FLAMING STARS

Eine der beeindruckendsten Bands dieser Tage, deren warmer, samtiger Sound irgendwo zwischen Garage, Psychedelic und Singer/Songwriter-Tum angesiedelt ist, sind die FLAMING STARS. Die eigentlich in London ansässige Band hat seit ihrer Gründung Mitte der Neunziger schon vier Alben veröffentlicht --– alle auf dem Billy Childish-Fans wohlbekannten Vinyl Japan-Label –, konnte aber hierzulande bislang ihren Geheimtip-Status nicht abschütteln. Schade eigentlich, denn ihre handgemachte Musik ist einfach rundum schön und berührend gut und lohnt ungemein entdeckt zu werden. Ich sprach mit Max Decharne, dem überaus sympathischen, in Berlin lebenden Frontmann der FLAMING STARS.

Wax, wie hat es dich nach Berlin verschlagen?


Ganz einfach: mir gefällt es hier. Und schon bevor ich mich entschloss hier zu leben, war ich oft in Berlin gewesen, schon damals, als ich noch bei GALLON DRUNK Schlagzeug gespielt habe. Seit ein paar Jahren sind die Flugtickets für die Strecke Berlin-London richtig günstig, und so ist es für mich recht einfach, mich zwischen Berlin und London zu bewegen, wo der Rest der FLAMING STARS ansässig ist. Würde ich in Schottland leben, wäre es viel weiter, teurer und komplizierter nach London zu kommen.

Berlin hat seit jeher Underground-Musik aus aller Welt angezogen.

Ja, denn Berlin ist schon immer eine interessante Stadt gewesen, eine Rock´n´Roll-Stadt, in der man sich als Musiker gut bewegen konnte und kann. Es gibt einfach ein paar Städte, in der man sich als Musiker wohl fühlt, und neben Chicago und New York ist das eben auch Berlin. Andere Städte dagegen sind langweilig.

Beeinflusst eine Stadt denn die kreative Arbeit?

Schwer zu sagen, denn ich war schon immer viel unterwegs und letzten Endes ist es nicht so wichtig, wo du lebst. Und was London anbelangt, so ist das eine Ausnahme innerhalb Englands – überall sonst ist es richtig konservativ, da versteht man schnell, wieso die Leute damals Maggie Thatcher gewählt haben. Und selbst in London machen die meisten Kneipen um Mitternacht zu, was wiederum ein riesiger Vorteil von Berlin ist: du kannst auch morgens um zwei noch losziehen.

Hast du in Berlin musikalisch auch noch was am laufen?

Nein, ich habe dafür aber auch nicht wirklich Zeit, denn ich schreibe sehr viel: einerseits Bücher, andererseits für Magazine wie Mojo und Bizarre. Dank E-Mail spielt es da auch überhaupt keine Rolle mehr, wo ich gerade bin.

Ich muss gestehen, ich habe die FLAMING STARS erst vor zwei Jahren entdeckt, und dabei gibt es die Band schon seit Ende 1994.

Das überrascht mich nicht, denn bis dahin war es ziemlich schwer unsere Platten in Deutschland zu bekommen, und wir waren auch nicht gerade viel auf Tour – wir haben vor vier oder fünf Jahren mal während der Popkomm eine Show in Köln gespielt. Erst seit zwei Jahren läuft es etwas besser für uns, wir haben jetzt einen Booker und werden etwas mehr wahrgenommen. Anfangs, also mit unserem ersten Album 1996, haben wir auch noch etwas davon profitiert, im Kontext von Billy Childish wahrgenommen zu werden.

Mit deiner alten Band GALLON DRUNK warst du ja damals auf einem Berliner Label, bei City Slang.

Ja, und Anfang der Neunziger haben wir auch des öfteren in Berlin gespielt.

Musikalisch hast du hingegen einen weiten Weg hinter dich gebracht im Vergleich zu GALLON DRUNK.

Bei GALLON DRUNK ging´s um Rhythmus und Lärm, aber mir ging´s schon immer mehr um die Melodie, und das ist es auch, was ich an Bands wie den RAMONES oder THE JESUS & MARY CHAIN immer geschätzt habe: die waren zwar einerseits laut und lärmig, aber es gab eine Melodie, die hängen blieb. Ich denke, das ist es auch, was die Leute an den BUZZCOCKS und den UNDERTONES mögen, und das verbindet auch all die Bands und Musiker, die mir was bedeuten, seien es die RONETTES, Hank Williams oder Tom Waits. Das alte Vers-Refrain-Schema eben, wobei ich trotzdem gerne bei GALLON DRUNK war. Da hat aber James, unser Sänger, die meisten Songs geschrieben.

Bei den FLAMING STARS dagegen scheinst du die zentrale Person zu sein.

Na ja, ich bin der Sänger und spiele das Keyboard und schreibe die meisten Songs, wobei die anderen aber durchaus alle mal was schreiben. Es ist also auf jeden Fall "unsere" und nicht "meine" Band. Wir kannten uns auch alle schon lange vor der Gründung der Band, waren Freunde, die gerne was zusammen machten und dann eben auch anfingen, gemeinsam Musik zu machen.

Was haben denn deine Mitmusiker für eine Vergangenheit?

Ein paar von uns haben vor den FLAMING STARS bei den EARLS OF SUAVE gespielt, die ebenfalls auf Vinyl Japan waren. Das war Anfang der Neunziger, als ich noch bei GALLON DRUNK spielte. Das war ein reines Fun-Projekt, wir haben in London in Kneipen Songs von Elvis, Johnny Cash und Roy Orbison gespielt. Vinyl Japan fragte uns dann, ob wir ein Album machen wollen, und überraschenderweise hat sich das dann in Japan ganz gut verkauft. Paul, unser Bassist, war übrigens der erste Bassist von GALLON DRUNK, noch bevor sie eine Platte machten. Marc, der eine Gitarrist, war zuvor bei den STINGRAYS, einer Psychobilly-Band, die in den Achtzigern oft in Deutschland spielte, Joe, unsere Drummer, war zum Schluss auch bei den STINGRAYS sowie bei einer Band namens MINXUS, die Anfang der Neunziger auf Too Pure veröffentlicht hat, und Huck schließlich, unser anderer Gitarrist, ist Joes Bruder und war bei DELICIOUS MONSTER aus Birmingham, die auf dem selben Label waren wie SUEDE.

Das ist eine erstaunliche Bandbreite an musikalischem Background.

Oh ja! Wir sind keine Psychobilly-Band, wir klingen nicht wie MINXUS und mit den EARLS OF SUAVE verbindet uns auch nichts. Ich weiß auch nicht so genau, wie wir klingen, aber hoffentlich klingen wir wie die FLAMING STARS.

Ein Vergleich, der für mich auf der Hand liegt, sind VELVET UNDERGROUND.

Ganz klar, ja. Wenn mich Leute fragen, wie meine Band denn klingt, antworte ich immer, dass ich nur für mich sprechen kann, aber meine Lieblingsband ganz klar VELVET UNDERGROUND ist.

Ich finde ja auch, dass euer Sound sehr gut mit "velvet", also Samt, beschrieben werden kann. Er ist sehr weich und schwer, wobei man aber schon spürt, dass unter der schönen Oberfläche auch einiges an Aggression mitschwingt.

Danke! Wir sind der Meinung, dass Musik nicht zu clean klingen darf. Wenn du den Sound beim Produzieren zu sehr polierst, klingt die Musik nicht mehr wie von Menschen gemacht. Wir wollen bei uns immer noch Ecken und Kanten stehen lassen, die Spannung muss erhalten bleiben.

Wie nehmt ihr denn auf?

Vor allem schnell! Ein Album haben wir innerhalb einer Woche fertig. So war das etwa bei unserem letzten Album "A Walk On The Wired Side": wir haben in einer Woche 17 Songs eingespielt, 16 davon kamen auf das Album, der siebzehnte auf die B-Seite der Single. So haben die Leute auch in den Fünfzigern und Sechzigern gearbeitet, da kam niemand auf die Idee, zwei Monate ins Studio zu gehen. Damit fingen erst die BEATLES in ihrer Spätphase an, und natürlich die BEACH BOYS. Musiker, die ich bewundere, etwa Bob Dylan, haben ihre Platten in ein paar Tagen eingespielt, und T.REX haben "The Slider" in 48 Stunden aufgenommen. Das erste VELVET UNDERGROUND-Album war nach einem Wochenende fertig, ebenso das erste SUICIDE-Album, die RAMONES brauchten für ihr Debüt vier oder fünf Tage.

Oder die ganzen frühen US-Punk- und Hardcore-Platten, die in ein paar Stunden zwischen Mitternacht und Morgengrauen eingespielt wurden, weil da die Studios am billigsten waren.

Richtig, und so haben wir auch unser vorletztes Album "Pathway" aufgenommen – nämlich im Pathway-Studio in Nord-London. Dort wurden die ganzen frühen Punkplatten auf Stiff aufgenommen, etwa die erste THE DAMNED-Scheibe, WRECKLESS ERIC und so weiter. Das war ein winziges Studio, und leider war unser Album eine der letzten Produktionen dort, die haben es kurz darauf abgerissen.

Ist dir der Unterschied zwischen analog und digital wichtig?

Ja klar. Heute wird ja sehr viel direkt auf Festplatte aufgenommen und hinterher bis ins kleinste Detail am Rechner bearbeitet – und wenn der Sänger irgendwo den Ton nicht exakt getroffen hat, wird das natürlich korrigiert. Wir haben darauf überhaupt keine Lust, wir nehmen auf Band auf, meist 8-Track oder wenn wir das Geld haben auch 16-Track. Und dann läuft das so, wie die Leute schon immer aufgenommen haben: alles soweit hochdrehen wie möglich, die Songs ein paar Mal spielen, und wenn du dann eine Version des Songs hast, die dir gefällt, legst du noch ein Gitarrensolo oder etwas Percussion drauf und das ist es auch schon und du mischst die Sache ab. Wir lieben den Klang von Verstärkern, und wenn du den auf Stufe 10 drehst, fängt der schon vom bloßen Rumstehen an zu summen und zu brummen und komische Geräusche zu machen. Solche Geräusche versuchen wir einzufangen, anstatt sie auszuschalten, denn eine Gitarre zum Beispiel ist doch auch ein primitives Instrument, ein Stück Holz mit etwas Draht dran. Ich sehe uns da – so sehr ich eine Band wie KRAFTWERK mag – in der Tradition von Phil Spector: leg ein bisschen Reverb über den Sound und hau so stark rein, wie du nur kannst. Auf diese Weise sind die besten Punk-Platten entstanden und die besten Sixties-Garage-Songs. Oder nimm die frühen Reggae-Aufnahmen: die Studios auf Jamaika waren in den Siebzigern noch unglaublich primitiv, und denk´ an die frühen Blues- und Country-Aufnahmen.

Euer letztes Album – eine Zusammenstellung von Aufnahmen der letzten Jahre – ist erstmals nicht auf Vinyl Japan, sondern auf Alternative Tentacles erschienen. Wie kam´s dazu?

Die haben uns letztes Jahr kontaktiert, und da unsere Platten in den USA nie wirklich gut zu bekommen war – wenn, dann als sehr teurer Export – dachten wir, das wäre eine gute Idee. Ich habe unsere Platten in New York schon für 29 Dollar im Laden stehen sehen, und da kann man echt nicht erwarten, dass das jemand kauft. AT schlug vor, ein Compilation-Album mit den besten Songs unserer bisherigen Platten zu machen, damit uns die Leute kennen lernen können, und da wir das auch schon in Japan mit Sony gemacht hatten, sagten wir zu.

Was ist mit einem "richtigen" neuen Album?

Wir arbeiten gerade dran, und es wird im Sommer erscheinen, wieder auf Vinyl Japan bzw. auf Alternative Tentacles in den USA und Kanada.

Wie sieht´s mit einer Deutschland-Tour aus?

Wir werden ab Mitte März ein paar Shows in Deutschland spielen, und dann noch mal im Herbst, wenn das Album raus ist.

Max, vielen Dank für das Interview.

Diskographie:
"Songs From The Bar Room Floor" (CD/LP, Vinyl Japan, 1996) • "Bring Me The Rest Of Alfredo Garcia" (CD, Vinyl Japan, 1997) • "Sell Your Soul To The Flaming Stars" (CD, Vinyl Japan, 1997) • "Pathway” (CD,LP, Vinyl Japan, 1999) • "You Don´t Always Want What You Get" (7", Vinyl Japan, 2000) • "Ginmill Perfume - The Story So Far 1995 - 2000" (CD, Alternative Tentacles, 2001)