ROGERS

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Track by track

Das neue Album der Düsseldorfer ROGERS heißt „Mittelfinger für immer“ und kommt am 8. März. Hören kann man es aber noch nicht und die eigentliche Geschichte dazu folgt im Ox noch. Doch für ausgewählte Freunde unter den Medienvertretern legten Sänger Chri, Gitarrist Nico und Bassist Artur die Platte schon mal in der Wohnung des Frontmanns im Stadtteil Bilk auf – und erklärten im Anschluss daran die neuen Songs schon einmal vorab, und zwar „track by track“.

Chri, Artur, Nico, legen wir los. Der erste Song ist „Einen letzten Abend lang“.

Chri:
Das ist ein sehr emotionales Lied, da es das widerspiegelt, was wir fühlen, wenn wir von einem lauten Wochenende oder einer Tour zurückkommen. Dieses Gefühl hatten wir 2018 sehr oft. Meistens sonntags, haha.

Artur: Der Song zeigt den Widerspruch zwischen dem Unterwegssein und dem „Jetzt bräuchte ich eigentlich auch mal eine ruhige Minute“-Empfinden, das man hat, wenn man auf Tour die ganze Zeit zusammen war. Dann ist man zu Hause, merkt plötzlich, dass es viel beschissener ist, wieder alleine zu sein – und will sofort wieder los.

Nico: Man findet immer Situationen, in denen das, was man gerade macht, irgendwann scheiße wird und man wieder das andere haben will. Das Gras auf der anderen Seite ist eben immer grüner.

Wie lange braucht ihr, um nach einer Tour wieder runterzukommen?

Chri:
Ich habe das zurückliegende Jahr immer noch nicht verarbeitet. Als ich nach der Show im Vorprogramm von DIE TOTEN HOSEN nach Hause kam, da war das surreal. Am nächsten Morgen ging das dann zwischen mir und meiner Freundin so: Ich: „Krass, wir haben gestern vor 45.000 Menschen gespielt!“ Sie: „Ja, schön. Kannst du mal eben staubsaugen?“ Haha.

Nico: Wir haben uns für Mai 2019, nach unseren letzten Show der Tour, tatsächlich seit langem endlich frei genommen, um Urlaub zu machen. Wir müssen uns die Zeit nehmen, um einfach mal zu verarbeiten, was zuletzt so alles abgegangen ist.

Song zwei: „Zu spät“. Hier geht es um all das, was der Mensch mit diesem Planeten anstellt: Er fährt ihn langsam, aber sicher vor die Wand. Inwiefern besteht ein Bezug zu den Protesten im Hambacher Forst, die zuletzt weltweit für Aufsehen sorgten?

Nico:
Das Thema spielt da natürlich hinein. Aber der Song ist älter. Er hat einfach gut zum Zeitgeist gepasst und es ist uns wichtig, immer auch kritisch zu derlei Themen Stellung zu beziehen. Daher war es klar, dass dieser Song auf die Platte kommt. Jeder wird ja in der Schule oder wo auch immer diesen Indianerspruch schon mal gesehen haben: „Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werdet ihr feststellen, dass man Geld nicht essen kann.“ Darauf bezieht sich das Stück explizit. Es soll zeigen: Das ist, verdammt noch mal, kein alter Spruch. Es ist einer, der nach wie vor seine Gültigkeit hat.

Nächstes Lied: „Mittelfinger für immer“. Der Titel spricht für sich. Gab es einen auslösenden Moment dazu?

Chri:
Nein. Das war und ist eine generelle Grundhaltung, haha.

Nico: Eben. Dieses Gefühl kennt jeder. Es ist ein Song, der live wohl hervorragend funktionieren wird. So wie „Meine Sache, mein Problem“ von den BROILERS mit dessen Mittelfinger-Zeile.

Nico: Absolut. Es ist ja auch schöner, sich so Luft zu verschaffen. Mit einem lautem „Ich gebe jetzt einen Fick auf alles!“, anstatt: „Ab jetzt ist mir alles egal. Ich sehe lieber die sonnigen Stunden und genieße mein Leben.“ Das auf einer Bühne zu tun, macht keinen Bock. Wir sind ja schließlich eine Punkrock-Band, haha.

Es folgt das Stück „Schon okay“.

Nico:
Das ist eine sehr gute Momentaufnahme unseres letzten Jahres. Es ist ein Song, der Stress und Druck thematisiert. Egal, ob der von außen oder von dir selber kommt. Und er handelt von einem „guten Ton“, einer Entwicklung in der Gesellschaft: Jeder muss sich offenbar so nah wie möglich am Burnout entlanghangeln. Hin- und hergerissen zwischen Orten und Sachen und Dingen.

Weiter geht’s mit „Wo immer du gerade bist“.

Nico:
Ganz klar ein Song, in dem ein Beziehungsende rekapituliert wird. Man kann immer singen: „Du bist für mich die Tollste.“ Aber es gehört auch dazu, die andere Seite zu beleuchten und zuzugeben: „Das ist wirklich scheiße gelaufen.“ Alles andere wäre mir zu platt.

Chri: Ein bisschen Theatralik konnten wir schon immer gut!

Ja, vor allem im folgenden Stück: „Geh mir nicht mehr auf die Eier!“

Chri:
Haha, absolut!

Der Song musste raus? Oder ist er eher aus Kalkül hinsichtlich der Live-Situation entstanden?

Nico:
Ich denke, wir haben beim Einspielen der Demos gemerkt: Das wird live laufen. Da wird jeder Bock drauf haben. Wir handeln nicht nach dem Motto: „Wir brauchen jetzt unbedingt einen Song, der auf der Bühne richtig abgeht.“ Es ergibt sich einfach. Es ist ohnehin – fernab von unserem Studiokram – wichtig für uns, dass wir alle Songs live spielen können. Wir sind eine Live-Band. Wir sind nicht dafür bekannt, dass wir 300.000 Platten verkaufen, sondern dass wir eher die Hälfte unserer Tour ausverkaufen.

Chri: Ich lese über uns ohnehin häufiger den Satz „Auf Platte sind die langweilig. Aber Gott sei Dank war ich auf dem Konzert!“

„Gott sei Dank“ – ein gutes Stichwort: „Ganz nach Oben“ dreht sich im Anschluss um das Thema Religion.

Nico:
Ein sehr direkter Song. Es ist ein Song und vor allem eine Zeile, also die mit „Kinderficker“, über die wir lange geredet haben.

Chri: Wir haben schon überlegt, ob das alles zu stumpf ausgedrückt ist. Aber ist es nicht. Es ist nicht platt. Und dieses Thema sollte endlich auch beim Letzten ankommen. Ganz einfach.

Nächster Song: „Hartes Leben“

Nico:
Wir haben uns gesagt: Lasst uns doch mal allen Nörglern, Meckerern und Wutbürgern so richtig einen reindrücken. Aber mit Humor und Ironie. Nach dem Motto: „Alles klar, du hast ja wirklich große Probleme.“ Wobei das ja uns alle angeht. Da muss sich jeder von uns an die eigene Nase packen, wenn man sich mal wieder über irgendeinen Scheiß wie – im Lied wird es ja gesagt – beispielsweise zu heißen Kaffee aufregt. Wir sollten in solchen Momenten glücklich sein, dass wir keine richtigen Probleme haben. Dass wir in so einer Welt leben dürfen, in der wir nur solche Probleme haben.

Artur: Man darf sich ruhig ärgern, dass die Rheinbahn mal wieder zu spät kommt. Aber man muss das schon in das richtige Verhältnis setzen.

Weiter geht es mit „Wo gehör ich hin“.

Chri:
Ein Stück, in dem es darum geht, dass man sich in dieser Welt schon durchaus mal verlieren kann. Stichwort: Reizüberflutung. Unsicherheit. Nimm unseren wackligen Stand als Musiker: Die Leute finden es zwar toll, wenn jemand wie Bosse im Fernsehen läuft. Aber wenn man dann eine Wohnung sucht, so wie es mir passiert ist, und man Absagen bekommt, weil man sich als Musiker zu Erkennen gibt, der nicht allzu viel verdient, dann sieht die Sache schon wieder anders aus.

Artur: Die Gesellschaft geht voll auf Normalität ab. Man soll sich am besten immer und überall anpassen.

„Wer wirft den ersten Schein“ – ein weiterer Titel, der sich selber erklärt. Es geht um Kapitalismuskritik.

Nico:
Absolut. Eine ganz klare Kritik an einem System, das nur noch auf Konsum aus ist. Schlimmer noch: Nur noch auf Geld. Wenige Menschen besitzen das meiste Geld und können damit eigentlich gar nichts anfangen. Sie horten es nur. Hauptsache, kein anderer hat es.

Artur: Es geht nicht darum, dass Anarchie oder Antikapitalismus alles besser machen würden. Nein. Es geht um diese Superreichen, die mit ihrer Kohle, überspitzt gesagt, einem ganzen Kontinent 200 Jahre lang die Schulbildung bezahlen könnten – und die mit dieser Kohle eigentlich gar nichts tun, außer sie anzusammeln.

„Weit weg“ ...

Nico:
Einfach ein zwischenmenschliches Stück über einen Menschen, der nicht mehr da ist – vollkommen egal, ob er einfach so fortgegangen oder gestorben ist.

Es folgt „Für dich“. Darin geht es um Selbstverwirklichung.

Nico:
Ja. Es ist der Gegenpol zu einem gesellschaftskritischen Lied. Er bejaht das Individuum und sagt: Mach das, was du willst und was dich glücklich macht und was du gut findest. Aber verbieg dich nicht!

Artur: Wer sich das ganze Album über bis zu diesem Lied gefragt haben sollte: „Wo gehöre ich hin?“, findet hier vielleicht eine Antwort.

Bleibt noch „Ich bleibe hier“. Dieses Stück klingt sehr versöhnlich.

Nico:
Wir wollten dieses Mal nicht so wie auf den letzen Platten mit einem Ballerstück aufhören. Und da passte der ganz gut. Ein Song mit schöner positiver Message. Er handelt davon, dass man für gewisse Menschen immer da ist. Egal ob körperlich oder geistig. Wirklich gute Freunde oder die Familie bringt letztlich nichts auseinander.