SUZI HARRISON

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Girls to the front

Was mir in der Festivalsaison jedes Mal auffällt, ist der geringe Frauenanteil auf den Bühnen. Doch nicht nur dort dominieren Männer, auch hinter der Bühne, hinterm Mischpult und den Kameras stehen nur wenig Frauen. Auch wenn Punk einen progressiv-emanzipatorischen Anspruch vertritt, hapert es häufig an der Umsetzung, weiß auch Suzi Harrison, Regisseurin des Dokumentarfilms „So, Which Band is Your Boyfriend in?“. Per Mail erklärt sie mir unter anderem, wozu wir Feminismus brauchen und wer sich dafür interessieren muss.

Worum geht es in deiner Doku genau und wer kommt zu Wort?


Sie wirft einen Blick auf die positiven Aspekte in der Musikszene sowie auf die herausfordernden Erfahrungen, die Menschen machen. Der Film befasst sich auch mit der Arbeit, die geleistet wird, um die Situation zu verbessern. In „So, Which Band is Your Boyfriend in?“ kommen hauptsächlich Musikerinnen zu Wort, aber auch Fotografinnen, Promoterinnen, Veranstalterinnen und Toningenieurinnen.

Was ist die wichtigste Botschaft, die du mit dem Film vermitteln wolltest?

Dass es schwierig sein kann, in der Musikszene und der Musikindustrie aktiv zu sein, wenn man kein Mann ist, dass es aber gleichzeitig auch möglich ist, positive Erfahrungen zu machen. Es gibt noch viel zu tun, um mehr Frauen zur Musik zu bringen. Ich liebe Musik und bin gern in der Musikszene und möchte mehr Menschen ermutigen, sich hier einzubringen. Deshalb war es mir sehr wichtig zu zeigen, dass es gute Dinge gibt.

Welchen Problemen begegnet man in der Musikindustrie wenn man kein Mann ist?

Typisches Beispiel ist die Nichtanerkennung als Mitglied in einer Band und sexistische Kommentare über meine Fähigkeiten oder Kenntnisse im Bereich Musik, Bands oder Equipment. Aber auch sexuelle Belästigung. Generell müssen Frauen in der Musikszene oft dafür kämpfen, ernst genommen zu werden, und es kann schwer sein, in bereits etablierte Gruppen und Szenen einzudringen, die von Männern dominiert werden. Das soll aber nicht heißen, dass es für alle gleich ist, und ich denke, es wäre gefährlich, hier zu verallgemeinern. Aber es ist wichtig, über diese Probleme zu sprechen und das Bewusstsein zu schärfen.

Hast du selbst Sexismus in der Punk-Szene erlebt?

Nur kleine Dinge, hauptsächlich herablassende und bevormundende Kommentare darüber, wie ich mein Instrument spiele oder meine Fotos mache. Ich habe auch fiese Bemerkungen zu hören bekommen, dass ich als Frau überhaupt in einer Band bin. Es wurde unterstellt, dass ich mit einem der Jungs geschlafen haben muss, um in die Band zu kommen. Natürlich stimmte das nicht, aber trotzdem war es eine Aussage, die einfach unnötig war! Wenn ich außerdem auf Shows fotografiere, bekomme ich oft unaufgefordert „gute Ratschläge“ von Männern, wie ich meine Kamera bedienen soll. So was macht mich verrückt! Und wenn ich in einer Band spielte, bemerkten die Leute das manchmal gar nicht und sprachen stattdessen meinen Mann an – der nicht mal in der Band war!

Unterscheidet sich Punk-Szene hier von anderen Subkulturen?

Wie bei jeder Form von Mobbing bleibt vieles unerkannt; die Menschen sind sich nicht immer bewusst, dass es passiert, und die Opfer fühlen sich nicht immer in der Lage, sich zu äußern. In der Punk-Szene haben wir prinzipiell eine Kultur der Integration und Aufgeschlossenheit und viele Bands und Veranstaltungsorte fördern dies aktiv. Aber leider praktizieren die Leute nicht immer auch das, was sie predigen. Ich denke, dass es in einigen Musiksparten schlimmer ist – wie Metal, Hardcore-Punk, Pop-Punk –, da sie noch männerdominierter sind.

Wie weit sind wir in der Gleichstellung von Frauen gekommen? Machen wir Fortschritte oder gibt es eher einen Stillstand?

Ich habe neulich gelesen, dass 50% der neuen Gitarrist*innen weiblich sind – das klingt positiv. Ich müsste die Daten und die Quelle überprüfen, da ich mit Statistiken immer vorsichtig bin. Grundsätzlich habe ich schon das Gefühl, dass wir Fortschritte machen, aber es geht langsam voran! Ich denke, dass es vor allem bei Musikerinnen und Promoterinnen ganz gut aussieht. Aber Frauen, die als Tourmanagerin, Toningenieurin und Veranstalterin arbeiten, sind nicht so häufig und da muss sich noch einiges tun.

Wozu brauchen wir Feminismus und wer trägt die Verantwortung für die Stärkung nicht-männlicher Musiker*innen?

Alle, auch die Männer! Wir als Frauen können allein nur begrenzt viel tun und es wird schwierig, etwas zu erreichen, wenn wir keine Unterstützung von denen haben, die bereits die Szene dominieren, weil sie die meiste Macht haben. Sie haben die Fähigkeit, sowohl etwas zu verändern als auch Dinge zu stoppen. Also lautet die Frage, wollen sie das lieber für etwas Gutes oder etwas Schlechtes einsetzen?

„Das Geschlecht ist mir egal“ – ist das eine akzeptable Aussage?

Das ist es, wenn es wahr ist. Das ist aber schwer zu erkennen. Meiner Erfahrung nach dient es oft als Ausrede von Veranstaltern, die versuchen, das Geschlechterverhältnis – oder eher Ungleichgewicht – bei einem Gig oder Festival-Line-up zu rechtfertigen. Sie wollen, dass es so aussieht, als ob das Geschlecht kein Faktor gewesen sei, als hätten sie allein auf Talent gesetzt. Wahrscheinlicher ist, dass sie sich für die Bands entschieden haben, die das meiste Geld einbringen. Wir müssen die Line-ups im Auge behalten, mit dem Ziel, dass es ein Gleichgewicht gibt, dass die Vielfalt zur Norm wird, in Bezug auf alles: Geschlecht, Ethnie, Alter. In diesem Sinne würde ich sagen, dass die Aussage angesichts des Kontextes, in dem sie oft verwendet wird, nicht akzeptabel ist.

Würdest du sagen, dass Festivals und Zeitschriften die immer gleichen Frauen- und queeren Bands featuren, was den Erfolg von entsprechendem Nachwuchs behindert?

Ich denke, dass große Festivals, Zeitschriften und auch Plattenfirmen ein wirklich wichtiger Teil des Wandels sind, da sie viel Einfluss in der Branche haben. Wenn Veranstaltungen wie das Reading und das Leeds Festival mit ausgewogeneren Line-ups vorangehen, wäre das ein entscheidender Faktor, da andere dem Beispiel folgen würden. Kleinere Festivals und Zines tun einiges, um mehr Ausgewogenheit zu erreichen, wie das Manchester Punk Fest. Größere Festivals konzentrieren sich darauf, Geld zu verdienen, anstatt gesellschaftliche Probleme zu lösen. Es liegt auch daran, dass es ein größeres finanzielles Risiko gibt: Also buchen sie Bands, bei denen sie sicher sein können, dass sie Geld einbringen. Wenn es jedoch ein großes Event ist, das die Leute kennen, gehen sie wahrscheinlich trotzdem hin, da es ihnen nur um das Festivalerlebnis geht. Ich denke schon, dass es ein Problem ist, wenn immer wieder nur eine Handvoll weiblicher oder queerer Bands gebucht werden. Das macht weniger Mühe und Promoter können hinter „Gender-Balance“ ein Häkchen machen. Längst nicht alle haben daher eine Chance.

Warum ist „all-female“ ein problematischer Begriff für ein Genre?

Weil es sich auf das Geschlecht fokussiert. Niemand würde darauf hinweisen, wenn es nur Männer sind, warum müssen wir das bei Frauen tun? Wie bereits gesagt, ist Musik nicht abhängig vom Geschlecht, also warum sollte es als das bestimmende Merkmal einer Band taugen?

Welche aktuellen weiblichen und queeren Bands sollten wir auf dem Schirm haben?

PERSONAL BEST sind es wert, sie anzutesten – ihr neuer Song und das Video sind fantastisch. Ich empfehle auch DREAM NAILS, BABY SEALS, CHEERBLEEDERZ, PETROL GIRLS, FRESH, HAPPY ACCIDENTS und MISFORTUNE COOKIE. Nicht alle sind rein weiblich oder queer, aber bei allen ist mindestens eine Frau dabei.

Julia Segantini