UNSANE

Foto© by Joachim Hiller

Scum Rock

Als das erste, titellose UNSANE-Album 1991 auf Matador in den USA und City Slang in Deutschland erschien – das eigentliche Debüt „Improvised Munitions“ von 1989 blieb bis 2021 unveröffentlicht –, führte das Cover mangels des Vorhandenseins von Social Media nicht zu den in solch einem Fall heute zu erwartenden Proteststürmen. Damals wurde so was bei Labels wie bei Musikfans als hart, etwas geschmacklos, aber zur harschen, extrem noisigen Musik passend durchgewunken. Auch spätere Platten der Band waren recht blutig bebildert, da war dann aber die Inszenierung klar. Der legendäre Wharton Tiers hatte das Debüt produziert, und es klingt so kaputt, wie Chris Spencer (gt, voc) sich und seine damaligen Bandkollegen Pete Shore (bs) und Charlie Ondras (dr) in Erinnerung hat.

UNSANE veröffentlichten diese Platte zu einer Zeit, als Amphetamine Reptile Records (wo sie selbst erst 1995 veröffentlichten) als Erfinder des Noiserock-Genres galten, sie waren in einer Zeit, als sich in Seattle Grunge aufbäumte und als lärmig und hart galt, noch extremer und kaputter. Uneasy Listening in Extremform, Musik wie Stacheldraht, ein schleppender Rhythmus, bohrender Bass und durchdringende Gitarre, gequälter Gesang. Spencer machte die Auflösung der Band 2019 schon 2021 mit zwei neuen Mitstreitern rückgängig und brachte im Herbst 2022 das Frühwerk in Europa zur Aufführung. Wir trafen uns nach ihrem Auftritt in Nijmegen zum Interview.

Chris, wo lebst du heute?
In Nordkalifornien. Ich habe mir da endlich ein Haus gekauft und wohne neben einem Friedhof. Wenn ich also aus dem Fenster meines Badezimmers schaue, kann ich die Gräber sehen. Irgendwie motiviert mich das: Ich muss was tun, denn früher oder später werde ich unter der Erde enden, wie alle anderen auch. Also ... an die Arbeit. Das Leben ist zu kurz, um zu Hause rumzusitzen.

Kannst du von der Musik leben oder hast du einen festen Job?
Nun, ich habe mein Label Lamb Unlimited, wo ich den ganzen frühen UNSANE-Kram neu auflege, und damit, sowie mit den Konzerten, verdiene ich genug Geld. Und ich habe Geld investiert in Batterietechnologie. Wenn du mal die Bücher von J. G. Ballard gelesen hast, kannst du ein bisschen in die Zukunft blicken: Irgendwann wird jeder eine Batterie für sein Haus brauchen. Und bald wird es ganz normal sein, dass Autos nicht mit fossilen Brennstoffen betrieben werden. Nach und nach werden die fossilen Brennstoffe verschwinden und alles wird elektrisch sein. Das Speichern von Energie ist das große Thema. Wenn du also ein gutes Leben führen, es dir gut gehen lassen und Geld verdienen willst, dann empfehle ich, über Physik nachzudenken.

Wie muss ich mir deine Investments vorstellen?
Einen Teil des Geldes, das ich mit der Musik verdient habe, habe ich schon früh in Unternehmen wie Tesla investiert, und die hatten schon mehrere Aktiensplits im Verhältnis vier zu eins, vielleicht vor zehn Jahren mal, und dann gab es vor kurzem einen weiteren im Verhältnis vier zu eins oder so. Und das lohnte sich.

Viele Musiker:innen machen sich bis zu einem gewissen Alter nicht so viele Gedanken über ihre Altersversorgung. Wann hast du begonnen, darüber nachzudenken?
Ich bin früher Taxi gefahren in New York und habe mir dreimal am Tag was in die Venen geballert. Ich habe alle gehasst. Damals habe ich mir über so was wie Altersversorgung keine Gedanken gemacht, aber später dann, als ich gesehen habe, was viele meiner Musikerkollegen so machen, wie sie sich als Barkeeper durchschlagen, da wurde mir klar, dass ich mir etwas einfallen lassen muss, um da rauszukommen. Irgendwann bist du 46 Jahre alt und immer noch Barkeeper, und all die jungen Leute kommen in den Laden und du fühlst dich wie ein Stück Scheiße. Du musst also schlau sein, dir was einfallen lassen. Und, haha, ich bin ja nicht jung gestorben, also musste ich mir was einfallen lassen.

War der drogenbedingte Tod deines Bandkollegen und Freundes Charlie Ondras 1992 da auch ein Faktor?
Ja. Dadurch wurde mir klar, dass ich meinen Scheiß einigermaßen auf die Reihe kriegen muss. Er war mein bester Freund und wir wohnten in derselben Wohnung. In den zwei Wochen vor seinem Tod hatte ich ihn zweimal wiederbelebt, er war zweimal durch eine Überdosis bewusstlos geworden und ich hatte ihm geholfen, hatte Eis auf seine Brust gepackt, hatte ihn zurückgeholt. Damals arbeitete meine Freundin bei Sub Pop, also bin ich nach Seattle gefahren, um sie zu sehen, und habe Charlie gesagt, dass er bitte vorsichtig sein soll, und er meinte nur „Ja, ja“. Drei Tage später war er tot.

Das Ox wie UNSANE wurden 1988 gegründet. Und sowohl so ein Heft wie so eine Band würde heute wohl niemand mehr gründen.
Ich wüsste nicht, wie das funktionieren sollte. Unser erstes Album mit dem toten Typen auf den Gleisen, so was kannst du heute gar nicht mehr bringen. Wir mussten das Cover erst jetzt noch zensieren, und unser Manager wurde deswegen von Facebook gesperrt. Die sozialen Medien haben jedem eine Stimme gegeben, und man sollte meinen, dass das zu mehr Freiheit führt, aber das ist nicht der Fall. Es führt zu Zensur, und jedes schäbige Arschloch, dem irgendwas nicht passt, kann sich bei der verdammten Maschine beschweren und die Maschine schaltet dich ab.

In den USA kam dieses Album damals auf Matador, in Deutschland auf City Slang, was eure Bekanntheit hier sehr verstärkte. Und das Cover flashte damals jeden, niemand konnte sich vorstellen, dass das Foto echt ist. Es war die Zeit vor dem Internet, so „seltsames“ Zeug bekam man damals nur in den Büchern von RE/Search zu sehen, denen von Adam Parfrey oder im Answer Me!-Fanzine.
Das Foto ist echt. Pete Shore, unser Bassist, hatte einen Freund, der für das New York Police Department arbeitete, und der hatte all diese, wie er sie nannte, „tasty“ Fotos. Die waren wie diese Fotos aus diesen mexikanischen Trash-Heften, die voll waren mit solchen Bildern. Und von dem Kerl also bekamen wir ein paar Abzüge von seinen Fotos mit diesem verrückten Scheiß ... Zuerst wollten wir ein Cover im Stil der Fünfziger, aber stattdessen kam dieses Motiv heraus, mit dieser krassen großstädtischen Todesszene. Als wir die Band gründeten, haben wir Horrorfilme geliebt. Ich ging damals auf die Filmhochschule, eigentlich wollte ich was mit Film machen, nicht mit Musik. Wir waren echte Weirdos damals, wir passten gut zu diesen RE/Search-Sachen. Als dann die Platte anstand und wir diesen Platz von 30 x 30 cm zur Verfügung hatten, mussten wir was damit anstellen, nur was ...? Also haben wir darüber nachgedacht, wie wir es allen zeigen können. Wir werden tun, was wir wollen, und etwas machen, das die Musik widerspiegelt. Ich finde, das Foto steht sehr für New York und und die damalige Zeit, so wie die Musik auf dem Album. Wir waren Taxifahrer, hörten die ganze Zeit Jimi Hendrix, spritzten uns die Scheiße in die Venen, unser Leben war verrückt. Wir waren wohl recht misanthropisch drauf, kann man sagen, hahaha!

Eine sehr schöne Selbstreflexion.
Hahahaha, vielen Dank. Es hat lange gedauert, das so sehen zu können.

Dreißig Jahre später hat sich alles weiterentwickelt, so glauben wir. Aber so ein Album, mit so einem Cover, würde sich heute niemand mehr trauen zu veröffentlichen.
Ich liebe die Neuauflage der Platte, das Remastering. Sie klingt so viel besser. Aber so ein Cover, heute? Die Gleichschaltung der Gedankenfreiheit schreitet voran. Vieles, was früher künstlerisch möglich war, findet heute nicht mehr statt. Ich erinnere mich an ein Foto von einer Installation, wo der Kadaver einer Kuh von so einem großen Metallteil in zwei Hälften zerteilt wird. Das würde heute als Tierquälerei eingestuft. Die Leute kommen immer mit irgendeiner Argumentation an, die letztlich unabhängig Denkende zensiert. Mit ihrer Dummheit bringen sie andere zum Schweigen.

Warum, denkst du, war es damals gerechtfertigt, so ein Cover zu machen? Schon damals habt ihr damit ja eine Grenze überschritten.
Der Typ auf dem Foto wurde von einem kleinen Kind auf die U-Bahn-Gleise geschubst und dann wurde ihm der Kopf abgetrennt. Es war also kein tragischer Unfall. Es war die absichtliche Tat von einem kleinen Kind.

Es ist also kein Selbstmordopfer? Hättet ihr das Foto auch dann genommen?
Es war uns egal. Wir benutzen etwas, das wir als ... ich zögere, Künstler zu sagen ... als Freidenker in die Finger bekommen hatten. Für uns war New York verdammt hart, du kannst hier die Narben auf meinen Armen sehen von den Nadeln, weil wir die ganze Zeit gespritzt haben. Wir waren nicht ein paar Typen in einer Rockband, sondern Typen, die dachten, die Welt sei komplett im Arsch. New York war im Arsch, wir waren drogensüchtig und im Arsch, wir brachten eine Platte raus und wir machten einfach, was wir wollten. Wir wollten nicht beliebt sein, bei niemandem, fuck everyone. Dieser dumme Scheiß, ein Rockstar sein zu wollen, für mich war das narzisstisch und dumm. Ich empfand das als idiotisch. Nein, wir wollten uns einfach nur ausdrücken.

Ihr wart Junkies, aber wie habt ihr es geschafft, euch so weit im Griff zu haben, um Musik aufzunehmen und ein Album machen zu können, während dir gleichzeitig vieles andere wohl egal war – sogar dein Leben?
Das ist eine interessante Sache ... Als ich ein Kind war, spielte meine Mutter in einer Bluegrass-Band. Als ich sieben Jahre alt war, habe ich gemerkt, dass ich Gitarre spielen kann, und ich machte die Erfahrung, dass egal, was um mich herum passiert, ich mich einfach in diese Musik hineinversetzen kann, die mich von all der Idiotie um mich herum befreit. All die Dummheit in der Welt verschwindet, wenn ich in die wunderschöne Musik abtauche. Schon seit meiner Kindheit also, egal, wie beschissen mein Leben gerade war, war die Musik immer mein Retter, ein wirklich spiritueller Retter.

Dein Fluchtpunkt?
Ich weiß nicht. Es ist einfach etwas, das ich so sehr liebe, selbst in meinem Alter noch.

Du bist in meinem Alter, schätze ich ...
Ich verrate dir mein Alter nicht, hahaha. Aber ja, es könnte hinhauen. Während der Pandemie habe ich 43 Songs oder so geschrieben, zusammen mit Jim Coleman von COP SHOOT COP und HUMAN IMPACT. Wir kennen uns schon ewig, sind zusammen aufgewachsen, und noch bevor wir jeweils anfingen Musik zu machen, nahmen wir zusammen Drogen. Wir kauften uns irgendwo was, gingen in die Wohnung, dröhnten uns zu, lagen rum und hassten die Welt – zusammen. Da passte es dann auch, dass wir 2019 zusammen HUMAN IMPACT gründeten.

Damals gingt ihr musikalisch getrennte Wege: Er hatte COP SHOOT COP, du UNSANE.
Ich hatte für UNSANE von Anfang an ein Konzept. Ich bin ein großer Horrorfilm-Fan, ich wollte eine Band, die wirklich urban, wirklich underground ist. Mich niemals verkaufen und vollkommen „sauber“ sein, weißt du.

Musikalisch bekamt ihr schnell das Label Noiserock verliehen. Und ganz ehrlich, bei Noiserock denkt auch jeder an UNSANE.
Das ist schmeichelhaft, danke. Ich würde nicht sagen, dass wir der Ausgangspunkt von Noiserock sind, ich denke, das waren THE BIRTHDAY PARTY. Und Jimi Hendrix. Aber ja, es ist schön, als Noiserock-Band angesehen zu werden, als eine Band, die Neues zu diesem Genre beigetragen hat. Weißt du, ich mag Maschinengeräusche zwischen den Songs, diese seltsamen Sounds, mit denen ich dann über meine Pedale seltsame Samples laufen lassen kann, die total zufällig sind. Ich habe ein altes Delay von 1976 an meinem Amp, das nutze ich, seit ich 16 bin. Das war damals eines der ersten digitalen Delays, und das reagiert unterschiedlich, je nachdem, wie hart du die Saiten anschlägst. Wenn du nichts machst, wird das immer langsamer, und wenn du reinhaust, wird es schneller – denk einfach an „Grinding halt“ von THE CURE. Ich liebe das Teil schon ewig. Und das wiederum passt dazu, dass wir auf dieser Tour die erste UNSANE-Platte spielen. Ich finde es wichtig, den Leuten zu zeigen, wie es war, als wir mit der Band angefangen haben. Wir waren damals total misanthropisch drauf, es war uns egal, ob die Leute applaudieren, wir haben einfach gespielt und zwischen den Liedern diese Maschinengeräusche gemacht. Hauptsache, die Leute haben keine Chance, uns Feedback zu geben. Das Publikum quasi vom Konzert ausschließen, einfach machen, was du willst. Das war die ursprüngliche Idee. Später, nach der Vinny- und Dave-Phase, wurden wir beliebter und irgendwie fühlte es sich so an, als müsste ich freundlicher sein zu den Leuten bei den Shows, so mit Ansagen wie „Hey, wie geht es euch?“ und so. Irgendwann aber kam bei mir das Gefühl auf, den Leuten zeigen zu wollen, wie die Band ursprünglich mal war. Und so kam es zu diesem neuen alten Live-Konzept. Und ja, heute sage ich zwischendurch auch mal „Hi!“ – vielleicht. Aber an sich soll es dieser durchgehende Lärm-Klotz sein, wo niemand zu Wort kommt. A monolith of urban distress, hahaha.

Also wir da draußen im Publikum wollten auch einfach nur euch spielen sehen und hören und gar nicht klatschen müssen. Und Hauptsache niemand klatscht mit!
Echt? Ach, ich liebe es, wenn die Leute mitklatschen. Hahaha, nein, natürlich nicht!

Du erwähntest gerade dein Delay. Was hattest du damals für Effektpedale, was nutzt du heute?
Das ist exakt der gleiche Kram wie damals. Ich habe ein Warp-Pedal und das steckt in einem Kästchen. Das hat nur noch einen Knopf, und wenn ich den trete, geht es voll los. Das stelle ich entsprechend ein, und wenn ich es trete, macht die Gitarre so ein statisches, fauchendes Geräusch. Und dann habe ich einen Overdrive und eben dieses Delay. Das ist alles, was ich habe.

UNSANE waren damals Innovatoren dieses Noiserock-Sounds, der später zigfach andere Bands inspirierte. Was macht UNSANE heute einzigartig?
Dummheit. Hahahaha. Einfachheit und rohe Kraft. Besinne dich einfach auf Iggy, und kick out the jams!

STOOGES, MC5 ...
Ja, da hast du ein paar Referenzen. Mach einfach das, was dir gefällt, und mach es so gut, wie du kannst. Ehrlich gesagt höre ich aber nicht viele Bands, die heute machen, was wir auf dem Debüt machten. Im Grunde war es Punkrock, aber mit schrecklichen Verstärkern.

Warum kamst du überhaupt auf die Idee, deine eigentlich aufgelöste Band für dieses Konzept, das erste Album live aufzuführen, mit zwei neuen Leuten zu reaktivieren?
Die Dinge mit der Band waren an einem Punkt angelangt, an dem ich dachte: Okay, das war’s. Und dann, während der Pandemie, schaffte es mein Freund Todd, alle Originalbänder, alle meine Musik, wieder unter meine Kontrolle zu bekommen. Also wirklich physisch die Bänder wieder in Besitz zu nehmen. Und so gründeten wir mit Lamb Unlimited unser eigenes Label. Das Praktische ist: Es ist ein virtuelles Label, das heißt, die meiste Arbeit nimmt uns eine Firma im Hintergrund ab, die heißt tatsächlich Virtual Label. Na ja, und während der Pandemie kam dann irgendwie die andere Idee ... Da kam Cooper ins Spiel. Ich kenne ihn schon ewig, aus New York, ich glaube, er war damals 17. Irgendwann zog er nach Texas, da habe ich ihn dann während der Pandemie besucht. Wir hatten nichts zu tun und haben einfach zum Spaß diese Songs gespielt. Dann waren wieder Konzerte möglich, wir spielten eine Show, und das Feedback war super. Ich dachte echt, ich sei durch mit der Band, aber in Verbindung mit den Reissues wuchs das Bedürfnis, der Welt zu zeigen, wie UNSANE damals geklungen haben. Ganz am Anfang sind wir viel getourt, haben zig Shows gespielt, etwa mit LAUGHING HYENAS. Aber das ist ewig her, und kaum jemand, der heute Musik hört, hat uns damals gesehen. Außerdem macht so verrückten Scheiß wie wir damals heute doch keiner mehr. Und dabei bin ich ein ziemlich netter Kerl. Heute. Und ich bin froh, dass ich nicht mehr das Leben führen muss, das ich damals geführt habe. Es ist cool, einfach nur diese Musik zu spielen und nicht dreimal am Tag losziehen zu müssen, um Heroin zu kaufen, das ich mir dann in meine Füße spritze.

Was hat dich damals dazu gebracht, diese Substanzen zu nehmen?
Weil ich Drogen liebe, hahaha! Und ich habe damit aufgehört, weil ich schon früh gemerkt habe, dass ich Drogen einfach liebe. Ich liebe es, mich zuzudröhnen, und das Zeug gab es überall in unserer Nachbarschaft. Du konntest direkt vor der Haustür Koks kaufen. Oder Heroin an der nächsten Straßenecke. Aber dann habe ich gemerkt, dass ich mit meiner Musik herumreisen und Konzerte spielen kann, und da sagte ich mir, okay, ich muss mir den Affen vom Hals schaffen, sechs Jahre sind genug. Ich spiele dieses frühe Zeug so gern, weil es ganz einzigartig für New York steht, für die Lower East Side jener Zeit. In jedem Song ging es um schreckliche Sachen, aber irgendwie hatte ich einfach Bock, das mal wieder zu spielen. Allein die Erinnerung an die Gegend da ... Überall leerstehende Backstein-Gebäude mit Feuertreppen, und du hast da in ein Loch in der Wand das Geld reingesteckt und dann kam aus dem Loch das Heroin raus ... Wenn du heute einen Film über so was drehst, würde das alles wie ein Klischee wirken, aber so war das wirklich. Ich erinnere mich, dass auf so einem Abbruchgelände ein Typ mit mehreren Hunden hauste, Labradore oder so. Und dann brachten all diese Wichser ihre Pitbulls an, um ihre Hunde an seinen zu trainieren, und sie fielen über seine Labradore her. Mitten in der Nacht diese schreckliche Gewinsel und Geheule, ich dachte, ich träume, ich war high wie die Hölle. Living the dream ...

Eine Sucht lässt einen niemals los, heißt es. Viele suchen sich einen Ersatz, Arbeit, Kunst, Sport ...
Ich kümmere mich nicht darum, was die Leute denken, ich kümmere mich nicht darum, was sie sagen. Ich bin kreativ. Ich hatte vier Jahre lang mit dem Trinken aufgehört bis vor kurzem. Alles ist in eine Kopfsache. Es ist, was du daraus machst, für jeden Einzelnen. Heroin habe ich seit über 25 Jahren nicht mehr angerührt, ich bin kein Junkie. Heute liebt mein Kopf in erster Linie Musik. Ich liebe es, mit meinen Freunden Musik zu machen. Ich liebe es, im Leben das zu tun, was ich will, und wenn ich mich kaputt mache, mache ich das alles kaputt. Viele Leute vergessen, was wirklich wichtig ist.

Amphetamine Reptile, das Label von Tom Hazelmyer, war in den Neunziger Jahren das Synonym für Noiserock. 1995 erschien da euer Album „Scattered, Smothered & Covered“.
Richtig groß war das Label nie, aber alles, was da erschien, war was für mich. Ich wollte immer mal auf AmRep sein. Anfangs waren wir auf Treehouse, dann auf Matador, aber wir waren immer in Kontakt mit Tom, er ist ein cooler, smarter, vertrauenswürdiger Typ. „Scattered ...“, das bei ihm erschien, wurde in seinem Keller in Minneapolis aufgenommen. Das war unglaublich, der Schnee lag zwei Meter hoch, und die Jungs von den COWS hingen auch da rum. Es lag überall so viel Schnee, wir konnten nichts machen, außer mal was trinken gehen, und dann zurück ins Studio und die ganze Nacht spielen. Es war eine sehr kreative Situation. Die COWS-Jungs waren unglaublich.

Wer die mal live gesehen hat, vergisst das nicht ... 1996 sah ich euch mal im CBGB’s.
Haha, da habe ich echt oft gespielt. Der Sound war wirklich gut. Sie haben das Geld immer in den Sound gesteckt, nicht in die Toiletten, hahaha.

Die Klos da waren wirklich das Schockierendste.
Charlie Ondras hat sich da ernsthaft zum Scheißen hingesetzt. Ich meinte nur zu ihm: „Are you serious? Du sitzt da, aber wir müssen gleich spielen!“ In der Mars Bar war es nicht schöner, aber die hatten wenigstens eine Tür! Er sagte nur: „I don’t care if people see me, I don’t give a shit.“ Ich: „Yes, you are giving a shit. Und zwar im wörtlichen Sinne.“ Aber er saß da nur. Das war wirklich ein Running Gag unter den Hardcore-Bands, die da spielten: Wer benutzt ernsthaft das Klo da? Als ich neu war in NYC, lebte ich in diesem besetzten Haus auf der 13th Street, und da war einer meiner ersten Kontakte Raybeez von WARZONE. Er wohnte im selben Block. Ich kopierte unsere Demotapes selbst, verteilte sie an die Clubs in der Hoffnung auf Konzerte, und Ray verschaffte uns einen Auftritt im Pyramid. Das war verdammt cool.

Irgendwie kannten sich ja alle in der Szene, ob das nun Punk, Hardcore oder Noise hieß. Aber welche Bands waren euer Kontext damals?
COP SHOOT COP, PUSSY GALORE, UNSANE, das war so unsere Blase.Wir teilten uns auch den Proberaum. Und in anderen Städten gab es Bands wie THE JESUS LIZARD, LAUGHING HYENAS ... Ich kannte damals viele Leute, die wie ich in der Hardcore-Szene aufgewachsen waren, aber ab 1990/91 oder so aus dem Alter raus waren, wo sie lieber Freitagabends ins CBGB’s gingen als Sonntagnachmittags. Du musstest 16 sein, um am Sonntagnachmittag bei den Hardcore-Matinees reinzukommen, also haben wir unsere IDs gefälscht, hahaha. 50 Cent in den Kopierer, eine Kopie machen, die Zahlen ausschneiden, aufkleben, eine weitere Kopie machen ... Als ich 13 war, ging ich so zu Hardcore-Matinees. Mit 15 habe ich mit meiner Band dann mal vor MURPHY’S LAW gespielt bei so einer Hardcore-Matinee, da war ich nicht mal alt genug, um offiziell dabei zu sein. Niemand interessierte sich dafür.

Heute ist überall alles reguliert, Fünfzehnjährige hätten keine Chance mehr, sich auf eure Konzerte zu schleichen. Interessieren die sich überhaupt noch für eure Musik?
Ja! Das habe ich angesichts des Rereleases festgestellt. Die Kids wissen es zu schätzen, dass wir nicht so gleichförmigen Sound zu bieten haben. Und irgendwie kommen wir ja dann doch mit dem Cover durch. In dem Alter, wie die heute sind, waren wir „Gorehounds“, Horrormovies-Fans. Pete und ich studierten Film an der NYU und unsere Einstellung war, Gewalt ist in Ordnung ist. Gleichzeit war Sex nicht erlaubt – also in der Kunst. Was sich später ja ins Gegenteil verkehrt hat. Aber damals, Ende der Achtziger, konnte man im Film verdammt viel explizite Gewalt zeigen, aber Titten? Verboten! Es ist eine krasse kulturelle Entwicklung gewesen seitdem. Und als wir das erste Mal nach Europa kamen, war das ein Kulturschock: Nackte Brüste? Regten hier bei euch niemanden auf.

Noch eine letzte Frage: der weibliche Aspekt. Wo waren damals die Frauen in der Szene, aus der ihr als Band kamt?
Es gab sie, aber weniger in der Musik als in der Kunstszene drumherum. Cristina von BOSS HOG zum Beispiel. Die Hardcore-Szene war eher für die Jungs, bleiche weiße Kids, die auf hart machten. Ich ging auch zu diesen Shows, ich wuchs quasi im Pit auf, mit ausgefahrenen Ellenbogen. Die Frauen damals in der Hardcore-Szene, die spielten nicht in Bands, die fotografierten die Bands. Die Szene rund um SONIC YOUTH, PUSSY GALORE und so weiter, die zog Frauen eher an, meine damalige Freundin hatte auch eine Band. In der Noise-Szene gab es einige Frauen – wobei wir damals nicht von Noiserock sprachen, wir nannten es Scum Rock.

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Diskografie
„s/t“ (LP/CD Matador, 1991) • „Total Destruction“ (LP/CD, Matador, 1993) • „Scattered, Smothered & Covered“ (LP/CD, Amphetamine Reptile, 1995) • „Occupational Hazard“ (LP/CD, Relapse, 1998) • „Blood Run“ (LP/CD, Relapse, 2005) • „Visqueen“ (LP/CD, Ipecac, 2007) • „Wreck“ (LP/CD, Alternative Tentacles, 2012) • „Sterilize“ (LP/CD, Southern Lord, 2017)