölle + alter Gurkenbonus“, die einen Live-Mitschnitt des Jubiläumskonzerts im Erlanger E-Werk beinhaltet, gibt es erstmalig auch ein Interview mit der Band im Ox. Es findet – Corona-bedingt – per Videochat statt, es hatten sich dankenswerterweise alle vier Mitglieder eingefunden. Die Band besteht seit 1984 aus Mike Neun (voc), Dirk (gt), Andy (bs) und Thilo (dr).

Wer von euch kann uns die Ursprünge der Band erläutern?

Mike: Ich muss mich jetzt hier vordrängeln, da ich leider der letzte Überlebende der Urbesetzung bin. Die beiden anderen aus der Urbesetzung sind bereits tot. Ich habe damals versucht, Bass zu spielen und zu singen, aber das hat leider nicht so richtig zusammen funktioniert. Wir hatten 1976 schon die Idee. Wir waren schon immer musikinteressiert. Ein Freund von mir, Harry, hat damals fleißig Radio London gehört und mit Kassetten aufgezeichnet. Der kam dann mit „John Peel Sessions“ und das war eine ganz andere Welt für uns. Da Erlangen schon seit jeher – zum Glück – sehr international aufgestellt ist, gab’s hier in den Plattenläden auch den Melody Maker und den New Music Express. So konnte man ziemlich früh auf dem Laufenden darüber sein, was in dieser neuen Punk-Szene denn so abging. Es hat allerdings noch ein wenig gedauert, bis wir uns wirklich auf die Bühne getraut haben. Wenn ich mich recht erinnere – ich habe leider ein sehr schlechtes Zahlengedächtnis –, sind wir das erste Mal im Winter 1978 aufgetreten. Das war im Kindergarten Poststraße in Erlangen-Bruck. Der Pfarrer dort war der Einzige, der uns einen Saal zur Verfügung stellen wollte. Wir waren nicht sehr gut, aber es war den Leuten egal, es war ziemlich voll in diesem Keller. Einer von unseren Leuten musste immer die Sicherung halten, da unser unglaublich großes Equipment – Achtung: Ironie – den Stromkreislauf überlastet hat. Es waren auf jeden Fall gut 200 Leute da, die sehen wollten, was das mit diesem Punkrock eigentlich ist. Von dem Konzert gibt es tatsächlich eine Aufnahme, die es in den „Punk in Erlangen“-Film geschafft hat, der auch auf YouTube zu finden ist. Wir waren echt nicht gut, aber das war wirklich egal, Hauptsache, kein YES oder GENESIS mehr, jetzt sind wir da und jetzt legen wir los, ohne Angst vor irgendetwas.

Wie muss man sich das vorstellen, rein musikalisch, stilistisch?
Mike: Wir waren sehr vom englischen Punkrock beeinflusst. Ein Freund wollte uns immer die RAMONES reindrücken, aber die haben uns nicht sehr interessiert. Haupteinfluss zu dieser Zeit waren die LURKERS. Die waren zu der Zeit nicht so schnell, unser Schlagzeuger konnte auch nicht so schnell spielen, das passte. Die kamen uns mit den Texten ziemlich entgegen. Auf der ersten LP haben wir aus „I don’t need to tell her“ dann „Jetzt geht’s in die Disco“ gemacht. Das lief übrigens alles korrekt mit GEMA und so weiter.

Woher beziehungsweise wann kamen die Ska/Reggae-Anleihen dazu?
Dirk: Auf „Hundsgemein“ haben wir das ja auch 1985 schon, aber das muss Mike beantworten.
Mike: Nicht dass wir uns mit THE CLASH gleichsetzen wollen, aber ich war auch öfter in London, also nicht in der Anfangszeit, und habe das schon so gesehen, dass das zusammengehört. Ich habe immer versucht, das mit einfließen zu lassen, und das wurde mir auch von der jeweiligen Besetzung erlaubt. „Tanz mit mir“ auf „Friß oder stirb“, dem ersten Album, ist ja auch schon Ska. Im Endeffekt hat sich daraus die TOXIC AVENGER BAND ergeben.

Wie bist du damals an Platten gekommen, gerade im Punk-Bereich? Wie gab’s die und wo?
Mike: Wir waren da in Erlangen sehr früh dran im Land der Ahnungslosen, wir hatten den Saftladen, der wurde von den Herausgebern der Stadtlinksgazette Was Lefft betrieben. Die hatten die ganzen ZickZack-Singles und jedes andere kleine Label im Repertoire. Die waren von Anfang an sehr gut mit dabei, und hatten ihre eigenen Kanäle, über die sie an die Musik gekommen sind. Es gab da wohl Tauschdeals von linkem Laden zu linkem Laden, denn die hatten eine feine Auswahl an 7“s, es gab da ja fast keine Alben. Wir haben die immer „die alten scheiß Hippies“ genannt, aber letzten Endes haben die uns die ganze Musik besorgt. Der Laden war am Altstädter Kirchplatz, vor dem auch unser Konzert stattgefunden hat, bei dem ich von der Bühne gefallen bin. Ein paar Scheiben haben wir uns dann auch selbst besorgt beziehungsweise habe ich mitgebracht von dort.

Von Erlangen nach London war ja auch nicht gerade der kürzeste Weg, gerade auch verglichen mit von Hamburg nach London – das war sicherlich ein Abenteuer damals.
Mike: Ich war relativ früh zweimal in London. Das muss 1979 gewesen sein. Beim ersten Mal war ich mit einem Freund dort, wir haben uns ein billiges Hostel am Bahnhof genommen und sind auf die King’s Road. Wir hatten uns mit ein paar Deutschen und Holländern verabredet, die wir über Fanzines kennen gelernt hatten. Ich hatte zwar nicht viel Geld, aber circa zwanzig 7“s und ein paar LPs habe ich dann doch mitgebracht. Ich glaube, es waren eine SHAM 69-Testpressung und ein CAPTAIN SENSIBLE-Album dabei. In Camden haben wir leider Bekanntschaft mit Teddyboys gemacht. Beim zweiten Mal war ich mit meiner damaligen Freundin dort und wir sind prompt im Gefängnis gelandet. Wir waren gerade angekommen, haben im Hotel eingecheckt und waren beim Big Ben, da kamen ein paar Polizisten vorbei und haben uns dort an die Wand gestellt und durchsucht. Nach der Geschichte mit den Teddyboys hatten wir beide je ein kleines Schnappmesser dabei, um uns notfalls verteidigen zu können. Wir wurden dann in getrennte Gefängnisse abtransportiert. Meine Freundin in ein Frauengefängnis in Ost-London und ich in ein Borstal in der Nähe. Dann ist drei Tage lang erst mal nichts passiert, dann kam ein Anwalt, der uns gestellt wurde, der auch einigermaßen Deutsch konnte, und der hat uns erklärt, was überhaupt los war: Diese Art von Messer falle im UK unter das Waffengesetz und im Falle einer Verurteilung ginge es um sechs Monate Jugendknast in England. Wir haben dann aber trotzdem auf „not guilty“ plädiert und wurden wieder abgeführt. Unser Anwalt schrie uns danach an, wie dumm wir seien, weil es wohl so wäre, dass wir nun wieder für ein paar Tage ins Gefängnis gingen, bis es eine erneute Verhandlung gäbe. Mit etwas Glück würden wir am Abend noch einmal vorgeladen. So kam es dann auch, wir sagten brav „guilty“ – der Richter sagte etwas wie: „We cannot have young foreigners running around our cities with weapons.“ Irgendwie hatte das Gericht oder der Staatsanwalt in den paar Tagen herausbekommen, dass wir beide aus gutem Hause stammten, mit Ausbildung und so weiter. Daraufhin haben sie uns alles Geld abgenommen, was über die Rückreise hinausging, uns für zwei Jahre Einreiseverbot erteilt und quasi rausgeworfen.

Wie ging es mit der Band weiter?
Andy: Dirk und ich kamen ziemlich zeitgleich zur Band, das muss 1984 gewesen sein.
Thilo: Bei mir war es früher, nach dem Auftritt in der Hemmerleinhalle vor Nina Hagen, das muss 1980 gewesen sein. Ich habe dich, Mike, in der Kulisse getroffen, am Tresen, nachdem ich versucht hatte, den Untergang von Atlantis musikalisch darzustellen. Das SUICIDES-Album lief gerade auf meinem Walkman und ich fand es großartig. Dummerweise hat Mike dann gesagt, dass er ein Schlagzeugerproblem habe, worauf ich lediglich antwortete, dass ich das nicht glaube.
Mike: Das ist leider das Schwierige an der SUICIDES-Geschichte. Anfangs gab es eine enorme Fluktuation. Auf der ersten LP spielten Mike Dupre, Michael Sierl – auch bereits verstorben – war am Bass und am Schlagzeug saß Jo Helmut. Jetzt habe ich aber keinen mehr vergessen.

Wann kam das Album raus? Wie hat das alles funktioniert damals?
Mike: Das kann ich dir sagen, das haben wir 1979 eingespielt und dann 1981 erst veröffentlicht wegen finanzieller Probleme. Wir hatten einfach kein Geld, dann hat ein Onkel von mir was dazugegeben. Der Großteil kam von einem Hippieladen namens Saftladen und vom Netzwerk Franken. In Erlangen gab es ja keinen Support. Zum Release waren aber die Cover nicht fertig oder falsch gefalzt. Wir haben dann in der Eile Notcover erstellt und einen Teil der LPs eingetütet, um sie für die Veröffentlichung fertig zu haben. Das Album wurde uns dann zumindest im Süden aus der Hand gerissen, weil es ja generell noch fast nichts gab und schon gar nicht aus Süddeutschland. In Hamburg gab es zwar ZickZack Records mit einer Handvoll 7“s und ein paar Fanzines, aber die haben sich einfach nicht für uns interessiert. Das Szeneblatt Was Lefft, Fränkisch für „Was läuft“, hat uns dann immer fertig gemacht, weil wir das Geld zum Teil selbst eingesteckt und auf den Kopf gehauen haben, ohne jemals etwas zurückzuzahlen. Wir wollten ein bisschen High Life machen und waren dafür auch berüchtigt. Wir haben allerdings auch auf jedem Anti-Atom- oder Anti-Rassismus-Fest ohne Gage gespielt, von daher hat man uns schon viel verziehen.
Andy: Es gab diese Kneipe namens Wirtschaftswunder, da haben sich die Alternativen getroffen und eines Abends haben wir den Zigarettenautomaten geknackt, aber kein Hausverbot bekommen.
Mike: Das war eine ganz tolle Leistung von Mike und mir. Wir hatten kein Geld, wollten aber in die Kneipe, die auch noch unseren Geldgebern gehört hat. Wir sind wirklich zur Bar gegangen und haben nach Hammer und Meißel gefragt und haben dann den Automaten im Nebenzimmer aufgebrochen. Das hat erst einmal niemand gemerkt. Wir sind dann in eine echte Kaschemme mit unserer Beute von 60 Mark und dazu noch Zigaretten, und haben dann gesagt, wir rufen an und entschuldigen uns. Es hat niemand die Polizei gerufen, weil irgendwie waren wir ja alle verbunden, aber wir wurden dafür mehrfach zum Frondienst in der Küche herangezogen. Warum wir das gemacht haben? Keine Ahnung.
Thilo: Wir hatten keine Kohle und keine Zigaretten.

Mike, da du es vorhin angesprochen hast: Ihr seid ja mit den Konzerten eher im Süden geblieben seid – woher kamen die Kontakte?
Mike: Es gab da bereits Fanzines, eines davon war Kacke 80, sogar aus Erlangen, über die Szene in Stuttgart, Linz, München. Überall, wo eine Telefonnummer dabei war, haben wir irgendwann natürlich angerufen und Kontakt gehalten. Andere waren von der Ausrichtung her regionaler, aber uns hat es schon interessiert, wie es anderswo aussieht, was die machen und so weiter.

Jetzt sind wir irgendwann nach 1981. Dirk und Andy, wie seid ihr zur Band gekommen?
Dirk: Ich habe mich selber gecastet mit einer anderen Band namens GINGER ALE, bei der ich damals Gitarre gespielt habe. Und zwar habe ich von einem der Punks vor dem Konzert die Strapse seiner Oma geschenkt bekommen mit den Worten: Es wäre toll, wenn du diese trägst auf der Bühne. Das habe ich gemacht und dazu gestrippt. Thilo fand das toll und meinte, dass ich super zu einer bestimmten Erlanger Band passen würde, da der Herr Dupre zu dieser Zeit nach Amerika ist, zusammen mit dem Bassisten.
Mike: Andy Janssen und Mike Dupre – letzterer war ja Amerikaner – sind in die USA gegangen und auch dort geblieben.
Andy: Es gab vom „Wirtschaftswunder“ veranstaltet auch ein kleines Festival im Waldschießhaus, also einer Schützenvereinsgaststätte im Wald, da waren ein paar Münchner Bands, eine Skin-Band, die ANTIMÜSLI FRAKTION und auch ich mit einer New-Wave-Band mit Rhythmusmaschine. Daher kannten wir uns bereits musikalisch. Aber wie das kam, weiß ich nicht mehr.
Thilo: Das war wegen der Anja. Die hat mich verlassen und ist zu dir gegangen. Ich habe dich dann damals im Zirkel einfach gefragt, du warst total von den Socken.
Andy: Das weiß ich schon gar nicht mehr.
Dirk: Das muss 1984 gewesen sein, weil wir da so T-Shirts anhatten. Es gab ja noch eine Zwischenbesetzung, weil sowohl ich als auch Thilo erst mal raus waren.
Mike: Stimmt, der bekannte Heavy-Metal-Bassist Thomas Siegl hat bei uns gespielt und Stefan Schwarzmann, der war dann bei RUNNING WILD und später ACCEPT.
Thilo: Ich musste mit Musik Geld verdienen, das war mit den SUICIDES ja einfach nicht drin.
Dirk: Wir hatten gerade das Album „Wer jetzt noch lebt = Selber schuld“ aufgenommen.

Es war offenbar eine wechselvolle Zeit. Aber in der aktuellen Besetzung wieder aktiv seid ihr auch schon seit über zwanzig Jahren.
Dirk: Wenn man das so erzählt, klingt es auch unglaublich hektisch, aber da es die Band schon über vierzig Jahre gibt, ist es gar nicht mehr so schlimm.
Mike: Das Manko an den SUICIDES ist auch, dass wir gar nicht so viel gespielt haben in der Zeit. Wir waren zwar in Frankreich und Österreich und Tschechien und natürlich auch in Deutschland unterwegs. Wir haben einmal T-Shirts gedruckt für eine „Tour“, die dann aber nur aus drei Konzerten bestand, die „Motion Kick“-Tour 1987/88.
Dirk: Stimmt, das war in Wien, da hätten wir mit JINGO DE LUNCH spielen sollen, die kamen aber nicht. Wir haben dann unser Equipment in das alte Chelsea getragen und dabei ein Stück aus einer Mauer herausgebrochen.
Mike: Damals musstest du als Band noch deine PA dabeihaben, wir hatten definitiv eine zu große PA. Das war auch nach einem Fußballspiel von Bayern München in Wien. So wussten ein paar Leute, dass wir da sind, und dann gab es eine „Nackt-Arsch-Parade“ auf der Bühne. Wir haben das schon lange vor KASSIERER gemacht.

Gehen wir noch einen Schritt zurück: Wie war es, Anfang der Achtziger in Erlangen in einer Punkband zu spielen?
Mike: Es gab keine andere Band außer der Schulband der Realschule. Da gab es so eine Art von Konkurrenz, weil die sagten, dass wir nicht richtig spielen könnten. Im Endeffekt hat die Schulband dann zweimal gespielt, während wir in Stuttgart und so weiter aufgetreten sind. Die Akzeptanz anderswo war größer. In Erlangen hat es ein bisschen länger gedauert, es war auch keine Presse da und gar nichts. Die Erlanger Nachrichten sind damals durch unsere „Tourneegeschichten“ auf uns aufmerksam geworden, dadurch ist das E-Werk Erlangen – das war damals neu – an uns herangetreten, ob wir nicht auf einem Festival spielen möchten. Wir sagten, dass wir uns das überlegen würden, schließlich waren das die scheiß Hippies, die uns vorher immer so scheiße fanden. Wir haben es aber doch gemacht und irgendwie wurden wir im Raum Nürnberg/Fürth/Erlangen schon bekannt. Nürnberg war gefühlt mit Punk und New Wave zwei Jahre später dran. In Erlangen gab es auch schon eine Band namens GENITALZONE, das war eine Frauenband, und noch ein paar andere, während in Nürnberg nichts war.
Andy: Damals haben wir als Vorgruppe gespielt, mit einer Band namens KARL ARSCH UND DIE LATTEN. Mike hat mit Gedärmen frisch vom Schlachthof um sich geworfen.

Warum war das dann doch so aktiv in Erlangen, im Verhältnis zur Größe?
Mike: Wir waren eine eingeschworene Gemeinde. Es war nicht so, dass alle Fans von den SUICIDES waren, es gab auch Leute, die uns wirklich gehasst haben und auf der Seite von RABID waren. Wir hatten einfach das große Glück, dass es den Club TwoAct in Weißenlohe gab. Das bedeutet, wir haben echt geile Bands sehen können. Das muss man sich vorstellen: Die spielten in Hamburg, Berlin und dann in Weißenlohe, anschließend ging es weiter nach München.
Dirk: Die Hemmerleinhalle darf man hier auch nicht vergessen.
Andy: Solche Konzerte haben in München oftmals eben nicht stattgefunden, den Münchener Punks hat man es sowieso nicht leicht gemacht damals, die kamen dann lieber nach Weißenlohe zu uns, da war es super.

Gab es diese krassen Szenegrenzen zwischen Punk und Hardcore hier nicht?
Dirk: Der Punk redet mit dem Popper nicht, aber die hatten sowieso Angst vor uns.
Mike: Was es schon gab, war das, was wir Türkengang genannt haben. Das klingt jetzt rassistisch, aber war so gar nicht gemeint. Die hingen vorm McDonald’s ab. Mit den nach hinten gegelten Haaren, das waren Italiener und Türken, die wollten uns immer verprügeln und haben uns vor unserer Stammkneipe, dem Faulpelz, aufgelauert. Das war übrigens der gleiche Wirt, der die Konzerte im Waldschießhaus veranstaltet hat. Mit einem davon habe ich später auch gelegentlich mal Bier getrunken, aber es hat sich nie so wirklich aufgeklärt, warum das so war. Der Hauptschläger ist auch im „Punk in Erlangen“-Film aufgetreten und hat so getan, als würde er uns verprügeln.

Kommen wir zum zweiten Album „Hundsgemein“ von, 1985. Das war in dieser Besetzung? Wie war es zu der Zeit Konzerte zu spielen?
Dirk: Das war in dieser Besetzung, wie wir hier sitzen.
Mike: Wir waren zu der Zeit die B-Schiene würde ich mal sagen, also weder Hauptact, noch erste Vorband noch letzte. In all den Jahren dürften das nur 150 Konzerte gewesen sein. 1.500 wären mir lieber gewesen.

Das dritte Album kam 1995, aber in der anderen Besetzung. Also Auszeit für Thilo und Andy? Es waren elf Jahre Pause.
Dirk: Das waren Mike und ich mit Thomas Siegl und Stefan Schwarzmann.
Mike: Thilo war meist mit seiner Tanzband unterwegs, die waren viel gebucht und auch echt gut.
Dirk: Andy war böse und Thilo war beschäftigt.
Mike: Als Andy Dirk auf der Bergkirchweih auf den Kopf gepinkelt hat, war es trotzdem extrem lustig.
Dirk: Es stand ja immer der Spaß im Vordergrund bei der Band. Wir haben uns auch nie unter Druck gesetzt gefühlt, das war Musikmachen mit Kumpels. Es hat sich zu der Zeit einfach nicht so richtig ergeben. Ich habe damals viel mit Stefan Schwarzmann gejammt und dann haben wir gesagt, machen wir doch mit den SUICIDES weiter. Wir hatten Ideen für Songs, die haben wir dann aufgenommen. Stilistisch war es auch anders, es war mehr Hardrock dabei, das lag auch daran, dass ich da mehr beigesteuert habe.

Inwieweit wart ihr, Andy und Thilo, zu der Zeit noch involviert? Wie viel habt ihr noch mitbekommen?
Thilo: Dirk und ich haben zu der Zeit 200 Meter auseinander gewohnt. Ich habe mir die Band zu der Zeit auch zwei- oder dreimal angesehen. Stefan ist auch ein guter Freund. Es war merklich ein anderer Musikstil, ziemlich heavy, allerdings ohne die Leichtigkeit des Punkrock, aber auch gut.
Andy: Man hätte die SUICIDES nicht ignorieren können zu der Zeit. Über die doch bessere Bemusterung war die Band ziemlich präsent und hat auch wieder mehr gespielt und wurde besprochen.

War auch der unglaublich großartige Frankenfernsehen-Auftritt zu dieser Zeit?
Dirk: Ja, unser abendfüllender Auftritt war zu dieser Zeit. Wir waren dort eingeladen und haben den Moderator an den Hamsterkäfig angekettet mit Handschellen.
Mike: Es war ein Stargast ausgefallen, also jemand bedeutend Wichtigeres als wir. Wir waren eigentlich nur als Spaßeinlage geplant, durften aber eine Samstagabend-Live-Sendung bestreiten. Es war komplett improvisiert, heute undenkbar. Wir haben uns auch dementsprechend benommen.

Was ist noch so passiert in den Neunzigern? Ich komme aus der Nähe von Weiden in der Oberpfalz, einige Bands aus der Gegend waren nach dem Fall des Eisernen Vorhangs ziemlich schnell vernetzt mit Bands aus Tschechien und Ungarn, AURORA zum Beispiel. Wie war das bei euch?
Dirk: Wir haben einen Bus gemietet und mit Leuten vollgeladen und sind dann nach Pilsen gefahren, zweimal, um dort aufzutreten.
Mike: Wir waren mit einer Band auf Tour, unseren englischen Freunden BAN JYANG, wir wollten das alles filmen, aber die kompletten Aufnahmen sind kaputt, wir konnten nichts verwenden. In Berlin hätten wir auch ewig spielen sollen zu der Zeit, aber die waren mehr daran interessiert, dass wir das ganz alte Zeug spielen. Das wollten wir aber nicht und wir haben uns auch nicht darum gekümmert.
Dirk: Es war aber auch schwierig; Stefan war viel beschäftigt und unterwegs mit RUNNING WILD, wir konnten also nicht auf alle zurückgreifen.

Etwa seit den 2000er Jahren seid ihr wieder in dieser Besetzung zusammen. Was hat sich sonst noch getan?
Mike: 2015 haben wir ein Album gemacht, mit Stücken von 1979 bis 2015. Es ist ein Mini-Album von der aktuellen Besetzung und dazu noch Stücke, die es nur auf Tape gab, die Thilo zusammen mit seinem Bruder in mühevoller Kleinarbeit restauriert hat. Es ist zum Beispiel das gesamte kurze Konzert darauf zu finden, das wir als Vorband von Nina Hagen in der Hemmerleinhalle in Neunkirchen am Brand gespielt haben. Für die CD hat sich aber niemand mehr großartig interessiert, die kam auch nur im Eigenvertrieb raus. Wir haben jetzt noch ein paar davon.
Andy: Für die Interessierten: Alle Titel davon sind auf unserer Website zu finden.
Mike: Darüber hinaus ist das Interessanteste, dass es uns noch gibt. Wir hätten im Juni auch wieder im E-Werk gespielt, aber aufgrund dieses Mists, den ich schon gar nicht mehr benennen will, ist das verschoben worden auf nächstes Jahr. Uns geht es ja wie allen Künstlern und Kunstschaffenden. Ein paar neue Songideen sind immer da, wahrscheinlich nehmen wir wieder was auf, Zeit haben wir gerade ja.
Dirk: Wir hatten zwischenzeitlich auch andere Bands und Projekte, da sind die SUICIDES zwischenzeitlich ins Hintertreffen geraten oder mal eingeschlafen.
Mike: In einem anderen Interview wurden wir mal gefragt, ob es nicht an der Zeit wäre aufzuhören. Darauf haben wir geantwortet: Auflösen nach so vielen Jahren bringt ja nichts. Das Nächste ist sterben. Der eine oder andere von der Band ist ja schon auf der Strecke geblieben.

Wie steht ihr zum Frühwerk? Gibt es Lieder, die ihr heute live nicht mehr spielt oder bei denen ihr euch an den Kopf fasst und über euch selbst schämt?
Mike: Es gibt eigentlich nur eines, was wir auch aus den Reissues geworfen haben. Das Lied hatte einen speziellen Zeitbezug, es ging um die Mofagang, mit der wir immer so viel Stress hatten damals. Das ist heute aber nicht mehr so ersichtlich, daher ist das einfach verschwunden.

Wie kommt es eigentlich, dass es so viel altes Videomaterial von euch gibt?
Mike: Es gab noch viel mehr Material. Wir haben ja versucht, das meiste zu retten, aber vieles ist leider kaputt gegangen über die Jahre. Woher das grundsätzlich kam: Ich bin Filmfreak seit vielen Jahren und veranstalte hier in Erlangen ein kleines Filmfestival, das „Weekend of Fear“. Ich hatte von Anfang an eine Kamera dabei, um alles zu dokumentieren, und wenn ich selber auf der Bühne stand, war jemand anderes da, um zu filmen. Meinen „berühmten“ Bühnensturz, den ich leider für 100 DM verkauft habe an „Die dümmsten Männer der Welt“, der jetzt immer noch irgendwo zu finden ist, habe ich mir damals gleich als Kopie besorgt. Und so habe ich das immer gemacht. Falls jemand etwas gefilmt hat, habe ich mich immer bemüht, eine Kopie zu bekommen.

Wie weit gehen die Videoaufnahmen zurück? Das Früheste, was ich auf der DVD identifizieren konnte, müsste Anfang der Achtzigern gewesen sein.
Mike: Ja, das müsste 1981 gewesen sein, dazu gehört auch mein Bühnensturz. In dem „Punk in Erlangen“-Film auf YouTube sind auch noch ein paar Ausschnitte davon dabei.
Wer hat die DVD zusammengestellt?
Mike: Das hat Stefan Remo, ein Freund von uns, gemacht. Das Jubiläumskonzert an sich ging ja noch, aber er hat noch acht Stunden Archivmaterial bekommen, mit der Bitte, daraus eine Stunde zu machen.
Dirk: Was auch noch dazukommt: Wir haben schon recht zügig angefangen, Videos zu machen, in Farbe sogar, schon vor MTV. Mike ist immer mit einer Super-Acht-Kamera herumgelaufen.
Thilo: Wir haben aber auch immer Interesse generiert. Wenn wir aufgetreten sind, war immer die halbe Bühne voller Fotografen, die dann auch wieder gingen, sobald wir fertig mit unserem Set waren. Die haben etwas Spektakuläres von uns erwartet und das haben sie meist auch bekommen. Wir waren zu der Zeit dauernd in irgendwelchen Zeitungen vertreten. Unsere Bandlimousine, ein Jaguar, hat sicherlich auch geholfen.
Mike: Der gehörte unserem damaligen Tontechniker, mit dem wir dann dekadent vorgefahren sind in seinem schwarzen Jaguar.

Wie seid ihr auf die Idee gekommen, Musikvideos zu machen? Das war noch vor MTV, wie ihr gesagt habt? Woher kam zum Beispiel die Idee, zu „Schrecken aus der Nacht“ ein Video zu drehen?
Mike: Der Bayerische Rundfunk hatte eine Sendung, „Ronny’s Pop Show“ oder so etwas. Wir haben uns allen Ernstes gedacht: Wir machen dieses Video und reichen das dort ein und es wird dann gezeigt. Ein Video, in dem es um einen Vergewaltiger und Massenmörder geht – Peter Sutcliffe, der im November 2020 endlich gestorben ist –, der Mädels erdolcht und nackt im Schnee liegen lässt. Dem war natürlich nicht so. Selbst bei der geplanten Premiere dieses Videos im Wirtschaftswunder ist die Frauenfront Erlangen aufgetaucht und hat uns mit Kastration gedroht und uns an Stühlen festgebunden. So hat es noch einmal zwei Jahre gedauert, bis wir es schließlich im E-Werk gezeigt haben. Wir hatten danach einen größeren Gig, von dem wir eigentlich ausgeladen werden sollten, wegen dieses Eklats. Aber es gab wohl keine Alternative mehr zu uns und so wurden wir gebeten, wenigstens das Stück wegzulassen. Das haben wir natürlich nicht gemacht, dafür aber auch die Gage – die ganzen 150 Mark – nicht bekommen. Das ärgert mich noch heute, nach all diesen Jahren.

Wenn man sich die DVD ansieht, hat euch das Alter ja wirklich gutgetan, denn bei den alten Aufnahmen hatte jeder irgendwann einmal einen Vokuhila. Wie kam das?
Mike: Also bei mir kam das automatisch, da ich früher immer Locken hatte und das war damals schon scheiße.
Dirk: Vorne kurz, hinten lang, irgendwann einmal wichen die Haare zurück und da ist nicht mehr viel übrig geblieben. Aber ich war damals auch Punk-Kaufmann und Punkrocker, ich habe bei der Deutschen Bank als Bankrocker gearbeitet, ich habe also eine kriminelle Vorgeschichte. Die Haare kamen bei der Bank nicht so gut an, das hat mir wiederum aber ganz gut gefallen.
Andy: Ich habe mal bei Dirk gepennt, er stand morgens auf und die Haare verschwanden unter dem Kragen des Anzugs. Vokuhila war damals aber noch kein Proll-Ding, wie später mit irgendwelchen Mofarockern, sondern einfach etwas Neues.

Eines noch zum Abschluss: Warum liegt der DVD ein Taschentuch bei?
Mike: Das hat einen ganz einfachen Grund. Beim Versand einer DVD zerbricht sehr oft die Hülle. Wenn du das mit dem Taschentuch machst, dann passiert das nicht. Es ist leider enttäuschend, es gibt keinen Skandal, es ist nicht als Wixtuch gedacht.

Diskografie
„Selbstmord ist Massensport“ (MC, Kacke ’81 Tapes, 1981) • „Friss oder stirb“ (LP, Saftrille, 1981) • „Hundsgemein“ (LP, Cata-Tschuk, 1985) • „Und sie leben immer noch – 1978-94“ (LP, Tug, 1994) • „Wer jetzt noch lebt = Selber schuld“ (CD, Tug, 1995) • „Sterben verboten“ (CD, 2015)