CULTURE SHOCK

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Noch lange nicht altersmilde

Die Briten CULTURE SHOCK melden sich in der Pandemie lautstark mit ihrem neuen Album „Mandemic“ zurück. Auf gewohnt hohem Niveau mischen sie Punk, Ska und Dub zu einem eindrucksvollen Ganzen. Und während andere Bands diesen extrem tanzbaren Mix doch eher mit einem bunten Strauß an Belanglosigkeiten oder bierseligen Gute Laune-Texten dekorieren würden, legen CULTURE SHOCK den Finger in die zahlreichen Wunden der so genannten Zivilisation und zeichnen ein düsteres Bild dieser Welt. Wir sprachen mit Sänger Dick Lucas nicht nur über die Auswirkungen von Donald Trumps Regierung, Corona, den Brexit und den in den letzten Jahren überall erstarkenden Faschismus, sondern auch darüber, warum Aufgeben keine Option sein kann.

Das letzte CULTURE SHOCK-Interview für das Ox liegt schon fünf Jahre zurück. Ihr wart damals in den USA auf Tour und du sagtest, sollte jemand wie Donald Trump die Wahl gewinnen, dann würden die Probleme in Europa lächerlich wirken, verglichen mit dem, was uns mit Trump erwarten würde. Mittlerweile liegt seine Amtszeit hinter uns. Mit wie vielen Dingen hast du recht behalten?

Die Wahl von Trump und der anschließende Aufbau einer antidemokratischen, neofaschistischen republikanischen Partei hat den rechtsextremen Parteien in ganz Europa eine Vorlage geliefert. Diese Parteien haben ihrerseits eine Atmosphäre geschaffen, in der Rassismus unter dem Etikett „Nationalismus“ normal geworden ist und die Schuld für wirtschaftliche und soziale Probleme auf Flüchtlinge und die Politik der offenen Grenzen geschoben wird. Das ist die Politik des Hasses und der Ignoranz, die auf Angst und Indoktrination beruht. Was Trump vor allem getan hat, war lügen, und zwar immer wieder, und er hat sich nie entschuldigt und ist damit durchgekommen. Das, was zunächst „unglaublich!“ war, wurde dann aber zur „neuen Normalität“, und den rechten Führern wurde geraten, dasselbe Spiel zu spielen. Anstatt so zu tun, als würde man sich um die Menschen kümmern, teilen sie die Leute ein in Patrioten oder Bedrohungen für das Land. Hinter den Schlagzeilen standen Berater wie Steve Bannon, die die Fäden wie Marionettenspieler zogen. Obwohl Trump als schlechter Witz angesehen und von den Regierungen in Europa weitgehend ignoriert wurde, hat sein Führungsstil den rechten Nationalisten hierzulande mehr Glaubwürdigkeit bei ihren Anhängern und der Presse verschafft, und Wahlen werden durch Zahlen gewonnen, nicht durch Moral.

Das neue Album heißt „Mandemic“ – ein Wortspiel aus „mankind“ und „pandemic“. Bezieht es sich auf Corona, das man als „menschengemachte Pandemie“ bezeichnen könnte?
Das Wortspiel ist eine Reaktion auf das Virus und all die Dinge, die es uns vor allem gezeigt haben, dass die Menschheit das Schlimmste ist, was dem Planeten passieren konnte. Wir hätten verhindern können, dass das Virus zu einer Pandemie wird, wenn Trump die Forschungsteams, die in Asien an den Viren arbeiten, nicht zerschlagen hätte, wenn die Wissenschaftler nicht zum Schweigen gebracht oder politisch beeinflusst worden wären, wenn die Politiker nicht so sehr von rechten Medienbaronen wie Murdoch beeinflusst worden wären, wenn die Politik auf einer humanitären Grundlage, statt aus Gier und Eigennutz betrieben würde, wenn das Business nicht immer an erster Stelle stünde ... Als Spezies sind wir unser eigener schlimmster Feind, und das Virus hat unsere Gier und unseren Separatismus hervorgehoben, anstatt unseren – vielleicht vergessenen – natürlichen Instinkt, uns als Spezies zu schützen.

Das Frontcover des neuen Albums zeigt eine zerstörte Welt, kaputte Autos im Vordergrund, Überwachungskameras, die an toten Bäumen hängen, Industrieanlagen im Hintergrund. Und mittendrin eine Kuh. Warum habt ihr dieses Bild gewählt?
Das Bild wurde von einem Freund von uns, Ron Conductor, gemalt. Wir wollten ein Bild, das zeigt, wie die Natur – dargestellt durch die Kuh – das Einzige sein wird, das überlebt, wenn der gesamte Fortschritt der Zivilisation und die Erfindungen der Menschheit unter ihrem eigenen Gewicht zusammenbrechen, weil die Zivilisation nicht in der Lage ist, mit den Nebenwirkungen der Störung des natürlichen Gleichgewichts umzugehen. Das Virus war, wie alle Viren der letzten dreißig Jahre – Schweinegrippe, Rinderwahnsinn, Vogelgrippe, SARS –, das Ergebnis einer Kreuzkontamination, bei der ein Virus von einer Spezies auf eine andere überspringt, was größtenteils durch Eingriffe in die genetische Natur der Tiere, die wir essen, und die Funktionsweise der Lebensmittelindustrie verursacht wurde. Wir füttern Rinder mit Antibiotika, damit sie schneller an Gewicht zunehmen, Hygieneschutzmaßnahmen werden vergessen, neue Infektionen werden nicht gemeldet, und das alles, um die Gewinne zu maximieren.

Im Titelsong „Mandemic“ singt ihr davon, dass die Natur zurückschlägt, aber auch, dass es an der Zeit ist, die Welt aufzuwecken. Haben wir noch die Zeit dazu?
Die Zeit wird knapp, wenn es darum geht, den Anstieg der Erderwärmung zu stoppen. Das ist die Klimakatastrophe, wie schon in den letzten Jahrzehnten, aber niemand in der Regierung hat sie ernst genug genommen, um zu verhindern, dass wir diesen Punkt erreichen, an dem es regelmäßig zu Überschwemmungen und Bränden kommt und die Eiskappen schmelzen. Hinzu kommt, dass die Fläche, die wir für den Anbau von Nahrungsmitteln nutzen, durch Übernutzung immer weiter abnehmen wird, bis wir uns nicht mehr selbst ernähren können. Haben wir noch Zeit, diese Situation zu ändern? Ja, denn es hat keinen Sinn, nein zu sagen, oder? Verzichtet auf den Verzehr von Tieren und importierten Lebensmitteln, fliegt weniger, fahrt weniger Auto und ermutigt andere Menschen, das Gleiche zu tun, vermittelt Ideen und Fakten mit Logik und Vernunft, insbesondere an Verwandte und Kinder. Und wählt keine Faschisten, die sich wie Idioten aufführen, nur weil ihr euch dann irgendwie dazugehörig fühlt.

Du hast gerade schon den erstarkenden Faschismus angesprochen. In „Wake up time“ beschreibt ihr das immer aktuelle Problem des Faschismus in all seinen Facetten. Was kann jeder dagegen tun? Wie können wir laut werden, wie ihr in eurem Song „Too much of everything“ fordert?
Zunächst einmal muss man sich bewusst machen, dass wir – also alle, die keine Faschisten sind – trotz des Lärms, den diese Arschlöcher machen, ihnen zahlenmäßig weit überlegen sind. Wir können ihrem Schwachsinn mit Protesten, Boykotten und direkten Aktionen entgegentreten, ohne ihre Taktik der Angst und Gewalt anwenden zu müssen, jede:r auf seine/ihre eigene Art und Weise des reaktiven Verhaltens. Aber das Wichtigste ist, überhaupt etwas zu tun, etwas zu sagen, nicht einfach anzunehmen, es sei eine Modeerscheinung oder ein Ablenkungsmanöver. Früher verließen sich die Faschisten darauf, dass der linke Flügel der politischen Weltanschauung so zersplittert und gespalten ist, dass er nicht zu einer Einigkeit fähig ist, aber jetzt sind sie sich da nicht mehr so sicher. Sie wissen aus der Größe, der Anzahl und der Verbreitung der Protestbewegungen, dass wir zumindest moralisch und sachlich korrekt sind, also haben sie die alte Taktik eingeführt, den Feind zu beschuldigen, das zu tun, was sie tun, zu lügen, zu betrügen und Angst zu instrumentalisieren. Es ist wie bei den Reaktionen gegen „politisch korrekte“ Ideen in den Neunziger Jahren, nur auf ein gefährliches Maß zugespitzt. Wir müssen also lauter werden, das heißt wir müssen unsere Opposition vereinen, indem wir Unterschiede zwischen uns zulassen, wenn es um die Art, das Niveau und den Stil unserer Opposition geht. Faschisten haben keinen Respekt oder Toleranz für Unterschiede und das ist ihre Schwäche. Sie können nur durch Angst und Unterdrückung erfolgreich sein.

„War is peace“ wirkt stellenweise wie eine Vertonung von George Orwells „1984“. Wie seht ihr das?
Der Titel und das Lied wurden von der „Black Lives Matter“-Bewegung inspiriert, die ein perfektes Beispiel für friedlichen Protest gegen ein gewalttätiges System ist, bei dem sich Unbewaffnete der Armee und der Polizei gegenüberstellten. Die Botschaft war nicht nur die Forderung nach gleichen Rechten und gleicher Behandlung, sondern die Aussage: Wir werden euch nicht so behandeln, wie ihr uns behandelt, wir sind friedlich, nicht gewalttätig. Friedlich ist respektvoller als gewalttätig, es ist natürlicher und hat im Angesicht von Gewalt mehr moralische Autorität. BLM sprach im Namen von Menschen, die ermordet, unterdrückt, an den Rand gedrängt, ausgegrenzt oder vom Staat ignoriert werden. „1984“ handelte von einer Gesellschaft, die in Angst gehalten wird, die durch Technologie gespalten ist, die mit Lügen über ständig wechselnde Feinde gefüttert wird und in der alle grundlegenden Freiheiten unterdrückt oder verboten sind ... wie nahe sind wir dem heute?

Wie schätzt ihr die Chance ein, das neue Album in naher Zukunft live zu präsentieren?
Wir hatten 2021 bisher zwei Gigs, beide im Sommer. Es gab keine Masken, keine Impfkontrollen und eine Menge glücklicher und begeisterter Leute, es fühlte sich verdammt gut an! Wir haben noch ein paar mehr gebucht und müssen noch mehr bekommen, bevor es einen weiteren Lockdown gibt ... falls es einen gibt. Ich glaube, unsere Regierung ist froh, dass wir „Verantwortung übernehmen“, so dass es nicht ihre Schuld ist, wenn wir sterben ... Sie werden Geld sparen, wenn sie die Ärmsten und Schwächsten umbringen. Sie sind Tories, sie haben keine Seele, keine Erfahrung mit dem wirklichen Leben, sie kümmern sich um niemanden außer um sich selbst.

Stichwort Brexit: Als wir dich vor rund zwei Jahren in Ox #146 zum letzten SUBHUMANS-Album befragten, sagtest du „We’re fucked“. Wie schlimm ist es jetzt für euch?
Es ist wirklich schlecht in Bezug auf die Beziehungen zwischen den Ethnien, die Industrie, die Lebensmittelversorgung ... Jedes Unternehmen, das irgendetwas exportiert hat, wurde von kostspieligen Vorschriften getroffen, die so lange brauchen, um abgearbeitet zu werden, dass jedes exportierte Lebensmittel verdirbt und unverkäuflich wird. Die Fischereiindustrie liegt am Boden, was Schottland sehr getroffen hat und den Wunsch nach einer Abstimmung über den Austritt aus dem Vereinigten Königreich mit dem Ziel des Wiedereintritts in die EU verstärkt. Tausende und Abertausende von Europäer:innen, die im Vereinigten Königreich arbeiten, haben das Land verlassen, so dass es einen massiven Mangel an Gesundheitspersonal, Lastwagenfahrern und Obstpflückern gibt – das Vertriebsnetz bricht zusammen, Lebensmittel verrotten auf den Feldern und die Regale in den Supermärkten sind leer. Rassistische Übergriffe nehmen zu, die Fahnenverkäufe steigen. Der Brexit hat die Anmaßung der Fanatiker enorm gesteigert. Nimmt man die Pandemie und eine Tory-Regierung hinzu, so ergibt sich eine massive Zunahme von psychischen Problemen, Armut, Obdachlosigkeit, Selbstmord, häuslicher Gewalt, Einsamkeit und Depression. Die politische Opposition ist zahnlos und die Tories sind für weitere vier Jahre im Amt. Es gibt ein Polizeigesetz, das, wenn es verabschiedet wird, Proteste und die Situation für Zuwander:innen stark einschränken wird. Es wird „illegale“ Einwanderer:innen für vier Jahre und diejenigen, die ihnen helfen hierher zu kommen, für 14 Jahre ins Gefängnis bringen. Das wäre ein großer Schritt in Richtung „1984“ ... Yes, right now, we’re fucked.

Wir haben dich damals auch gefragt, wie es sich anfühlt, dass Songs, die über vierzig Jahre alt sind, immer noch aktuell sind. Ich kann auch jetzt beim aktuellen CULTURE SHOCK-Album keine Altersmilde erkennen. Oder siehst du das anders?
Ich schreibe, was ich fühle, über das, was ich weiß, und bei den meisten Themen fühle ich mich heute noch genauso angepisst wie damals. Das Wesen der Unterdrückung, des Konsumverhaltens und der sozialen Interaktion und so weiter ist im Wesentlichen dasselbe wie immer – einige Dinge verbessern sich, andere werden schlimmer, aber vieles bleibt relativ gleich, das heißt es könnte besser sein.

Als sich die englischen Anarchopunks SUBHUMANS 1985 auflösten, gründete Sänger Dick Lucas die Reggae-Dub-Punkband CULTURE SHOCK. Zwischen 1986 und 1989 kreierten sie eine einzigartige Mischung aus Anarchopunk, Reggae und Dub. Nach über 200 Shows, zwei Alben, einer Mini-LP sowie diversen Demos und Samplerbeiträgen löste sich die Band auf. Dick Lucas gründete 1990 daraufhin die Skapunk-Band CITIZEN FISH, die bis heute aktiv ist. 1998 wurden die SUBHUMANS reaktiviert und seit 2012 sind auch CULTURE SHOCK wieder aktiv.