BRUIT≤

Foto© by Mathilde Cartoux

Unabhängigkeit

Dass BRUIT≤ eine Ausnahmeband sind, zeigt sich nicht nur in der Besetzung. Die Stücke der Franzosen sind auch nicht auf den gängigen Streamingplattformen zu finden, stattdessen präsentiert sich die Band auf eine Weise, welche die Wertigkeit ihrer Musik unterstreicht. Bassist und Violinist Clément Libes spricht über den besonderen Weg, den BRUIT≤ gehen.

Streaming

Lange bevor man sich selbst die Frage stellte, ob BRUIT≤ ihre Songs auf Plattformen wie Spotify hochladen, sah die Band kaum einen Unterschied zwischen illegalen Downloads und dem Streaming. Für Clément und die Band verbirgt sich dahinter ein gefährliches Monopol, das uns zunächst lehrte, dass illegales Downloaden falsch sei, um anschließend durch Streaming mit einer vermeintlich guten Moral und gesetzlicher Unterstützung etwas Ähnliches anzubieten. „In unserer Welt gibt es eine merkwürdige Korrelation zwischen Moral, Gesetz und dem Profit der Großen in der Musikindustrie. Wie wir immer sagen: Wenn du es machst, ist es Diebstahl, wenn sie es machen, ist es Business. Deshalb haben wir uns dagegen entschieden.“ Dennoch sieht Clément auch Vorteile in Streamingplattformen, wie etwa die Möglichkeit, neue Musik zu entdecken. „Wäre das Streaming so organisiert, dass es alle, die dafür arbeiten, fair bezahlt, wäre es ein großartiges Tool. Stattdessen geht es um das Monopol, das seine Einnahmen in Waffen und Militärtechnik investiert ... hey, Daniel Ek!“

Es gebe zwar Plattformen, die respektvoll vorgehen, dennoch geht es den meisten nur ums Geld. Dennoch verlangt auch die Absenz von BRUIT≤ einen gewissen Preis. So werden sie immer öfter gefragt, wieso sie auf diese Form von Sichtbarkeit und Verfügbarkeit verzichten. „Es war unsere Wahl, aber wir sind realistisch und in einer Welt, in der alles käuflich ist, hat auch Unabhängigkeit ihren Preis.“

Erfolg mit Verzögerung
„The Machine Is Burning And Now Everyone Knows It Could Happen Again“, das Album, das BRUIT≤ bereits im Frühjahr 2021 veröffentlichten, bekam über die letzten Monate kontinuierlich Aufmerksamkeit. Dabei trifft die Band insbesondere auf Bandcamp auf eine große Hörerschaft und etliche Unterstützer:innen, wie Clément sagt. „Diese Community ist unfassbar neugierig, leidenschaftlich und großzügig. Es ist großartig, diese Leute zu haben und wir waren wirklich überrascht und fühlen uns geehrt durch den Anklang, den unser Album fand.“ So spricht die Band von einem „Butterfly Effect“, der langlebiger ist als bei einer Single oder Hook, auch wenn es mehrere Anläufe benötigt, bis man den Kosmos der Band begreift. „Ich denke, deshalb finden auch immer noch Leute das Album und kommen so mit unserer Musik in Kontakt.“

Das Spektrum der Einflüsse aufzählen, die BRUIT≤ beim Komponieren ihrer Musik inspirieren, ist groß. „Es reicht von APHEX TWIN bis hin zu Johann Sebastian Bach“, so Clément. Es sei wichtig für die Band mit Einflüssen zu arbeiten, die auf den ersten Blick nicht so naheliegend erscheinen. Darüber hinaus war „Tunnel Blanket“ von THIS WILL DESTROY YOU eine Offenbarung für die Band und prägte den Sound maßgeblich. Die Hälfte der Bandmitglieder ist klassisch ausgebildet, was für Clément eine riesige Bandbreite an Repertoire bedeutet. „Ich denke, es ist natürlich, dass unsere musikalische Herkunft sich darauf auswirkt, wie wir komponieren. Ich denke auch, dass es diese Reichhaltigkeit ist, die uns von anderen Bands in dieser Nische ein wenig abheben kann.“

Besondere Narrative
„Ich habe das Gefühl, dass man mit instrumentaler Musik und cinematografischer Stimmung nicht dieselben Geschichten erzählen kann wie mit normalen Songs. Das Format ist ein anderes“, gibt Clément zu bedenken. „Wir sind abstrakter und wollen ein größeres Bild zeichnen, das das ganze Album umfasst.“ Dabei sind es Samples, Texturen und atmosphärische Arrangements, die das Storytelling übernehmen. „Wir haben keine Story geschrieben und dann die Musik dazu gepackt, sondern viel mehr gesehen, wie sich das Szenario im kompositorischen Prozess entwickelt.“

Erst am Ende des kreativen Prozesses sei alles zusammengekommen. „Erst nachdem wir die letzte Note aufgenommen und das passende Artwork ausgewählt hatten, war es für mich vollendet. Es hat erst Sinn ergeben mit diesem Bild, das den auf den Stufen von Sacré-Cœur sitzenden Mann zeigt. Gefangen zwischen dem Sturm über ihm und dem architektonischen Monument Frankreichs, das die größte Unterdrückung zeigt, ist es der Schlüssel zur Geschichte des Albums. Eine Konfrontation zwischen Natur und Kultur.“

Die Wertigkeit von Musik
Während man in Deutschland zwischen U- und E-Musik unterscheidet, differenziert man in Frankreich zwischen „bemerkenswerter“ und Popmusik – eine Kategorisierung, die für Clément Nonsens ist. „Wir lernen diese Unterteilung in Frankreich auf dem Konservatorium. Ich denke, dass es auf historischer Ebene einen natürlichen und fundamentalen Unterschied zwischen geschriebener und gesungener Musik gibt.“ Es sei ein Unterschied zwischen zwei Schulen, der lange veraltet ist und die mündlich überlieferte Musik von der Ungleichheit einer schriftlichen Musik in elitären Kreisen abgrenze. „Doch heutzutage wissen viele, wie man Noten liest und schreibt und während es noch immer etliche Werke gibt, existieren diese meist in Form von Midi- oder WAV-Files, die viel ergiebiger sind als ein normales Notenpapier. Daran ist nichts weniger ‚ernst‘ oder ‚bemerkenswert‘. Diese Unterteilung ist ein Überbleibsel einer verschlossenen Gesellschaft.“

Dabei haben BRUIT≤ eine Hoffnung für die nächsten zehn Jahre innerhalb des Musikgeschäfts. „Es wäre gut, wenn die Menschen ein Bewusstsein für ‚industrielle Musik‘ entwickeln, so wie sie es in den letzten zehn Jahren mit Lebensmitteln gemacht haben. Es gibt immer mehr Bioläden, die nachhaltigere und bessere Produkte anbieten. Das wünsche ich mir für die Musik: dass die Menschen sich weniger von der letzten Adele-Single faszinieren lassen als von der zweiten EP einer lokalen Band, auf der sich einige Rohdiamanten verstecken.“