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DEAD KENNEDYS

Bedtime For Democracy

Seit 2013 schon ist diese Pressung auf dem britischen Rerelease-Label Let Them Eat Vinyl erhältlich – ich tätigte angesichts meiner durchgenudelten Originalpressung diese Ersatzinvestition. Im Werkkanon der DEAD KENNEDYS stehen zu Recht das Debüt „Fresh Fruit For Rotting Vegetables“ von 1980 (siehe dazu das Buch von Alex Ogg im Ventil Verlag) und „Plastic Surgery Disasters“ (1982) im Vordergrund, aber die später Geborenen hatten zumindest das Glück, noch zu Lebzeiten der Band täglich nach der Schule in den Plattenladen laufen zu können, um zu fragen, ob das neue DEAD KENNEDYS-Album endlich eingetroffen ist.

So war das bei mir bei „Frankenchrist“ 1985 (das Cover mit den dicken Männern in den Mini-Autos habe ich nicht kapiert damals) und 1986 bei „Bedtime For Democracy“ – beides Alben der „modernen“ DEAD KENNEDYS, die mir in ihrer textlichen Komplexität irgendwie näher sind als die beiden anderen.

Das waren, sind für mich „alte“ Punk-Platten über alte Themen, doch diese beiden sprachen über gegenwärtige politische Themen, zu denen ich als Siebzehn-, Achtzehnjähriger Bezug hatte oder zumindest glaubte, einen Bezug herstellen zu können, gerade nach einem vierwöchigen Schüleraustausch in den USA – Ronald Reagan war Präsident.

Man muss sich ja immer wieder vergegenwärtigen, wie wenig Informationsquellen man hatte, um die Texte referenzieren zu können. Man las den Spiegel, schaute die „Tagesschau“, aber ausländische Medien? Internet? Gab es nicht, Wikipedia auch nicht, Musikzeitschriften mit langen Interviews mit den Punk-Helden auch nicht – man musste sich also irgendwie selbst ein Bild machen von dem, was dieser sprachmächtige Punk-Texter Biafra da erzählte.

In „Rambozo the clown“ etwa, wo Rambo und Reagan verschmelzen, in „The Great Wall“, dessen Text klingt, als habe ihn Biafra über Trump und dessen Mauer an der Grenze zu Mexiko geschrieben.

Oder „Macho insecurity“, das toxische Männlichkeit thematisierte, lange bevor es diesen Begriff gab, oder auch „Anarchy for sale“, das den Horror eines EMP-Katalogs um Jahrzehnte vorwegnahm.

Imposante 21 Songs finden sich auf dem Album, musikalisch so vielfältig umgesetzt, wie man das von East Bay Ray, Klaus Flouride und D.H. Peligro kennt, und ich erinnere mich, wie mich damals die nicht so geradlinig durchballernden, auch mal mit Zitaten aus anderen Genres spielenden Stücke verwirrten.

Damit waren die DEAD KENNEDYS ihrer Zeit voraus – wir Kids hätten am liebsten Punk pur gehabt. Wie alle DK-Alben ein ewiger Klassiker, der im Sommer 1986 aufgenommen, im November 1986 veröffentlicht wurde – als die Band längst aufgelöst war, ihr letztes Konzert hatten sie am 21.

Februar schon gespielt.