ANDECK BAUMGÄRTEL

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Die DDR von unten (Teil 2)

Beim Thema „Punk in der DDR“ wird man immer wieder auf Namen Andeck Baumgärtel stoßen. Sei es bei der Aufnahme der „DDR von unten“-LP mit SAU-KERLE und ZWITSCHERMASCHINE oder den ersten studioähnlichen Kassettenaufnahmen von PARANOIA, KALTFRONT und DIE FIRMA – Andeck war mit seinem Know-how und seinem Mut für die neue Szene da, obwohl er eher aus der traditionellen Rockmusik stammte. Im Juni 2022 treffe ich mich mit ihm in Hermsdorf bei Dresden. Wir unterhalten uns über die Anfänge des Punkrock in DDR. Es geht um Andecks Weg als Musiker, seine Projekte und sein Wirken. Das Zusammenspiel von Rock’n’Roll-Lifestyle und Familienleben. Und natürlich auch um seine schweren Jahre, im Visier der Stasi.

Da warst du ja voll mit drin im Zeitgeschehen.

Und deswegen sage ich ja auch, in der heutigen Situation mit Putin, vielleicht sollte einfach mal ein ganz einfacher Mensch mit Putin reden, und sagen: „Das ist doch eine sinnlose Sache.“ Damals wurden doch die Dinge auch im Humorvollen gelöst. Das mit Krieg ist doch total blödsinnig. Und das war natürlich auch charakterprägend. Auch für uns als Familie. Die Jungs haben dann angefangen, Musik zu machen, schon ab 1991. Da waren die zehn und zwölf. Da haben die zu zweit angefangen, eben mit diesem ganzen Hintergrund. FREYGANG, FEELING B, also Aljoscha, die gingen hier alle ein und aus. Man hatte dadurch auch einen anderen Input. Auch nach der Wende. Das brach ja nicht einfach ab, weil jetzt die Wende kam. Wir wurden ja nicht plötzlich alle brave Westbürger. Wir haben unseren Charakter behalten und das hat auch bis heute getragen. Aljoscha und Leute wie Gunter Brendel sind verstorben. Mit denen hatten wir ja auch nach der Wende viel zu tun. Oder auch mit Paul, Micha von IN EXTREMO oder Kay Lutter. Die sind alle heute noch gut mit dabei.

Und ihr seid da noch gut vernetzt, sozusagen. Wahnsinn, dass das über die Jahre gehalten hat.
Ja, das ist eben nicht so wie bei manchen Ostbürgern, die Kontakt hatten mit Westverwandten. Dann nach der Wende ging es allen gut und das ist einfach versandet. Und in unserem Fall ist das eben nicht versandet, sondern ist immer noch befruchtend. Das schafft es immer noch, uns zu wunderbaren Gelegenheiten zusammenzuführen.

Vielleicht noch mal zurück zu den alten Aufnahmen. Was hast du für Erinnerungen an die Dresdner Bands dieser Zeit, also PARANOIA oder KALTFRONT?
Ja, das wuselte ja zu der Zeit. Sagt dir der Name Thomas Groß was? Der hat bei KALTFRONT gespielt. Oder Jürgen Kanowa.

Der erste KALTFRONT-Sänger.
Ja, der Jürgen Kanowa war als Sänger in der MUSTANG-Band und dann eben mit KALTFRONT mit dem Jörg Löffler unterwegs. Es war ein richtiger Pool. Das war irgendwie ein revolutionäres Dasein in der Szene. Da kam eine unheimliche Energie rüber. Und da gab es auch Veranstaltungen, zum Beispiel in Radebeul in der Sporthalle. NEW AFFAIR mit Paul Landers, Flake und Christoph. Dass muss so 1987/88 gewesen sein. Da waren KALTFRONT auch mit verwickelt. Da wurde schon mit sehr modernem Sound gearbeitet. Das war sicher für das Publikum ein bisschen überfordernd. Aber es war schon auch eine krasse Sache.

Dann hattest du ja noch eine eigene Band in dem Stil gehabt, die hieß TAUSEND JAHRE GRÖNLAND.
Das war mit dem Carsten Becker am Mikro und Olaf Meißner an der Gitarre. Das waren schon textlich angesagte Dinge. Also nicht bloß Unterhaltung, sondern Inhalte, die dann auch Widerhall in der Szene fanden. Mit der MUSTANG-Rockband hatten wir geile Abende und das Publikum war begeistert. Das war gute Action. Aber mit TAUSEND JAHRE GRÖNLAND wurde auch was transportiert, das man auch ausdrücken wollte. Das wurde auch in der Radiosendung „Parocktikum“ auf DT64 gespielt. Die Songs haben wir hier aufgenommen. Und mit dem Moderator, Lutz Schramm, habe ich später in den 2000er Jahren mal gesprochen. Mit der Band haben wir auch in den Zentren wie Berlin oder Erfurt gespielt. Da brannte schon auch bissel der Impuls.

Das war aber noch richtig mit Einstufung? [Die „Einstufung“ war eine Lizenz der DDR-Behörden, um überhaupt offiziell als Band auftreten zu dürfen.]
Ja, mit Einstufung lief es schon von Anfang an. Ohne Einstufung gab es keine Auftritte. Aber das war der Hass. Wir mussten aller zwei Jahre, auch schon mit MUSTANG, eine Einstufung machen. Da musste jeder, der eigene Songs schrieb, alle Texte abgeben mit Noten und so. Dann wurde vor einem leeren Saal gespielt. Da saßen vier Leute von der Kulturbehörde und ein oder zwei von der Stasi und nahmen das ab. Und die haben dann bei TAUSEND JAHRE GRÖNLAND gesagt: „Herr Baumgärtel, das können wir für die Jugend nicht zulassen. Das ist keine Musik. Das ist kein Menschenverstand. Wir können sie nicht auf die Jugendlichen zugehen lassen mit so einer Band.“ Es gab bei Einstufungen auch Versammlungen, wo alle Bandleiter da waren. Die wurden jedes Jahr gemacht. Und da wurden Richtlinien festgelegt. Das liebte die Kultur ja so. Und da gab es heiße Diskussionen. Die einen sagten: „Der Andeck darf sich immer alles erlauben, und wir müssen immer alles abgeben.“ Ich habe nämlich nie eine Textmappe abgegeben. Ich habe das immer mit meiner Lese-Rechtschreib-Schwäche begründet. Entweder die schluckten das oder nicht. Die anderen haben sich aber auch für mich eingesetzt, wenn es hieß: „Der Andeck kriegt keine Einstufung, der ist durchgefallen.“ Dann haben die ein gutes Wort für mich eingelegt. Zum Beispiel Joachim Wache von CONDOR, der war ja per du mit der Kulturchefin, und hat gesagt: „Also, Sonja, guck mal, wer dort in der Jury saß, und dem Andeck seine Band abgenommen hat ... Der Andeck ist doch ein gestandener Musiker. Das ist doch blöd, dem jetzt keine Einstufung zu geben.“ Aber mit TAUSEND JAHRE GRÖNLAND war Schluss. Da haben wir die Kultur völlig vor den Kopf gestoßen. Da habe ich keine Einstufung gekriegt. Da waren wir aber Lutz Schramm vom Jugendradio DT64 schon ein Begriff. Und Kerstin hat dem Lutz Schramm einen Brief geschrieben. Eben, dass ich keine Einstufung bekommen habe und er in „Parocktikum“ unseren Song ja gespielt hatte. Daraufhin, hat Lutz Schramm hier im Rathaus angerufen und Bambule gemacht. Und dann kam ein Brief: „Ihre Einstufungsbestätigung wird nachgereicht.“

Nicht schlecht. Was man hinter den Kulissen doch so alles drehen konnte. Weil du das vorhin erwähntest, die Stasi, welchen Repressionen warst du ausgesetzt?
Das weiß man nicht wirklich. Das ist nie so richtig zu ermitteln gewesen. Es gab ja auch noch mehr Vorfälle mit den Sowjets. Sachen, wo ich verhaftet worden bin. Oder dass ich in der Tschechei von der tschechischen Armee verhaftet worden bin. Beim Grand Prix in Brünn. Also mit jungen Jahren schon, 1979. Ich wurde von denen misshandelt. Ich habe dann auch eine Eingabe gemacht, also eine Anzeige, dass ich von der tschechischen Armee schwer misshandelt worden bin. Kampfgas ausgesetzt, ohnmächtig geschlagen wurde. Darauf haben die DDR-Behörden gesagt: „Also wenn Sie darauf bestehen und denken, das ist die Wahrheit, dann sperren wir Sie in die Psychiatrie ein ...“ Das war 1979. 1984 nach der Platte und allem und dem Vorfall mit diesem Panzer, hatte ich ein paar gesundheitliche Beschwerden und bin zum Allgemeinarzt gegangen. Und da wurden die Weichen auf einmal ganz falsch gestellt. Der hat mich ohne Wenn und Aber nach Radebeul zu einem Psychiater überwiesen. Der Psychiater hat mich dann nur nach Namen und Adresse und meinem Beruf gefragt. Da war ich ja schon freiberuflich. Das war es schon. Und dann sagte er: „Passen Sie mal auf, Herr Baumgärtel. Wir haben hier für Sie ein Medikament. Und das nehmen Sie jetzt auch sofort. Und dann sehe ich Sie dann und dann wieder.“ Da musste ich also vor dem was schlucken, eine rote Kapsel, und habe Medikamente verschrieben bekommen. Das war dann das Aus.

Inwiefern?
Ich hatte danach viele Tablettenjahre. Wie auf Heroin. Ich bin in eine furchtbare Tablettenarie gerutscht. Was Kerstin und die Jungs da mitgemacht haben, das kann man sich fast gar nicht vorstellen. Aber die Jungs waren schon so voller Power. Die haben mich am Leben erhalten. Und heute noch sagen die Ärzte: „Herr Baumgärtel, dass Sie so was überlebt haben. Kiloweise hat die DDR ihnen diese Dinge gegeben, da gruselt uns heute noch davor.“ Da habe ich gesagt, Kerstin und die Jungs, die haben die Energie gehabt und gutes Essen gekocht, so dass alles nicht so schädlich war. Ich bin organisch fit, war später auch, 1995 und 1996, bei Freiburg in einer anthroposophischen Klinik, um die ganzen Schäden so bissel zurückzubauen. Und die haben dann recherchiert. Letztlich haben die bestätigt, dass die Kapseln, die mir der Psychiater in Dresden verschrieben hatte, von den Sowjets waren, dass die Soldaten in Afghanistan die gekriegt hatten, wenn sie nach Hause wollten und nicht mehr Krieg führen. Das trennt am Hals den „geistigen Willen“ vom „Tun“. Ich war nur noch am „machen“. Ich habe dann eben gelernt, damit umzugehen. Ich habe gesagt bekommen, was ich machen soll. Eben auch Musik. Ich konnte alles gut machen. Ich habe trotzdem geil Schlagzeug gespielt und aufgenommen. Kontakte gehabt ... ich war aber wie getrennt. Das war auch gruslig. Ich sage mir heute, da sind Leute am Werk gewesen, die haben die Weichen einfach mies gestellt. Bestätigt wurde das Ganze dann 2008. Ich wurde dann viele Jahre im St. Marien-Krankenhaus Dresden wegen meiner Probleme und den schweren Medikamenten behandelt. Ich musste auch ersatzweise Tabletten nehmen. Mir wurde im St. Marien-Krankenhaus 2008 gesagt: „Es ist gerade genehmigt worden und gibt für Sie die Chance, dass wir Sie wieder auf die Welt holen. Dass Sie aus diesem Nebel rauskommen und am Leben wieder real teilnehmen können.“ Die sagten aber auch, dass es ein großes Risiko sei. „Noch nie ist hier bei uns so was gemacht worden, dass jemand, der zwanzig Jahre lang starke Medikamente nehmen musste, die Welt wieder real fühlt und sieht.“ Das war natürlich eine krasse Sache und eine ganz schwere Zeit. Aber es ist gelungen. Ich bin organisch gesund geblieben und bekomme jetzt nur noch einen Wirkstoff, der eventuelle Schäden ausgleicht. Aber eben ohne Nebenwirkungen. Ja, das nur mal dazu, weil du gefragt hast. Aber Akten gibt es keine. Nur ein zweiseitiges Verzeichnis. Da stehen alle Aktennummern drauf, die es über mich gab. Aber die Akten selbst wurden entfernt. Wir haben das zweimal beantragt, aber die Unterlagen gibt es nicht mehr. Nur eben den Nachweis, dass es die mal gab.

Das waren wahrscheinlich sehr heiße Akten.
Und dann spielte auch Jojo so eine Rolle, mein verstorbener Bruder. Der hatte ja mit Sascha Anderson und seiner Band ZWITSCHERMASCHINE einen engen Kontakt, ohne zu ahnen, dass Sascha Anderson ein falsches ... ein sehr falsches Spiel spielte. Er hat auch manchmal bei ZWITSCHERMASCHINE mitgespielt. Als er 1984 zur Armee musste, passierten auch ein paar ganz schräge Sachen. Davon kenne ich aber nur Bruchstücke. Der Jojo hat auch nie darüber gesprochen. Eigentlich bin ich auch nicht hinterher, das im Nachhinein alles zu ergründen. Ich suche keinen Verantwortlichen. Ich bin glücklich, dass ich jetzt so froh lebe. Ich habe gute Lebensinhalte und schöne Erlebnisse. Wie der Offizier, der jetzt hier wieder vor der Tür stand. Wenn man mal überlegt. Das war krass. Das muss man sich mal durch den Kopf gehen lassen. Oder die Sache, dass wir von der Landesregierung über Bernd Gürtler 20.000 DM zum Start für das MUSTANG-Studio bekommen haben. Um dann in ein modernes Tun übergehen konnten ... was uns wirklich als Vision vorlag.

Da lief ja in den Neunzigern einiges. Gerade die Bandprojekte deiner Jungs und auch studiomäßig bei dir. Bei dieser Tapeaufnahme von DIE FIRMA, haben die Jungs da bei „Kinder der Maschinenrepublik“ mitgesungen? Bei der PARANOIA-Aufnahme brüllt ein Kind in dem Song „Kindermord“ laut „Scheiiiiiße“. War das auch einer von deinen Jungs?
Das kann durchaus sein. Die sind ja hier mit der Musik großgeworden. Die haben die ganzen Bands erlebt, die hier geprobt haben. Schon als die noch klein waren. Da war abends immer was los. Die sind mit Musik eingeschlafen. Haben eben, wie man sagt, alles von der Pike auf mitgekriegt.

Alles, was Rang und Namen hatte ...
Weil du die Soundsache erwähntest: Meine Philosophie war immer, das eben auch was transportiert werden muss. Nicht bloß Texte und Töne. Der Sound muss die Energie, die geistig und praktisch erzeugt wird, das Gefühl der Musiker, die auf der Bühne stehen, ausstrahlen. Auch das, was sie produzieren mit den Saiten oder dem Schlagzeug, muss im Sound transportiert werden. Das umzusetzen, war mir eben auch gegeben. Ich habe ja bestimmt 14 Jahre im Webhaus in Großröhrsdorf den Live-Sound gemacht. So bis 2006. Da habe ich von A-Z die regionalen Punkbands abgemischt, auch DRITTE WAHL und so. Die Begabung hat man oder eben nicht. Manche schrauben ewig am Pult rum und trotzdem kommt einfach nichts rüber.

Noch mal zur Technik. Du meintest, dass du damals ein Vermona-Mischpult hattest. Hast du damals eigentlich Mehrspur aufgenommen oder hast du gleich direkt einen Live-Stereomix gearbeitet?
Gleich in Stereo aufgenommen. Außer bei ZWITSCHERMASCHINE. Das war ein tschechisches Vierspur-Tonband. Das hatte zwei Stereospuren. Man konnte damit auch Overdubs machen. Ansonsten war es wirklich so, dass es immer Live-Aufnahmen waren. Auch die Sänger mussten live singen. Da mussten natürlich auch Kompromisse gemacht werden. Wenn sich mal einer verspielte und das war im Limit, wurde das so genommen. Ich hatte ja auch gute Lehrmeister. Wie Andreas „Vadda“ Vater, der viele Jahre bei RAMMSTEIN den Ton gemacht hat. Wir waren ja auch viel in Berlin zugange. Und da hat mir Vater auch viel beigebracht. Über die Verantwortung und die Möglichkeiten des Tonmanns. Das muss eben immer lebendig bleiben, muss rüberkommen. Dann kommt die Band eben auch an. Und ich habe das auch mal ausprobiert. Wenn ich ein bisschen was veränderte, war der Reflex vom Publikum weg. Und umgekehrt kam es sofort wieder.

Hast du von diesen ganzen Aufnahmen, die du gemacht hast, immer eine Kopie behalten?
Da ist nichts mehr da. Ich hatte nach der Wende mal einen Koffer gemacht. Aber ich weiß das nicht mehr so genau. Da war ja noch die Situation mit den Tabletten. Das war ganz gruselig. Der ist wahrscheinlich bei einem Umbau oder Entrümplung irgendwie weggekommen. Es gab da zum Beispiel auch aus der Zeit so große Kopfhörer. Die stammten aus einem russischen Schützenpanzer. Die hatte ich als junger Mensch mal von einem Russen bekommen. Das war meine Kontrolle. Ich hatte, wenn überhaupt, nur HiFi-Boxen und wusste, das verfälscht den Sound.

Die Kopfhörer waren sozusagen deine Abhöranlage?
Ja, mit denen wusste ich auch immer, das wird was. Und letztlich sage ich mir: Es ist ja auch vieles gelungen. Aber das beruht eben auch wirklich auf der Philosophie. Da kannst du Bücher lesen, wie du willst. Wenn du nicht das Gefühl dafür hast, wenn deine Hände nicht das machen, was sie sollen, dann wird das nichts. Die Leute wollen angesprochen werden, egal ob nun live oder via Tonträger. Und dieser Effekt muss auch sofort da sein. So haben eben manche Produzenten mit einem Lied riesigen Erfolg, während andere ewig an einem Stück tüfteln mit vielen Effekten und der Konsument schaltet es ein und es rauscht vorüber.

Hast du dich zu DDR-Zeiten eigentlich als politischen Menschen gesehen? Oder warst du eher Rock’n’Roller?
Ich war eigentlich nur Rock’n’Roller. Ich kannte mich mit Politik nicht aus. Und das hat uns auch gar nicht interessiert.

Aber du wurdest am Ende politisiert.
Ja. Ich hatte das aber gar nicht so im Sinn. Ich wollte auch keine Revolution machen oder die DDR untergraben. Das wurde mir aber so untergejubelt. Da fällt mir gleich so eine Situation ein. Wir waren zu so einem Punkfestival als Rockband eingeladen. Das fand in einem Gewächshaus statt. Irgendwo in Brandenburg, in der Nähe von Berlin. Das war für damals schon unglaublich. Mit geilem Licht und allem. Wir haben da als Band einfach mitgemischt. Und am Montag danach kam ein Telegramm, ich soll um 13:00 Uhr im Rathaus sein. Das überbrachte mir die Postfrau: „Andeck, hier wieder mal ein Telegramm vom Rathaus.“ Na ja, und dann war ich dort. Die haben wirklich gesagt, entweder ich schreibe denen jetzt auf, was im Backstage gesprochen wurde, oder ich verliere meine Einstufung. Na ja, da habe ich denen gesagt: „Mich interessiert doch gar nicht, was da politisch gesprochen wurde. Es wurde auch gar nicht politisiert. Es war Trinken, gute Laune und Musik. Es war einfach gute Stimmung ...“ Aber das haben die mir nicht abgenommen. Es folgte ein ewiges Hin und Her. Letztlich haben die gesagt: „Gut, dann die Gage.“ Dann habe ich die 300 DDR Mark als Strafe bezahlt. Die dachten eben, durch solche Sachen können die irgendwas abschöpfen. Das heißt nicht, dass ich neutral war. Also bei bestimmten politischen Sachen in der Kultur habe ich mich natürlich auch positioniert und gesagt: „Nein das mache ich nicht. Ich stelle mich unter keine Fahne und spiele zum Pfingstfest der FDJ.“ Das habe ich einfach gelernt, weil DOCTOR ROCK mal in Berlin beim Pfingstreffen der FDJ spielen mussten. Das musst du dir mal überlegen. Die FDJ und die Politiker wollten der Jugend was bieten. Wir waren mit DOCTOR ROCK mit unseren Klamotten schon eine angesagte Band. Als wir in Berlin waren, wurden wir abgeholt, und es hieß: „Der Herr Baumgärtel, der darf bloß ins Backstagezelt. Dort schaffen wir ihn jetzt hin. Dann stehen ihm drei FDJler zur Verfügung, für Catering und was er so braucht. Er wird dann auf die Bühne geführt und macht das Konzert. Und gleich zurück ...“ Das war wie Hausarrest. Wirklich. Das war so Anfang der Achtziger mit DOCTOR ROCK. Da dachte ich mir: Du sollst hier den Rock’n’Roller fürs Publikum darstellen, aber so wird dir die Freiheit abgeschnitten. Da bin ich schon ein Rebell geworden. Jetzt gar nicht so politisch. Aber ich wusste: Dieser Lebensstil, der stört die irgendwie ... das nervt die. Das ist aber was, was Hand und Fuß hat. Aber solche Sachen sind da eben auch gelaufen.

Da hattest du sozusagen drei Bodyguards.
Das war total komisch. Ich meine, mir ging es gut. Ich hatte zu essen und alles. Aber dann wurde ich die Treppe hochgeführt und wurde losgelassen.

Wenn man so von der alten Zeit redet, wird ja auch vieles glorifiziert. Dass es da einfach alles wilder war und so ... Hast du eine Position dazu?
Also es war damals nicht wilder. Und vor allem war es damals wirkungsloser. Durch die ganzen Medien und dadurch, dass alles so offen ist und dem allgemeinen Interesse an der Kultur und was so gefördert wird, ist das heute wirkungsvoller. Selbst für mich. Ich gehe immer noch gern zu Bands, auch wo nur junge Leute hingehen. Aber dieser Transport und was man so mitnimmt aus einem Konzert, das ist für uns heute viel eindeutiger, weil man es anders übertragen kann. Das war damals anders. Meistens hast du nichts gehört, auch fehlte der Transport von musikalischen Inhalten. Die PAs waren auch einfach nicht gut. Nur die Idole, die Musizierenden auf der Bühne, wie zum Beispiel Aljoscha, konnten sich gut zelebrieren. Und das war es, was so hauptsächlich rüberkam. Die technischen Voraussetzungen für diesen musikalischen Transport wurden nach der Wende viel besser. Derjenige, der auf der Bühne die Musik spielte, konnte jetzt auch darauf vertrauen, dass dies auch rüberkam. Das Publikum nimmt da heutzutage viel mehr Gefühl und musikalische Erinnerung mit als damals. Na ja, und das Chaotische von damals, das suchen Jugendliche heute eben, indem sie Crystal nehmen, um abzudrehen. Aber als Musiker war ja unser Anliegen ein anderes. Auch Leute wie Lutz Schramm hatten eher noch ein Interesse, Werte und geistige Informationen in ihren Sendungen rüberzubringen. Ich staune im Nachgang immer noch, dass solche Aufnahmen wie von TAUSEND JAHRE GRÖNLAND im Radio sendefähig waren. Das war mir damals gar nicht so bewusst.

Aber oftmals wird der Sound der Kassettenaufnahmen ja als das einzig Wahre angesehen. Da spielt auch eine gewisse Glorifizierung eine Rolle.
Heutzutage ist der Sound natürlich auch noch krachig. Ich denke, die verbinden das mit der Erinnerung an dieses Flair, diesen Trubel und das Chaotische. Vielleicht war das auch so eine Art Lebenswunsch. Es gab ja die Arbeitspflicht und alles war streng reglementiert. Und diese Treffen bei den Punk-Konzerten, wenn es mal welche gab, bedeuteten, so ein Stück losgelöst zu sein von den Zwängen. Aber künstlerisch wurde der Musiker durch diese miesen Voraussetzungen eher behindert. Da hat man heute viel mehr Sicherheit, dass alles ordentlich rüberkommt. Damals kamen ja irgendwelche Feinheiten, die der Künstler ausgearbeitet hatte, gar nicht ordentlich rüber.

Es ist sicher mit diesem alten Garagensound auch eine gewisse Nostalgie verbunden.
Teilweise ist das auch unsere Philosophie im Studio. Lieber weniger, nicht zu viele Plug-ins und solchen Kram. Dadurch zerstört man die Information. Wenn man das alles reduziert und das real bleibt, dann bleibt auch der jeweilige Musiker in dem Song real. Das ist nicht so synthetisch. Es gibt ja mittlerweile haufenweise Plug-ins. Aber damit kann kein Mensch was anfangen. Damit täuscht man eine Individualität der jeweiligen Band vor. Es wird alles indirekt.

Viele Leute hören die Musik auch gar nicht so analytisch und haben gar keinen riesigen Anspruch an den Sound. Aber es muss eben, wie du sagst, die Leute berühren. Gibt es noch Aufnahmen von MUSTANG aus der Zeit?
Aus dieser Zeit? Nein. Aber wir haben 2017 noch mal eine CD gemacht. Aber die ist schon ausverkauft. Da haben wir 300 Stück pressen lassen und die sind jetzt weg.

Spielt ihr noch live mit MUSTANG?
2008 haben wir mit MUSTANG ein Comeback erfolgreich gestartet. Frank Riemer am Bass, Ecki Kühne an der Gitarre , ein sehr talentierter Live-Gitarrist und Rocksänger. So im Trio haben wir noch bis 2017 abgerockt. Durch gesundheitliche und altersbedingte Umständen lösten wir MUSTANG 2018 auf. 2016 entstand unsere Lebenswerk-CD „Suns Of Galaxy“, aufgenommen im Mustang-Studio und gemixt und gemastert von Thomas im Hip-Gun-Studio. Auf der CD wirkte auch ein Freundeskreis von Musikern mit. Der Schluss-Song wurde von unseren Söhnen Johannes an den Drums und Thomas an Gesang und Gitarre sowie der Feldi Crew eingespielt. Die MUSTANG-Band war eine tragende Basis die sich durchs Leben zog. Life is live!

Vielen Dank für deine Zeit und alle spannenden Geschichten. Hast du noch ein Schlusswort für die Leser:innen?
Was noch zu sagen ist: Die eigentliche „Heldin“ ist Kerstin, meine Frau. Die hat mein Leben erhalten, hat vieles erst möglich gemacht. Und das Leben selbst mit seinen Inhalten und der Musik. Rock’n’Roll will never die!