FLOGGING MOLLY

Foto© by Katie Hovland

Eine Art Wiedergeburt

„Anthems“ ist das siebte Studioalbum von FLOGGING MOLLY. Aber ist es auch, um ein Klischee zu bemühen, ein verflixtes siebtes Album? Nein, im Gegenteil. Es ist vielmehr ein ordentlicher Befreiungsschlag in Irish Folk und Celtic Punk nach zwei Jahren des Nichts-geht-mehr. Und das ist höchstens verflixt großartig. Frontmann Dave King zeigt sich im Gespräch dementsprechend euphorisch und zufrieden, wenn er erklärt, was Produzent Steve Albini so besonders macht und warum ein „back to the roots“ nicht unbedingt für fehlende Kreativität stehen muss.

Dave, wo erwische ich dich?

Auf Tour in den USA. Wir sind gerade in St. Louis in Missouri. Es ist elf Uhr am Vormittag. Ich sitze im Bus. Draußen sind es vierzig Grad. Und wir werden heute Abend genau dort spielen: draußen. In der Hitze. Weil wir gerade eine Open-Air-Tour absolvieren, meist sind es Amphitheater. Also alles okay, haha. Aber wenn ich ehrlich bin, das habe ich hier zu diesem Zeitpunkt im Jahr so noch nie erlebt. Ich bin ja nicht umsonst vor ein paar Jahren aus den USA wieder zurück nach Irland gezogen. Da regnet es mehr und es gibt auch keine Temperaturen um die vierzig Grad.

Du sprichst es an: Du hast früher lange Zeit in den USA gelebt, ehe du wieder zurück nach Irland gegangen bist, wo du auch geboren wurdest. Wie ist so ein Besuch in den USA für dich, wie eine Rückkehr in die alte Heimat?
Amerika ist einfach ein so großer Teil meines Lebens, dass es sich für mich vollkommen normal anfühlt, wenn ich wieder hier bin. Und es fühlt sich gut an, denn wir werden hier sehr gemocht und haben hier angefangen mit FLOGING MOLLY.

In den USA habt ihr auch euer neues Album „Anthems“ aufgenommen.
Richtig, in Chicago. Und wir haben dafür Steve Albini engagiert, der auch bereits unsere ersten beiden Alben produzierte, „Drunken Lullabies“ und „Swagger“. Es war unser Wunsch, noch mal wie damals in die Musik einzutauchen.

Im Sinne von ...?
Wir wollten die Songs live einspielen. Und das sehr konzentriert. In kurzer Zeit. Wir haben dieses Mal 14 Stücke in zwei Wochen aufgenommen und sie zuvor auch nur zwei Wochen lang geprobt. Das macht „Anthems“ zu einem sehr traditionellen FLOGGING-MOLLY-Album. Wir wollten kein Lied mit zig Overdubs versehen – das kann einem ja schnell passieren. Wir wollten sie roh. Das ist unser Weg und ist es immer schon gewesen.

14 Songs in 14 Tagen: Ist das nun harte Arbeit oder viel Spaß?
Es ist Spaß. Absolut! Was auch an Steve Albini liegt. Er ist nämlich kein wirklicher Produzent. Er ist eher ein Maschinist, ein Maschinenführer. Er will nicht seine eigenen Vorstellungen umsetzen und durchdrücken, wie so viele andere. Er will das, was die Band will. Er wollte, was FLOGGING MOLLY wollten. Nur so fängt man letztlich auch die Energie in der Musik ein. Nur so bekommt man ein Live-Feeling, was für eine Band wie uns essenziell ist – zumal nach einer so langen Zeit ohne Konzerte wegen der Pandemie. Das ist auch der Grund, warum wir die neuen Stücke jetzt auch schon überall live spielen. Wir wollen sie draußen haben und ausprobieren.

Steve Albini ist jemand, der durch seine Zusammenarbeit mit unzähligen Bands aus zig Genres bekannt ist. Bei FLOGGING MOLLY geht es um Celtic oder Folk-Punk. Wie ging er, wie gingt ihr die Arbeit an?
Wenn man mit Steve ins Studio geht und weiß, was man will. Er ist jemand, der sich voll und ganz auf dich und deine Vorstellungen einlässt und dich auch nicht herausfordert, irgendwie anders zu sein. Hinzu kommt, dass irische Musik, Irish Folk für mich immer schon vor allem eines war: reiner Punk. Vor allem textlich natürlich. Und mit Punk kennt Steve sich ja aus, haha.

Die neue Platte heißt „Anthems“. Hymnen. Die spielen für viele Menschen eine sehr wichtige Rolle.
Der Titel war einfach naheliegend. Ich kann mich zwar nicht genau erinnern, welchen Song wir zuerst für das Album geschrieben haben. Aber ich erinnere mich, dass es ein sehr, sehr gutes, erhebendes Gefühl war nach den Lockdowns und nach dem, was wir alle erlebt haben in den vergangenen zwei Jahren. Es war die pure Euphorie. Und Hoffnung. Und das passte nach dieser Zeit so gut! Nach einer Zeit, in der ja mitunter niemand wusste, ob und wie wir wieder da rauskommen würden. Am Ende kamen wir alle wieder zusammen und machten gemeinsam Musik. Hymnen.

Hört sich nach einer Art Corona-Album an. Daher hake ich mal kurz ein: Viele Bands meiden Alben mit Corona-Bezug wie der Teufel das Weihwasser. Ihr offensichtlich nicht.
Ja, ich weiß, dass viele Bands diese Zeit am liebsten gar nicht thematisieren wollen. Sie wollen sie vielmehr unter den Teppich kehren. Aber wir sind eine Band, die im Hier und Jetzt lebt. Wir schreiben über das, was uns beschäftigt und prägt. Dazu gehören eben auch die vergangenen Jahre. Und genau deshalb wollten wir ein Album aufnehmen, das Hoffnung und neue Freude vermittelt. Mit Hymnen eben, die genau das transportieren.

„Hier und jetzt“ – ist das deine Interpretation von Songwriting?
Auch. Ich kann als Songwriter nur über das schreiben, was mir selbst widerfahren ist. Ich kann das, was mir und um mich herum passiert, nicht ignorieren. Es ist ein Unterschied, ob du ein Buch oder einen Zeitungsartikel schreibst – oder eben einen Song. Weil Musik immer Hoffnung geben sollte. Das ist bei einem Buch oder einem auf Fakten basierenden Medienartikel nicht unbedingt der Fall.

Aber wie wirst du in ein paar Jahren, wenn Corona hoffentlich hinter uns liegt und nur noch eine Erinnerung ist, über „Anthems“ denken? Denn dann wäre es ja streng genommen nicht mehr zeitgemäß.
Ich verstehe, was du meinst. Aber ich sehe das anders. Ich will mich beim Hören von „Anthems“ daran erinnern, wie wir damals gefühlt haben und wie wir aus dieser Situation herausgekommen sind. Wie vor der neu gewonnenen Hoffnung zunächst der Blues war. Die Trauer. Und damit sind wir ja gleich beim Ursprung der Rockmusik angekommen: dem Blues. We are singing the Blues! Was könnte passender sein?

Du erwähntest gerade Bücher. Können Musiker und Musikerinnen den Menschen mehr geben als Künstler:innen anderer Genres, als Erfinder:innen, als Entwickler:innen? Nämlich Emotionen?
Wenn du einen Song schreibst, dann fühlen die Leute, was in dir vorgeht. Das ist nicht fiktiv oder belanglos. Es betrifft die Menschen. Sie erkennen sich mitunter selbst darin.

Hast du während des Lockdowns mehr Musik gehört als sonst?
Ja. Und du wirst lachen: Ich habe viel Beethoven gehört. Seine Musik trifft mich genauso, wie es traditionelle irische Musik tut. Oder Punk. Diese Musik macht etwas mit mir.

Du hast es selbst schon mit dem Verweis auf eure frühen Platten „Drunken Lullabies“ und „Swagger“ angedeutet, „Anthems“ ist ein „Back to the roots“-Album. Warum will eine Band eigentlich zurück zu ihren Anfängen?
Bridget und ich haben uns 1994 getroffen. Damals waren wir noch eine Bar-Band in Los Angeles. Aber gerade deswegen, weil wir schon so lange unterwegs sind und schon so viel gemacht haben, ist uns das wichtig. Das heißt ja nicht, dass wir uns im Laufe der Zeit von unseren Wurzeln entfernt haben. Es bedeutet vielmehr, dass wir uns immer wieder darauf besinnen. Und unsere Wurzeln liegen in der Live-Musik, die wir mit „Anthems“ einmal mehr einfangen wollten und zeigen wollen. Und besonders nach der Pandemie ist „Anthems“ eine Art Wiedergeburt von FLOGGING MOLLY.

Wäre „Anthems“ ein anderes Album geworden ohne Corona?
Ja. Corona hat alles geändert. Es traf uns mitten in einer Tour. Und es hat unsere Philosophie geändert, wenn du so willst. Wir mussten erfahren, dass eben nicht alles in unseren Händen liegt, was passiert. Und das wird es auch nie.

Was würde der junge Dave King über die neue Platte speziell und die heutigen FLOGGING MOLLY generell denken?
Er wäre, wie ich als alter Dave King, stolz, wie die neuen Songs zusammengestellt wurden. Wie sie klingen. Sehr homogen. Sehr euphorisch. Man könnte auch sagen: Wir klingen immer noch wie zu Beginn, back to the roots eben. Aber mit allem, was wir seitdem gelernt haben in diesen 28 Jahren. Wir sind technisch besser geworden. Wir sind reifer, erwachsener geworden als Band. Und das hört man. „Anthems“ ist kein zusammengestückeltes Album. Und genau diese Reife ist wohl das Wichtigste, was ich in all den Jahren gelernt habe. Ohne sie würden wir so ein ambitioniertes Album nicht aufnehmen können.

Im Stück „The road of mine“ singst du: „I made my peace and take this road of mine.“ Wann hast du diesen Punkt in deinem Leben erreicht, von dem an du gelassen und zufrieden bist?
Ich fühle das, seitdem wir mit FLOGGING MOLLY so erfolgreich sind – und zwar gerade weil wir so sind, wie wir sind, und die Dinge handhaben, wie wir sie handhaben. Weißt du, zu Beginn hat doch niemand auch nur einen Pfifferling auf uns gegeben. Und wenn ich dann sehe, was aus uns geworden ist, macht mich das stolz. Wir haben in Japan, Südamerika, Europa, den USA gespielt. Hätte uns das früher jemand erzählt, ich hätte es nicht geglaubt. Und dass wir es geschafft haben, weiß ich nun umso mehr zu schätzen. Das macht mich selbstbewusst. Wenn jemand unsere Musik, unser neues Album nicht mag, dann ist mir das heutzutage egal. Vollkommen egal. Es macht keinen Unterschied. Ich habe, wie im Text gesagt, meinen Frieden gefunden. Ich habe ohnehin keinen Grund, mich zu beklagen.

In unserem bislang letzten Interview 2018 hast du genau das am Beispiel deiner Mutter angesprochen. Sie hat dir quasi auf dem Sterbebett das Versprechen abgenommen, das Leben glücklich und zufrieden zu leben. Offenbar hast du dieses Versprechen bislang nicht gebrochen – allen Widrigkeiten da draußen zum Trotz.
Aber sie war einfach auch ein zu gutes und überzeugendes Vorbild: Sie hat jeden Tag geraucht, jeden Tag mit Genuss einen Whisky getrunken. Sie ist 94 geworden. Und wir hatten immer ein gutes Leben, auch in schlechten Zeiten. Und das zeigt eben auch unsere Musik: Man muss das Leben feiern. Mit all seinen Facetten. Man muss es nehmen, wie es ist – und optimistisch bleiben.

Was hat es mit dem Song „The croppy boy ’98“ auf sich?
Bridget und ich leben in Wexford. Dort war 1798 das Zentrum der irischen Revolution gegen England. Die Leute, die damals kämpfen, hatten sich oftmals ihre Haare abrasiert, sie wollten damit an die französischen Revolutionäre erinnern– und nannten sich „croppy boys“. Der Song auf „Anthems“ hat aber nicht direkt mit dieser Zeit zu tun. Es handelt sich ja um eine kuriose Liebesgeschichte aus dem Jahr 1998. Aber er hätte auch genauso gut damals geschrieben werden können und ich wollte an diese Epoche erinnern. Warum sollte so ein Begriff nicht auch 200 Jahre später passen und verwendet werden?

Interessant. Das ist ja auch so etwas, das mich an jeder Form von Musik aus Irland so fasziniert, man lernt immer auch etwas über die Historie dieses wundervollen Landes.
So ist es, haha. Das gehört dazu.

Dave, du bist letztes Jahr sechzig geworden. Ist das für dich nur eine Zahl, ein Geburtstag wie jeder andere auch – oder doch mehr?
Ich denke nie in solchen Abschnitten oder Grenzen. Ich fühle mich nicht älter. Die sechzig ist einfach eine weitere dieser runden Zahlen, die man annehmen muss. Die Uhr tickt und das ist eben so.

Lass mich zum Schluss noch mal ein Thema ansprechen, das ein bisschen heikel ist: Ihr spielt gerne mal bei diesen Schiffskreuzfahrten, in eurem Fall den „Salty Dog Cruises“, die wie ein einwöchiges Festival auf hoher See angelegt sind. Seit ein paar Jahren boomen diese Veranstaltungen. Ist so was angesichts von Klima- und Umweltschutz heute eigentlich noch vertretbar?
Diese Cruises sind in der heutigen Zeit durchaus problematisch. Da gebe ich dir recht. Aber die Kreuzfahrtreedereien versuchen durchaus sich anzupassen. Alles wird recyclet. Das Essen bei diesen Touren ist nachhaltig. Zudem sind die modernen Kreuzfahrtschiffe nicht mehr mit den alten Kähnen von früher vergleichbar. Da werden schon andere Maßstäbe angelegt. Es wird in jeder Hinsicht deutlich mehr auf Umweltschutz geachtet. Und andererseits ist es einfach unfassbar schön zu erleben, dass bei solchen Gelegenheiten Menschen von überall her für ein paar Tage zusammenkommen und auf dem Meer bei den Konzerten die restliche Welt komplett vergessen können und einfach Spaß haben. Abgesehen davon denke ich, dass Umweltschutz zuvorderst an anderer Stelle anfangen muss: Jeder Mensch muss sich bemühen. Wir alle. Und zwar im Alltag.