MOTHER TONGUE

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Liebenswerte Post-Hippies am Rande der Nicht-Realität

Sie haben uns jedes Jahr ein Album versprochen, und bisher halten sie Wort. „Ghost Note“, das dritte Album, erschien nur kurz nach „Streetlight“, dem viel umjubelten Comeback der Band, die einst als das kommende große Ding gefeiert wurde und dann acht Jahre in der Versenkung verschwunden ist. Es ist viel passiert, es gibt viel zu erzählen. Schön jedenfalls, dass sie endgültig wieder da ist, die Band, die sowieso schon anders ist als alle anderen, und dabei von Jahr zu Jahr auch noch immer besser wird.

Jungs, als ich euch vor ein paar Monaten live gesehen habe, habt ihr euch für die lange Pause entschuldigt, und versprochen, von nun an jedes Jahr ein Album zu veröffentlichen. Werdet ihr das einhalten?


Davo: Wir tun alles dafür. Es ist aber sehr schwer, ein Album zu machen, und ich rede nicht davon, Songs zu schreiben. Es ist schwer, das Geld dafür aufzutreiben, die Zeit aufzubringen. Das ist eine große Herausforderung für uns. Wenn wir ein Album aufnehmen, dann müssen wir uns beinahe auf eine andere Ebene der Nicht-Realität begeben, so als wenn wir verrückt würden. Wir lieben unsere Musik so sehr, wir wollen so sehr Musik machen, dass wir so etwas durchmachen. Wir wollen jedes Jahr ein Album machen. Wir machen sogar fünf Alben im Jahr, wenn uns jemand die Möglichkeit gibt.

Ihr habt bisher immer Songs benutzt, die noch vor eurem Split im Jahr 1996 entstanden sind. Wird das auf den kommenden Alben auch so sein?

Davo:
Eines der schönsten Dinge, wenn man in einer Band spielt, ist, dass man einen wahren Katalog an Erinnerungen hat. Wir sind zusammen gewachsen, wir haben eine ganze Bibliothek an Musik. Manchmal sind es nur Riff-Fragmente, manchmal fertige Songs, manches ist nie geschehen, aber wird es vielleicht. Ich denke, alle diese Songs werden auf ihre Weise das Licht der Welt erblicken. Wir schätzen all diese Songs, wir respektieren sie. Wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist, und ein Song ein bestimmtes Level erreicht hat, dann wird er herauskommen.
Bryan: Wir verlassen uns aber nicht auf diesen Katalog. Wir haben viele alte Songs, die wir lieben, aber natürlich auch eine Menge neuen Zeugs. Viele unserer alten Sachen sind bisher nicht einmal aufgenommen worden. Auf ‚Ghost Note‘ sind drei oder vier ältere Songs. Es fällt uns immer schwer zu entscheiden, welchen von den alten wir nehmen, aber wir sind nicht völlig von dem Katalog abhängig.
Christian: Viele von den alten Songs bekommen auch ein neues Leben dadurch, dass wir ein neues Bandmitglied haben, unseren Drummer Sash. Er bringt noch mal seine eigene Note in die Songs.
Bryan: Er bringt einen völlig neuen Vibe rein und macht es für uns alle zu einer neuen Erfahrung.
Davo: Schau ihn dir nur mal an, er ist ein Tier!

Was ist überhaupt eine „Ghost Note“?

Bryan:
Eine ‚Ghost Note‘ ist nicht unbedingt eine gespielte Note, sie ist impliziert, nahezu unhörbar. Ich denke, das ist eine Metapher für die Band, du musst genau zuhören, du musst lange suchen, um unsere Musik zu verstehen. Wir sind beinahe selbst so etwas wie eine stille Note. Hier in Deutschland läuft es für uns ziemlich gut, aber zu Hause und in anderen Ländern ... Ich weiß nicht, ob es den Leuten egal ist, aber wir bekommen dort nicht soviel Aufmerksamkeit, deshalb sind wir dort auch so etwas wie eine ‚Ghost Note‘.
Christian: Geh noch einen Schritt weiter. Ich denke, es gibt da eine Musik unterhalb der Musik. Wenn die Band mit dem Publikum interagiert, dann ist da etwas wie eine stille Musik zwischen uns, die unsere Musik wunderbar schwingen lässt.

Im Laufe der Jahre hat sich vor allem euer Sound geändert. Meint ihr, euer erstes Album würde sich anderes anhören, wenn ihr es noch einmal aufnehmen würdet?

Alle:
Absolut!
Davo: Siehst du, ich denke, unser erstes Album ist ein wenig überproduziert, haha. Im Ernst. Das erste Album ist sehr interessant, weil es gerade hier in Deutschland eine Menge Leute gibt, die es lieben, und auch lieben, wie es klingt. Ich habe eine sehr zwiespältige Beziehung dazu. Ich mag nicht unbedingt, wie das Album klingt, aber es ist ein interessantes Album, ich bin stolz darauf, es ist ein Dokument.
Christian: Natürlich würde es heute ganz anders klingen, aber es ist cool, es zeigt, wo wir waren. Es ist so geschehen und so sollte es auch sein.
Bryan: Ich denke, jedes Album ist anders. ‚Streetlight‘ klingt ganz anders als das erste Album, und ‚Ghost Note‘ unterschiedet sich wiederum von beiden anderen. Das wird bei jedem Album so sein, ohne dass es ein bewusster Vorgang wäre. Ich kann mir schon sehr gut vorstellen, wie das nächste Album klingen wird. Nur ich, nur Gitarre, Solos, keine Riffs, nur Solos. Ohne Hintergrundmusik, haha.

Wie habt ihr die acht Jahre zwischen den ersten beiden Alben verbracht?

Bryan:
Wir haben uns aufgelöst. Christian hat uns wieder zusammengebracht. Ihm wurde von einem Promoter in Hollywood eine Show angeboten, und er hat uns alle gefragt, ob wir Lust hätten. Zu diesem Zeitpunkt haben wir schon eine ziemlich lange Zeit nicht einmal miteinander gesprochen, aber als wir das erste Mal im Proberaum waren, da hat es sich so gut angefühlt! Bei all den Spannungen und Problemen, die wir hatten, stimmt die Chemie zwischen uns musikalisch einfach, und dieses Gefühl hatten wir bei den Bands, in denen wir zu der Zeit gespielt haben, nicht. Am Ende haben wir wieder neue Songs geschrieben und sie aufgenommen. Das war dann auch der Augenblick, in dem Arne von Nois-o-lution auf den Plan kam. Als wir angefangen haben, wieder zusammen zu spielen und schon Pläne für ein neues Album hatten, hat er unsere Website gefunden und uns eine E-Mail geschrieben, dass er unsere neuen Songs mal hören wollte. Wir haben ihm ein paar mp3s geschickt, und ihm hat gefallen, was er gehört hat. Also haben wir uns zusammengetan. Für ‚Streetlight‘ haben wir dann ein gutes Jahr gebraucht. Wir haben es völlig selbständig aufgenommen und eine Menge Fehler gemacht. Das war sehr anstrengend und hat unsere Pause um ein Jahr verlängert.

Und augenscheinlich hattet ihr sehr viel Pech mit euren Schlagzeugern. Was ist denn passiert?

Davo:
Sash ist sowieso nur ein Lückenfüller, bis mein Sohn Jonah hier groß genug ist.
Davo: Ich sag dazu nur folgendes: Ich spiele lieber mit Sash zusammen, als mit jedem anderen Schlagzeuger, den wir bisher hatten. Nicht nur, weil er auf der Bühne alles gibt, er ist auch so sehr als Musiker gewachsen, seit wir das erst Mal mit ihm gespielt haben. Er hat soviel Enthusiasmus und Energie mitgebracht, und wenn er spielt, dann höre ich seine Persönlichkeit heraus. Es ist sehr stark und positiv. Alle anderen Drummer in der Vergangenheit waren technisch unheimlich gut, aber sie hatten eine ätzende Persönlichkeit, dunkel, unstet und chaotisch. Sash bringt soviel Energie mit, es bringt mich ganz nach oben, wenn ich mit ihm zusammen spiele. Es ist großartig, ich liebe dich, Sash!
Sash (bescheiden): Ich liebe dich auch, Mann!
Davo: Was wir als Band gelernt haben, ist, dass Vertrauen der Kern der Band ist. Wenn ich auf die Bühne gehe, dann weiß ich, dass jeder Einzelne sein Bestes gibt, wir tun alles, um unsere Message rüberzubringen.

Vielen Dank für das Interview.


Foto: Michael Klarmann