TITLE FIGHT

Foto

Aus der Not eine Tugend Machen

Das TITLE FIGHT-Albumdebüt „Shed“ stellte 2011 vorerst den Höhepunkt und die Zusammenfassung von acht Jahren Bandgeschichte dar – acht Jahre, in denen TITLE FIGHT der Welt zwar eine Vielzahl EPs bescherte, aber nie den entscheidenden Schritt wagten, ein Album aufzunehmen. Niemand aber rechnete mit einem weiteren Longplayer nur 15 Monate später. Doch Ned (Gesang/Bass) und Ben Russin (Schlagzeug), Jamie Rhoden (Gesang/Gitarre) und Shane Moran (Gitarre) sammelten da schon fleißig Ideen für den Nachfolger, der später „Floral Green“ getauft werden sollte. Nach einem tourreichen Jahr stand das Quartett vor einer viermonatigen Lücke im Kalender. Wie sollte man die Zeit am produktivsten nutzen? Richtig, indem man einen Studioaufenthalt bucht. Die optimistische Theorie: Jeden Tag proben, Songideen ausarbeiten. Die realistische Praxis: RISE AGAINST klopften an die Tür und luden zur US-Tour. Um die nicht abflauend wollende Kreativität zwanghaft zu unterdrücken, machten TITLE FIGHT aus der Not eine Tugend und stellten sich der Herausforderung, das Album auf Tour zu schreiben. Wir sprachen mit Schlagzeuger Ben Russin unter anderem über die Umstände des Entstehungsprozesses von „Floral Green“.

Nach Jahren, in denen ihr nur 7“s veröffentlicht habt, kam 2012 schließlich euer Debütalbum. Nur 15 Monate später kam im Herbst 2012 der Nachfolger „Floral Green“. Bist du selbst überrascht über die kurze Zeitspanne zwischen den zwei Alben?


Ja, denn als wir „Shed“ veröffentlichten, war bereits wieder eine gewisse Zeit vergangen, das letzte Release war 2009 „The Last Thing You Forget“. „Shed“ war unser erster Longplayer, wir wussten vorher überhaupt nicht, was uns erwartet. Wir haben uns aber darauf eingelassen und das Resultat begeistert uns nach wie vor. Gleichzeitig wussten wir aber auch, dass unsere Kreativität nun in Bewegung war. Daher wollten wir etwas Neues viel schneller veröffentlichen und auf die eine oder andere Art diesen Reifeprozess verdeutlichen, den wir, denke ich, sehr schnell durchlaufen haben. Wir haben uns selbst Deadlines gesetzt und einfach alles geschehen lassen.

Von Anfang bis Ende vermittelt „Floral Green“ den Eindruck einer entschlosseneren und selbstbewussteren Band. Glaubst du, dass „Shed“ für euch eine Art Auslöser war, um Geschwindigkeit aufzunehmen, eine Art Reifeprüfung?

Ja, ich denke schon. Bei „Shed“ wussten wir nicht, was wir zu erwarten hatten, aber dieses Mal konnten wir uns darauf einstellen, also gingen wir ins selbe Studio und hatten sogar mehr Zeit vor Ort. Die Art und Weise, wie wir aufgenommen haben, war genau so, wie wir es wollten, vor allem, weil wir so viel Zeit in die verschiedenen Sounds, die Vorproduktion und all die Sachen investierten. Wir sind wirklich begeistert von dem Endprodukt. Ja, ich glaube schon, dass „Shed“ eine Art Trigger war, weil wir damit endlich ein erstes Studioalbum aufgenommen hatten. Man muss sich mit seinen Fehlern auseinandersetzen, um aus ihnen zu lernen – nicht, dass wir wirklich Fehler auf „Shed“ gemacht hätten. Das zweite Mal im Studio macht uns sicherlich noch nicht allwissend, aber wir sind ein wenig geschulter, was den ganzen Aufnahmeprozess angeht.

Anfangs war es euer Plan, in der viermonatigen Tourpause aufzunehmen, aber dann habt ihr RISE AGAINST auf deren US-Tour begleitet, was zur Folge hatte, dass ihr gezwungen wart, die Songs unterwegs zu schreiben und auszuarbeiten. War es eine große Umstellung für euch?

Ja, weil wir bis dato nicht versucht hatten, auf Tour zu schreiben. Daher haben wir uns kleine Übungsverstärker gekauft, und haben die Riffs in den Umkleideräumen von irgendwelchen großen Hallen ausgearbeitet, denn wir wussten ja, dass wir unmittelbar nach der Tour ins Studio gehen mussten. Wir hatten jeden Tag Soundcheck, also versuchten wir dabei immer einen neuen Song durchzugehen. Es war also ein wirklich seltsamer Prozess, aber es hat Spaß gemacht und es war eine Lernerfahrung. Wir haben uns selbst dazu gezwungen und sind nun froh, dass wir es so durchgezogen haben, denn wenn wir es nicht gemacht hätten, hätten wir sicher nichts auf die Reihe bekommen.

In eurem Tourtagebuch, wo es unter anderem um die Tour mit RISE AGAINST geht, erscheint Ned fast schon überwältigt von der Tatsache, dass ihr das zweite Album in wenigen Monaten geschrieben habt, angesichts des straffen Zeitplans. Wart ihr überrascht, dass alles funktioniert hat?

Definitiv. Es war überwältigend und stressig. Immerhin kamen wir gerade von einer Tour durch große Stadien zurück, etwas, das wir vorher noch nie erlebt hatten. Erst spielten wir vor Tausenden von Leuten und dann gingen wir unmittelbar danach ins Studio. Was es aber weniger stressig gemacht hat, war, dass wir während des Studioaufenthalts nichts darüber veröffentlicht haben, und wir gaben auch nichts bekannt, nachdem wir fertig waren. Niemand vom Label wusste etwas davon. Nicht dass das Label uns irgendwie unter Druck gesetzt hätte, aber so gab es nirgends Leute oder Freunde, die uns dauernd fragten, wie die Songs sich anhören würden. Wir wollten einfach in unserer eigenen kleinen Welt sein und alles für uns behalten. Dadurch hielt sich der Stress also in Grenzen, gleichzeitig gingen wir aber nach dem Studioaufenthalt direkt auf die Warped Tour. Also drei komplett neue Erfahrungen nacheinander, das hat uns schon etwas gefordert. Aber es hat ja alles geklappt.

Warum habt ihr „Head in the ceiling fan“ als erste Single gewählt? Es ist einer eurer gewagtesten Songs auf dem Album.

Wir wollten einfach etwas Neues bringen. Er ist musikalisch gesehen mit Sicherheit eine der größten Überraschungen auf dem ganzen Album. Denn im Gegensatz zum Rest der Songs besitzt er eine andersartige Stimmung und ein komplett anderes Tempo. Wir haben noch nie zuvor so etwas Ähnliches geschrieben. Wir sind reifer geworden, aber trotzdem gibt es noch viele Songs, die sich nach wie vor nach TITLE FIGHT anhören. Wir sind immer noch dieselbe Band, was auch immer passieren mag. Wir hätten genauso gut einen Song veröffentlichen können, der viel vorhersehbarer und heavier ist, aber wir wollten die Leute überraschen. Ihnen zeigen, dass wir dieses melodische, schöne Lied geschrieben haben, auf das wir wirklich stolz sind.

„Floral Green“ wurde von Will Yip produziert, der bereits „assistant producer“ bei den Aufnahmen zu „Shed“ war. Warum habt ihr euch für ihn entschieden und inwiefern hat sich die Arbeit mit Will von der mit Walter Schreifels unterschieden?

Walter war die ganze Zeit wie ein Coach für uns, was wir so zum ersten Mal erlebt haben. Mit Walter zusammenarbeiten zu dürfen, der über eine lange Zeit wirklich ein großer Einfluss für alle von uns war, war beinahe unwirklich. Er ist ein sehr netter Kerl. Will kennen wir schon eine ganze Weile und wir sind eng mit ihm befreundet. Er hat uns schon viel bei „Shed“ geholfen. Für die aktuellen Aufnahmen hatten wir zuerst verschiedene namhafte Produzenten im Hinterkopf, aber nichts hat wirklich hingehauen. Darum dachten wir uns: Warum nicht Will nehmen, immerhin ist er unser Freund und kennt uns sowieso viel besser. Ich bin echt froh, dass wir uns für ihn entschieden haben, denn er ist einfach der netteste, coolste und unkomplizierteste Typ, mit dem man zusammenarbeiten kann. Und wir versuchen, diese Chemie zu erhalten, diese Harmonie als Team.

Insgesamt fühlt sich „Floral Green“ homogener an als „Shed“. Was meinst du, was die Gründe dafür sind? War eure Herangehensweise im Studio eine andere?

Bei den Aufnahmen zu „Shed“ haben wir viel live eingespielt und aufgenommen, und dann die Gesangs- und Gitarren-Overdubs gemacht. Dieses Mal haben wir versucht, einen Song pro Tag aufzunehmen. Erst die Schlagzeugspur, dann Bass, Gitarren und zum Schluss den Gesang. Es lief natürlich nicht wirklich genau so ab, weil wir für einige Songs noch gar keine Texte hatten, daher mussten wir das noch aufschieben. Nach wie vor haben wir aber viel Zeit in die Lieder investiert, besonders hinsichtlich des Albumflusses, ohne aber bereits schon die finale Tracklist zu erstellen Die stand erst am Ende der Aufnahmen fest. Jedoch wussten wir da bereits, dass einige Songs ineinanderfließen würden. Genauso wie auf „Shed“ wollten wir sicherstellen, dass es wie ein zu Ende geführter Gedanke ist. Wir haben ganz unterschiedliche Songs geschrieben, einige schnelle, aggressive und einige langsame, melodische Songs. Es war schon eine echte Herausforderung, sie aufeinander abzustimmen. Aber ich glaube, dass wir das ganz gut geschafft haben, haha. „Floral Green“ ist auf eine andere Art und Weise homogener. In gewisser Hinsicht besitzt das Album eine allgegenwärtige Stimmung, sogar die Texte haben ein übergreifendes Thema.

Wenn man beispielsweise älteres Material wie „Symmetry“ mit „Sympathy“ vergleicht, wird klar, inwieweit euch ihr in den letzten Jahren weiterentwickelt habt und musikalisch reifer geworden seid. Wie reagierst du auf Leute, die mit dem neuen Album nicht mehr so viel anfangen können?

Wir erwarten nicht, dass jeder das Album mögen wird. Es unterscheidet sich sicherlich von unseren älteren Sachen. Aber wirklich auf die Nerven geht mir, dass einige Leute von uns die immer gleiche Musik und das immer gleiche Album erwarten – das ist doch total langweilig und uninteressant. Was Musik wirklich interessant macht, ist es, sich weiterzuentwickeln und neue Ideen auszuprobieren, an die man sich vorher noch nicht herangetraut hatte. Also seine Integrität zu bewahren und nach Herausforderungen zu suchen. Falls einige Leute das Album nicht mögen, ist das okay. Wir haben bislang aber ziemlich gute Reaktionen bekommen. Außerdem habe ich festgestellt, dass einige Leute erst mit diesem Album angefangen haben, unsere Musik zu mögen. Wir hätten niemals erwartet, dass wir imstande sind, überhaupt so eine Resonanz zu erhalten.

Die Videos zu „Secret society“ und „Head in the ceiling fan“ habt ihr mit der Hilfe von euren Freunden Evan Evans und Hannah Roman größtenteils selbst produziert. Ist es für euch selbstverständlich, dass ihr ausschließlich mit Leuten zusammenarbeitet, die aus eurem näheren Umfeld stammen? Versucht ihr dadurch die größtmögliche Kontrolle über eure Entscheidungen zu behalten?

Was ästhetische und visuelle Aspekte betrifft, versuchen wir alles selbst zu machen. Shane hatte die Ideen für die beiden Videos. Wir hätten auch ein teures HD-Video oder was auch immer drehen können, aber das wollten wir einfach nicht. Wir mögen die Retro-Ästhetik davon, diesen Vintage-Style. Unser Freund Evan, der das erste Video gedreht hat, war schon länger damit beschäftigt. Wir mochten seine alte Kamera, also ist er immer wieder auf unseren Konzerten aufgetaucht und hat viel in unserem Umfeld gefilmt. Es ist eine Art Montage vieler beiläufig gedrehter Szenen, wo wir herumalbern. Das Video zu „Secret society“, welches von Neds Freundin Hannah gedreht wurde, basiert auf einer ziemlich obskuren Idee von Shane. Auf der einen Seite sollte es kitschig sein, auf der anderen Seite schockierend, was ziemlich gut geklappt hat. Das kleine Mädchen ermordet den Kerl und zerstückelt sein Gesicht, gleichzeitig ist das aber gar nicht ernst gemeint. Es zu drehen war ein großer Spaß.

Auf der ersten Blick wirkt der Albumtitel „Floral Green“ recht schlicht und bedeutungslos. Warum habt ihr euch gerade für diesen Titel entschieden, und was für eine Bedeutung steckt da genau hinter?

Es ist eine Textstelle aus dem Song „Make you cry“, den Shane geschrieben hat. Als wir uns mögliche Albumtitel überlegt haben, sind wir darauf gekommen. Er fasst das gesamte Thema zusammen und vermittelt ein bedrücktes, düsteres Gefühl. Der Song verarbeitet den Tod eines Freundes, und bis dahin hatten wir noch nie diese Erfahrung gemacht. Er beschreibt, dass man in seinem Leben mehrmals mit dem Schicksal konfrontiert wird, dass Leute um einen herum sterben, und dass man realisieren muss, dass man selbst irgendwann sterben wird. Der Titel fasst dieses Thema zusammen und ist auch auf das Artwork abgestimmt. Der Titel gibt eben die gesamte Atmosphäre wieder. Aber gleichzeitig ist „Floral Green“ auch eine Art Metapher, recht vieldeutig, es gibt also mehrere Interpretationsmöglichkeiten.

Wie geht ihr mit den rasanten Entwicklungen seit der Veröffentlichung von „Shed“ dem großen Interesse an eurer Band um? Ihr seid sogar in den amerikanischen Billboard Charts auf Platz 69 eingestiegen.

Ich finde, dass sich das eigentlich recht natürlich entwickelt hat. Wir wollten einfach Musik machen, saßen also nicht beieinander und haben das irgendwie geplant. Als das Album dann in die Top 100 einstieg, was „Shed“ nicht geschafft hatte, hat uns das ganz schön erstaunt. Wir waren absolut begeistert, glücklich und dankbar, dass die Leute das Album tatsächlich gekauft haben, anstatt es herunterzuladen. Noch einmal, wir sind wirklich stolz darauf, angefangen bei der Aufmachung über das Artwork und die Musik bis hin zu den Texten. Es ist wirklich verrückt, und wir haben das in dieser Form niemals für möglich gehalten.