CHECKPOINT CHARLIE

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Provokation in Wort und Musik

In den wilden Sechzigern war Punk noch lange kein Thema. Doch die Kommunarden von CHECKPOINT CHARLIE waren ihrer Zeit voraus: Die verrückten Hippies politisierten die deutsche Rockmusik, schmähten das Establishment und lieferten der verhassten Obrigkeit Saalschlachten. Als sich die Beat-Ära Mitte der Sechziger ihrem Ende zuneigte, wendeten sich nicht nur die Rockmusiker experimentelleren und härteren Sounds zu, auch ihre Fans begannen, die bestehende Ordnung zu hinterfragen. In den deutschen Städten protestierten Studenten und Jugendliche. Es entstanden neue Bands, die die musikalische Grenzen aufbrechen oder gar die Mauern der Städte erzittern lassen wollten. Zur ersten Kategorie gehörten Avantgarde-Rocker wie JOY UNLIMITED (mit der jungen Joy Fleming am Mikrofon), zur zweiten CHECKPOINT CHARLIE (CC).

Nach dem Vorbild der im US-Underground herumspukenden Freak-Formation THE FUGS verbanden die Karlsruher Gedichte von Villon oder Brecht-Texte mit Rockmusik. Der damalige CC-Sänger und Bassmann Harald Linder erinnert sich: „Meine Mutter hat sich meiner ja schon geschämt, weil mir die Haare in die Stirn fielen und ich eine Armeejacke mit ‚USA-Aggressor‘ hinten drauf trug. Sie ist von den Nachbarn angemacht worden, ob sie überhaupt keinen Einfluss auf mich hätte. Man kann sich heute gar nicht mehr vorstellen, wie konservativ das alles war.“

In anderer Beziehung genoss man allerdings heute ebenso unvorstellbare Freiräume: „Wenn die hier stationierten GIs Payday hatten, gab es im Schlossgarten Marihuana satt! Das war quasi halblegal damals, hat niemanden gejuckt. Die Polizei hatte ja keine Ahnung, worum es da ging. Wenn die Amis ihre Kohle bekamen, hing über dem ganzen Park eine riesige Rauchglocke.“

Linder hatte seine Musikerkarriere in diversen lokalen Mucker-Combos begonnen, die in den amerikanischen Armeeklubs für die Besatzungssoldaten zockten. Ein lukrativer Job, der Dollar war damals noch vier Mark wert. „Wir machten so revolutionäre Sachen, wie BEATLES-Songs nachzuspielen“, erzählt er lachend. Auch Titel von noch sehr obskuren Bands wie den KINKS oder YARDBIRDS gehörten zum Programm. Bei seiner zukünftigen Band sollte es allerdings um einiges revolutionärer zugehen.

Prägend für die provokante Seite von CC war Texter und Frontmann Uwe von Trotha. Uwe, dem jungen Alan Ginsberg nicht unähnlich, entstammte einem uralten preußischen Rittergeschlecht. Sein Vorfahr Lothar etwa hatte sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts als effektiver Sachwalter der imperialistischen Interessen des deutschen Kaiserreiches in Übersee „verdient“ gemacht. So half dieser dabei, den chinesischen Boxeraufstand niederzuschlagen sowie später die revoltierenden Herero in Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia.

„Ich bin ja nur ein Bastard“, relativiert Uwe die Familienbande. „Im Mittelalter mussten die mit einem Querbalken auf ihrem Wappenschild herumlaufen, hahaha.“ Nach langer Sendepause geht Uwe zwar seit einigen Jahren wieder zu den jährlichen Familientreffen, eine ironische Distanz zum adeligen Treiben hat er sich aber bewahrt.

Seine erste Begegnung mit dem exzentrischen Adelsspross 1966 beschreibt Linder so: „Wir haben uns im Kammertheater kennengelernt. Es gab ‚Publikumsbeschimpfung‘ von Handke – das Stück war übrigens auch ein Skandal damals. Als die Beschimpfungen anfingen, haben er und ich dagegengehalten und das schaukelte sich immer mehr hoch. Klasse! Hinterher haben wir ein Bier zusammen getrunken und uns unterhalten. Ich hatte damals eine Coverband, THE WORKERS. Wir kamen aus der Gewerkschaftsjugend, waren 17, 18 und sind im Blaumann aufgetreten. Uwe kam dann mit dieser Idee, lyrische Sachen mit Beatmusik zu verbinden. Ich fand das interessant und wir haben bei meiner Mutter im Keller mit dem Proben angefangen – hauptsächlich zu Texten von Villon oder Brecht. Drei Leute der Band sind gleich abgesprungen, weil ihnen das zu abgefahren war.“

Die neuen Bandmitglieder wurden ebenfalls aus der Arbeiterbewegung rekrutiert: Keyboarder Joachim Krebs aka Krebssalat war Mitglied des Sozialistischen Arbeiter- und Lehrlingszentrums, SALZ. Das SALZ hielt damals den sogenannten „Roten Turm“ besetzt, einen alten Wachturm aus dem 14. Jahrhundert im Karlsruher Stadtteil Durlach. „Die saßen oben im Turm und die verspießten Bürger standen mit hechelnder Zunge unten und stellten sich vor, dass die da oben dauernd Gruppensex machen“, amüsiert sich Linder.

Der 16-jährige Krebs war nicht nur ideologisch zuverlässig, er beeindruckte auch durch sein virtuoses Spiel. „Der hat uns voll angetörnt“, berichtet der spätere CC-Schlagzeuger Lothar Stahl, der heute mit der legendären Kraut- und Jamrock-Band EMBRYO unterwegs ist. Somit stand das CC-Koordinatensystem fest: Provokation in Wort und Musik, keine Rücksicht auf den guten Geschmack, Demaskierung kleinbürgerlicher Pseudoidylle, Zynismus und hoffnungsfroher Zukunftsglaube, derbste Fäkalsprache und komplexe Klangcollagen. Neoklassische Sounds mischten sich mit Blues, Jazz und purem Krach. Künstlerische Schranken? Gab es nicht!

„Irgendwie lief das dann ganz gut“, erzählt Linder. „Wir waren eben die Ersten, die so was gemacht haben, Rock mit deutschen Texten. Sogar Manfred Sexauer, der Kultmoderator der damals populären Musiksendung „Beatclub“, der Uwe aus gemeinsamen Schauspielertagen kannte, begeisterte sich für die Karlsruher Polit-Freaks. Harald Linder: „Sexi hat uns dann beim Saarländischen Rundfunk untergebracht. Es war ein Desaster! Wir haben drei Stunden gebraucht, um einen 25-Sekunden-Opener einzuspielen. Die Tontechniker haben geflucht und Sexauer beschimpft, was er da für eine Scheißtruppe angeschleppt hätte.“

Das war eine der harmlosen Reaktionen auf die Performance-Qualitäten der Charlies. „Es ging immer mehr weg von der Lyrik hin zur Agitation“, erzählt Linder. „Beispielsweise haben wir Joan Baez adaptiert und zur Melodie von ‚I dreamed I saw Joe Hill last night‘ gesungen: ‚Ich träumte, ich fickte Kiesinger letzte Nacht‘. Das war unser Soundtrack zur großen Koalition. Dazu haben wir noch eine schwarz-rot-goldene Kloschüssel auf die Bühne gestellt und sofort war Action!“

Ein Auftritt auf der Kunstzone in Wuppertal ist Linder besonders im Gedächtnis geblieben: „Wir spielten direkt nach Anneliese Rothenberger (international gefeierte Sopranistin, Anm. d. Verf.). Da saßen also die ganzen Honoratioren der Stadt im feinen Zwirn und Uwe fing an mit seinem Text ,Wir werden euch den Stachel unter’s Sitzfleisch reißen‘. Aus heutiger Sicht ist das ja harmlos, aber damals war das natürlich absolut bizarr. Die haben fluchtartig den Raum verlassen.“

„Solche Auftritte hatten wir oft“ sagt Uwe. „Wir haben denen gesagt, wir machen Beat und Lyrik – stimmte ja auch irgendwie. So haben wir uns eingeschlichen.“ „Wegen seiner Vergangenheit als Schauspieler hatte Uwe außerdem eine völlige Jesus-Phobie“, erzählt Linder. „Der ist mit Manfred Sexauer in Belgien über Land gezogen und hat dort in Kirchen die Jesuspassion gespielt. Davon hatte er irgendeinen Schuss weg. Wo immer der ein Kruzifix sah, gab es Ärger. Einmal spielten wir in einer Schule, Uwe sah das Kreuz an der Wand, riss es runter und schob es sich erst mal zwischen die Beine. Aufstand! Die Jusos, die das organisiert hatten, mussten sich hinterher bei der Gemeinde entschuldigen, hahaha.“

Finanzielle Vorteile konnte die Anarcho-Kapelle aus ihrer skandalumwitterten Popularität nicht ziehen. „Die Hallen waren voll“, erinnert sich Uwe. „Aber wir waren einfach zu blöd, uns zu vermarkten, und haben nie was verdient“, sagt Linder. „Außerdem gab es ja auch dauernd Ärger, die Bullen haben uns ständig abgeräumt und wir hatten nur Schulden. Verunglimpfung staatlicher Symbole, Beleidigung des Bayerischen Staatsoberhaupts und was sie uns sonst noch alles angehängt haben.“ Grund für letzteres war, dass ab Ende der Siebziger ein Pappschwein mit Namen „Franz-Josef“ zur CC-Bühnendekoration gehörte. Die Band wurde vom Kemptener Amtsgericht verurteilt, die Sau in Zukunft zu Hause zu lassen und eine Geldstrafe von 15.000 DM wegen Beleidigung an Herrn Franz-Josef Strauss zu zahlen.

1972 schrieb die Gruppe das Programm „Notwehr“. Allerdings zog der Verein der Kriegsdienstgegner (VdK) kurz vor Beginn der Produktion seine Unterstützungszusage wegen ideologischer Differenzen zurück. „Wir waren eben radikale Pazifisten und wollten nicht nur die Wange hinhalten“, sagt Linder.

Das ursprüngliche Bandgefüge verkraftete diesen Rückschlag nicht. Uwe und einige andere zogen als Landkommune ins pfälzische Örtchen Biesterschied und betrieben CC nicht ohne Erfolg weiter. Uwe lebt noch immer dort und widmet sich heute der Art Brut. Er malt nach der von ihm selbst entwickelten Methode der „Intuitiven Formulation“. Joachim Krebs hat einen Lehrauftrag für freie Improvisation an der Karlsruher Musikhochschule. Sein Raumklangkunstprojekt „TopoPhoniem“ ist im dortigen Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) zu sehen und zu hören.

Harald Linder wollte auch nach seinem Ausstieg bei CC „politisch was bewegen“ und schloss sich dem Kommunistischen Arbeiterbund Deutschland an: „,Unsere Basis sind die Betriebe‘, hieß es da, und so habe ich beim Nähmaschinenhersteller Pfaff angefangen, weil man sich ja mit den Arbeitern solidarisieren musste.“ Linder begann zu schreiben und gab mit einigen Kollegen die subversive Betriebszeitung „Der Rote Pfaffianer“ heraus. Später wurde er langjähriger Leiter eines Wochenblattes.

Gemeinsam mit EMBRYO, TON STEINE SCHERBEN und einigen anderen Bands gründeten CC April Records und den Schneeball-Vertrieb, aus dem später Indigo hervorging, und waren somit Wegbereiter der deutschen Indie-Szene. CC waren noch bis Anfang der Neunziger in verschiedenen Besetzungen aktiv. 2003 hat sich die Band letztmals reformiert und einen unvergessenen Auftritt auf dem Burg-Herzberg-Festival sowie eine kleine Tour gespielt.