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Alphabetland

In Zeiten einer generell stark gesunkenen Aufmerksamkeitsspanne könnte man es eventuell als Anpassung an den Zeitgeist verstehen, wenn eine Band elf Songs in 27 Minuten raushaut und damit nicht nur in dieser Hinsicht ihr Debütalbum „Los Angeles“ aus dem Jahr 1980 in Erinnerung ruft, erschienen auf Slash Records, hervorgegangen aus dem gleichnamigen Magazin, das von 1977 bis 1980 die Welt auf die Underground-Musikszene in Los Angeles aufmerksam machte. Aber da es hier um klassischen US-Punkrock geht, ist die „kurze“ Laufzeit natürlich auch eine Sache der grundsätzlichen Haltung, dass sich in Songs um die zwei Minuten eigentlich alles Wichtige sagen lässt. Etwas verkürzt kommt allerdings die überall zu lesende Aussage daher, dass „Alphabetland“ das erste neue X-Album seit 35 Jahren sei, denn das letzte Album der Band aus Los Angeles, „Hey Zeus!“, stammt aus dem Jahr 1993, entstand also vor 27 Jahren. Hier fehlt der Zusatz „in Originalbesetzung“, denn die beiden finalen X-Alben „Hey Zeus!“ und „See How We Are“ von 1987 wurden ohne den meist völlig bewegungslos süffisant vor sich hin grinsenden Gitarristen Billy Zoom eingespielt, der durch Tony Gilkyson und Dave Alvin (der mit X schon bei deren Country-Nebenprojekt THE KNITTERS zusammengearbeitet hatte) ersetzt wurde. War „Hey Zeus!“ eine ziemlich träge Ansammlung von seltsam hardrockigen, zähen Songs, und damit das insgesamt untypischste X-Album überhaupt, besaß der überraschend poppige Sound von „See How We Are“ noch deutlich mehr Charme und vor allem Drive. Aber bereits an dem noch mit Zoom 1985 aufgenommenen Werk „Ain’t Love Grand“ und seinen nicht immer gut funktionierenden kommerzielleren Ambitionen schieden sich die Geister der X-Fans. Nicht zuletzt wegen des deutschen Heavy Metal-Produzenten Michael Wagener (MÖTLEY CRÜE, ACCEPT), der an die Stelle von THE DOORS-Organist Ray Manzerak trat, der die ersten vier X-Alben betreut hatte, auf denen Sängerin Exene Cervenka und Bassist/Sänger John Doe ihre songwriterischen Glanzpunkte setzen konnten. Auch wenn erst in diesem Jahr ein neues X-Album erschien, ist die Band live schon seit 2004 wieder in unregelmäßigen Abständen aktiv. Die Freude darüber wurde allerdings vor fünf Jahren etwas dadurch getrübt, dass Cervenka durch die Verbreitung von Verschwörungsmythen unangenehm auffiel, was zur Sperrung ihrer YouTube- und Twitter-Konten führte, offenbar aber nur eine kurze Episode war. Auf „Alphabetland“ kann das bewährte Songwriterteam Cervenka und Doe jedenfalls trotz fortgeschrittenen Alters gelungen an das Frühwerk anknüpfen. Ganz neu sind allerdings nicht alle Stücke, denn „Cyrano deBerger’s back“ ist eine Neueinspielung eines Songs von „See How We Are“ und „I gotta fever“ und „Delta 88 nightmare“ existieren schon seit den Achtzigern als Demoaufnahmen.