GREAT BERTHOLINIS

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Manege frei!

Schon als ich ihr jüngst veröffentlichtes Debütalbum "Objects Travel In More Than One Direction" zum ersten Mal in den Händen hielt, hatte ich die unbestimmte Ahnung, dass diese Band irgendwie sehr eigen sein müsse; nachdem ich hineingehört hatte, wusste ich es sicher. Die Platte balanciert zirkusreif zwischen einer Vielzahl an traditionellen Musikstilen, ganz ohne sich dabei in Beliebigkeit zu verlieren. Es heißt, THE GREAT BERTHOLINIS würden sich zusammensetzen aus der jüngsten Generation einer uralten, ungarischen Artistendynastie, und wie ihre Ahnen seien auch sie in aller Welt unterwegs, um die Menschen mit ihrer Kunst zu unterhalten. Wo genau sich hier der wahre Kern hinter Metapher, Übertreibung und vielleicht gar Schwindelei versteckt - ich kann auch jetzt noch nicht den Finger darauf legen. Aber ist nicht gerade dieses geschickte Spiel mit Illusion und Realität ein eindeutiges Indiz dafür, dass wir es hier tatsächlich mit einer Vollblut-Gauklertruppe zu tun haben? Es folgt also der Versuch, ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen. Gleich zwei Patriarchen lenken aktuell die Geschicke der Familie, und beide - Todor und Oszkár Bertholini - konnten es einrichten, mir auf elektronischem Wege Rede und Antwort zu stehen.



Die GREAT BERTHOLINIS pflegen einen sehr eigenwilligen Musikstil. Wie würdet ihr ihn selbst bezeichnen?

Todor:
Die Musik von THE GREAT BERTHOLINIS kann man durchaus als Weltmusik bezeichnen - allerdings hinterlässt dieser Begriff in den Köpfen vieler einen etwas eigenartigen Beigeschmack. Geht man aber davon aus, dass Weltmusik lediglich versucht, folkloristische Einflüsse unterschiedlicher Kulturen zu verbinden und zu einem neuen Ganzen zu formen, dann passt das eigentlich ganz gut. Ansonsten müsste ich einzelne Elemente herausziehen und dann würden unter dem Deckmantel des Pop Begriffe wie Swing, Revue, Bluegrass, Spiritual, Polka, Zirkusmusik usw. genannt werden. Das dauert zu lange und will keiner hören, also bleiben wir bei Weltmusik.

Oszkár: Wenn ich es auf ein paar Worte reduzieren müsste, würde ich es "mad ballroom" nennen.



Gibt es Künstler, die euch in ihrer Mentalität verwandt sind? Ein paar geistige Cousins vielleicht? Oder gerne auch Großväter ...

Oszkár:
Die Verwandtschaft reicht von Zigeunern, denen wir auf der Wanderschaft begegnet sind, bis hin zu modernen Alternative-Bands.

Todor: Als musikalische Großväter und somit Wegbereiter kann man, neben unserem tatsächlichen Großvater, der ein hervorragender Geigenspieler war, Nino Rota und Kurt Weill nennen. Vielleicht sogar Django Reinhardt oder Dean Martin. Etwas zeitgemäßer und auch verwandt im musikalischen Sinne sind SQUIRREL NUT ZIPPERS, KAIZERS ORCHESTRA, CALEXICO und MARDI GRASS.BB.



Oh, ich hatte nicht erwartet, dass ihr euch auch mit aktueller Musik auskennt. Woran fehlt es der heutigen musikalischen Landschaft aus eurer Sicht am meisten?

Oszkár:
An uns!

Todor: Eigentlich glaube ich, dass es der heutigen musikalischen Landschaft am meisten an Mut fehlt. Irgendwie hat sich das Bewusstsein breit gemacht, dass schon alles da war und man das Rad nicht neu erfinden muss. Ich fände es schön, wenn öfters mal jemand eine Idee für ein neues Rad hätte.



Entschuldigt, wenn ich mich irre, aber mir scheint, die GREAT BERTHOLINIS haben in den letzten Jahren nicht mehr in Ungarn, ihrem Ursprungsland, Station gemacht. Wie denkt ihr, würde eure Musik dort heutzutage aufgenommen?

Oszkár:
... mit offenen Armen, nehme ich doch schwer an.

Todor: Du hast Recht, wir wohnen inzwischen alle in Deutschland, weil wir zusammen mit unserer Musik reisen wollen. Unser Label Hazelwood hat seinen Sitz in Frankfurt und wir Verwandte in Nürnberg, also sind wir hergezogen. CD-Release wird erstmal in Deutschland sein und dann sehen wir weiter. Sollte es die Möglichkeit geben, wieder in Ungarn zu spielen, werden wir das natürlich tun. Allerdings wird sich auch dann erst zeigen, wie die Musik in unserer Heimat aufgenommen wird.



Wie kam denn der Kontakt zu Hazelwood zustande?

Oszkár:
Wir haben ihnen ein Bild der Bertholini-Familie beim Grillen zugeschickt. Wir dachten, es wäre an der Zeit, sich mit anderen Qualitäten zu bewerben. Es hat funktioniert. Das Foto ist auch zu unserem Bandfoto geworden.

Todor: Daraufhin durften wir im Vorprogramm von MARDI GRASS.BB spielen, die ja auch bei Hazelwood sind.



Gibt es eine eindeutige Hierarchie innerhalb der Familie? Wie werden Meinungsverschiedenheiten gelöst?

Oszkár: Oft demokratisch. Wenn das nicht hilft, gewinnt der, der an diesem Tag in Topform ist und alle mit seinem Wortwitz in seinen Bann zieht. Wenn das auch nicht hilft, wird erstmal ein Schnaps getrunken. Der Rest kommt von alleine.

Todor: Bei einer großen Familie muss es eine Hierarchie geben. Auch wenn diese nicht offen ausgesprochen wird, gilt das Wort der beiden Bandleader. Ich hoffe, die anderen sehen das genauso ...



Wie oft trefft ihr euch, um gemeinsam zu musizieren?

Todor:
Da es schwierig ist, die ganze Familie zusammen zu bringen, wird nur zweimal die Woche mit allen musiziert. Allerdings kommt es schon häufiger vor, dass wir in den unterschiedlichsten Konstellationen gemeinsam spielen.

Oszkár: Außerdem immer dann, wenn einer von uns Gulasch kocht. Dann wird es gemeinsam gegessen und dann musiziert.



Ich habe gelesen, dass eure Familie in der Vergangenheit immer wieder Sprösslinge hervorbrachte, die erstaunliche genetische Absonderlichkeiten aufwiesen. Welche abnormen Eigenschaften prägen jeweils die aktuellen Mitglieder?

Oszkár:
Die Abnormitäten der aktuellen Mitglieder sind eher unterschwellig und kommen erst bei näherem Kennenlernen an die Oberfläche.

Todor: Man muss dazu sagen, dass durch die heutigen medizinischen Möglichkeiten Auswüchse wie die zweiköpfige Estée Bertholini zum Glück ausbleiben. Einige Überbleibsel unserer genetischen Vergangen- und Verwobenheit sind zum Beispiel, dass die Hälfte der Band über zwei Meter groß ist, Janos am rechten Arm zwei Ellenbogen hat und bei den kleinwüchsigen Familienmitgliedern das eine oder andere Körperteil überproportional groß ausgefallen ist.



Gibt es auch typische familiäre Veranlagungen und Einstellungen, die alle Mitglieder verbinden?

Todor:
Ich würde sagen, dass wir durch unsere Vergangenheit gelernt haben, zufrieden zu sein, insgesamt sind wir sehr zufriedene Menschen. Wenn man allerdings wie wir seit Jahren mit den gleichen Menschen musiziert und zusammenlebt, verliert man ein bisschen die Fähigkeit zum Kontakt mit Außenstehenden, man wird wortkarg und etwas eigen. Dementsprechend dauert es lange, bis jemand ins Herz der Bertholinis aufgenommen wird, dann aber bleibt er oder sie für immer ein Teil der Familie.

Oszkár: Die unbändige Liebe, alles für das Musikmachen zu tun.

Was darf der Besucher eines eurer Konzerte erwarten? Oder anders:
Was würde bei eurem Einzug in eine Stadt auf dem Marktplatz ausgerufen?


Todor: Natürlich würde besonders auf Marktplätzen ein sehr marktschreierischer Ton angeschlagen und THE GREAT BERTHOLINIS als die großartigste ungarische Band aller Zeiten ankündigt sowie dem Zuschauer das beste Konzert das Jahres versprochen werden. Ganz zu schweigen von zweiköpfigen Artisten und zersägten Jungfrauen mit Bart. Als Sänger der Band kann ich an dieser Stelle nur versichern, dass alle zehn Musiker ihr Bestes geben werden, dieser Ankündigung gerecht zu werden und außerdem einen Konzertabend abseits der Gewohnheiten versprechen.

Oszkár: Wir erfüllen tonale Sehnsüchte vergangener Tage. Wer musikalisches Heimweh hat, der wird sich vor dem Bertholini-Kaminfeuer wohlig wärmen können. Seid unsere Gäste auf der Achterbahn des Irrwitzes und der Harmonie. Bis bald mit THE GREAT BERTHOLINIS.