VENOM PRISON

Foto© by Andy Ford

Ungebändigte Katharsis

VENOM PRISON sind einer der gehypetesten britischen Exporte: Die (Wahl-)Brit:innen besetzen den Thron des Extreme Metal und regieren mit Shouts, Growls und gesellschaftskritischen Messages. Larissa Stupar nimmt sich die Zeit, um mit uns über die stetige musikalische Neuerfindung der Band und ausgewählte Kalamitäten der Moderne zu sprechen.

Mit der tonalen Manier eines Berserkers und einer politischen und gesellschaftlichen Grimmigkeit par excellence rekonstruieren VENOM PRISON seit 2015 die Extreme/Death-Metal-Szene und haben sich einen von internationalen Kritiker:innen gepriesenen Status erarbeitet. Das 2016er Debüt „Animus“ hat die Szene in den Grundfesten erschüttert und der Nachfolger „Samsara“ zementierte den kometenhaften Aufstieg der Band rund um die Head-Shouterin Larissa Stupar.

Ein Schwenk in die Gegenwart: Aktuell steht – nach dem 2020er Rerelease „Primeval“, inklusive zwei neuen Songs – das dritte Studioalbum von VENOM PRISON in den Startlöchern. Das mit Spannung erwartete Werk wird den orphischen Titel „Erebos“ tragen und frönt der postmodernen Finsternis. Von Erebos, der mythologischen Personifizierung der Dunkelheit, zieht für die Band so einige Vergleiche in die heutige Zeit. „Wir benutzen diese Mythologie-Masken, um aktuelle Botschaften hinter einer Kunst zu vermitteln“, so Stupar. Nicht umsonst scheint das neue Werk sehr persönliche Einblicke zu gewähren: „Wir haben immer viele Probleme in der Welt angesprochen, aber für mich war es an der Zeit, ein wenig von mir selbst einzubringen. Es war sehr kathartisch und befreiend.“ Analog zu dem inhaltlichen Kosmos positioniert sich auch das Artwork der neuen Platte, das erneut von Eliran Kantor erschaffen wurde. „Die Welt ist im Moment ziemlich isoliert und ich habe das Gefühl, dass die Menschen mehr denn je mit ihren eigenen Dämonen beschäftigt sind.“

Das visuelle Einfangen eines Momentums der Verzweiflung
Die Band sieht in dem Momentum vor allem den individuellen Verdruss über Klimawandel, Politik, die mentale Gesundheit, Armut oder auch das Justizsystem. Das Artwork symbolisiert gewissermaßen die innere Lähmung und das bedrückende Gefühl, in einem Wirbelsturm an Problemen nicht zusammenbrechen zu müssen. Bereits die erste Single „Judges of the underworld“ zeigt im Text ihre messerscharfe Analyse von Missständen, die andere Personen tagtäglich übersehen. Stupar erklärt hierzu: „Ich habe das Gefühl, dass wir in einer Gesellschaft der Schuldzuweisung leben. Junge Menschen, die in ärmlichen oder rauhen Verhältnissen aufwachsen, werden wütend auf die Welt. Diese Personen sind vielleicht gar keine schlechten Menschen, sondern nur sehr verloren. Wir, also unsere Gesellschaft, versuchen nicht, diese Menschen zu heilen oder sie zu leiten und im Gegensatz zur Mittelschicht haben sie auch keine Chancen auf eine Therapie. Wenn sie erst einmal in dem System sind, ändert sich ihr Leben und die Hoffnungen auf einen besseren Lebensstandard sind dahin. Das ist der Kreislauf von Gewalt und Unterdrückung und einige von uns haben ihn im Leben anderer hautnah miterlebt.“

„Es muss nicht gezwungen heavy sein.“
Die Demos zur musikalischen Untermalung der Malaise sind in den Heimstudios der Band entstanden und unterliegen dem Schreibhabitus, dem die Gitarristen Ash und Ben folgen: „Wenn es Energie hat und dich etwas fühlen lässt, dann ist das der richtige Ansatz. Es muss nicht gezwungen heavy sein.“ Die durch die pandemischen Einschränkungen entstandene zusätzliche Zeit gab Stupar zudem die Möglichkeit, zu experimentieren und ihren stimmlichen Sweet Spot zu finden. „Unser Produzent Scott Atkins hat mich gewissermaßen dazu gedrängt, dafür zu sorgen, dass die Klarheit des Gesangs durchgängig zum Tragen kommt“, erklärt die Shouterin. Und auch in der Gesamtkonzeption lässt sich der walisische Fünfer nie nur von alten Fährten treiben: „Solange wir den Kern und die fundamentalen Wurzeln von VENOM PRISON beibehalten können, macht das Erforschen anderer Wege die Band für jeden ein bisschen aufregender.“ Ein Paradebeispiel hierfür ist „Pain of Oizys“: „Der Song hat viele Veränderungen durchgemacht, aber das Endergebnis ist genau das, was wir wollten. Wir begannen, jedem Song auf ‚Erebos‘ Synthies, Keys und Streicher hinzuzufügen – um den Songs mehr Tiefe zu verleihen und sie weiterzuentwickeln als alles, was wir bisher gemacht haben.“ Diese Varianz und Prozesshaftigkeit macht sich in vielen Segmenten der Tracklist bemerkbar: „Seltsamerweise hätte es ein Track wie ‚Golden apples of the Hesperides‘ beinahe nicht auf das Album geschafft – was, wenn ich jetzt zurückdenke, wahnsinnig ist. Erst als Ash und Ben den Ordner mit den Demotracks durchgingen, fiel ihnen auf, wie stark dieser Song ist.“

VENOM PRISON haben die Messlatte für mehr Prosa, mehr Attitüde und die Courage und den Anspruch an die eigene musikalische Wandelbarkeit hoch gesetzt. Gleichermaßen sehen sie auch den strukturellen Wandel in der eigenen Szene: „Ich habe das Gefühl, dass sich die Metal-Welt im Laufe der Zeit verändert hat, aber es wird immer Raum für Verbesserungen geben. Ich bin optimistisch.“ Und für diesen Raum geben VENOM PRISON mit Bravour den Door Opener.