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KREATOR

Hate über alles

„Wenn dir eine Band nicht so gefällt, versuch, objektiv zu schreiben.“ Das ist auch so ein Ratschlag, den ich nicht umsetzen kann. Alle Reviews, die ich verfasse, sind gnadenlos subjektiv und nur weil irgendein Hans, Franz oder Joachim eine Band gut findet, heißt das noch lange nicht, dass ich das auch tue. Und hätte man mich vor etwas mehr als einer Dekade gefragt, was ich von KREATOR halte, hätte ich trocken geantwortet, dass deren einzig erträgliche Scheibe „Renewal“ aus dem Jahr 1992 ist, weil sie sich nicht nach KREATOR anhörte. Und dann kam der Tag vor zehn Jahren, als mein Kumpel Owe einen Link mit den Worten schickte: „Das ist total geil.“ Hinter der Zahlen- und Buchstabenkombination fand sich das Video zu „Phantom Antichrist“ von KREATOR. Und verdammt, er hatte recht. Seitdem habe ich keine Scheibe der Altessener mehr auf Vinyl verpasst, was kein einfaches Unterfangen ist, da KREATOR-Alben sich offenbar immer noch wie geschnitten Brot mit veganem Aufstrich verkaufen. Auch „Hate über alles“ wurde unbekannterweise vorbestellt, während ich mich jetzt unverhofft erstmal durch einen Stream unter Kopfhörer in Dauerrotation arbeite. Aber auch so lassen sich zwei Dinge zum 15. Album des deutschen Thrash-Metal-Vorzeige-Quartetts glasklar feststellen. Erstens: Der Sound ist obere Spitzenklasse, transparent, druckvoll und organisch genug, um nicht nach Klinik zu klingen. Klarer Pluspunkt, ermöglicht durch das Oldschool-Hansa-Tonstudio Berlin. Und zweitens und möglicherweise wichtiger: KREATOR setzen ihren Weg zu eingängigen Hymnen und weniger Aggressivität konsequent fort. Nicht weit genug, um „Hate über alles“ als Popmusik mit lauten Gitarren zu verunglimpfen, aber der harmonische ergänzende Gesang von Sofia Portahead bei „Midnight sun“, dürfte beispielsweise Fans, die auf „Extreme Aggression“ hängengeblieben sind, Tränen in die Augen treiben. Das von Mastermind Mille erklärte Ziel, Songs zu schreiben, bei denen das Publikum live abgehen kann, ist aber mit beängstigender Perfektion erreicht worden. Den Titeltrack nach Western-Intro am Anfang zu platzieren und damit gleich einen zwischen Aggression, Energie, Sozialkritik und Hymne genauestens austarierten Ohrwurm rauszuhauen, ist natürlich mit dem Risiko verbunden, gleich sein Pulver verschossen zu haben, aber KREATOR halten das Niveau konstant hoch. „Killer of Jesus“ hat wie „Become immortal“ mit seinen Männerchören Hitpotenzial und bleibt auf interner Dauerschleife sofort im Ohr. Es macht wenig Sinn, jetzt hier jeden Song niederzuschreiben, aber auf dem ganzen Album ist kein einziger Ausfall, die Zwillingsgitarren und die Gesellschaftsanalyse regieren und beinahe jeder Refrain ist eine Hymne für die Ewigkeit. Mission erfüllt.