ALLEGAEON

Foto© by Caleb Dane Young

Tränen, Trauer, Teamwork

Dass „Damnum“ nicht einfach nur ein Album ist, wird angesichts der Begleitumstände schnell klar. Auf ihrer sechsten Platte verarbeiten die US-Deather persönliche Verluste und Schicksalsschläge – und beschreiten dabei nicht nur inhaltlich neue Wege. Frontmann Riley McShane hat mit uns über den bislang bedeutendsten Release der Bandgeschichte gesprochen.

Persönliche Verluste, Trauer, Verzweiflung: Angesichts der Umstände, die „Damnun“ beeinflusst haben, muss es die emotional intensivste und herausforderndste Platte für euch gewesen sein.

Absolut wahr. Dieses Album ist das erste, das sich nahezu vollständig vom Thema Wissenschaft entfernt und den Fokus textlich auf persönlichere Gebiete verlagert hat. Die ersten musikalischen Ideen für das Album haben mich sehr bewegt, doch es fühlte sich nur richtig an, dann auch genau diese Richtung einzuschlagen.

Mehrere Bandmitglieder mussten in der jüngeren Vergangenheit den Verlust geliebter Menschen verkraften. Hat sich dadurch deine persönliche Wahrnehmung von Leben und Tod verändert?
Ich würde nicht sagen, dass sich meine Wahrnehmung sehr verändert hätte. Aber dass ich selbst auch privat die Erfahrung eines Verlusts machen musste, hat definitiv einen Paradigmenwechsel in meiner Perspektive auf mich selbst bewirkt. Mit Trauer, Wut, Schmerz, Hoffnungslosigkeit umgehen lernen – all das hat mich viel über mich selbst gelehrt.

Viele dieser eindrücklichen Emotionen habt ihr während der Entstehung der Platte noch einmal Revue passieren lassen – inwiefern hat dir das Schreiben geholfen, mit den Ereignissen umzugehen?
Dieses Album zu produzieren, war eine sehr kathartische Erfahrung. Vom Schreibprozess über die Aufnahmen im Studio bis hin zum Hören des fertigen Produkts wurden viele Tränen vergossen und viele Stunden in Gedanken und Reflexion verbracht. Musik war schon immer ein Ventil für mich, aber diesmal war es das erste Mal, dass sie mir half, sehr felsige emotionale und psychologische Landschaften zu durchqueren, die ich bisher in meinem Leben noch nicht gekannt hatte.

Bei euch gab es einen Line-up-Wechsel: Drummer Jeff Saltzman ist neu dabei. Die Integration eines neuen Mitglieds muss angesichts der Pandemie und ihrer Begleitumstände eine echte Herausforderung gewesen sein. Wie habt ihr es geschafft?
Es war trotz aller Corona-Einschränkungen ein überraschend reibungsloser Ablauf. Nachdem wir uns entschieden hatten, uns von unserem früheren Schlagzeuger zu trennen, hielten wir eine Reihe von Auditions unter Freunden und Kollegen ab, die wir sehr schätzen. Nicht nur Jeffs rein handwerkliche Performance bei seinem Tryout sorgte dann dafür, dass er den Job bekommen hat. Sondern auch sein Eifer und seine Motivation gaben uns das Gefühl, dass er als kreativer Motor zum weiteren Wachstum der Band beitragen wird. Es passt perfekt.

Da diesmal alle Mitglieder kreativ am Songwriting beteiligt waren, wie anspruchsvoll war der Prozess? Habt ihr euch regelmäßig getroffen und geprobt – oder habt ihr euch über E-Mail und Internet ausgetauscht, wie es viele Bands während der Pandemie taten und tun?
Der Songwriting-Prozess verlief auch überraschend unkompliziert. Dabei hatten wir im Vorfeld durchaus die Befürchtung, dass sich die Einbeziehung jedes Mitglieds in den kreativen Prozess schwierig gestalten könnte. Zumal wir geografisch über die gesamte nordamerikanische Landmasse verteilt sind. Wir haben also schon sehr viele Ideen per Mail und Gruppenchat ausgetauscht. Zwischendurch haben wir uns aber auch mehrere Wochen persönlich getroffen, wenn es denn möglich war. Wir sind dann die Songs gemeinsam durchgegangen. Das hat uns ermöglicht, in Echtzeit kreatives Feedback zu geben und die Songs schließlich so anzupassen, dass die Stärken aller Mitglieder als Musiker zum Tragen kommen. Die Platte hat so auch einen ganz anderen dynamischen Zusammenhalt.

Ihr habt auch zum ersten Mal die kompletten Aufnahme-Sessions zusammen erlebt. Wie viel Zeit habt ihr letztlich im Studio verbracht? Und warum habt ihr diesen „kollektiven“ Ansatz nicht schon bei früher gewählt?
Wir waren etwa fünf bis sechs Wochen im Studio, wobei wir fast jeden Tag aufgenommen haben. Dann kamen natürlich noch ein paar Wochen dazu, bis Dave Otero den Mix und das Mastering fertig hatte. Es war tatsächlich das erste Mal, dass alle Mitglieder während des gesamten Aufnahmeprozesses anwesend waren. Der Hauptgrund dafür, dass wir diesen Ansatz noch nie zuvor gewählt hatten, waren schlichtweg zeitliche und örtliche Einschränkungen. Wie bereits erwähnt, lebt die Band über ganz Nordamerika verteilt, daher kann es manchmal sehr schwierig sein, alle gemeinsam zur selben Zeit am selben Ort zu versammeln. Weil wir natürlich auch alle familiäre und berufliche Verpflichtungen haben – und gleichzeitig auch noch sicherstellen müssen, dass wir als Band Touren planen und spielen. Von daher sehen wir uns wirklich eher selten persönlich. Da wir aufgrund der Pandemie aber natürlich nicht auf Tour gehen konnten und viele von uns auch im Homeoffice gearbeitet haben, war es dann doch recht einfach, sechs Wochen zu finden, in denen wir uns treffen konnten, um das Album aufzunehmen. Und ich denke auch, dass wir es vor dem Hintergrund dieser Erfahrung auch nie wieder anders machen werden.

Die Scheibe ist wieder einmal eine sehr komplexe, vielseitige und technisch anspruchsvolle Angelegenheit geworden. Hast du eigentlich eine Vorstellung vom „perfekten Song“? Und welche musikalischen Grenzen möchtest du in Zukunft noch ausloten?
Ich glaube, keiner von uns hat eine konkrete Vorstellung davon, was einen „perfekten Song“ ausmacht. Ich denke, dass wir alle Musik als Werkzeug verwenden, um uns als Künstler und als Individuen auszudrücken. Und wenn wir schreiben, denken wir nicht darüber nach, wie wir den Song auf eine bestimmte Weise klingen lassen müssen. Sondern wir schreiben um des Kreativseins Willen. Während dieses Prozesses werden natürlich einige Entscheidungen getroffen und Änderungen vorgenommen, die dann womöglich „technische“ Dinge sind. Aber letztlich geht es darum, dass die Songs harmonieren oder für sich allein stehen. Aber selbst dabei haben wir nicht im Kopf, dass wir jetzt unbedingt musikalische Grenzen überschreiten wollen. Die Evolution der Band spiegelt am Ende wohl einfach nur unsere Liebe zum Musikmachen wider.

Die Pandemie hat vor allem Musiker sehr hart getroffen. Inwieweit ist die aktuelle Situation in der Musikindustrie aber vielleicht auch eine Chance?
Ich denke, die Pandemie bietet eine „Chance“ in dem Sinne, dass fast jeder danach die Möglichkeit hat, neu anzufangen. Mein Freund Travis Ryan von CATTLE DECAPITATION hat es mal als „der große Reset“ bezeichnet. Es ist nicht nur so, dass jahrelang quasi keine Touren gespielt wurden. Sondern ich glaube auch, dass viele vorgefasste Meinungen darüber, was kreativ „erlaubt“ ist und was nicht, überholt wurden. So viele großartige Bands sind während der Pandemie in den Fokus der Metal-Community gerückt, und keine von ihnen klingt wie die andere. Bands wie SPIRITBOX, TURNSTILE, LORNA SHORE – alles sehr unterschiedliche Bands, die aber jede für sich im Laufe der Pandemie enormen Impact hatte. Ich denke, ihre Erfolge sind ein großartiges Beispiel dafür, dass Metalbands voranschreiten, dass du, wenn du dir selbst und deiner Musik treu bleibst, in der Lage sein wirst, die Metal-Community auf eine Weise zu gestalten, die den Hörern viel breitere Horizonte eröffnet, als bisher erforscht wurden.

Nach wie vor ist es angesichts der ungewissen Corona-Lage schwierig, Touren zu planen. Wie geht ihr mit diesem Problem um?
Am Ende wird es die Zeit zeigen. Wir gehen aktuell davon aus, dass alle unsere derzeit geplanten Shows wie geplant stattfinden können, sind uns jedoch auch bewusst, dass das auch plötzlich nicht der Fall sein kann. Dafür gibt es Notfallpläne, um sicherzustellen, dass das Album die Aufmerksamkeit bekommt, die es unserer Meinung nach verdient.

Die Impfdebatte spaltet mittlerweile ganze Gesellschaften. Wie ist dein Standpunkt?
Ich glaube, wenn du gesund genug bist, um dich impfen zu lassen, solltest du das unbedingt tun. Dazu muss es meines Erachtens jedoch ein viel breiteres Bewusstsein für die Wissenschaft dahinter geben. Darüber, wie Viren mutieren, wie Vakzine im menschlichen Körper funktionieren und wie eine Impfung die Ausbreitung der Krankheit auf ein überschaubares Tempo verlangsamen wird. Viele Menschen, die sich gegen eine Impfung entscheiden, tun dies aus Skepsis gegenüber den Impfstoffen selbst. Und ich glaube wirklich, dass diese Ansichten aus einer Angst vor dem Unbekannten erwachsen. Informationen und Aufklärung über die Pandemie, das Virus selbst und den Zweck der Impfung würden viel dazu beitragen, dass die Weltgemeinschaft auf eine gemeinsame Seite kommt, damit wir alle zusammen vorankommen können.

Was stimmt dich optimistisch, dass die Menschheit diese epochale Krise überwinden wird?
Die Menschheit hat bislang jegliche Widrigkeiten und Krisen überwunden. Manche Dinge brauchen länger als andere, aber wenn wir die Eiszeit überlebt haben, können wir auch die Pandemie überstehen. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Menschheit im Kern trotz unseres selbstzerstörerischen Verhaltens und unserer unterschiedlichen Ansichten über die Kulturen hinweg gut und edel ist, voller Liebe und dem Wunsch, zusammen zu lernen und zu wachsen. Daran kann auch in den schlimmsten Zeiten nichts ändern.