TURBONEGRO

"TURBONEGRO are the most evil band in the world!"

Es war eine schicksalsträchtige Begegnung, letzten Winter in Münster: TURBONEGRO standen mal wieder auf deutschen Bühnen, doch im Gegensatz zu den vorherigen Touren strömten die Massen, angelockt durch das monströse „Ass Cobra“-Album. Auch mich hatte die Osloer Formation verzaubert, zum einen durch das höllische Punkrock’n’roll-Gemisch der Tonkonserve, zum anderen durch gnadenlose, misanthropische Provo-Texte und natürlich ihren herrlichen Schwulo-Look. Nun hat man als mehr oder weniger erfahrener Interviewer (ähem ... ) schon die eine oder andere Band vor dem Mikro gehabt und so was wie Routine entwickelt. Als ich an diesem Abend jedoch Happy-Tom (Bass) und Hank (Gesang) bei einer Flasche Gin gegenübersaß, stand mir allerdings etwas der Schweiß auf der Stirn, denn ich war zu keinem Zeitpunkt in der Lage abzuschätzen, ob TURBONEGRO nun einfach nur brillante Poser sind oder ob an ihrem feindseeligen, schwulen Blue Denim-Macho-Gehabe nicht doch was dran ist. Im Interview gaben sich die beiden keine Blöße, ich begann an Letzteres zu glauben, und so verfolgte ich das Konzert danach so schlau als wie zuvor. Im Laufe des Jahres ’97 bot sich dann erfreulicherweise gleich mehrfach die Chance, TRBNGR live zu erleben (und auf Viva!), der Lösung des Rätsels „Poser oder nicht?“ kam ich allerdings kein Stück näher – bis im Oktober letzten Jahres aus dem Visions-Headquarter der Marschbefehl gen Oslo kam. „Haha!“, sagte ich mir, „Auf Tour können die Burschen ja machen, was sie wollen, aber schauen wir doch mal, was sie so im Alltag treiben und ob die Schnäuzer nur für spezielle Anläße ihre Oberlippen zieren ... “ Und siehe da, schon nach kürzester Zeit mussten die Turboneger ihre Maske fallen lassen und sich als einigermaßen normale Menschen zu erkennen geben, was ihnen gar nicht so leicht fiel. Im Vorfeld meines Besuches, das gab Happy-Tom offen zu, hatte ihnen das doch etwas Kopfzerbrechen bereitet – zurecht, wie sich nach meiner Rückkehr erwies, denn wirklich jede und jeder wollte von mir wissen, ob die denn nun echt seien oder nicht. Meine diplomatische Antwort: TURBONEGRO meinen alles, was sie sagen, tun und darstellen, sehr ernst, aber das sagt nichts aus über den Wahrheitsgehalt dessen, was sie sagen und tun ... Nun zum Interview. Nach einer langen feucht-fröhlichen Nacht im Osloer Untergrund war der späte Sonntagnachmittag der ideale Zeitpunkt, in einer recht prollig-bürgerlichen norwegischen Kneipe wieder die ersten Biere zu ordern und dabei ein Interview zu machen. Zum Verlauf nur soviel: Hank und Tom gaben sich anfangs große Mühe, die normale Märchen-Schiene zu fahren, doch irgendwann war ihr Widerstand gebrochen und wir sprachen einigermaßen Klartext. Aber bitte fragt mich nicht, wie ich diese Interview-Cassette mit Kneipenlärm, Gläserklirren und schlechter Rockmusik im Hintergrund und durch Alkohol bereits in Mitleidenschaft gezogene Zungenfeinmotorik abgehört habe ...

„Apocalypse Dudes“ – mit diesem Titel des neuen Albums weicht ihr von eurer Ankündigung ab, wieder was mit „Arsch“ im Namen zu machen, „Rock Against Ass“ oder „Ass Time Goes By“ etwa. Wie kommt’s?
Hank: It’s ass time later, the ass will still be with us. The ass remains the same – wir werden sehen ...

Soso. Und warum habt ihr euch mit dem Album so lange Zeit gelassen? Die Aufnahmen von „Ass Cobra“ sind immerhin schon über drei Jahre alt.
Hank: Wir sind Voll-Profis und richtig ins internationale Rockbusiness integriert, da ist es ganz normal, wenn ein Album drei Jahre Vorbereitungszeit braucht. Schau dir doch U2 oder METALLICA an, die machen nur alle vier oder fünf Jahre eine neue Platte.
Tom: Oder Elton John! (Singt:) „Goodbye, England’s nose ... “. Wir sind also in guter Gesellschaft. Wir haben uns übrigens überlegt, auch einen Diana-Song aufzunehmen mit dem Titel „Saturday night’s not allright for driving!“
Hank: Genau! Und dazu wäre dann ein Video sehr schön gekommen, in dem wir unsere Lieblings-Landminen vorstellen, einen Landminenführer sozusagen.
Tom: Vielleicht machen wir auch noch ’nen Song über Elton John mit dem Titel „Disreputable homo“. Der Kerl ist ein echter „apocalypse dude“, der muss gestoppt werden!

Jungs, mit eurem Rumgealber bringt ihr mich völlig aus dem Konzept. Kann es sein, dass ihr zu anderen Menschen werdet, sobald ihr ein Mikrofon seht?
Tom: Aber klar doch! Und du müsstest uns erst mal erleben, wenn ein Kamera im Raum ist. Wir lieben Kameras und Mikrofone!

Lief da was in der Kindheit falsch? Ich meine, Mikrofone sind ja auch irgendwie Phallus-Symbole ...
Tom: Oh ja, natürlich! Wir haben nicht Schnuller, sondern Mikrofone gelutscht, und Mikrofone sind in der Tat ähnlich geformt wie ein Penis. Als ich in meiner Jugend als Homo-Prostituierte gearbeitet habe, hatte ich meinen Stammplatz in einem Foto-Automaten auf dem Bahnhof. Die Leute warfen da Geld rein, und wenn ich den Blitz sah, spritzte ich ab. Das waren schreckliche Erlebnisse, kann ich dir sagen, und ich habe die bis heute noch nicht verarbeitet – deshalb dieses Verhalten gegenüber Kameras und Mikrofonen.
Hank: Mir geht es ähnlich, ich bin völlig „PR-horny“, total mediengeil. Das war das erste Wort, das ich als Kind aussprechen konnte. Und das hat sich mir so eingeprägt, dass ich sofort geil werde, wenn ich eine Kamera oder ein Mikro sehe – ich kann einfach nicht anders!

Gegründet wurden TURBONEGRO bereits 1989, und auch die Diskographie reicht viel weiter zurück als „Ass Cobra“. So ist das neue Album „Apocalypse Dudes“ bereits das vierte, ganz zu schweigen von mehr als einem Dutzend Singles auf Labels in aller Welt, zwei Zehnzöllern sowie unzähligen Compilationbeiträgen. Mir scheint, dass mit euch auch das Konzept gewachsen ist, das man in Form eurer Auftritte bewundern kann.
Tom: Verwende nie mehr dieses K-Wort!

Oh doch: Konzept, Konzept, Konzept!
Hank: Mann, TURBONEGRO ist keine Konzeptband, das ist ein Lifestyle!
Tom: In der Musikwelt gibt es zwei Unworte: Das eine ist Konzept, das andere Projekt.

Ja, und, soll ich jetzt gehen oder was?
Tom: Nein, du darfst noch bleiben. Aber wenn du uns schon auf unser Aussehen ansprichst: Wir finden einfach, dass Denim von zeitloser Eleganz ist. Ganz gleich, was du für Musik machst, sobald du in in schicker Denim-Kleidung auf die Bühne gehst, hast du die Leute auf deiner Seite.

Apropos Leute: Seht ihr in eurem Publikum eher Fans oder eher Opfer?
Hank: Ich würde sagen: Lehrlinge. Ein Opfer ist bereits jenseits aller Hilfe, aber wir glauben fest daran, dass bei unserem Publikum noch Potential besteht, wenn sie jemand an die Hand nimmt – wir zum Beispiel. Unser Plan ist ja, in allen Ländern, gerade aber auch in Deutschland, eine große Anhängerschaft heranzuziehen, sodass eines Tages nur noch Menschen in blauer Baumwollkleidung die Straßen bevölkern, die uns bedingungslos gehorchen.

Ach ja? Gibt’s denn bereits Leute, die in ähnlicher Kleidung der euren zu den Konzerten kommen?
Hank: Na klar doch: In Denim, Leder und mit Handschellen – the whole enchillada! Ein paar missverstehen unser Anliegen aber auch und tragen Latex, aber mit diesem S/M-Zeug haben wir nix zu tun. Wir haben ein reines Turbo-Denim-Konzept ...

Oh-oh! Du hast das Wort Konzept in den Mund genommen!
Hank: Mach den Kassettenrecorder aus, gib mir das Tape! Autsch, Tom, schlag mich nicht schon wieder!

Kann man denn sagen, dass mit eurem Werben für aus Baumwolle bestehende Denim-Kleidung auch ein politisches Statement verbunden ist? Veganer sind ja völlig gegen Lederkleidung.
Hank: So würde ich das nicht sagen. Ich höre nachts in meinen Träumen das Schreien der ihrer Mutterpflanze geraubten Baumwoll-Knäuel, das ist echt schlimm.
Tom: Und dann die Textilfabriken in China und Indien! Oh, ich sehe sie vor mir, tausende kleiner Kinder mit winzigen Fingerchen, die wie kleine Maulwürfchen riesige Mengen blauen Denim-Stoffes weben müssen. Oh, ich höre sie schreien und weinen, hehehe ...

Es gab Berichte in der internationalen Wirtschaftspresse, TURBONEGRO seien nur die clevere Erfindung der Levi’s-Werbestrategen, um die Unmengen unverkäuflicher dunkelblauer Jeanskleidung aus den Siebzigern endlich verkaufen zu können.
Hank: Scheiße, wir sind aufgeflogen!
Tom: Was machen wir denn jetzt? Hank, sollen wir ihn umbringen?

Bitte, lasst mich am Leben!
Tom: Na gut, wir lassen dich leben.

Danke. Was anderes: In alten Interviews mit euch liest man jede Menge despektierlicher Äußerungen über den begnadeten US-Musiker und Dichter Henry Rollins. Mögt ihr den etwa nicht?
Tom: Äh, öh, hmpf, äh, das tut uns leid. Nein, wir wollten ihn nicht beleidigen. Weißt du, wir sind mittlerweile so bekannt und groß, dass wir diesen Sommer wohl jede Menge Festivals spielen werden, und da treffen wir Henry sicher mal in der VIP-Lounge, also sollten wir besser aufpassen, was wir sagen.

Sagtest du VIP-Lounge oder Whip-Lounge?
Tom: Ich sagte Weep-Lounge. Da sitzen wir dann mit Henry rum und weinen ein bisschen. (Singt:) „This is a weeping lounge, a lounge in which we weep ... “
Tom (singt): „Father, why are all these rockstars weeping?“
Hank: „They are weeping because they meet each other.“
Tom: „And why is the festival director weeping?“
Hank: „He’s weeping because he has to pay all these people.“
Tom: „This is the weeping song ... “

Jungs, hört besser auf mit dem Gesinge, die Leute schauen schon alle zu uns rüber.
Hank: Jaja, wir sind ja schon fertig. Das war also der „Weep song“ über unsere Festival-Erlebnisse in der Weep-Lounge.

Aber mal ehrlich: Ein bisschen Sport auf der Bühne à la Rollins würde euch auch nicht schaden, ich sehe da schon den einen oder anderen Bauchansatz.
Tom: Ach was, Rollins hätte keine Chance gegen uns. Wir kennen Knut Hamsun auswendig, seinen Lieblingsdichter, und wenn Rollins dann seine Muskeln spielen lässt, rezitieren wir etwas Hamsun im norwegischen Original und er tritt den Rückzug an – natürlich nicht ohne noch was in der Art zu sagen wie „Being on tour is like ... VIETNAM!!! The Autobahn is like a river of destruction!“. Und so weiter, man kennt das ja. Ah, die Gläser sind leer – Herr Ober, bitte mehr Bier!

Was trinkt ihr denn auf Tour am liebsten?
Tom: Gin mit Bitter Lemon, Wodka mit Eis.
Hank: Ich halte es wie Axl Rose: Ice-Tea aus der Jack Daniels-Flasche. Das sieht dann so aus, als ob man riesige Mengen Whiskey trinkt. Dann tu ich so, als sei ich völlig besoffen und kann mir alles erlauben, dabei ist alles genau so geplant.
Tom: Und ich habe immer mein Morgen-Urin in einer Spezi-Flasche bei mir. Das war jetzt ein Geheimnis, schreib das bloß nicht!


Versprochen, hehe. Reden wir über appetitlichere Dinge, etwa die Songs des neuen Albums. Was ich bisher gehört habe, tritt massivst Arsch. Mir scheint, ihr habt die letzten Monate auf Tour genutzt, um einige exzellente Songs zu schreiben.
Tom: Nur begrenzt, um ehrlich zu sein. Unsere Touren sind immer viel zu chaotisch, um da wirklich kreativ was zu machen. Wir sammeln die Ideen, und zuhause arbeiten wir dann an den Songs.
Hank: Wir hassen Soundchecks, und das ist auf Tour meist die Gelegenheit, neue Riffs und Melodien auszuprobieren. Auch regelmäßiges Proben ist uns ein Greuel: Wir haben vor dem Studiotermin mindestens ein Jahr nicht mehr geprobt.

Ihr habt gestern im Studio erzählt, die neue Platte sei die erste, mit der ihr 100% zufrieden seid.
Hank: Na, ich weiß nicht. Ich war noch nie mit irgendwas 100% zufrieden ...
Tom: Ich war mit „Ass Cobra“ schon sehr zufrieden, und wir hätten auch eine Neuauflage von „Ass Cobra“ als neues Album machen können, aber das wäre langweilig geworden. Also haben wir Neues ausprobiert, denn es gibt schon viel zu viele langweilige Platten.

Die ständige Weiterentwicklung ist ein Markenzeichen von TURBONEGRO, und die meisten Leute, die außer „Ass Cobra“ auch die beiden Alben davor kennen, sind der Ansicht, diese seien bei weitem nicht so gut gewesen.
Tom: Ich würde das nicht in Kategorien von „gut“ oder „schlecht“ sehen. Wir waren von Anfang an eine Band, die sich nicht darum gekümmert hat, was die „Szene“ erwartet. Das hat zur Folge, dass wir unserer Zeit immer voraus waren und die Leute erst im Nachhinein erkennen, was wir geleistet haben. Wir verfolgen sehr genau, wie sich die Trends hier in Skandinavien entwicklen und verändern, und da haben wir noch nie reingepasst: Du hast ’92 in einem Club gespielt, wo dich die Dreadlock-Hippies als langweilige Punkband abgetan haben, und heute kommst du dort rein, alle haben kurze Haare und tragen Crypt-T-Shirts und feiern dich ab. Echt, die ganzen Leute in der Szene, die uns heute abfeiern, fanden uns vor drei Jahren noch scheiße und mussten das jedem erzählen. Das kotzt mich an, die Leute sollten gefälligst die Fresse halten und erstmal ihre Hausaufgaben machen, bevor sie reden.

Ihr habt heute ein anderes Line-up als zu „Ass Cobra“-Zeiten und seid jetzt zu sechst. Hank und Tom, ihr beide wart natürlich dabei, Rune Rebellion und Pül Pot auch, aber ...
Tom: ... Chris am Schlagzeug und Knut alias Euro Boy an der Gitarre sind neu, dafür ist Bingo, der alte Bassist, ausgestiegen, ich wechselte vom Schlagzeug an den Bass und Pül macht jetzt Percussion und spielt Keyboard statt Gitarre.

Was hat die beiden dazu qualifiziert, Turboneger zu werden?
Tom: Ihre Fähigkeiten als Musiker und ihr musikalisches Wissen. Wir sind alle große Musikfans, wissen ganz genau was gut ist und was nicht. Knut und Chris wissen das auch, also passen sie zu uns.

Knut ist erklärtermaßen ein großer Fan von Seventies-Rock, was bei den neuen Songs unschwer zu überhören ist. Was soll man davon halten – TURBONEGRO im Retro-Fieber?
Tom: Nein, bloß nicht! Es ist was völlig anderes mit Zitaten zu spielen als irgendwas nachzuspielen. Und so wie Knut mit seiner anderen Band EUROBOYS absolut nicht mit all diesen Retro-Surfbands zu vergleichen ist, kann man uns den Retro-Vorwurf nicht machen.

Ihr bezeichnet eure Musik selbst als „Deathpunk“. Was kann man sich bitteschön darunter vorstellen?
Tom: Vor Jahren haben wir mal eine Anzeige gesehen für eine völlig lächerliche Band von Zwölfjährigen, und da stand was von Deathpunk. Schön, dachten wir uns, das klingt so bescheuert und idiotisch, das passt zu uns. Und seitdem spielen wir Deathpunk. Man kann aber schon etwas weitergehen und es darauf beziehen, dass unsere Musik bzw. die Texte ziemlich düster sind.

Wie sieht die Arbeitsteilung bei TURBONEGRO aus, wer schreibt die Songs, wer die Texte?
Tom: Die Texte stammen von Hank und mir, und die Basic-Riffs des Songs kommen meist von mir, während Knut die Gitarrenarrangements schreibt. Aber letztendlich braucht es die ganze Band, um die Songs so hinzubekommen.

Ihr habt mir vorhin das Coverartwork gezeigt – was hat’s damit auf sich?
Tom: Es zeigt das Logo der SLA, der „Symbiones Liberation Army“, eine mehrköpfige Kobra. Die SLA war Anfang der Siebziger eine aus amerikanischen Ex-Athleten bestehende Terrorgruppe, die Patty Hearst kidnappte, du weißt schon, die Erbin des Hearst-Zeitungsimperiums. Patty Hearst verbrüderte sich aber während ihrer Gefangenschaft mit der SLA und raubte unter dem Kampfnamen Tania mehrere Banken aus. Später wurden dann alle SLA-Mitglieder bis auf Tania erschossen, und sie betreibt heute eine Hundezucht. Naja, wir waren in unserer Jugend alle begeisterte Sportler, und da dachten wir, diese SLA-Sache ist angemessen.

An dieser Stelle war es Zeit das Interview zu beenden, wurden wir doch von den Stinos zunehmend feindseelig gemustert und wir zogen es vor, den Rest des Abends trinkenderweise im „Last Train“ zu verbringen. Mein Erinnerungsvermögen an das dort Gesprochene ist allerdings erheblich getrübt ...