TSUNAMI BOMB

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Alles auf Anfang

Weiterentwicklung durch Rückbesinnung? Klingt widersprüchlich, aber TSUNAMI BOMB aus Petaluma in Kalifornien scheinen diesen Weg selbstbewusst einzuschlagen. Drei Gründungsmitglieder, zwei Neubesetzungen, darunter Frontfrau Kate. Mit ihrer alten Sängerin Emily Whitehurst waren TSUNAMI BOMB Anfang der Nuller Jahre so etwas wie die BLONDIE der dritten Punk-Generation: charismatische Sängerin mit fitter Background-Band. Whitehurst geht jetzt eigene Wege, der Rest der Band wendet sich ihren Anfängen zu – Pop-Punk mit Wave-Kante. Damals war das ungewöhnlich, heute könnten sie damit den Nerv der Zeit genau treffen. Zumal sie mit Alternative Tentacles ein solides Label im Rücken haben. Keyboarderin/Sängerin Oobliette als Mitglied der ersten Stunde und Gitarrist Andy als Neuzugang sprechen über die Vergangenheit und die Zukunft der kalifornischen Band.

Wer hatte die Idee zur Reunion von TSUNAMI BOMB?

Oobliette:
Die kam, als Kung Fu Records Interesse an einer Zusammenstellung unserer ersten Veröffentlichungen hatte, die „Trust No One Collection“. Wir sollten auf ihrem jährlichen Weihnachtsfest spielen, um die Platte zu promoten. Dominic kontaktierte die alten Mitglieder, um zu sehen, wer noch interessiert sein könnte. Brian Plink, der Gitarrist, unser Drummer Gabe Lindeman, Bassist Dominic Davi und ich konnten die Show spielen, nur Sängerin Emily Whitehurst sagte uns ab. Zuerst dachten wir drüber nach, nicht aufzutreten oder uns umzubenennen und etwas Neues zu machen. Brian überzeugte uns letztendlich davon, dass es unsinnig wäre, alles hinzuschmeißen. Emily war als Frontfrau sehr beliebt, die Fans definierten die Band über sie, was verständlich ist. Die Stimme ist das Aushängeschild einer Band. Deshalb zögerten wir eine Zeit lang. Schließlich fingen Dominic und ich aber an, neue Songs zu schreiben, und es klang einfach nach TSUNAMI BOMB, es fühlte sich richtig an. Dann kam besagtes Weihnachtsfest von Kung Fu und wir hatten noch keine Hauptsängerin. Brian kannte Kate Jacobi von der Arbeit und sagte, sie habe einen ähnlichen Musikgeschmack. Er fand ihre Stimme großartig. Das Problem: sie war noch nie in einer Band gewesen und noch nie live aufgetreten. Ich fand das anfangs zu riskant. Wir haben mehrere andere Leute ausprobiert und jeder hatte einen zu dominanten Gesangsstil, den ich mir bei TSUNAMI BOMB nicht vorstellen konnte. Wir einigten uns, Kate einige Demos machen zu lassen, und die Jungs übten mit ihr. Dadurch überzeugten sie dann auch mich. Leider musste Brian die Band wenig später wieder verlassen. Dominic schlug Andy vor, ein langjähriger Freund, er kennt uns seit unserer ersten Show, der in einigen tollen Bands war und außergewöhnlich talentiert ist.

Andy: Für etwa ein Jahr spielte vor mir Chris LaForge von 30 FOOT FALL. Aber die Distanzen zwischen den einzelnen Bandmitgliedern waren einfach zu weit. Chris wohnte in Texas und Oobliette in New York, während der Rest der Band in der Bay Area war. Dominic und ich lebten damals zusammen und er fragte, ob ich vielleicht daran interessiert sei, bei TSUNAMI BOMB einzusteigen. Ich ergriff die Gelegenheit und nach etwa sechs Monaten wurde ich offiziell Mitglied der Band.

Befreit ein kompletter Neuanfang nicht von personellen Altlasten?

Oobliette:
Dominic und ich haben TSUNAMI BOMB 1998 gegründet und ich habe das Gefühl, dass unser gemeinsames Schreiben den Sound und das Stil der Band geprägt hat. Die verschiedenen Bandmitglieder haben ihrerseits diesen Sound weiterentwickelt. Jetzt fühlt es sich an, als ob wir endlich etwas Unfertiges weiterführen, es ist eine natürliche Weiterentwicklung, ein weiteres Kapitel. Als wir einigen alten Fans jetzt die neuen Songs vorgespielt haben, war die Resonanz überwältigend. Nach der Reunion-Show kam es nicht mehr in Frage, eine komplett neue Band zu gründen. Die Leute lassen sich darauf ein und deshalb wiederbeleben wir die alte Dame TSUNAMI BOMB jetzt.

Was haben die anderen Bandmitglieder zwischenzeitlich gemacht? Ich weiß nur von Gabe, dass er bei NOTHINGTON gespielt hat.

Andy:
Wir alle haben beziehungsweise hatten Vollzeitjobs und Projekte außerhalb der Band. Ich arbeite als Programmierer bei einem Start-up und habe ein kleines Plattenlabel namens Sell The Heart Records. Dominic arbeitet bei Alternative Tentacles und macht Grafikdesign, führt seine eigene Bekleidungs- und Designmarke namens The Dinosaur Factory und war bei LOVE EQUALS DEATH. Kate arbeitet als Supervisorin bei einem großen Technologieunternehmen.

Oobliette: Ich bin die Geschäftsführerin einer Restaurantgruppe, die die Geschäfte im Phoenicia Diner, Dixon Roadside und weiteren Standorten leitet. Gabe arbeitet außerdem als Parkranger und Immobilienmakler.

Wie ist euer Verhältnis zu den anderen ehemaligen Bandmitgliedern heute, insbesondere zu Emily, die den Klang von TSUNAMI BOMB sehr stark vorgegeben hat? Ich habe sie letztes Jahr interviewt und sie sagte, sie sei nicht an einer Reunion interessiert.

Oobliette:
Ich habe nicht persönlich mit Emily gesprochen, seit ich die Band 2001 verließ. Zwar habe ich sie einige Male gesehen, habe aber schnell erkannt, dass Höflichkeiten nicht erwartet oder erwidert wurden. Zu Mike Griffen und Brian Plink habe ich regelmäßig Kontakt. Sie zählen zu den talentiertesten Musikern, die ich jemals kennen lernen durfte.

Andy: Die Beziehungen untereinander sind sehr verschieden, je nachdem wen du fragst. Wer sich mit der Band beschäftigt hat, der weiß, dass es da einige Probleme gegeben hat. Das Bandleben ist hart – schlicht und einfach. Und manchmal ist es einfach zu Ende. Wir leben auch mittlerweile alle ziemlich verstreut. Letztes Jahr auf dem The Fest in Florida habe ich Jay Northington gesehen und mit ihm gesprochen, was ziemlich cool war. Mit Emily komme ich persönlich gut aus. Ich respektiere zu 100% ihre Entscheidung, sich nicht an der Reunion zu beteiligen. Sie hat uns ihr Okay und ihren Segen dafür gegeben, die Band ohne sie fortzusetzen. Sie will sich aktuell auf ihre eigene Musik konzentrieren, ein wirklich großartiges Projekt namens SURVIVAL GUIDE. Ich wünsche ihr nur das Beste für ihren musikalischen Weg und ermutige jeden, ihre Sachen anzutesten. Dasselbe gilt für Mike, Jay, Brian und Matt.

Das neue Album kommt über Alternative Tentacles, dem Label von Jello Biafra. Ein eher untypisches Label für Pop-Punk. Euer altes Label Kung Fu Records schien da passender zu sein.

Oobliette:
Dominic arbeitet seit längerem bei AT. Jello war schon etwas irritiert darüber, dass Dominic Musik macht und ihm kein Demo davon vorspielt. Ehrlich gesagt hatte niemand von uns damit gerechnet, dass Jello an uns interessiert sein würde. Anscheinend war er es aber doch.

Andy: Wie sich herausstellte, hatte Jello uns nie ganz aus den Augen verloren. Wir schätzen die Zusammenarbeit mit AT. Alles ist unkompliziert und sehr einfach. Das kommt uns als Band sehr entgegen.

Ein Label aus den Achtzigern, eine Band aus den Neunzigern. Wohin führt das im Jahr 2019?

Oobliette:
Ich glaube nicht, dass man Entwicklungen zeitlich chronologisch einordnen muss. Die Band begann im Jahr 1998, erreichte ihren Höhepunkt dann in den frühen Nuller Jahren. Keiner unserer Songs klingt meiner Ansicht nach überholt. Alternative Tentacles als Label ist auch noch immer aktuell und hat sich ständig verändert. Die einzige Konstante ist, dass Jello hier die ganzen bizarren Bands sammelt, die ihm über den Weg laufen oder die er im Laufe der Jahre lieb gewonnen hat. Außerdem ist 2019 ein gutes Jahr für Punkrock. Die Leute werden gerade wieder wütender. Schlechte politische Zeiten lassen die Szene wieder wachsen. Ich bin sehr gespannt auf die Entwicklung in den nächsten Jahren.

Andy: Stimmt, auf den ersten Blick sieht das etwas seltsam aus. AT ist eines der ersten Punklabels, auf das ich als Teenager aufmerksam geworden bin, also ist es für mich selbst eine ziemlich große Sache. AT steht seit jeher für DIY, im Guten wie im Schlechten. Wir wissen aber genau, auf wen wir uns einlassen, was für uns als Band wirklich wichtig ist. Jello und seine Crew haben uns unglaublich unterstützt. Was die Frage betrifft, wie wir und AT zusammen passen: Wir haben die Möglichkeit, mit einem bewährten Label zu arbeiten, das uns Spielraum zur Gestaltung gibt. Jüngere Leute haben heute vielleicht keinen direkten Bezug mehr zu AT, aber es gibt ein paar Generationen von Punks da draußen, für die AT eines der besten Labels im Punk ist. Es ist eine Win-win-Situation für uns.

Euer Sound ist wieder stärker vom Keyboard beeinflusst worden. War das eine bewusste Veränderung gegenüber dem bekannten TSUNAMI BOMB-Sound? Ich musste direkt an die EPOXIES denken.

Oobliette:
Auf unseren ersten drei EPs gab es schon Orgel oder Keyboard. Etwa die Hälfte des ersten Albums „The Ultimate Escape“ wurde mit Keyboards geschrieben, aber ich bin vor der Aufnahme ausgestiegen. Mike Griffen, unser damaliger Gitarrist, übertrug einige der Keyboard-Lines auf die Gitarre, das klang auch großartig. Ich habe auf dem neuen Album erstmalig bei zwei der Songs einen Moog verwendet. Die meisten Songs haben die gleichen Korg X3-Orgeln, die ich bei allen frühen Aufnahmen schon benutzt habe. Einen Wave-Einschlag kann ich nicht leugnen, ich selber bin ein großer New-Wave Fan.

Andy: Ich würde nicht zwischen neuem und altem Sound differenzieren, weiß aber, worauf du hinaus willst. Oobliette war Gründungsmitglied der Band, so dass Keyboards/Synths immer Teil des Sounds als Ganzes waren, obwohl die Band nach ihrer Anfangsphase offensichtlich gitarrengetriebener wurde. Mit Oobliettes Rückkehr kann die ursprüngliche Vision der Band wieder durchscheinen, was großartig ist. Es macht die Musik größer und dynamischer. Wenige Bands sind in der Lage, das so gut hinzubekommen. Die MURDER CITY DEVILS, die EPOXIES oder unsere Labelkollegen THE DARTS machen einen großartigen Job. Ich als jemand, der vom Fan zum Bandmitglied geworden ist, kann nur sagen, dass wir heute die ganze TSUNAMI BOMB-Bandbreite abbilden. Den frühen Goth/Punk von der EP „The Invasion From Within“ bis zur Aggressivität des zweiten Albums „The Definitive Act“. Plus die neuen Akzente, die Kate und ich als Neulinge setzen.

TSUNAMI BOMB erreichten damals ein etwas jüngeres Publikum. Glaubt ihr, dass ihr heute mit eurer Musik immer noch ein jüngere Leute ansprechen könnt oder eher die alten loyalen Fans?

Oobliette:
Es ist eine ziemlich gute Mischung aus beidem. Unter den neuen Fans sind teilweise die Kinder der alten. Das ist etwas seltsam, haha.

Andy: Ich würde mir wünschen, dass wir das jüngere und ältere Publikum gleichermaßen packen können. Wir haben das Glück, Fans zu haben, die in den letzten 19 Jahren und bei der Reunion am Ball geblieben sind. Auf unsere Shows kommen aber auch viele Jüngere, die uns erst jetzt gerade neu für sich entdecken. Musikgeschmack ist zwar wie alles einem stetigen Wandel unterworfen, aber letztendlich zählt die Qualität eines Songs, nicht das Genre.

Jeder hat doch Lieblingssongs im eigenen Set. Welche sind eure?

Oobliette:
Oh, das ändert sich jeden Tag. Heute wäre das „Tidal“ – ein Liebeslied für unsere Fans. Außerdem „The hathors“. Ein super Text von Kate. Und „Naysayers“. Eine gute Erinnerung daran, dass Wege zu persönlichen Zielen sehr lang sein können.

Andy: Bei mir ist es auch „The hathors“, ein Brett mit tollem Refrain, zu dem man einfach tanzen muss. Dieser Song verkörpert für mich genau den Sound von TSUNAMI BOMB. Und „Tidal“ ist einfach der perfekte Opener für ein Album. Ihn haben wir auch als ersten in der neuen Konstellation geschrieben, daher hat er diesen besonderen Platz bekommen. Super eingängig und trotzdem düster ist „Sinkhole“, ein Gegengewicht zu einigen unserer kantigeren Sachen.

Welche Ziele habt ihr euch mit der Reunion gesetzt? Wie viel Zeit könnt/wollt ihr in die Musik investieren? Ihr müsstet doch auch bald eure vierzigsten Geburtstage in Sicht haben, oder?

Oobliette:
Vierzig?! Mach es nicht schlimmer als es ist, haha. Ich war damals mit 16 Jahren das Küken in der Band. Mit 19 bin ich ausgestiegen. Ich habe noch ein paar Jahre in meinen Dreißigern, Kumpel! Im Moment machen wir nur kleine Wochenendtouren und Festivals, soweit sich uns die Gelegenheit dazu bietet. Eine komplette längere Tour kommt derzeit für uns nicht in Frage. Im Vordergrund steht die Arbeit an neuem Material, das ist auch über größere Distanzen besser zu schaffen. Wir schicken uns Dateien zwischen Kalifornien und New York hin und her.

Andy: Jeder aus der Band handhabt das anders. Natürlich investieren diejenigen, die sich um kontinuierliche Aufgaben wie Social-Media-Präsenz, Kommunikation mit unseren Fans über unser Fan-Forum „The Bomb Squad“, die Mailingliste sowie die Kommunikation mit dem Label und dem Booking-Agenten kümmern, mehr Zeit als die anderen. Allen ist das aufgrund ihres Broterwerbs aber auch nicht möglich.Was die Ziele betrifft, so wollen wir weiterhin so viel neue Musik wie möglich schreiben und aufnehmen. Wir arbeiten bereits an unserem nächsten Album, einen Zeitplan gibt es aber noch nicht. Außerdem stehen dieses Jahr noch zwei Compilation-Beiträge an. Obwohl die großen Touren für uns flach fallen, wären 2020 Kurztrips nach Europa und hoffentlich Japan machbar. Da bleiben wir dran.

Noch ein letztes Wort an die Ox-Leser*innen in Europa?

Oobliette:
Vielen Dank für das Gespräch. Ich hoffe, ihr gebt dem neuen Album eine Chance. Es steckt viel harte Arbeit und Liebe in diesem neuen Kapitel der Band. Ich weiß, dass einige Leute unsere alte Sängerin vermissen werden. Aber Kate, die neue, passt für mich perfekt zu uns, ihre Stimme ist der Wahnsinn und sie ist ein toller Mensch, was, glaubt mir, heutzutage eine seltene Mischung ist.