4AD

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Ein innovatives Label feiert 40. Geburtstag

Von der Musikerin Claire Boucher aka GRIMES, die aktuell auf 4AD veröffentlicht, gibt es ein schönes Zitat über ihr Label: „If the music industry is The Simpsons, 4AD is Lisa. She’s not the most popular person in the family but the cool, intelligent, subversive one. 4AD don’t sign buzz bands, they’re super-tasteful instead, and often distinctively feminine.“ 4AD wurde 1980 von Ivo Watts-Russell und Peter Kent mit Unterstützung von Beggars Banquet Records gegründet, in deren Plattenladen in London Ivo Watts-Russell seit 1977 arbeitete.

Zuvor nannten sie sich für eine kurze Zeit Axis Records, hier wurden lediglich vier Singles veröffentlicht, unter anderem die „Dark Entries“-Single von BAUHAUS. Axis änderten seinen Namen aber kurze Zeit später in 4AD, da der Name schon von einer anderen Firma in der Musikbranche genutzt wurde. Watts-Russell entdeckte den Schriftzug 4AD auf einem Werbeflyer: „What I loved about 4AD was that it meant nothing. No ideology, no polemic, no attitude. In other words, just music.“ Das notwendige Startkapital betrug 2.000 britische Pfund, welches er von Beggars Banquet bekam. Allerdings verließ Peter Kent 4AD nach knapp einem Jahr, um sein eigenes Label Situation Two zu gründen, auf dem THE SOUTHERN DEATH CULT, THE CULT, PLAY DEAD, FIELDS OF THE NEPHILIM, THE FUZZTONES, GENE LOVES JEZEBEL und THE CHARLATANS veröffentlicht wurden.

Kent und Watts-Russell waren zu unterschiedlich, oder um in den Worten von Peter Kent zu sagen: „It was like I was ROXY MUSIC and he was CAPTAIN BEEFHEART, but we appreciated where the other was coming from. He was mellower, I was more outgoing. But I wouldn’t say I ever knew Ivo.“ Allerdings war es Kent, der BAUHAUS für 4AD entdeckte und für das Label gewinnen konnte. BAUHAUS veröffentlichten mit ihrem Debütalbum „In The Flat Fields“ (1980) die erste LP, die das 4AD-Logo trug. In den ersten Jahren entdeckte Watts-Russell für 4AD Bands wie THE BIRTHDAY PARTY, COCTEAU TWINS, DEAD CAN DANCE, THIS MORTAL COIL, CLAN OF XYMOX, X MAL DEUTSCHLAND, THROWING MUSES, PIXIES oder MODERN ENGLISH, um nur einige zu nennen.

Die Begeisterung der Fans für 4AD ging nicht nur von der dort veröffentlichten Musik aus, sondern auch von einem unverwechselbaren Design und Artwork, ähnlich wie beispielsweise bei Factory Records. Das ausgeprägte Kunstverständnis von Watts-Russells veranlasste ihn, einen hauptberuflichen Designer – Vaughan Oliver vom Designstudio 23envelope – einzustellen, dessen visuell eigenständigen Arbeiten die Musik auf 4AD kongenial ergänzten. In den Achtziger Jahren kaufte man als Fan einfach alles von 4AD – also auch alle Formate (7“, 12“ und LP), selbst wenn man die Bands teilweise noch gar nicht kannte. Zuerst arbeitete Vaughan Oliver als Freelancer für 4AD und schuf so grundlegend die Corporate Identity und das Artwork des Labels. Ab 1983 wurde Oliver der erste Angestellte von Watts-Russell. Aus dieser Verbindung entstanden eine ganze Reihe von Platten- und CD-Cover, Poster und anderer Grafikdesign-Arbeiten, die in den nachfolgenden Jahren und bis heute viele junge Kreative beeinflussten. Zwischen 1980 und 1986 arbeitete Oliver mit Nigel Grierson zusammen, einem Studenten der Fotografie und Film.

Ivo Watts-Russell war im Gegensatz zu beispielsweise Tony Wilson von Factory Records fast nie auf den Konzerten „seiner“ Bands, hatte aber klare Vorstellungen über die Acts von 4AD und welche Musik diese veröffentlichten: BAUHAUS ließ er gehen, weil er nicht damit einverstanden war, dass sie „Telegram Sam“ von T. Rex coverten, MODERN ENGLISH, weil ihm deren musikalische Entwicklung missfiel. Es ging ihm nie um die Verkäufe per se. 4AD war zu dieser Zeit ein sehr familiäres Label. Die damalige Lebensgefährtin von Watts-Russell, Deborah Edgely, war die Presseagentin des Labels, und Kristin Hersh von den THROWING MUSES nannte beide „Mum and Dad“. Deborah Edgely, die sechs Jahre mit Ivo liiert war, war für Kim Deal das Herz des Labels, vermutlich auch deshalb, weil Edgely dafür verantwortlich war, dass Kim Deal die PIXIES nicht verließ. Watts-Russell hatte eine fast romantisch verklärte Affinität zu Bands, bei denen Frauen und Männer in einem ausgewogenen Verhältnis aktiv und teilweise liiert waren.

Auch aus diesem Grund wurden DEAD CAN DANCE, THIS MORTAL COIL – deren Songauswahl für die Alben er verantwortete, teilweise produzierte (er bevorzugte den Begriff „musical director“) und auch an Songs mitschrieb – und die COCTEAU TWINS zu einer Art Aushängeschild des Labels. Gitarrist Robin Guthrie und Sängerin Elizabeth Fraser von den COCTEAU TWINS schickten ein Demotape an 4AD, das auf große Resonanz bei Watts-Russell stieß: „I immediately enjoyed it. It sounded familiar, like SIOUXSIE & THE BANSHEES, though with a drum machine. And a voice you could barely hear. There was no indication that Elizabeth was great or bad. But the power of the music made me call them to suggest they make a single.“ Das Demotape der PIXIES, welches er 1987 erhielt, hätte hingegen beinahe nicht seine Beachtung gefunden.

Nach seinen Erfahrungen als Produzent mit THIS MORTAL COIL gründet Watts-Russell, obwohl eigentlich kein Musiker, seine eigenes Projekt THE HOPE BLISTER, welches sich im Spannungsfeld von Kammerpop, Ambient und Shoegaze bewegte. Auf dem Debüt „... Smile’s OK“ befanden sich Coverversionen prominenter Musiker, unter anderem David Sylvian (JAPAN), Brian Eno und John Cale. Der größte kommerzielle Erfolg von 4AD war erstaunlicherweise 1987 die Single „Pump up the volume“ von M|A|R|R|S, ein Projekt von Mitgliedern der beiden 4AD-Bands A.R. KANE und COLOURBOX. Ein sehr einflussreicher House- und Techno Track, der ähnlich wie das zur gleichen Zeit erschienene „Beat dis“ von BOMB THE BASS den Zeitgeist der damaligen englischen House-Szene aufgriff und intensiv Samples einsetzte, was unmittelbar Rechtsstreitigkeiten bezüglich der Legalität dieser Samples nach sich zog. Ein Sample war zum Beispiel „You’re gonna get yours“ aus einem Track von PUBLIC ENEMY. Der Sample „Pump up the volume“ selbst stammte von ERIC B. AND RAKIM. Die Single war 18 Wochen Nummer Eins in den UK-Charts, verkaufte um die drei Millionen Exemplare weltweit und wurde 1987 die meistverkaufte 12“ in den USA.

Doch der Erfolg hatte Schattenseiten. Im Anschluss wollten COLOURBOX alleine unter dem Namen M|A|R|R|S veröffentlichen. Da sie jedoch nicht gewillt waren, die Namensrechte an M|A|R|R|S von A.R. KANE für 100.000 Pfund zu erwerben, blieb es bei „Pump up the volume“ als einzigem Song. Durch diese Rechtsstreitigkeiten um den Song zeigte sich das erste Mal Watts-Russells Frustration angesichts der negativen Seite Musikindustrie. Zu Beginn der neunziger Jahre erweiterte 4AD seine Aktivitäten in Nordamerika mit der Gründung einer Filiale in Los Angeles und konnte Erfolge mit THE BREEDERS und RED HOUSE PAINTERS verbuchen. Es folgte eine Niederlassung in New York, die von Robin Hurley geleitet wurde, der auch das DEAD CAN DANCE-Album „Toward The Within“ (1994) produzierte. Watts-Russell hatte 1994 einen Nervenzusammenbruch, ausgelöst durch Depressionen und seine Verachtung für eine Branche, die Videos und Remixe von Songs über das „Reine“ und „Einzigartige“ der Ideale in der Musik stellte. Für die durch harte kommerzielle Aspekte getriebene Musikbranche war er nicht geschaffen. Er war ein idealistischer Mensch und nicht etwa von der Art wie etwa Alan McGee, der Creation Records gründete und unter anderem OASIS veröffentlichte, und der (angeblich) sagte: „Der einzige Grund, warum ich in das Musikgeschäft einstieg, bestand darin, reich zu werden, Drogen zu nehmen und mit Frauen zu schlafen.“

1999 verkaufte Watts-Russell seine Anteile an 4AD an die Beggars Banquet Group, die 4AD bis heute als Sublabel mit Bands wie TV ON THE RADIO, BEIRUT, FUTURE ISLANDS, THE NATIONAL, DEERHUNTER, GRIMES oder auch Scott Walker weiterführen. Heute lebt der 66-Jährige Ivo Watts-Russell mit drei Hunden in der Wüste in Santa Fe in New Mexico und hat mit 4AD neben Factory Records und Rough Trade eines der innovativsten britischen Independentlabels geschaffen.