AND ALSO THE TREES

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Like Lady d’Arbanville never happened

Rückblick: AND ALSO THE TREES formierten sich 1979 um die Gebrüder Jones (mit Simon Huw Jones als Sänger und Justin Jones als Gitarrist) in Inkborrow, einer verschlafenen Stadt im Schatten der sehr ländlichen Malvern Hills in Worcestershire. Diese sehr ursprüngliche Landschaft sollte die Musik von AATT nachhaltig beeinflussen, sie richteten sich in Inkborrow ein eigenes Studio ein und blieben der Stadt bis in die späten neunziger Jahre treu.

Die ersten Veröffentlichungen der Band entstanden unter dem Einfluss von Post-Punk. 1980 schickten sie ein Demotape an THE CURE, und Robert Smith war ad hoc von AATT begeistert, mit dem Ergebnis, dass AATT für THE CURE 1981 im Vorprogramm auf deren UK-Tour spielten. Ihr zweites Tape "From Under The Hill" (1982) - erschienen in einer Auflage von 200 Exemplaren - wurde bereits von Robert Smith koproduziert. Nicht wenige behaupten, dass es der Einfluss von AATT war, der die melancholische Seite von THE CURE beflügelte. Das dramatische Timbre in der Stimme von Jones - mitunter gar ein Lamento - findet durchaus Parallelen in den Stücken von THE CURE, als diese sich von Post-Punk und New Wave abwandten und Robert Smith in einigen eher bedenklichen Videos tendenziell einem Ensemblemitglied aus dem Musical "Cats" glich.

Die beiden ersten regulären Singles von AATT, "Shantell" (1983) sowie "The Secret Sea" (1984), wurden wie ihr Debütalbum "And Also The Trees" (1984) von THE CURE-Keyboarder Lawrence Tolhurst produziert. Geprägt waren die Songs von einem dunklen und nervösen Gitarrensound, wenngleich die britische Musikpresse schnell (und ungerechtfertigt) mit dem Stigma "CURE-knockoff" hantierte. John Peel konnte sich dem Charme der Band nicht entziehen und produzierte im April 1984 eine Session mit AATT.

Nach einer zweiten Tour mit THE CURE erschien 1985 die EP "A Room Lives In Lucy", mit der die Band mit ihrem mandolinenartigen flimmernden Gitarrensound das Fundament für den Sound der kommenden Jahre legte (mitunter hätte man sich dieses Klangbild als Untermalung der sehr dramatischen Sequenzen - gab es andere? - aus "Doktor Schiwago" gewünscht) oder wie es Simon Huw Jones selbst umschreibt: "I think our musical progression is similar to that of JOY DIVISION. If you listen to WARSAW and then JOY DIVISION, their awareness of atmosphere increases. Creating an ambience is very important."

Eines ihrer markantesten Alben, "Virus Meadow" (1986), veröffentlicht auf dem Bonner Label Normal Records, zeigt in vielerlei Hinsicht den Einfluss, den die ländliche Umgebung auf die Band hatte. Ein sehr schwelgerisches und melancholisches Album (wie es in der Hymne "Gone like the swallows" zum Ausdruck kommt) - das Cover könnte ein Stilleben eines der großen holländischen Maler sein - mit elegischen Gitarren und Texten, welche an mystische Zeiten in ländlichen Gutshöfen des 19. Jahrhunderts erinnern. Entsprechend war der "Dresscode" der Gruppe. Auf dem Cover ihres Albums "Farewell To The Shades" (1989) sieht man die Bandmitglieder in weißen Hemden, wie sie versonnen in ein aufgeschlagenes Buch blicken, wie es zu THE SMITHS-Zeiten ein gewisser Steven Patrick Morrissey nicht besser gekonnt hätte, gesetzt den Fall, es wäre ein Buch von Oscar Wilde gewesen - allein: im Falle von AATT war es ein Buch des schottischen Poeten Robbie Burns.

1987 gingen AATT auf Europatour und veröffentlichten als Ergebnis die Live-LP "The Evening Of The 24th", aufgenommen am 24. Oktober 1987 in Lausanne. Es folgte die EP "The Critical Distance", in der sich die Band wieder etwas auf ihre ursprünglichen Wurzeln besann. Über ihr Album "The Millpound Years" (1988), mit dem wunderbaren Song "Shaletown", einer zerbrechlichen Ballade, wo Simon Huw Jones mit leicht fiebriger Stimme singt - einem Bariton, bei dem Jones mitunter eher erzählt und die Zeilen nonchalant dahinhaucht (ein Stück, welches den Zeitgenossen THE PALE FOUNTAINS gut zu Gesichte gestanden hätte) -, führen AATT den Zuhörer zu dem durch die großen Poeten und Maler des 19. Jahrhunderts inspirierten Album "Farewell To The Shades" (1989). Die Titelwahl spricht für sich: "Macbeth's head", "Belief in the rose" oder "The horse fair". Der Albumtitel selbst ist durch William Cowpers Gedicht "The poplar field" bestimmt (Cowper verfasste Gedichte in einer ganz persönlichen Mischung aus Schwermut und leisem, bitteren Humor), und wie es der (mystische) Zufall so wollte, führte die Gruppe genau zu dieser Zeit einen Streit mit einem benachbarten Farmer, der eine alte Pappel (poplar tree) neben dem AATT-Studio in Inkborrow fällen wollte. So entstehen musikhistorische Kleinode.

Das Album selbst ist sehr introspektiv und fragil und gilt als ein Meilenstein in der Entwicklung der Gruppe: "Creating dark and lyrical anti-commercial masterpieces. A wonderful choice that has guaranteed the band creative survival and a constant artistic maturity that finds its inspiration in a deep interaction between music and literature, notes and poetry" (E.S.C., Ciao 2001). Allein die Coverversion des Cat Stevens-Songs "Lady d'Arbanville" stiftet Verwirrung. Kommerziell gesehen ist das Album der größte Erfolg der Band. Der nicht auf dem Album enthaltene Song "The pear tree" erscheint lediglich in den USA - mit einer Nachbearbeitung durch Robert Smith.

Anfang der neunziger Jahre erscheint das Album "Green Is The Sea" (1991). Die Gruppe verlegt nun die dunklen und schwermütigen Themen aus dem ländlichen Leidensraum des jungen Werther auf die raue und unbarmherzige See - eine hölzerne Galionsfigur in Gestalt einer freizügigen Schönheit ziert das Cover der LP -, auf der Geisterschiffe den Hörer durch Nebelbänke führen (in Songs wie "A ghost sailor" oder "Jacob fleet"). Das Album ist geprägt durch ein Piano in Moll. Erneut manifestiert sich der mystische und melancholische Status der Band in ihrer Fangemeinde. AATT gehen anschließend auf Europatour - spielen mitunter vor einem Publikum in den Tausenden - und absolvieren eine erfolgreiche US-Tour.

Mit dem Album "The Klaxon" (1993) schlugen AATT neue Pfade jenseits der sehr ruhigen Partituren ein. Es erfolgte eine Hinwendung zu sehr urbanen, lebendigen und wesentlich facettenreicheren Soundkollagen mit Trompete, ein wenig swingender Gitarre im Stile der fünfziger Jahre und einer Hammond-Orgel. Eine sehr gelungene Flucht aus der Landhausidylle in das Rotlichtviertel einer Großstadt. Eine sanfte Trompete verbrüdert sich mit einer Ennio Morricone-Gitarre und beschert dem Hörer eine Kopfkinoassoziation an einen niemals gedrehten Sergio Leone-Film, dessen Protagonisten kaputte Großstadtdesperados sind. Schnell findet sich das Attribut "industrial white man's blues". Songs wie das großartige "Sickness divine", "The flatlands" oder "Dialogue" - der Popsong des Albums - sind zeitlos schöne Stücke, die sich nicht hinter den TINDERSTICKS, CALEXICO oder den frühen MADRUGADA verstecken müssen. Begleitend erschien in diesem Jahr ein schönes Lyrikbuch der Band in zwei Versionen (jeweils 150 Exemplare in Rot und in Grün). 1994 veröffentlichen AATT nach umfangreichen Tourneen das Livealbum "The Bataclan" sowie das Tourvideo eines Konzertes in Hamburg.

Die Folgealben "Angelfish" (1996) und "Silver Soul" (1998) waren stilistisch eine logische Konsequenz von "The Klaxon" und wurden als ihre "Americano"-Phase bezeichnet. Erneut beherrscht die sehr rhythmische und an die fünfziger Jahre erinnernde Gitarre das Klangbild, irgendwie auch ein wenig Chris Isaak-Esprit versprühend. Jazz- und Blueseinflüsse treten offen zu Tage, oder wie die Band ihren neuen Stil selbst beschreibt: "Dark, dangerous landscapes of a large metropolitan city unfurl Morricone-guitars alongside blue trumpets, cool organ and heavy, jazz-tingend rhythms." Viele Songs sind unter dem Einfluss amerikanischer Literatur und Malerei entstanden, etwa das hypnotische "Highway 4287", und das im Geiste eines Nick Cave entstandene "Rose Marie's leaving" erzeugen eine Roadmovie-Atmosphäre, die Bilder aus Wim Wenders-Filmen vor dem geistigen Auge vorbeiziehen lässt. Sicherlich ist "Silver Soul", verglichen mit älteren Alben, eine eher AATT-atypische Platte, im Übrigen erstmals auf dem bandeigenen Label veröffentlicht, die aber zu Gefallen weiß. Ein Höhepunkt des Albums ist der Song "The obvious": "It's an obscure painted tale that walks you through the tattooed streets and into the dark tunnels of an ambiguous underworld" (Sami Alajaji, Musicfolio, 2003).

Danach tauchten AATT für fünf Jahre ab - abgesehen von einem Nebenprojekt namens G.O.L. von Gitarrist Justin Jones -, um 2003 (fast schon unerwartet) wieder mit dem Album "Further From The Truth" aus dem Nichts aufzutauchen. Ein introspektives und nostalgisches Album, das sich nahtlos in die frühen Veröffentlichungen der TINDERSTICKS und vielleicht auch MADRUGADA einreihen lässt, mit einer sehr sparsamen und schlichten (im positiven Sinne) Instrumentierung. Alles ist mellow und melancholisch gehalten. Songs wie "He walked through the dew" und "The man who run away" wären - teilweise auch vom Text her - bestens dafür geeignet, als musikalische Untermalung der Verfilmung von F. Scott Fitzgeralds "The Great Gatsby" herzuhalten, denn irgendwie begleitet die Stücke auch ein leicht mondäner Charme. Das Album wächst und erschließt sich nicht beim ersten Hören, und dennoch, am Ende steht ein kleines Juwel im Werk von AATT: zeitlos und unprätentiös. Mit seiner fragilen Stimme haucht Simon Huw Jones förmlich im Song "In my home" die Textzeile "There's a man that watches me, there's a girl that likes to comb her hair, there's a man that watches me, dark ribbons in her hair" - es mutet fast so an, als ob Jones die Texte von Anne Sexton vertonen wollte (Sexton bekam 1967 für ihr Buch "Live Or Die" den Pulitzerpreis für Poesie).

In den Folgejahren spielten AATT auf einigen Festivals und veröffentlichen Ende 2005 eine empfehlenswerte Werkschau "Best of 1980 - 2005", die unter anderem in würdigem Rahmen während einer Bootsfahrt auf der Seine in Paris vorgestellt wurde. Gegenwärtig arbeiten AATT an einem Folgealbum, dass, wenn die musikalische Richtung weiter eingehalten wird, an das sehr schlicht instrumentierte Soloalbum von Mark Hollis erinnern könnte.