TIGER ARMY

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Gegen Zuckerguss und Computergesang

„Retrofuture“ heißt das neue Album von TIGER ARMY. Und wer es hört, der erkennt tatsächlich einen gewissen Retro-Einfluss. Es enthält viel Hall und die Musik der Fifties und Sixties, dafür weniger von jener Mischung aus Psychobilly und Rock’n’Roll und Punk, den diese Band früher einmal spielte. Sänger Nick 13 erklärt im Interview, was es mit diesem „Retrofuturismus“ auf sich hat.

Nick, als ich den Titel eures neuen Albums „Retrofuture“ erstmals hörte, dachte ich das klingt wie: „Früher war alles besser, also lasst uns das Früher mit in die Zukunft nehmen.“ Geht es um Retromanie und Nostalgie?


Nein, nicht wirklich. Der Titel ist meiner Meinung nach ganz einfach der beste Weg, um die Musik auf dieser Platte zu beschreiben. Denn wir haben die Songs mit Vintage-Instrumenten, alten Verstärkern und Effektgeräten aufgenommen. Die meisten stammen aus den Fünfzigern und Sechzigern. Aber gleichzeitig sollte die Musik auch zeitgemäß sein und in die Zukunft weisen. Das Konzept dahinter war: Ich überlege mir, wie sich die Menschen damals wohl die Rockmusik der Zukunft vorgestellt haben könnten? Und ich denke, genau so. Ein wenig seltsam eben. Aber mit vielen Gitarren.

Was meinst du, wie sie auf das reagieren würden, was heute alles so als Rock deklariert wird?

Ich denke, sie wären enttäuscht. Auch weil Gitarren gar nicht mehr die große Rolle spielen. Ihre Erwartungen müssen anders gewesen als das, was wir heute tatsächlich haben.

Was ist an alten Instrumente besser als bei neuen?

Sie sind das Original! Alle modernen Dinge – Gitarren und Verstärker, das ganze Equipment – mögen die beste Soundtechnik aller Zeiten bieten. Aber das ist alles immer noch an dem orientiert, was in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts aufkam und hergestellt wurde.

Bist du ein Sammler von Vintage-Instrumenten?

Ja, ich halte immer Ausschau nach so was. Die Gitarren und Verstärker aus den Sechzigern haben einen sehr speziellen Sound. Jede Marke, jedes Modell stand für einen ganz speziellen Klang. Und wenn ich nun auf einer alten Gitarre spiele und einen alten Verstärker nutze, dann ist das für mich entsprechend unheimlich inspirierend – wegen dieses besonderen Sounds. Dann fließen die Riffs nur so aus mir heraus. Altes Equipment ist ein ganz wichtiger Faktor für mein Songwriting bei TIGER ARMY.

Altes Equipment verweist vor allem auf die Wurzeln des Rock’n’Roll. Was macht die Faszination aus?

Ganz einfach: Alles Großartige in der Musik geht zurück auf diese Ära zurück. Alles, was ich mag, Punk, Psychobilly, Surf, Garage – alles entspringt der Musik der Fifties und Sixties.

In welchem Moment hat Nick 13 den Rock’n’Roll für sich entdeckt?

Als ich das erste Mal Punk hörte, ganz klar! Das war so: Mein Vater hatte viele Platten aus den Fünfzigern und Sechzigern zu Hause. Diese Musik kannte ich von klein auf. Und als dann Punk dazukam, erkannte ich sofort, dass beispielsweise eine Parallele zwischen den RAMONES und Buddy Holly besteht. Ich hörte heraus, wie verbunden die verschiedenen Jahrzehnte miteinander waren und wie eines auf dem anderen basierte.

Lass uns auf „Retrofuture“ zurückkommen. Die Punk-Elemente sind auf diesem Album nicht gänzlich verschwunden. Aber es sind weniger als früher. Der Sound ist variantenreicher.

Die Punk-Elemente in unseren früheren Songs – auch auf unserem bislang letzten Album „V“ – waren inspiriert vom frühen NYC-Punk à la NEW YORK DOLLS und SUICIDE. Dieses Mal aber ging es eher um Garage und Surf, um urwüchsigen, rauhen Rock’n’Roll. Den fühlte ich zuletzt einfach mehr. Ich habe mich intensiver mit diesen Genres beschäftigte – und schreibe immer Musik, die klingt, wie ich mich in dem jeweiligen Moment fühle.

Du hast mit TIGER ARMY in zwanzig Jahren sechs Platten veröffentlicht, das ist mit Verlaub nicht gerade viel. Woran liegt dieser, ich sage es mal so, stockende Output?

Nicht vergessen: Und noch ein Soloalbum! Sieben Platten also insgesamt, haha! Ich mag es einfach nicht, in Eile zu verfallen und zu hetzen. Manchmal fühlt man sich kreativ und inspiriert. Und manchmal weniger. Wenn man zu viele Alben aufnimmt, dann schwankt die Qualität. Ich muss aber hinter jeder Platte stehen. Jede muss sich für mich großartig und richtig anhören. Und manchmal braucht das eben Zeit, bis es dann irgendwann mit ein paar Songs anfängt, die mir im Kopf herumschwirren, und ich ins Studio gehe.

TIGER ARMY sind nicht riesig, aber haben den Status einer Kultband inne. Wie wird man zur Kultband?

Ich habe immer versucht, ehrlich zu sein. Ehrlich mir selbst gegenüber, den Fans gegenüber und vor allem der Musik gegenüber. Das heißt: Ich kümmere mich nicht um Trends. Nicht um das, was in der kommerziellen Welt vor sich geht. Ich schreibe nach genauen Vorstellungen. Ich schreibe die bestmögliche Musik. Und es geht nichts raus, was ich nicht selber genießen und gut finden und jederzeit hören würde. Ich muss an etwas glauben, um es gut zu finden. Und die Leute fühlen das wohl. Vielleicht wird man so zum Kult.

Du erwähnst die kommerzielle Musik. Nimmst du die eigentlich wahr? Oder hast du den Nick 13-Tunnelblick, der alles, was nicht mit deiner eigenen musikalischen Sozialisation zu tun hat, ausblendet?

Ich halte schon Ausschau nach neuen, nach coolen Bands. Das habe ich schließlich schon gemacht, als ich selber noch gar nicht als Musiker unterwegs war. Aber ich merke auch, ich muss mich auf diesen Tunnelblick konzentrieren. Denn spannende Musik, aufregende Musik, coole Musik – die gibt es tatsächlich fast nur noch im Untergrund. In den Subkulturen. Und man muss wirklich Glück haben, sie zu finden. Im Radio hört man so etwas nicht mehr. Was eine Schande ist, denn in den Fünfzigern und Sechzigern war das Radio voll mit großartiger Musik.

Was hat die Musik derart versaut?

Beim Songwriting geht es nur noch darum, möglichst viel Zuckerguss über das Arrangement zu gießen. Der Gesang wird am Computer viel zu stark verändert. Und das ganze Talent, das Gute, das es in der alten Musik gab, ist völlig verschwunden.

Die Songs auf „Retrofuture“ heißen „Sundown“, „Eyes of the night“, „Mi amor la luna“, „Shadowlight“, „Night flower“.Was magst du eigentlich am Tag?

Ich habe nichts gegen den Tag, haha. Aber die Nacht fasziniert mich mehr. Das war schon immer so. Das gehört zu meiner Persönlichkeit. Für mich ist die Welt nachts interessanter, spannender. Ich fühle mich dann lebendiger. Es ist eine Zeit, in der die Gedanken frei sind und schweben können. Weil um einen herum alles still ist. Das liebe ich.

Weitere Songtitel gefällig? „Tercio de muerte“, „Last ride“, „Death card“. Hast du eigentlich Angst vor dem Tod?

Nein, soweit würde ich nicht gehen. Für mich ist der Tod schlicht etwas, das man im Hinterkopf haben sollte. Immer. Denn viele Dinge im Leben relativieren sich vor dem Hintergrund des Todes. Und viele Dinge werden wichtiger. Der Tod erinnert einen daran, wie wichtig es ist, immer dem Pfad zu folgen, den man für sich ausgesucht hat – weil die Zeit eben begrenzt ist und schnell verschwendet werden kann. All das kann man leicht mal vergessen.

Sammy Amara, Sänger der BROILERS aus Düsseldorf, sagte mir mal, dass er auf seinem Album „LoFi“ von 2004 so klingen wollte wie du – und erbärmlich gescheitert sei. Wenn er sich in den Songs höre, müsse immer an einen geprügelten Hund denken. Hat er dir mal davon erzählt?

Ja, hat er, haha. Und ich muss vorab sagen: Ich finde das mit den BROILERS schon ein großartiges Beispiel dafür, wie sich das Leben so entwickelt. Wir waren damals gemeinsam in kleinen Clubs unterwegs. Und irgendwann wurden sie zu einer der größten Bands Deutschlands und sie nahmen uns mit als Support. Das war fantastisch! Was seine Stimme angeht: Man muss eben seinen eigenen Stil finden – und hat damit manchmal zu kämpfen. Aber Sammy hat das mittlerweile geschafft, würde ich sagen, haha.

Magst du deine eigene Singstimme?

Ich mag sie sehr. Aber es ist für mich auch schwer, sie zu halten. Im Alltag gibt es viele Dinge, die sie beeinflussen können und ungünstig für sie sind. Entsprechend konsequent pflege ich sie auch. Ich bin mit meinem Gesang immer sehr, sehr selbstkritisch. Ich setze mir selber hohe Standards, die ich unbedingt einhalten will.

Heißt das im Umkehrschluss, du benötigst viele Takes, um einen Song einzusingen – weil du nie zufrieden bist?

Nicht unbedingt. Aber der Zeitpunkt muss stimmen. Es kommt vor, dass ich ins Studio gehe, um neue Songs zu singen und merke, dass ich nicht das abrufen kann, was ich abrufen will. Und dann habe ich kein Problem damit, die Session sofort abzubrechen.

Frank Weiffen