LIVING WITH LIONS

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Unruhige Vergangenheit

Wenn eine Band eine bewegte Geschichte hat, dann sind es wohl LIVING WITH LIONS aus Vancouver. Der x-te Besetzungswechsel am Mikro oder auch unangenehme Gesundheitsprobleme haben bestimmt schon so manche Bandkarriere beendet. Nicht so bei den Pop-Punkern um Chase Brennemann, der mittlerweile von der Gitarre zum Gesang wechselte. Es musste einfach weitergehen mit dieser Band, die ihre erste EP „Dude Manor“ nach der Wohngemeinschaft benannt hat, welche sie gegründet hatten. Mit „Island“ ist nun ihre vierte Veröffentlichung erschienen. Warum es der Band außergewöhnlich schwergemacht wurde, überhaupt noch Musik zu machen, und was das für LIVING WITH LIONS bedeutet, erklärt Brennemann im Interview.

Chase, mit welchem Wort würdest du die Vergangenheit von LIVING WITH LIONS beschreiben?


Das erste Wort, das mir in den Sinn käme, wäre „unruhig“. Seit dem Moment, als wir das erste Mal zusammen Musik gemacht haben, war diese Band immer in Bewegung. Auch was unseren Sound angeht, scheint es so, als könnte man hören, dass wir uns immer weiterentwickelt haben. Ich würde schon sagen, dass – nicht nur durch die unterschiedlichen Sänger – kein Album von uns sich anhört wie das andere.

Es kommt ja auch immer sehr darauf an, wo und wann man eine Platte oder einen Song hört. Was wäre der perfekte Moment, um in euer neues Album „Island“ einzutauchen, und wo sollte das deiner Meinung nach dabei am besten stattfinden?

Die Frage ist gar nicht so leicht zu beantworten, da ich ja eine ganz andere Beziehung zu den Songs aufgebaut habe. Ich mag es, mir neue Platten beim Autofahren anzuhören. Nicht unbedingt im stressigen Stadtverkehr, eher auf langen Strecken, bei denen man sich auch auf die Musik konzentrieren kann. Des Weiteren könnte ich mir vorstellen, dass es ein sonniger Tag an einem schönen entspannten Wochenende ist. Schließlich schwingt auf „Island“ immer eine Art heiterer Unterton mit – auch in den eher traurigen Stücken, wie dem Titeltrack oder „Dusty records“. Selbst mit diesen Songs wollten wir eine Atmosphäre erzeugen, bei der du dich beim Hören trotzdem gut fühlen kannst und etwas Positives mitnimmst.

Ist die Stimmung der Platte auch eine Antwort auf die Widrigkeiten, mit denen ihr während der Aufnahmen zu kämpfen hattet? Du musstet ja sogar vor lauter Schmerzen ein paar Songs im Sitzen singen. Warum habt ihr nicht gewartet, bis es euch allen wieder besser ging?

Meine gesundheitlichen Probleme sind während der Aufnahmen entstanden. Ich habe mir einen Leistenbruch zugezogen und es hätte uns fast zehn Monate gekostet, bis ich nach meiner Operation wieder fit genug zum Singen gewesen wäre. Also haben wir es dann so gut es ging versucht und ich habe unter wirklich großen Schmerzen Stückchen für Stückchen eingesungen. Selbst das Sitzen war so unangenehm, dass ich maximal dreimal in der Woche im Studio etwas aufnehmen konnte. Das war ein wirklich langsamer Prozess, der für uns jedoch die einzige Möglichkeit darstellte, trotzdem zügig mit der Platte fertig zu werden.

Was ist denn noch vorgefallen, dass die Platte erst mehr als zwei Jahre später erscheinen konnte?

Hauptsächlich waren es tatsächlich die gesundheitlichen Probleme, die die ganze Sache so sehr verzögerten. Allein das Aufnehmen der Platte hat fast acht Monate gedauert. Als wir ein paar Monate später die ersten Mixe der Platte wiederbekamen, um zu hören, wo wir fast sechs Jahre nach unserem letzten Album stehen, waren wir alles andere als zufrieden. Also mussten wir uns dann auch noch darum bemühen, dass wir jemand anderen finden, der sich der Mixe annimmt. Unsere Wahl fiel dann auf Kyle Black, der jedoch, aufgrund eines vollen Terminkalenders, erst im November 2017 mit der Arbeit beginnen konnte. Im Januar 2018 haben wir dann endlich die fertige Platte in den Händen gehalten. Die Kombination aus gesundheitlichen Problemen, diesem irren Wirrwarr mit den Mixen sowie den Verhandlungen mit Plattenfirmen, die „Island“ veröffentlichen sollten, zerrt ganz schön an den Nerven. Das war irgendwann so frustrierend, dass ich mir gar nicht mehr sicher war, ob die Platte überhaupt noch mal jemand zu hören bekommt. Auch weil wir niemandem bis zur Veröffentlichung das unfertige Produkt vorstellen wollten.

Wo wir gerade vom Produkt sprechen: Was waren eure Intentionen hinter dem Coverdesign, das ja ein Haus und viele unterschiedlichen Situationen zeigt, die man durch die Fenster zuerst nur erahnen kann. Unter anderem sieht man in einem Zimmer ein verstörendes Bild von einer Art Unterrichtsstunde.

Unsere ursprüngliche Idee des Artworks war es, für „Island“ etwas Besonderes und Spannendes auszuprobieren. Als Referenz hatte ich dieses Mal das Cover von „Dookie“ von GREEN DAY im Kopf, das ja fast schon einem Suchbild gleicht, auf dem man immer etwas Neues entdecken kann. Ich habe früher bestimmt Stunden damit verbracht, dieses Bild anzustarren. Das hat wirklich Spaß gemacht, weil es ja so viele witzige Details enthält. Wir wollten, dass auch unser Coverdesign interessant oder sogar unterhaltsam ist. So kommt es, dass viele Situationen, um die sich die Songs drehen, auch in den einzelnen Wohnungen stattfinden.

Welche Bedeutung hat das Haus für euch? Schließlich habt ihr zu Beginn eurer Karriere auch schon mal alle unter einem Dach gewohnt.

Der Titel der Platte und das Haus verkörpern für mich beide dieselbe Sache. Im gleichnamigen Song „Island“ geht es zum Beispiel um Drogenabhängigkeit und psychische Probleme, die wir in den letzten fünf Jahren in unserem Freundes- und Familienkreis miterleben mussten. Um zu erkennen, wie ernst diese Dinge sind, muss man sie entweder erst selbst erfahren haben oder an Menschen beobachten, die einem am Herzen liegen. Einer davon war ein enger Freund von mir, und es fühlte sich für mich so an, als sei er ganz allein auf einer einsamen Insel. Wir haben uns nicht mehr getroffen und er wollte auch nichts mehr mit uns zu tun haben. Das Haus auf dem Cover symbolisiert für mich genau das Gleiche: Ein Eingesperrt-Sein in den Umständen, die man sich vielleicht sogar selbst geschaffen hat.

Wie sind deine Erinnerung an Dude Manor, das Haus, nach dem ihr eure erste EP benannt habt?

Ich denke viel darüber nach, vor allem weil wir alle auch ständig über die großartige Zeit reden, die wir damals zusammen hatten. Wenn wir auf Tour sind, schwärmen wir immer noch davon, wie verrückt wir damals waren und das eigentlich alles, was LIVING WITH LIONS heute ausmacht, dort seinen Anfang hatte. Viele der Menschen, die uns jetzt wichtig sind, haben wir dort kennen und lieben gelernt.

Hat sich deine Einstellung gegenüber der Band und zum Musikmachen seitdem verändert?

Ich würde schon sagen, dass ich über die Jahre die Dinge etwas pragmatischer oder realistischer sehe. Das spiegelt sich zwangsläufig auch in den Songs wider, die wir schreiben. Ich versuche immer, Begegnungen und Situationen zu beschreiben, und reflektiere darin mein Verhalten. Wie ich ja gerade schon gesagt habe, gibt es manchmal sehr dramatische und traurige Entwicklungen im eigenen Freundeskreis oder in der Familie, die ich in unserer Musik verarbeite. Andererseits schaue ich auch darauf, wie sich mein Verhalten während des Älterwerdens verändert.

Seit eurer letzten Platte „Holy Shit“ aus dem Jahr 2011 habt ihr einige einschneidende Besetzungswechsel verkraften müssen: Euer alter Sänger Stu Ross spielt jetzt Gitarre bei COMEBACK KID, Matt Postals kam und ging und nun hast du den Gesangspart übernommen. Kannst du beschreiben, was euch dazu bewegt hat, weiterzumachen und eine neue Platte aufzunehmen, statt einfach die Segel zu streichen?

Wir waren fast drei Jahre ununterbrochen auf Tour mit „Holy Shit“. Das hat uns alle damals sehr beansprucht. Ich kann mich noch daran erinnern, wie ich gesagt habe, dass ich keine Tour mehr spielen würde, bevor wir nicht neues Material geschrieben und aufgenommen haben. Irgendwie war jeder mit sich selbst beschäftigt, um sein Leben wieder in normale Bahnen zu lenken. In dieser Zeit habe ich unzählige Songideen in meinem kleinen Studio bei mir zu Hause aufgenommen. Irgendwann war es einfach an der Zeit, dass wir uns wieder zusammensetzen und als Band weitermachen mussten. Es hat sich richtig angefühlt. Schlussendlich ist es jetzt, nach all den Strapazen der Vergangenheit, schön, wieder mit einem neuen Album auf Tour zu gehen, etwas von der Welt zu sehen und eine gute Zeit zu haben. Denn irgendwie war das schon immer das, was uns angetrieben hat.