BLUT + EISEN

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Punk ohne Verfallsdatum

BLUT + EISEN gründeten sich 1982 in Hannover in der Besetzung Schotte (voc), Fiete (gt), Krösus (bs) und Tier (dr). 1987 löste sich die Band auf. In der Zwischenzeit spielten sie jede Menge Konzerte und veröffentlichten mehrere Tonträger, darunter ihre erste LP „Schrei doch!“, die seinerzeit zum Dauerbrenner in meiner Anlage wurde. Ihr wütender, eigenständiger Hardcore-Punk, kombiniert mit zynischen, ätzenden Texten wirkt auch nach all den Jahren nicht altbacken, sondern ist einfach zeitlos. Deshalb ist es sehr erstaunlich, dass ausgerechnet die Scheiben von BLUT + EISEN noch nicht wiederveröffentlicht wurden. Darüber und wie es in den Achtzigern war, in einer Punkband zu spielen, unterhalten wir uns mit ihrem damaligen Sänger Schotte.

Wie bist du auf Punk aufmerksam geworden und wann hat dich der Virus selbst erfasst?


Das war wohl 1977, beim No Fun Festival in der Glocksee-Halle in Hannover. Da hat mir Rosa, der auch dort gespielt hat, eine Menge über Punk und „alles scheißegal“ erzählt, und ich dachte nur: Wow, das ist doch sowieso mein Ding. Da gibt’s noch mehr Leute, die so drauf sind.

Gab es von deiner Seite aus von Anfang an die Idee, Musik zu machen?

Na ja, erst haben wir in der Glocksee-Halle diverse Konzerte organisiert, meist Schülerbandfestivals und auch mal – ohne jegliches Vorwissen – selbst gespielt, später dann die ersten Konzerte im UJZ Kornstraße, alles Mögliche, was später dann Rang und Namen hatte. Da bot es sich dann irgendwann an, auch selber was zu machen, Zeit war ja genug vorhanden.

Wer hatte die Idee, ausgerechnet ein Otto von Bismarck-Zitat als Bandnamen zu verwenden?

Ich komme zwar aus Prollhausen, war aber viel mit Pädagogen und Sozialarbeitern unterwegs. Bei dem Hintergrundwissen sprang mir der Ausspruch von Bismarck, nicht durch Reden und Reformen würde die Welt, also der Mensch verändert, „sondern durch Eisen und Blut“, also durch Gewalt – doch bestätigend ins Auge, obwohl er aus einem anderen Kontext stammt. Und es war nicht der einfachste Bandname. Es gab viel Diskussionsbedarf auf Seiten der Linken und Althippies, ja, die gab’s damals noch zuhauf. Der Name hat also provoziert.

Welche Einflüsse hattet ihr?

Alles an Hardcore, Punk und so weiter von der großen und der kleinen Insel, Deutschpunk auch gerne. Bis zur Aufnahme von „Schrei doch!“ sahen wir uns in einer Reihe mit ZK. Das war dann aber doch anders.

Hannover galt für viele in den Achtzigern als Punk-Hochburg – Chaostage, das UJZ Kornstraße, die Glocksee und so weiter. Wie hast du die Szene damals empfunden? Wart ihr eher in der Korn oder in der Glocksee, wo ihr euren Proberaum hattet?

Da gab es einen regen Pendelverkehr von allen Bands, die in der Glocksee probten, und in der Korn feierten oder spielten. Ansonsten war damals echt viel los in Hannover für Punks und Anhang, und wenn nicht, haben wir eben was losgemacht. Da ging zu der Zeit einiges. Es gab Konzerte in den Glocksee-Kellern, bei Demos auf Anhängern, selbst in Straßenbahnen wurde gespielt, mit abwechslungsreichen Zwischenspurts ...

Exzessiver Alkohol- und Drogenkonsum in der Punk-Szene – war das der Grund für euren Song „Harry“?

Na ja, „Harry“ ist ein spezieller Song. Da Tier und ich uns meist mehr oder weniger gemeinsam um die Texte gekümmert haben, gab es eben die Idee, dass Fiete und Krösus auch mal einen schreiben sollten. Sie kamen dann auch mit den beiden ersten Strophen an, ich habe dann daran herumgeschnibbelt, eine dritte dazugeschrieben und – zack, fettich. Der Titel fand sich dann quasi, indem wir uns fragten, auf welchen unserer Kumpels das dann am ehesten passte.

Euer Logbuch auf der Homepage verzeichnet zwischen 1982 und 1987 eine Menge Gigs. Wie wurden die Konzerte in einer Zeit ohne Internet organisiert? Und habt ihr es auch geschafft, mal im Ausland zu spielen?

Irgendjemand rief eben an oder schrieb, oder fragte jemand anderen, der jemanden kannte, der was wusste. Und bei einem Gig wurden einem Zettel mit einer Telefonnummer zugesteckt. Oder andere Hannoveraner Bands fragten uns für ein Konzert an, wo sie schon spielten. Einmal mieteten wir uns einen Anhänger, fuhren bei strömendem Regen nach Frankfurt, fanden auch den Laden, wo wir auftreten sollten, der hatte auch auf, wusste aber nix von einem Konzert bei ihnen. Keine Telefonnummer von dem Typen, der da nur als schräger Gast bekannt war. Sie waren aber begeistert, und sicher könnten wir jetzt spielen. Aber ohne jegliche Anlage und mit zehn Gästen plus Telefonkette waren wir doch bedient und eher abgeneigt.

Welche Aktionen, Peinlichkeiten, Konzerte sind dir in besonderer Erinnerung geblieben? Euer Gig im KuKoZ Paderborn 1984 wird dort kurz unter „Schrott“ gelistet – so schrottig fand ich euch gar nicht.

Keine Ahnung, was da war. Schlechte Anlage, wir waren zu dicht, Schlagzeug kaputt oder was auch immer. Groß war die Anfahrt nach Andoain auf unserer „Spanientour“ mit TORPEDO MOSKAU. Wir kommen von Barcelona, quälen uns im Baskenland die Serpentinen hoch mit unglaublichen 25 km/h, kommen über den Berg, und was hören wir: die „Schrei doch!“-LP, obwohl wir noch einige Kilometer entfernt waren. Groß! Wahnsinnsleute da. Tolles Konzert, obwohl wir alle dermaßen fertig waren und die Anlage während des Konzerts Stück für Stück den Geist aufgab. Oder der Gig mit PETER AND THE TEST TUBE BABIES in der Zeche Bochum. Es gab keine Navis damals und wir haben uns total verfranzt. Viel zu spät angekommen, der Eintritt schon gelaufen, wir hinten rein, auf die Bühne, Schlagzeug und alles aufgebaut im Dunkeln, ohne Soundcheck einfach ab dafür, und dann ging das Licht an.

Kannst du die Geschichte mit dem Ford Capri erzählen? Die Fotos dazu sind auf eurer Homepage zu sehen?

In Kurzform: Silvesterparty in den Glocksee-Übungsräumen 1982, bis es um null Uhr eine Leuchtspurschießerei und so weiter mit den Indiego-Disko-Proleten gab. Das war schon heftig. Wegen Vollsuff bin ich dann zu Fuß nach Hause und habe den Wagen stehenlassen. Am nächsten Tag wollte ich dann den Wagen abholen, aber nix zu sehen. Er stand dann im Kellertreppenabgang zu den Übungsräumen. Total im Arsch. Die meisten Leute sind wohl noch irgendwie durch die Luftschächte nach draußen gekommen, bis auf Prick, der war zu dick. Nach einer Telefonkette kamen dann noch genug Leute, um ihn, also den Wagen, wieder herauszuziehen. Na ja, schade drum, das war mein zweiter und letzter Capri.

Hast du das Gefühl, dass deine Texte immer noch aktuell sind?

Ja, das sehe ich so. Warum auch nicht? Allerdings würde ich heute keine Tour nur mit alten Songs machen wollen, auch wenn es sicherlich Spaß macht. Da müsste schon was Aktuelles her, immerhin ist das ja eine Ewigkeit her, und seitdem gab es schon die eine oder andere Erfahrung und auch neue, noch frustrierendere Gedankengänge, die des Austausches bedürften. Aber wahrscheinlich wäre es dasselbe in anderen Worten.

Gibt es Texte beziehungsweise Songs, die du so heute nicht mehr schreiben oder auch spielen würdest?

Da fällt mir keiner ein. Ernst genommen haben wir uns sowieso nie.

Ihr hattet euer Vinyldebüt auf dem „Keine Experimente!“-Sampler 1983 von Weird System und auch eure LPs und die 7“s sind dort erschienen. Wie ist der Kontakt zustande gekommen? Wie hast du die Aufnahmen zu euren LPs in Erinnerung?

Hör mir auf mit Würg System ... Klar war es toll, dass wir die Platten machen konnten, aber dass die sich so benahmen, wie wir es von den Majors erwartet hätten, hätte nicht sein müssen. Ich weiß nicht mehr, wie der Kontakt zustande kam, aber wir mussten nach Hamburg, um in einem Übungsraum vorzuspielen. Das war irgendwie schräg. Im Studio wollten sie uns dann erzählen, wie es richtig geht. Seinen Namen wollte uns der Heiopei, den Mansur von Weird System mit angeschleppt hatte, nicht nennen, so nannten wir ihn Fischkopp. Das waren jeweils fünf stressige Tage, ohne Schlaf und Plan. Aber dafür hatten sie einen großartiger Mischer, Harris Johns, dem wir den Sound der ersten Platte zu verdanken haben, obwohl wir uns das alles etwas anders vorgestellt hatten. Das Booklet war ihnen dann zu teuer, und bezahlt haben sie uns fast ausschließlich mit Platten zum Verkaufen. Übrigens haben wir nach ihrer Aussage in den ersten Jahren nur circa 2.500 LPs verkauft ... Nach unserer Auflösung mussten wir noch eine Abrechnungsabtretung unterschreiben, wenn wir an den „letzten Verkäufen“ noch beteiligt werden wollten. Da gab es dann noch eine kleine Pauschale obendrauf. Nicht der Rede wert. Wir wussten es nicht besser, das kam erst später, als ich anfing, selbst zu produzieren.

Es hat nach eurer Auflösung noch einige Releases von BLUT + EISEN gegeben, zum Beispiel die „Pogo poppt auf“-7“ auf Nasty Vinyl oder die CD „Eine Punkband nach dem Verfallsdatum!!“ auf Barbaren Musi. Wie sind die zustande gekommen?

Das waren Bestrebungen von mir, altes Material – Vierspuraufnahmen mit dem Fostex X-15 – nicht gänzlich vergehen zu lassen. Nur so zum Spaß. Ich hätte uns verdammt gerne mal live oder auch im Studio gemischt. Das mache ich vielleicht noch mal mit den Aufnahmen von den Indiego-Konzerten aus der Glocksee, die wir mitgeschnitten haben. Da müsste man aber die Vocals noch mal draufsetzen, damit es halbwegs zu mischen ist.

Ihr habt 1994 ein Konzert und dann noch mal 2002 zwei Gigs gespielt. Hast du sonst noch Kontakt zu den anderen Bandmitgliedern? Käme eine Reunion für dich infrage?

Da hat sich dann doch rausgestellt, dass Tiers und meine Meinung über das Warum und Wie recht weit auseinandergehen. Wir haben es damals nicht für die Kohle getan, höhö, und sollten es heute nicht doch noch fleddern. Ich habe als Live-Mischer viele solcher Versuche gesehen und war nicht immer begeistert. Das Beste war eine Bielefelder Live-Karaoke-Band, die mehrmals im Café Glocksee in Hannover gespielt hat, wo dann zum Beispiel drei zierliche Mädels SLIME-Songs interpretiert haben. Das war ein Brüller. Vielleicht sollte ich mich da noch mal an die Aufnahmen machen.

Die Chaostage 1984 in Hannover waren für viele ein einschneidendes Erlebnis. Wie hast du sie als Hannoveraner in Erinnerung? Welche Auswirkungen hatten die Chaostage auf die lokale Szene? Und wie ist das Video „Chaostage“ entstanden, auf dem ihr mit einem Song vertreten seid?

Die Chaostage waren am Anfang eine lustige Sache. Nach den ganzen heftigen Demos mit allem Drum und Dran war es eine Freude, unsere Freunde und Helfer im Sommer in voller Montur inklusive Helm und Schild zu sehen, während wir wegen der verkaufsoffenen Samstage durch die Kaufhäuser zogen, ohne dass sie eingreifen konnten. Leider hat sich das ja in den späten Jahren in eine Selbstverstümmelung verwandelt. Schade eigentlich! Diese grässlichen Videos waren erste Versuche eines „Videokollektivs“, Musikvideos herzustellen. Wir trafen uns ohne Ideen und Plan in einer Fabrikhalle, hörten Übungsraum-Aufnahmen über einen Ghettoblaster ab, und hatten einigen Spaß. Das Ergebnis wirkte doch ernüchternd.

Im Rückblick, wie war es für dich, in den Achtzigern in einer Punkband gespielt zu haben?

Großartig! Es war eine Superzeit, davon kannst du lange zehren. Und heute spiele ich in keiner Punkband mehr. Keine Zeit mehr zum Abhängen und Spielen, und das, was ich jetzt noch für mich mache, werde ich zwar ins Netz stellen, aber wen kümmert’s?

Was bedeutete Punk damals für dich – und wie ist das heute? Bist du heute noch involviert?

Ich schraube mittlerweile im Theater am Ton rum, mixe zum Ausgleich und aus Freude die eine oder andere Band zusammen, das hat sich aber doch stark ausgedünnt. Das Beste am Punk war, dass einfach jeder sich trauen konnte, selbst was zu machen.

Wie sieht es mit deinen früheren Bandkollegen aus? Machen die noch Musik, habt ihr noch Kontakt?

Fiete wohnt jetzt leider weit weg, aber Krösus sehe ich öfter. Die haben immerhin länger Musik selbst gemacht als ich, und auch sehr gute Sachen – unter anderem mit Y-FRONTS. Aber auch bei denen ist es heute ruhiger geworden.

Heute wird der Status von Musikerinnen stark diskutiert. Wie männlich/machistisch oder emanzipatorisch hast du die damalige Szene wahrgenommen?

Macho grande. Das war immer so – nicht besser als in Prollhausen.