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CULTURE SHOCK

Mandemic

1986 gründete Dick Lucas (auch Betreiber von Bluurg Records) nach dem Ende der (UK-)SUBHUMANS zunächst CULTURE SHOCK und schließlich 1990 CITIZEN FISH. Seit 2013 existieren CULTURE SHOCK wieder, 2016 kam auf Alternative Tentacles mit „Attention Span“ das erste neue Album seit 1989, Anfang 2019 folgte die „The Humanity Show“-6-Song-EP, und in der zweiten Jahreshälfte 2020 entstand nun „Mandemic“, das sich mit neun Songs und nur knapp 25 Minuten Spielzeit nur knapp als Album qualifiziert. „Mandemic“ als Titel scheint angesichts der Corona-Pandemie („pandemic“) ein naheliegender Titel, legt gar nahe, dass hier von einer „menschengemachten Pandemie“ die Rede sein könnte. Aber keine Sorge, Dick Lucas ist nicht in das Lager der Schwurbler gewechselt, sein Text vielmehr eine frustrierte Analyse dazu, wie es um die Menschheit steht: „Humanity is a new disease / There is no cure for“ Die Menschheit als Laus im Pelz von Mutter Erde also. So sehr ich Lucas’ Einstellung im Grunde teile, so sehr besteht hier aber auch die Gefahr, zum Zyniker und Menschenfeind zu werden, eine Attitüde, die aus antispeziesistischen Kreisen lange schon bekannt ist, die ich Lucas aber nicht unterstelle. Die Texte liegen (der CD) in Form eines Faltbooklets bei, und wie schon immer hat Lucas sie in seiner unverkennbaren Handschrift gelettert. Apropos Handschrift: Wie sonst vielleicht nur noch Jello Biafra ist Dick Lucas einer aus der alten Garde des Punkrock, die auf hohem intellektuellen und schreiberischen Niveau die Geschehnisse in unserer Szene wie der Gesellschaft generell analysieren und kommentieren – wo andere längliche Essays verfassen, reichen hier zwanzig, dreißig Textzeilen. Besonders gelungen empfinde ich hier das auf Orwells „1984“ rekursierende „War is peace“ und den letzten Song, „Too much of everything“ zum Kulturkampf Links versus Rechts, „Freedom of speech and its consequences“. Dick Lucas, das ist eine Stimme der Vernunft – ob er heute altersmilde und versöhnlicher auftritt als vor zwei, drei Jahrzehnten, das müsste eine literaturwissenschaftliche Textanalyse zeigen ... Musikalisch sind CULTURE SHOCK sich treu geblieben: Punk, Dub und Ska werden einmal mehr so einzigartig miteinander verwoben, wie es sonst keine andere Band (mehr) schafft.