JENSEITS

Kerascoet, Fabien Vehlmann

Immer schön, wenn sich hinter süß-naiv anmutenden Zeichnungen erstaunlich morbide Geschichten verbergen, an denen man sich schnell mal verschlucken kann. Und so entpuppt sich hier das anfängliche idyllische Kaffeetrinken mit „Alice im Wunderland“-Flair als heimtückisches Intro für eine Horrorstory ganz besonderer Art, in der William Goldings „Herr der Fliegen“ in einem grausamen Fantasy-Reich angesiedelt wird.

Denn ähnlich wie bei Golding geht es in JENSEITS um die angeborene Gewaltbereitschaft des Menschen. In diesem Fall sind die Protagonisten kindliche Märchen-Wesen, die sich gegen die bedrohliche Natur behaupten müssen und untereinander Machtkämpfe austragen, bei der Ausbildung archaischer Gesellschaftsmodelle.

Gesteigert wird das Ganze noch dadurch, dass alles in der Umgebung einer langsam verwesenden Leiche eines jungen Mädchens stattfindet, die offenbar auf dem Schulweg von jemand umgebracht wurde, was eine bizarre Verbindung zur Realität schafft.

Denn diese Geschöpfe scheinen quasi die Inkarnation der entwichenen Seele des Mädchens darzustellen und scharen sich jetzt wie die Einwohner von Liliput um ihren toten Gulliver. Insofern kann man viel in JENSEITS hineininterpretieren (oder, wie originell, mal wieder David Lynch ins Spiel bringen.

oder vielleicht besser eher Tim Burton) oder sich einfach nur an den niedlichen Zeichnungen von Kerascoët erfreuen, die eine sich stetig steigernde Blutrüstigkeit an den Tag legen. Eigentlich müsste JENSEITS mit einem Warnhinweis versehen werden, damit niemand auf die Idee kommt, so was aufgrund des hübschen Covers einem Kind in die Hände zu geben.

Denn selbst zartbesaiteten Erwachsenen dürfte diese surreale Geschichte über Verfall und Tod noch heftige Albträume bereiten. Highly recommended, but not for the faint of heart!