RUTS

Hio ihr Punkrockers da draussen! Wir schreiben das Jahr 1979. "Punk and Reggae united" und "Rock against Racism" heissen die Kampfansagen der Zeit. Höchst notwendige Kampfansagen an alle fehlgeleiteten, mutterfickenden, Working Class-Naziarschlöcher, die im Zuge des allmählich aufkeimenden Oi!-Movements und als dessen leider nicht zu verhindernde Nebenerscheinung aus ihren Rattenlöchern hervorkrochen, aufgegeilt von der Thatcher-Ära und der gehirntoten Nationalen Front, und ihren gottverdammten Schwachsinn zu verbreiten begannen. Hier bezog Punkrock, im besonderen Bands wie THE CLASH, X-RAY SPEX, STIFF LITTLE FINGERS, CRASS, SHAM 69 (deren Konzerte leider auch die braune Brut magisch anzogen), THE BUZZCOCKS und THE RUTS eindeutig, unmissverständlich und geschlossen Stellung.

Diese Bands beteiligten sich allesamt an "Rock against Racism" Veranstaltungen, wo sie zusammen mit Reggae-Acts wie STEEL PULSE, MISTY und UB 40 spielten. THE CLASH, die bereits Anfang 1977 den Murray/Perry-Klassiker "Police & Thieves" für ihr Debutalbum coverten, heuerten einige Monate später eben diesen Reggae-Producer LEE PERRY für ihre Single "Complete control" an, gewährten zahllosen befreundeten Rastas - im England jener Tage besonders heftig schikaniert - wie den DJs Don Letts und Mickey Dread Unterschlupf in ihrem Squat und gaben zudem Konzerte, deren Einnahmen dem antifaschistisschen Schutzfond zugute kamen, und Raggaebands traten regelmässig in Punk-Clubs auf.

Die im August 1977 im Südlondoner Vorort Southall von den eingefleischten Punkfans Malcom Owen (vocals), Paul Fox (guitar) und Dave Ruffy (bass), alle drei Regulars im wohl zu der Zeit besten Londoner Punk-Club Vortex, gegründeten RUTS stellten von Beginn an neben THE CLASH die entschlossene Speerspitze dieses Kampfes "Punkrock gegen rechten Abschaum" dar. Anfangs noch ohne Drummer, entschied sich die Band für Paul Mattock (ex-HIT AND RUN), doch als THE RUTS ihre ersten regelmässigen Konzerte im Rahmen von "Rock against Racism"-Veranstaltungen und in Colleges absolvierten, hatte Ruffy die Drums übernommen und John Jennings, genannt Segs, stieg als neuer Bassmann ein. Im Juli 1978 unterschrieb die Band einen Vertrag beim Indielabel People Unite, das der befreundeten Reggaeband MISTY gehörte. Es folgte eine John Peel-Session im November, und im Januar des nächsten Jahres wurde mit der begnadeten Debütsingle "In a rut" die Plattenlaufbahn gestartet. "In a rut" schaffte eine beachtliche Auflage von über 20.000 Stück und machte die damals noch sehr dynamische Firma Virgin hellhörig, die die Band im April signte. Nach einer weiteren Peel-Session im Mai erschien die Hammersingle "Babylon´s burning", bis heute einer besten Punksongs ever, die es bis auf Platz 7 der Charts brachte.

Einen Monat später hatte die Band ihre schicksalhafte Begegnung mit THE DAMNED, der Beginn einer grossen Männerfreundschaft. Zusammen mit THE DAMNED und AUNTIE PUS (sic!) gingen sie dann auch auf UK-Tour, auf die UK-Tour, in dessen Verlauf schon mal der ein oder andere Gig im voraus ob der etwas zwielichigen Reputation der DAMNED von den zu schwitzen beginnenden Behörden mal eben gecancelt wurde. Die dann doch sehr erfolgreiche Tour war dann von höchst belustigenden Begleiterscheinungen geprägt. Paul Fox erinnert sich: "Die ganze Tour über haben wir und THE DAMNED uns gegenseitig verarscht. Rat oder Captain erschienen während unseres Gigs auf der Bühne und lasen die Sun oder assen ein Sandwich und richteten die Spots auf alles andere, nur nicht auf uns. Unterwegs zum zweiten Gig kauften wir auf einem Bauernhof einen Sack Schweinemist. Während THE DAMNED gerade in ihrer Zugabe mit "Burglar" durch den Highlight ihres Sets jagten, schütteten wir den Sack mitten auf die Bühne und auf das ganze Publikum aus. Captain fand diese Aktion saugeil. Er war splitternackt auf der Bühne. Dave Vanian und Segs wälzten sich über den Boden und rieben sich das Zeugs gegenseitig in die Gesichter. Rat warf eine volle Flasche Pils auf die beiden, die ich auffing und wegzog. Algy Ward war angewidert, er war sowieso sehr launisch. Eines Abends in West Runton Pavilon raste er während des DAMNED-Sets von der Bühne, und ich spielte dann bei "Love Song" den Bass. Sie fanden Algy dann mitten auf einem Feld, er ging dort einfach nur so umher. So war er eben. Ja, die Nacht des Schweinemists, unter der Hitze des Spots, die Scheisse dampfte förmlich. Wir liessen Malcom beim Gig zurück und gingen zum Baden in unser Hotel. Doch dann dachten wir, dass wir doch besser zurückgehen sollten, die PA-Leute würden uns sonst umbringen. Wir mussten schliesslich alles abwaschen und sauberwischen. Als nächste Heldentat perforierte Rat Dave Ruffys Drum mit einer Nadel."

Mixer Tommy Crossan kann sich für die Effektivität des Schweinemists verbürgen: er musste kotzen wie ein Reptiergewehr. Auch Captain Sensible erinnert sich nur zu gerne: "Die RUTS-Tour war brillant. Ich weiss noch genau, wie Malcom Owen das Becken so heftig mit seinem Kopf bearbeitet hat, dass er ins Krankenhaus musste. Er schlug während des Guitar-Breaks immer mit dem Kopf auf das Becken. Blut schoss aus seiner Stirn hervor. Sie waren die beste Support-Band, die wir je hatten. Auf den nachfolgenden Touren sagten wir uns immer wieder "There ´ll never be another RUTS"."

Im August folgte mit der nächsten 7" "Something that I said" ein weiteres Punkjuwel, die Flipside bringt den genialen Reggaesong "Give youth a chance", und im Oktober erschien schliesslich ihr phantastisches Debütalbum "The crack", Prädikat Top 10 der besten Punkalben ever, das neben den beiden vorangegangenen Singles weitere Punk-Smasher wie "You´re just a...","Backbiter", "S.U.S.", "Out of order", die brillante Live-Version von "Human punks" und das schon sehr hardcore-lastige "Savage circle" sowie den Punk-Reggae-Song "Dope for guns" und die göttliche Reggae-Nummer "Jah war" enthielt und unmissverständlich dokumentierte, dass hier neben THE CLASH und STIFF LITTLE FINGERS eine dritte Band agierte, die ihren treibenden und aggressiven, aber auch mit einer gehörigen Portion Melodie versehenen Punksound immer wieder auf grandiose Weise mit Reggae kreuzte.

Eine höchst lobenswerte Entwicklung, wie ich finde, da beide Phänomene, Punkrock und Reggae (und damit meine ich Roots- und Dub-Reggae, und nicht weichgespülte INNER CIRCLE-Kuschelkacke) doch nur allzuviele Gemeinsamkeiten in ihrem Outsider-Status aufweisen.

Bei der Aufnahme von "The crack" halfen zusätzlich noch Gary Barnacle am Saxophon und Luke Tunney an der Trompete mit. Textlich bezogen THE RUTS auf diesem Album eindeutig Stellung gegen die reaktionäre, ausländerfeindliche Nationale Front und gegen Obrigkeitsterror, man erzählte von selbsterfahrener Polizeiwillkür ("S.U.S.") oder von Tumulten anlässlich ihrer Auftritte ("Jah war"). "Jah war" wurde einen Monat später als nächste Single ausgekoppelt, die mit dem Punkhammer "I ain´t sophisticated" erneut eine hervorragende B-Seite aufwies.

Das Jahr 1980, das sich als das schwärzeste Kapitel der Bandgeschichte entpuppen sollte, begann mit einer weiteren Peel-Session im Februar, die zwei Monate später gefolgt wurde von der superben Single "Staring at the Rude Boys", einer aufrichtigen Hommage an die zu dieser Zeit in England mit den SPECIALS, MADNESS, THE BEAT, SELECTER etc. abgehende Ska-Mania, ergänzt um "Love in vain", einem neuerlichen Reggae-Geniestreich. Doch am 14. Juli 1980 wurde die Band, die sich seit nunmehr über einem Jahr in ihrem Punkzenit befand, von einem schweren Schlag getroffen: Sänger Malcom Owen, der auch noch gut anderhalb Jahre zuvor mit dem Song "H-Eyes" (die B-Seite ihrer ersten Single) eine warnende Botschaft gegen harte Drogen geschrieben hatte, starb an einer Überdosis Heroin. Dieser Schock schien das Ende der RUTS zu bedeuten, aber da waren ja noch die alten Kumpels von THE DAMNED. Paul Fox erinnert sich: "In der Woche als Malcom starb, sassen wir nur rum und fragten uns, was wir jetzt machen sollten. Dann riefen uns THE DAMNED an und sagten: "Los, begleitet uns auf unserer Tour". Am nächsten Morgen nahmen wir den Zug nach Dundee und supporteten noch am gleichen Abend THE DAMNED. Wir hatten noch nie zu dritt geprobt, und deshalb versuchten wir auf dem Weg zum Gig die Texte zusammenzukriegen. Malcoms Tod hatte uns schwer getroffen, aber irgendwie schafften wir es trotzdem, einigermassen Spass zu haben, wir drei."

Die restlichen RUTS rafften sich schliesslich auf und entschieden sich weiterzumachen. Sie holten Saxophonist und Keyboarder Gary Barnacle in die Band, Segs übernahm die Vocals und der Bandname wurde in RUTS DC (vom Lateinischen "da capo") abgeändert. Im August brachte man die Single "West one (Shine on me)" heraus und schloss im Oktober die erste Periode - die reine Punkphase also - der RUTS mit dem Werk "Grin and bear it", auf dem einige Singles, Aufnahmen von der Februar Peel-Session, verschiedene Mixes und Live-Versionen von "Babylon´s burning" und "S.U.S." zusammengegefasst wurden, ab.

Etwas enttäuschend fiel die erste Plattenarbeit unter dem neuen Namen aus, nachdem die komplette Band noch Kevin Coyne bei dessen 80er Doppelalbum "Sanity stomp" und Gary Barnacle THE CLASH bei deren Triple-Werk "Sandinista" unterstützt hatten. Die Songs der Single "Different View" vom Februar 1981 und das dazugehörige Album "Animal now" vom Mai ´81, haben nicht mehr viel mit dem hervorragend aggressiven Stücken aus der Owen Zeit gemein und wussten nur durch einige gute Reggaenummern zu gefallen. Im Juli gingen RUTS DC nochmals mit ihren alten Spezis von THE DAMNED auf ausgedehnte UK-Tour. Anschliessend verabschiedete sich Gary Barnacle wieder aus der Band, er wirkte dann später, im Mai 1982, wieder bei CLASH und deren ´82er Output "Combat Rock" mit und schloss sich schließlich den unsäglichen Elektropoppern von VISAGE an.

1982 kam dann die grosse Auferstehung, und RUTS DC lieferten mit ihrem in Zusammenarbeit mit dem Reggae-Autor und Producer Mad Professor entstandenen Album "Rhythm Collision 1" (Release im Juli auf Bohemian Records) ein absolutes Dub-Reggae-Meisterwerk ab. Das Line-Up wurde für diese begnadete Produktion um Dave Winthrop (Ghost Sax) und Mitt (Harmonica) erweitert, und die Tracklist umfasst neben angefunkten Dubsongs wie "Militant" und "Push Yourself (Make it work)" die grandiosen Dub-Reggae-Stücke "Pleasures of the Dance", "Love and fire", den Titeltrack "Rhythm Collision" sowie die Singleauskopplung "Whatever we do". Gehört das RUTS-Debütalbum in die Top 10 der Punkrock-Aristokratie, so muss dieser Output ganz sicher in die zehn besten je erschienenem Dub-Reggae-Alben eingereiht werden. Der Outtake "Weak heart" als 7" stellte im März 1983 den Schlusspunkt der Plattenaufnahmen dar. Im Sommer des gleichen Jahres lösten sich RUTS DC auf. Die einzelnen Bandmitglieder widmeten sich anschliessend mehr oder minder "dubiosen" Aufgaben, so stieg etwa Drummer Dave Ruffy bei der nicht unbedingt schlechten Pop-Band AZTEC CAMERA ein.

Aber nach jedem Tief kommt bekanntlich auch wieder ein Hoch, und so fanden sich 1994 Dave Ruffy, inzwischen nebenbei Drummer bei ADAM ANT, und John "Segs" Jennings, seines Zeichens auch noch Basser bei WOLFGANG PRESS, unter dem programmatischen Namen SMALL AXE zusammen und zelebrierten auf geniale Art und Weise wieder das, was sie neben feistem Punkrock schon immer am Besten verstanden haben, den Dub-Reggae. Musikalische Hörgenüsse von SMALL AXE kann man sich auf der brillanten Spex-Dub-Compilation "King Size Dub Vol. 1" zu Gemüte führen, 1995 auf dem empfehlenswerten Hamburger Echo Beach-Label erschienen (dort ist auch zur Zeit das RUTS DC MEETS MAD PROFESSOR "Rhythm Collision Vol. !"-Album käulich zu erwerben). Nicolai Beverungen, der Häuptling diverser Dub-Labels, der "King Size Dub Vol. 1" zusammenstellte, machte noch im Vorfeld dieser Compilation die Dubster von ZION TRAIN mit Dave Ruffy bekannt, und diese neue Konstellation nahm auf Einladung von John Peel prompt eine Radio-Session auf.

Das ist der Stand der Dinge, liebe Punkrockers, und damit wären wir auch fast am Ende der RUTS-History angelangt: THE RUTS, eine der grössten und wichtigsten Punkrock-Bands, deren unermesslicher Einfluss vor allem in der Early/Mid-Eighties-Washington DC-Dischord-Szene ihren Niederschlag gefunden hat, wo erstklassige Punkbands wie MINOR THREAT und DAG NASTY, die "Staring at the Rude Boys" auf ihrem ´88er Album "Field Day" coverten, die RUTS als grösste Vorbilder nennen.

Jaaa, dann bleibt mir nur noch zu sagen, bis zum näxten Mal, und ich verbleibe mit einem gepflegten
ONE RACIST ONE BULLET!!!
Euer Punkrock-Diktator