TAKASHI ISHII

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Angels with guts

Die Filme Takashi Ishiis – Jahrgang 1946 – sind nicht unbedingt das, was man so ohne weiteres jedem japanophilen Menschen ans Herz legen würde, vor allem nicht an Akira Kurosawa gewöhnten Kunstfilmliebhabern. Wiederum typisch für das japanische Kino ist ihr Hang zu einem oft exzessiven Umgang mit Bildern von Gewalttätigkeit und Sexualität, die sie in den Augen konservativer japanischer Kritiker zu „Vergewaltigungsthrillern“ machte, die „an niedere Instinkte appellieren“. Das Besondere an Ishiis Filmen ist allerdings, dass sie trotz ihrer Nähe zur (S)Exploitation und ihrer oft simplen „Rape & Revenge“-Logik in stilistischer Hinsicht mitreißende, finster surreale Film Noir-Kunstwerke sind, die eine fast feministische Dimension besitzen, so wie sich hier seine von der Gesellschaft arg gebeutelten Protagonistinnen ungewohnt konsequent zur Wehr setzen, und in dieser Hinsicht durchaus Geistesverwandte sind von Abel Ferraras „Ms. 45“ oder Meir Zarchis „I Spit On Your Grave“.

Ishiis Karriere begann allerdings zuerst Anfang der 70er im Manga-Bereich, und wie so viele andere Regisseure verdiente er sich dann seine ersten Sporen im Erotikfilmbereich, was später auch noch bei „The Ring“-Regisseur Hideo Nakata – der 2000 mit „Sadistic And Masochistic“ sogar eine Doku über den „Pinku eiga“-Regisseur Masaru Konuma drehte – oder Kiyoshi Kurosawa der Fall war. Hierzulande wurde Ishii allerdings erst Mitte der 90er durch „Gonin“ bekannter, sicherlich einer seiner besten Filme, aber auch einer der wenigen, in dem die Hauptperson nicht weiblich ist, zumal es sich gleich um fünf Männer handelte. Nachdem ein Großteil von Ishiis wichtigsten Filmen inzwischen auch außerhalb Japans erschienen ist, liegt jetzt auch in Form der „Angel Guts“-Box von Artsmagic in den Staaten auf fünf DVDs Ishiis frühes Schaffen vor – als Vorlagenlieferant für die auf seinen „Tenshi No Harawata“-Comics basierende Serie der Nikkatsu-Studios. Darunter auch seine erste Regiearbeit „Angel Guts: Red Vertigo“, Teil 5 der Reihe, dem später noch zwei andere Filme von Ishii unter diesem Namen folgten, die aber nicht mehr von Nikkatsu produziert wurden. Neben aktuellen Interviews mit anderen Regisseuren der „Angel Guts“-Reihe wie Toshiharu Ikeda und Noboru Tanaka kommt auch Ishii ausgiebig in einem über die DVDs verteilten Interview zu Wort, das mir von Phil Lewis von Artsmagic freundlicherweise zur Verfügung gestellt wurde und an dieser Stelle in von mir überarbeiteter Form zu lesen ist.
Ich hatte zwar bereits 1998 die Gelegenheit zu einem längeren schriftlichen Interview mit Ishii, bei dem der Fokus aber weniger stark auf seiner Zeit bei Nikkatsu lag, wie es hier eben der Fall ist. Noch eine kurze Anmerkung zum Begriff „Roman porno“, wie Nikkatsu ihre „Pinku eiga“-Filme bezeichneten, denn die waren trotz des vielleicht irreführenden Namens keine Pornos, sondern Softsex-Filme, die auf explizite Darstellungen von Geschlechtsverkehr verzichteten, wie das bei „Pinku eiga“ generell der Fall ist. Pornos gibt es zwar auch in Japan, die sind aber zensiert, indem man alles im Bereich der Schamgegend unkenntlich macht („genital fogging“), was allerdings auch Nicht-Pornos blühen kann ... Übrigens ist Takashi Ishii mit seinen letzten beiden Filmen „Hana to hebi“ und der Fortsetzung „Hana to hebi 2“ quasi wieder zu seinen Wurzeln zurückgekehrt, denn Oniroku Dans Buchvorlage dafür wurde bereits 1974 von Nikkatsu und Regisseur Masaru Konuma für einen gleichnamigen „Pinku eiga“-Klassiker mit SM-Ausrichtung verwendet.

Mr Ishii, Ihre Karriere als Regisseur entwickelte sich ja eher über Umwege. Wie begann denn alles bei Ihnen?

„Eigentlich habe ich mir schon als Kind gerne Filme angeschaut und wollte Regisseur werden, viel lieber als Comicautor. Aber zu dieser Zeit gab es kaum Schulen, die sich auf Film spezialisiert hatten und so schien der einzige Weg, um ins Filmbusiness zu kommen, ein Universitätsabschluss zu sein und sich dann als Regieassistent zu bewerben. Und in einem Artikel las ich, dass sich alle Talente des Landes im Filmclub der Waseda-Universität trafen. Also bewarb ich mich dort, wurde angenommen und zog nach Tokio. Da es mit der Filmindustrie zu dieser Zeit leider finanziell begab ging, war die einzige Möglichkeit, Teilzeit für ein Studio zu arbeiten, das ‚Pinku eiga‘-Filme produzierte. Das war in der Zeit, als die Studentenunruhen besonders heftig waren. Viele junge Leute stellten das Leben und die Gesellschaft an sich in Frage. Gleichzeitig wurde ich mit persönlichen physischen Problemen konfrontiert. Eines Tages, als ich im Studio arbeitete – ein sehr staubiger Ort –, hatte ich einen Asthma-Anfall und wurde ohnmächtig. Das Filmemachen schien in dieser Zeit von untergeordneter Bedeutung zu sein, und ich war dazu auch körperlich und emotional nicht in der Lage. Das war eine sehr schwere Zeit für mich, zumal ich mich in eine Frau verliebte und von meinen Gefühlen übermannt wurde. Ich heiratete sie in meinem dritten Jahr an der Universität und gründete eine Familie.
Ich war immer noch Student, aber brauchte Geld für meine Familie und fing an, Artikel für ein Underground-Magazin zu schreiben. Deren Comiczeichner wurde irgendwann unerwartet krank und der Chefredakteur stand vor einem ernsthaften Problem. Aber er wusste, dass ich schon Mangas gezeichnet hatte, und fragte mich, ob ich es machen wolle. Und das war mein Debüt als Comiczeichner. Das war eigentlich nicht das, was ich machen wollte, aber meine Hauptsorge war, für meine Frau zu sorgen, und deshalb hätte ich für Geld alles gemacht. Auch wenn das nicht gerade ein guter Start für eine Künstlerkarriere war. Zumal ich ja Regisseur werden wollte, was aber nicht einfach war, da man normalerweise erst mal zehn Jahre als Regieassistent arbeiten musste, und dann war es auch nicht sicher, ob man wirklich Regisseur würde. Ich dachte, dass ich schon alleine körperlich den Anforderungen der Filmindustrie nicht gewachsen sei, gab also meinen Traum auf und schrieb einen Comic, der schließlich sehr populär wurde. Ich war immer noch Student, aber konnte dadurch Geld verdienen. Meine Karriere als Comiczeichner begann bei einem Underground-Magazin und einige Jahre später schrieb ich dann ‚Angel Guts‘ für ‚Young Comic‘. Das war ein neues, innovatives Magazin, das von Studenten und Geschäftsleuten gelesen wurde, und dessen Chefredakteur suchte einen neuen Comiczeichner. Normalerweise nehmen sie keine Zeichner von Magazinen, die viel weniger Auflage hatten, aber er erkannte wohl mein Potenzial und nahm mich deshalb. Und ‚Angel Guts‘ war die zweite Sache, die ich dort schrieb.“

Haben Sie auch eine richtige Ausbildung als Künstler erfahren oder wie sah Ihre Herangehensweise beim Comiczeichnen aus?

„Das Einzige, was ich gelernt hatte, war Ölmalerei in einem Malkurs, den ich bis zum Ende der Oberschule belegte. Aber ich habe damit nicht weitergemacht, es wäre zu schlecht für meine Augen gewesen, denn wenn ich tagsüber arbeite, habe ich alle Vorhänge geschlossen. Ich schrieb so den ganzen Tag Drehbücher oder zeichnete Comics. Zu dieser Zeit stand ich um drei Uhr am Nachmittag auf und ging um acht Uhr morgens ins Bett, es war die Lebensweise eines Vampirs ... Ich glaube, von den Mangas, die ich zu dieser Zeit machte, konnte ich mich schlecht lösen. Normalerweise ist ein Teil des Spaßes an Mangas eine Form surrealistischen Ausdrucks. Übertriebener Expressionismus ist ein besonderes Merkmal von Mangas. Comics waren ein Medium, in dem z. B. menschliche Emotionen übertrieben dargestellt wurden, so dass auch Kinder es leicht verstehen konnten. Meine Mangas beschrieben eine Welt, die Kinder nicht verstehen würden, sie zeigten die Realität und menschliche Entbehrungen. Sie bestanden aus einer Reihe realistischer Szenen, die wie ein Film in meinem Kopf Gestalt annahmen. Meine Mangas zeigten den Leuten, dass Comics nicht nur etwas für Kinder waren.
Ich denke, von Anfang an waren Mangas so eine Art Film-ersatz für mich. Wenn ich einen Comic zeichnete, war es wie Szenen für einen Film zu entwickeln. Das war nicht die Form, die man zu dieser Zeit in Comics benutzte, aber ich machte meinen persönlichen Stil daraus. Und einige Leute empfanden das als innovativ und es wurde sehr populär. Aber ich steckte irgendwie fest und wollte gerne meine Aktivitäten auf den Filmbereich ausweiten, denn in der japanischen Comic-Welt der 70er war bereits eine stereotype Form von Lolita-artigen, kleinen Mädchen Standard geworden. Aber ich konnte so etwas nicht zeichnen, selbst wenn es jemand verlangte. Meine Manga-Welt war realistisch, und es war unmöglich für mich, etwas Fantastisches zu zeichnen. Ich zeichnete die Frau von nebenan, die auch meine eigene Frau sein konnte. In der Geschichte der Mangas dieser Zeit gab es keine wirklich lebendigen Frauenfiguren: Frauen, die atmeten, schwitzten, liebten, von ihren Partnern betrogen wurden oder sich in einer Dreiecksbeziehung wieder fanden. Und viele Studenten und Intellektuelle waren regelrecht schockiert, wie ich dabei echte Frauen porträtierte. Und warteten deshalb schon ungeduldig auf das Erscheinen der nächsten Ausgabe – es war ein echtes Phänomen.“

Haben Sie dabei bestimmte Filme beeinflusst?

„Ich habe eigentlich schon seit meiner Kindheit sehr viele Filme gesehen, die sich alle in meinem Kopf vermischt haben. Ich könnte keinen bestimmten nennen, der mein Leben verändert hätte, aber ich wurde dort generell emotional sehr hineingezogen, während ich einen Film anschaute. Ich mochte die gesamte Erfahrung, sich einen Film in einem dunklen Kino anzuschauen. Fernsehen war ja noch nicht so verbreitet und die einzige Möglichkeit, einen Film zu sehen, war ins Kino zu gehen. Natürlich waren darunter Filmklassiker wie die von Alfred Hitchcock oder Akira Kurosawa, die das Publikum wirklich begeistern konnten, und deshalb auch zu meinen Favoriten gehörten.“

Wie kam es schließlich zur Verfilmung der „Angel Guts“-Serie?

„Ich hatte ja, wie schon gesagt, mal in einem Filmstudio gearbeitet – für Nikkatsu –, bevor ich diesen Traum aufgab und mich auf meine Karriere als Manga-Zeichner konzentrierte. Als ich noch dort war, drehte Nikkatsu überwiegend normale Mainstream-Filme, aber als ich als Manga-Zeichner arbeitete, hatten sie sich mittlerweile auf ‚Roman porno‘ spezialisiert. Ich hatte zu dieser Zeit noch keinen ‚Roman porno‘ gesehen, aber einige Mitarbeiter des Verlags schauten sich so was an und erzählten mir, dass sie einige meiner Zeichnungen kopiert hatten. Nachdem ‚Angel Guts‘ so populär geworden war, kam ein junger Mitarbeiter von Nikkatsu zu mir und machte mir das Angebot, einen Film daraus zu machen. Drei Tage zuvor hatte mich schon jemand von Toei aus demselben Grund kontaktiert. Auch wenn Nikkatsu weniger Geld als Toei boten, überzeugte mich der Enthusiasmus des jungen Mannes, der alle meine Mangas kannte und ein großer Fan meiner Arbeit war. Der erste Film war dann 1978 ‚Angel Guts: High School Coed‘, einer von drei Bänden der Serie, die insgesamt 1.000 Seiten umfassten. Ich nannte es ‚Angel Guts‘, weil ich lebendige Frauen porträtieren wollte, mit echten Gefühlen, mutige Engel. Irgendwie musste ich dabei auch an den Titel von Sam Peckinpahs Film ‚Cross Of Iron‘ denken, der in Japan ‚Guts Of War‘ hieß ...
Und weil ‚Angel Guts: High School Coed‘ so ein Erfolg war, wollten sie noch einen drehen. Ich schrieb gerade an einem Manga mit einer weiblichen Hauptperson, die Nami hieß, und Nikkatsu fragten mich, ob ich daraus nicht ein Originalgeschichte für sie machen konnte. Wie gewünscht zeichnete ich die Geschichte für ‚Angel Guts: Red Classroom‘, die sehr umfangreich wurde. Der Projektmanager von Nikkatsu sah das und meinte, dass das im Prinzip schon ein Drehbuch sei und sie es so benutzen wollten, wie es war. Und das war mein Debüt als Drehbuchautor. Als ‚Angel Guts: Red Classroom‘ ebenfalls ein Erfolg war, sollte ich das Drehbuch für einen weiteren Film schreiben. So begann meine Beziehung zu Nikkatsu, für die ich dann zehn Jahre arbeitete. Ich kehrte zu Nikkatsu als Drehbuchautor zurück, nachdem ich damals meinen Traum, Regisseur zu werden, begraben und unter Tränen das Studio verlassen hatte. Mir erschien es wie ein Wunder, da ich daran niemals geglaubt hätte, und diesmal wurde ich sogar extra mit einem Taxi abgeholt. Schließlich drehte ich mit ‚Angel Guts: Red Vertigo‘ meinen ersten Film als Regisseur, aber das war 1988, als ‚Roman porno‘ schon an Bedeutung verloren hatte.“

Können Sie uns etwas über das „Roman porno“-Genre an sich und die Beteiligung von Nikkatsu daran erzählen?

„Als Nikkatsu Anfang der 70er kurz vor der Pleite stand, da ihre Filme mit Darstellern wie Yujiro Ishihara oder Akira Kobayashi nicht mehr genug Geld einspielten, entschlossen sie sich, ausschließlich Sexfilme zu drehen, um zu überleben. Das war der Beginn von ‚Roman porno‘. Dennoch blieben viele Produzenten und Regisseure bei Nikkatsu, obwohl sie Sexfilme drehen mussten, um die Firma neu zu beleben. Darunter waren Absolventen von Top-Universitäten, die mal bei einer normalen Filmfirma angefangen hatten und nicht im Traum daran gedacht hätten, dass sie mal Sexfilme drehen würden. Egal ob sie Sexfilme drehen wollten oder nicht, konnten sie so Filme über alle erdenklichen Themen machen, so lange ein bestimmter Anteil von Sexszenen enthalten war. So erhielt Nikkatsu eine einzigartige Stellung in der Filmindustrie, da ihre Regisseure, die eigentlich normale Mainstream-Filme drehen sollten, welche mit deutlich sexueller Ausrichtung drehten. Andererseits bescherte das den Regisseuren erheblichen Freiraum. Alle Filme wurden mit kleinem Budget gedreht, und dieser Rahmen erlaubte ihnen, mit innovativen Ausdrucksformen zu experimentieren. Und die Leitung von Nikkatsu ließ sie machen, was sie wollten, wodurch viele neue Stile und echte Meisterwerke während dieser Zeit entstanden – das ist zumindest meine persönliche Meinung. Es herrschte eine sehr anarchische Atmosphäre, in der sehr innovative und originelle Ideen entstanden. Aber um ehrlich zu sein, habe ich nie viele dieser ‚Roman pornos‘ gesehen. Das hatte damit zu tun, dass viele Leute bei Nikkatsu ihren Namen änderten, als die Firma sich auf den Bereich ‚Roman porno‘ konzentrierte, was den Eindruck erweckte, dort würden illegale Pornos gedreht. Ich meine, am Ende des Tages hat man es mit einem Film zu tun, mit dem man alles ausdrücken kann, was man will, insofern verstand ich nicht, warum man sich so dafür schämte. Mit dieser Einstellung stimmte ich nicht überein, also schaute ich mir die meisten Filme nicht an und konzentrierte mich auf meine eigene Manga-Welt.
Irgendwann war das Publikum dann auch von ‚Roman porno‘ gelangweilt, und zu dieser Zeit stieß ich wieder zu Nikkatsu. Was mir vorschwebte, waren Dramen zwischen Männern und Frauen, aber meine Geschichten porträtierten deren Beziehung direkter und realistischer. Und das Publikum, die Darsteller und die anderen Leute der Crew begrüßten diese neue thematische Ausrichtung, wodurch ‚Roman porno‘ in gewisser Weise wiederbelebt wurde. Ich denke, was das Nikkatsu-Publikum und das -Management eigentlich wollten, waren sinnliche Filme. Aber meine Filme waren sehr gewalttätig, denn für mich war Gewalt ein Teil der Erotik. Normalerweise zeigten ‚Roman pornos‘ eine Form von Sexualität, bei der sich die Leute wohlfühlen sollten, es sollte sie dazu anregen, selbst Sex nach dem Film zu haben, was bei mir nicht der Fall war. Meine Geschichten erzeugten Unwohlsein und verstörten das Publikum. Meine Form von Erotik war anders als in anderen ‚Roman pornos‘ und eng mit dem Tod verknüpft. Ich denke, es hatte mit meiner Generation zu tun, dass ich die Dinge auf diese Art ausdrückte. Es war unumgänglich, dass ich in meinen Geschichten Gewalt thematisierte. Und vielleicht war ‚Roman porno‘ auch nicht das richtige Genre für mich. Aber die Person, die mich überzeugte für Nikkatsu zu arbeiten, war ebenfalls jung und stammte aus einer Generation, die mehr an einer Darstellung von Traurigkeit und Einsamkeit als an eindimensionaler Sinnlichkeit interessiert war. Filme mit einem düsteren Ende sind normalerweise nicht sehr populär, weil sie das Publikum deprimieren. Aber meine Filme waren mit geringem Budget gedreht und für ein kleineres Publikum bestimmt, so dass es möglich war, echte Beziehungen zwischen Männern und Frauen zu zeigen, und ohne ein Happy End. Ich wollte dabei nicht die üblichen Fantasien oder Illusionen erzeugen.“

Die weibliche Hauptperson in fast all ihren früheren Filmen heißt Nami. Warum?

„Also, es war nicht der Name meiner Frau ... Ich dachte, es würde nicht funktionieren, wenn ich den Figuren in den Filmen unterschiedliche Namen geben würde, ich wollte mich auf eine Person konzentrieren. Zu dieser Zeit dachte ich, dass das wahre Wesen einer Frau so tiefgründig sei, dass es schwierig genug sein würde, eine einzige Frau zu porträtieren. Ich wollte deshalb herausfinden, wie weit ich gehen konnte, wenn ich eine Frau mit demselben Namen und Gesicht unterschiedlichen Situationen aussetzte. Unter kommerziellen Gesichtspunkten war das sicher keine gute Idee, denn irgendwann langweilt so was das Publikum und das ist das Ende dieser Figur. Aber wie sich herausstellte, überlebte die Nami-Figur sogar zehn Jahre, was sicher die Ausnahme ist. Ich glaube nicht, dass das einzig und allein Glück war, es lag sicher auch an meinen ungewöhnlichen Geschichten. Aber eigentlich war der Name nicht wirklich wichtig. In der Geschichte der Mangas wurden Frauen in bestimmter Weise im Zusammenhang mit der Funktion ihrer Tätigkeiten kategorisiert und porträtiert. Ich wollte eine Frau zeigen, die wirklich existieren könnte und ihr in jedem Film ein anderes Leben geben. Nami ähnelte dabei meiner Frau, es war, als ob ich sie zeichnete. Viele Zeichner neigen dazu, Frauen aus ihrer direkten Umgebung zu zeichnen oder die, die sie lieben. Aber nachdem meine Frau vor vier Jahren an Krebs verstarb, kann ich diesen Namen und diese Figur nicht mehr verwenden. Der Verlust meiner Frau hat auch meine Beziehung zu Nami beendet.“

Ein weiteres auffälliges Stilmerkmal Ihrer Geschichten ist der Regen. Was genau wollen Sie damit ausdrücken?

„Normalerweise wird Regen eingesetzt, um menschliche Emotionen wie Liebe zu symbolisieren oder zu steigern, wie man das bei Noboru Tanakas Filmen gut sehen kann, der auch ‚Angel Guts: Nami‘ gedreht hat. Aber das hatte ich damit nicht im Sinn, ich wollte damit eher die ästhetische Seite des Films verfeinern. Ich benutzte Regen nicht, weil es gerade eine traurige Szene gab. Wenn man eine emotionale Szene kreiert und diese Szene jeden Zuschauer im Publikum berührt und bewegt, die alle in unterschiedlicher Weise Dinge wahrnehmen, und wenn der Film dadurch für sie zu einem wertvollen Erlebnis wird, kann man sagen, dass man mit diesem Film erfolgreich war. Für mich war der Regen das Hilfsmittel, meine Botschaften in emotionaler Hinsicht dem Publikum zu vermitteln. Wenn ich meine Filme anschaue, frage ich mich im Nachhinein selbst, warum ich den Regen in einer bestimmten Szene eingesetzt habe. Und stelle dann fest, dass es oft so ist, als ob man tief in sich versunken wäre, wie auf dem Meeresgrund, und man will sich von der Außenwelt abkapseln, und der Regen ist da, einen zu umschließen und zu beschützen. Der Regen kann die Existenz aller Dinge um einen herum auslöschen, so als ob man in völliger Finsternis stehen würde. Dennoch kann man den Klang des Regens wahrnehmen und sehen, wie er zu Boden fällt, und das stellt wieder eine Verbindung zur Außenwelt dar. Ich denke, dass die einer solchen Szene innewohnenden Emotionen das Publikum bewegen können. Der Regen diente mir also dazu, die Einsamkeit einer Figur zu transportieren, indem ich alles andere um sie herum auslöschte.“

Ihr Debüt als Regisseur war 1988 „Angel Guts: Red Vertigo“ bzw. „Red Dizziness“, wie er auch heißt. Wie denken Sie rückblickend über diesen Film, repräsentiert er das, was Sie wirklich im Sinn hatten?

„Es war das erste Mal, dass ich einen Film gedreht habe, insofern war es schwer für mich einzuschätzen, welche Form von Visualisierung mit dem vorhandenen Budget möglich war. Zumal ich weniger Budget zu Verfügung hatte, als es normalerweise bei einem ‚Roman porno‘ der Fall war. Ich drehte den Film innerhalb von fünf Tagen ab, ohne dabei auch nur eine Nacht richtig zu schlafen. Wegen des geringen Budgets konnte ich meine Ideen nicht wirklich umsetzen, ich war zu sehr damit beschäftigt, mit dem vorhandenen Geld und innerhalb dieser Zeit einen guten Film zu drehen. Ich weiß nicht, was andere Leute darüber denken, aber ich steckte alles, was möglich war, hinein, und war durchaus zufrieden mit dem Ergebnis. Es gibt da die Szene, wo Muraki, gespielt von Naoto Takenaka, ermordet wird und sein Geist fliegt zu Nami. Das Budget war, wie gesagt, sehr gering, aber irgendwie schafften wir es, dafür einen Kranwagen zu besorgen und die Szene direkt am Morgen zu drehen. Damals hätte ich nicht gedacht, dass diese Szene so starke Emotionen transportieren könnte, und ich bin da wirklich dem gesamten Team zu großem Dank verpflichtet, dass es doch der Fall war. Vor allem jemandem wie Naoto Takenaka, der zu dieser Zeit noch als Komiker fürs Fernsehen arbeitete. Er kommt aus einer ähnlichen Generation wie ich, die sich viel mit Literatur beschäftigte, wie etwa der von Franz Kafka. Ich denke, das inspirierte ihn zu bestimmten Gesichtsausdrücken wie seinem wütenden Lächeln, also ein Gesicht, das zwei verschiedene Dinge gleichzeitig ausdrückt. Das meisterte er sehr gekonnt, menschliche Emotionen auszudrücken, die nicht nur schwarz oder weiß waren, eine sehr komplexe Sache, die er immer weiter entwickelte. Der Film war sein Debüt als Darsteller. Und er verstand genau, was ich wollte, und machte das sehr gut. Inzwischen ist er ein bekannter Darsteller mit einer einzigartigen Ausstrahlung und auch Regisseur. Er ist ein sehr vielseitiger Mensch. Aber das war sein erster Film, durch den man erst auf sein Talent aufmerksam wurde.“

Naoto Takenaka half ihnen später dann ja auch bei ihrem international bekanntesten Film „Gonin“, in dem Takeshi Kitano mitspielt ...

„Ja, Takenaka hat auch ein gutes Gespür als Produzent. Er kannte alle meine Comics und wusste, dass es mir um das besondere Verhältnis zwischen Mann und Frau ging. Während der Dreharbeiten zu ‚A Night In Nude‘ hatte er den Vorschlag, einen Film nur über eine Gruppe von Männern zu machen, denn wenn ich noch einen mit einer Figur namens Nami gemacht hätte, wäre das langweilig geworden. Er sagte, er würde sich um die Finanzierung kümmern und auch ein paar bekannte Darsteller dafür besorgen. Und bereits kurze Zeit später war der Film beschlossene Sache. Es gab zwar vieles, um das man sich bei dem Film kümmern musste, aber er war dabei der eigentliche Produzent. Ich schrieb das Drehbuch innerhalb von zwei Wochen, und sagte ihm dann, er solle sich eine Figur aussuchen, die er gerne spielen wolle. Er las das Drehbuch, und meinte dann, dass ich ihn doch sowieso für die Rolle des kleinen, hässlichen Shohei Ogiwara im Sinn gehabt hätte, der seine Familie umbringt. Er stimmte zu, aber ich hatte das Gefühl, dass er lieber die Rolle von Koichi Sato gehabt hätte. Wer weiß, vielleicht wäre es sogar besser gewesen, wenn er diese Rolle gespielt hätte ...
Aber ich glaube nicht, dass jemand anders Takeshi Kitanos Figur hätte spielen können. Allerdings hatte Kitano, während das Projekt vorbereitet wurde, einen schweren Motorradunfall und verschwand für eine Weile, um sich behandeln zu lassen. Er hatte das Drehbuch vorher noch gelesen und bereits zugesagt. Man sagte mir dann, dass es ihm wirklich sehr schlecht ginge und die Chance, dass er die Rolle spielen könne, sehr gering sei. Aber einer der Produzenten des Films spürte ihn dann in Australien auf ... Weil das Wasser, das wir in der Regenszene mit ihm benutzten, normalerweise immer etwas verschmutzt ist, sollte er eine Augenbinde tragen, damit kein Wasser in die Wunde kam. Und außerdem sollte er einen Regenschirm tragen. Ich musste etwas improvisieren, damit die Szene in den Film passte. All das hatte ich nur gemacht, damit Kitanos Verletzungen geschützt wurden, aber dem Publikum gefiel es, es vermittelte ihnen das Gefühl, dass dieser Killer tatsächlich in der realen Welt existieren würde.“

Inwiefern sehen Sie Ihre Filme im Kontext des Exploitation-Kinos?

„Damals dienten nackte Frauen im Film eigentlich nur dazu, Männer sexuell zu erregen und ihnen wurde nicht allzu viel Respekt entgegengebracht. Erst Regisseure wie Nagisa Oshima fanden einen Weg, selbstbestimmte Frauen zu porträtieren, die echt waren und ihre Kleider nur auszogen, weil sie tatsächlich Sex haben wollten. Als ich aufwuchs, war die Androkratie stark ausgeprägt. Meine Eltern lieferten mir den besten Beweis dafür. Deshalb wollte ich starke und unabhängige Frauen zeigen. Um das zu tun, musste ich die sexuelle Gewalt zeigen, die von den Männern ausging. Und die Frauen, die dieses Trauma erlitten, wurden dadurch letztendlich stärker. Aber für einige Leute waren das dennoch nur Exploitation-Filme, in denen nackte Frauen gezeigt wurden, weshalb es ein ständiger Kampf für mich war. Denn mir liegt persönlich wenig daran, bestimmte Elemente zu benutzen, nur um die männliche Schaulust zu befriedigen. In Japan ist die Unterscheidung zwischen normalen Filmen und welchen für Erwachsene sehr deutlich. Es wird sogar immer strenger und einige Videotheken-Ketten haben Filme nur für Erwachsene quasi geächtet. Das geht mir etwas zu weit, denn jeder sollte seine eigene Wahl treffen können, was er sich anschauen will und was nicht. Auf der anderen Seite nimmt die Zahl von gewalttätigen Filmen immer mehr zu. Ich versuche, auf allzu extreme Gewaltdarstellungen zu verzichten, aber es ist schwierig, Kinder völlig von so was fernzuhalten, zumal das auch die Aufgabe der Eltern ist. Ich glaube auch nicht, dass alleine sexuelle Inhalte einen schlechten Einfluss haben können. Die Worte aus dem Mund eines Politikers können genauso einen Einfluss auf die Gesellschaft haben. Es ist nicht richtig, alle Schuld und Verantwortung bei Filmen abzuladen, in denen es um Sex oder Gewalt geht. Es gibt viele andere Dinge in unserem Leben, die uns emotional angreifen können. Und die Nacktheit und Gewalt, die ich im Vergleich dazu in meinen Filmen zeige, kann junge Leute heute kaum noch desorientieren, wie ich finde.“

Bearbeitung & Übersetzung: Thomas Kerpen
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