CIGARETTEN

Foto© by Katja Ruge

Proben auf der Verkehrsinsel

In den letzten Jahren ploppen immer wieder Bands auf der Bildfläche auf, die klingen wie aus den Neunzigern, als Bands wie NIRVANA, SONIC YOUTH oder DINOSAUR JR. einen neuen Sound definierten. Zum Beispiel PABST aus Berlin, HEIM aus Bamberg oder YUCK aus London. DIE CIGARETTEN kommen aus Hamburg und passen perfekt in diese Reihe. Mit ihrem Mix aus Noise, Grunge, Protopunk und Hamburger Schule konnten sie schon auf ihrem Debütalbum „Vibe Ride“ punkten. Jetzt kommt mit „Emotional Eater“ via Audiolith Album Nummer zwei und die beiden Michaels halten das Versprechen, dass sie mit ihrem Debüt gegeben haben.

Seid ihr eigentlich passionierte Raucher?

Micha: Bei unserer ersten Platte war ein Tütchen CBD-Gras mit dabei, also THC-freies Gras. Das haben wir natürlich mal probiert. Sonst sind wir aber eigentlich eher gegen Rauchen. Wir haben die Band tatsächlich auch aus Protest gegen die Tabakindustrie gegründet. Unser Spruch lautete damals: Lieber CIGARETTEN hören als Zigaretten rauchen. Allerdings haben wir uns selbst leider noch nicht so frei davon gemacht, wie wir eigentlich wollten. Aber grundsätzlich finden wir Rauchen schlecht.

Euer zweites Album „Emotional Eater“ ist nicht beim Hamburger Indielabel La Pochette Surprise erschienen wie das Debütalbum, sondern bei Audiolith Records. Warum?
Michi: La Pochette Surprise ist natürlich immer noch eine Top-Adresse. Mit all diesen Bands wie MELTING PALMS sind wir auch immer noch sehr verbunden und teilen uns sogar den Proberaum. Und SWUTSCHER-Gitarrist Velvet Bein, der das betreibt, ist auch ein großer Schatz. Wir hatten aber einen Auftritt bei den Hamburger Club-Awards im Docks und dort hat uns Lars Lewerenz von Audiolith live gesehen. So sind wir ins Gespräch gekommen.
Micha: Mitten im Lockdown haben wir dann unsere erste EP „Crashkid“ bei Audiolith veröffentlicht. Das sollte eigentlich unser zweites Album werden. Das mussten wir aber wieder canceln, weil zu dem Zeitpunkt einfach nichts ging. Deshalb sind die fünf Songs im Oktober 2020 nur digital veröffentlicht worden. Weil wir aber das Artwork von Ruscha Voormann so geil finden und es nie richtig veröffentlicht wurde, wird es zum neuen Album eine limitierte Shirt-Edition davon geben. Ruscha ist übrigens die Tochter von Klaus Voormann, der das berühmte „Revolver“-Cover von den BEATLES gestaltet, in der PLASTIC ONO BAND gespielt und TRIO produziert hat. Inzwischen sind wir seit ungefähr einem Jahr bei Audiolith und die sind auch extrem nett zu uns. Deshalb sind wir da gerne.

Was steckt hinter dem Albumtitel „Emotional Eater“?
Micha: Das hat für uns mehrere Bedeutungen. Zum einen, dass einen emotional irgendwas so berührt, dass es einen quasi auffrisst. Dass man Reaktionen zeigt, die man gar nicht mehr bewusst kontrollieren kann. Aber auch dass wir uns vor allem als emotionale Wesen verstehen, deshalb ist die Platte auch voller unterschiedlicher Emotionen. Auf der anderen Seite soll der Albumtitel auch den Entstehungsprozess der Platte widerspiegeln, der für uns psychisch nicht so einfach war. Nicht nur durch Corona, sondern auch wegen dem, was alles im Privatleben so passiert ist.
Michi: Der Titeltrack „Emotional eater“ beschreibt eine Person, die sich an den Emotionen der anderen Menschen labt. Der ernährt sich praktisch von den Gefühlen seiner Mitmenschen. Es geht also darum, was in jedem von uns brodelt.

Sind psychische Probleme oder emotionale Zustände ein Thema für euch?
Micha: Uns ist es immer wichtig, auf solche Dinge zu schauen. Zeig mir mal den Menschen, der in jeder Situation ultracool bleibt. Wenn wir uns diese Emotionen und die Probleme damit alle zugestehen würden, wäre unsere Welt wahrscheinlich ein ganzes Stück besser. Auf der Platte sind die Emotionen eher ein musikalisches Leitthema. Gar nicht unbedingt textlich. Wir sind sowieso eine Band, die sich mehr durch die Musik ausdrücken will als durch die Texte. Sie sollen bei uns eher die Musik untermalen als andersrum. Man kann die Emotionen also bei uns eher herausfühlen als herauslesen.

Es gibt ein Video zum Song „Immer is irgendwas“ mit der einstigen Trash-TV-Moderatorin Bärbel Schäfer aus dem Nachmittagsprogramm im Privatfernsehen. Ist das eigentlich echt oder eine Montage?
Micha: Bärbel ist die netteste und liebste Person weit und breit. Wenn Deutschland eine neue Muddi braucht, sollte sie hoch im Kurs stehen. Das Video ist tatsächlich echt. Wir waren mit ihr in einem Raum und sie wusste auch, dass gefilmt wird. Der Titel des Songs „Immer is irgendwas“ erklärt sich ja von selbst. Es ist immer irgendwas, lass dich nicht aus der Ruhe bringen. Dann dachten wir, das Thema Talkshow eignet sich super für das Video, weil da wird ja immer über alles gequatscht. Heute übernehmen diese Aufgabe die sozialen Medien. Jeder hat eine Meinung und gibt seinen Senf dazu. Die Leute streiten sich ständig oder verstehen Ironie einfach nicht. Das wollten wir mit dem Song aufgreifen, deshalb haben wir Bärbel über Instagram kontaktiert und sie hatte Lust, sich mit uns in Berlin für eine Stunde zu treffen. Dann haben wir gequatscht und nebenbei ist das Video entstanden.

Ein Song, den ich auch sehr schön finde, ist „Glastonbury“. Worum geht’s da? Dass ihr mal bei dem legendären Festival in England spielen wollt?
Micha: Klar wollen wir irgendwann mal bei der Königin der europäischen Festivals spielen. In dem Song geht es aber eher um unsere Beziehung zu OASIS. Wir sind riesige OASIS-Fans und wollten das Gefühl einfangen, als die Band dort 1994 ihren ersten Auftritt gespielt hat. Davon schwärmen OASIS-Fans der ersten Stunde heute noch. Dieses Hype-Gefühl, wenn man zum ersten Mal bei so einem riesengroßen Festival spielen darf. Das ist die Emotion, um die es in diesem Song geht. Wir finden, auch wenn du auf dem Acker stehst, kannst du dich fühlen wie in Glastonbury. Dieses Gefühl steckt in dir drin, das kannst du abrufen.
Michi: Wir können uns auch wie in Glastonbury fühlen, wenn wir in einer Kneipe vor dreißig Leuten spielen. Es kommt nur darauf an, was man miteinander daraus macht. Man kann sich eigentlich überall wie OASIS in Glastonbury fühlen. Wir sind eben sehr dankbar für alles, was wir machen dürfen. Wir freuen uns total, dass wir reisen und überall auftreten können, wir sind keine übersättigten Rockstars. Wir freuen uns immer, neue Leute kennen zu lernen und Orte zu besuchen, an denen wir noch nicht waren. Du kommst irgendwo hin und irgendjemand sagt zu dir: Ich höre eure Musik seit einem halben Jahr und ich liebe sie. Das sind besondere Momente für uns.

Ich habe gelesen, dass ihr früher mangels Proberaum auf einer Verkehrsinsel geübt habt. Wie seid ihr bloß darauf gekommen?
Micha: Auf der Verkehrsinsel waren wir bestimmt ein halbes Jahr. Das hat damals angefangen in Eimsbüttel, auf der Fruchtallee in Richtung Altona. Zu dieser Zeit hatten wir keinen Proberaum, Michi hatte zu dieser Zeit ein Miniatur-Schlagzeug und ich eine Akustikgitarre. Weil wir in unserer Mietwohnung nicht laut sein durften, sind wir eben nach draußen gegangen. Ich kann dir gar nicht sagen, wie lange das war. Irgendwann haben wir dann einen Raum in Wandsbek gefunden und sind danach im Otzenbunker gelandet, in dem früher schon TOCOTRONIC oder DIE STERNE geprobt haben.
Michi: Wir haben damals zusammen gewohnt und dann immer spontan gesagt: Komm lass uns runtergehen und Musik machen. Unsere Art von Musik kann man einfach nicht in Wohnblöcken machen, weil wir doch ein bisschen geräuschvoller sind. All diese Umstände hatten einen enormen Einfluss auf unsere Musik, finde ich. Wir sehen uns auch eher als Antennen. Die Musik fließt nur durch uns hindurch. Da entsteht nicht viel im Kopf, sondern eher durch den Vibe.

Ist der Otzenbunker jetzt endgültig Geschichte oder geht da wieder was?
Micha: Für uns ist der Otzenbunker kein Thema mehr. Für den Bunker gab es einen tollen Aufstand der Hamburger Kulturszene. Da herrschten nämlich monatelang furchtbare Zustände. Die Toiletten haben nicht funktioniert, dann wurde gleich nebenan ein Einfamilienhaus gebaut und so hat der ganze Ärger angefangen. Irgendwann haben sie den Bunker ganz dichtgemacht und es gab einige Soli-Konzerte. Auch dadurch wurde er instandgesetzt und wieder geöffnet. Wir hatten aber in der Zwischenzeit in Hamm einen Proberaum gefunden und sind auch dort geblieben. Wir teilen uns dort einen Proberaum mit den MELTING PALMS in einer ehemaligen Autowerkstatt.