GOOD RIDDANCE

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Taten statt Worte

Fünf lange Jahre waren GOOD RIDDANCE weg vom Fenster. Inzwischen läuft es wieder bei der Melodic-Hardcore-Band aus Santa Cruz, Kalifornien. 2015 erschien mit „Peace in Our Time“ beim Stammlabel Fat Wreck Chords das erste Studioalbum seit acht Jahren. Jetzt kommt „Thoughts And Prayers“, ein Album, das wieder randvoll ist mit Melodien und politischen Botschaften, dem Markenzeichen von GOOD RIDDANCE. Frontmann Russ Rankin kann man fast schon als das gute Gewissen von Fat Wreck bezeichnen. Der 51-jährige engagiert sich seit vielen Jahren für Tierrechte, ist Veganer, Parteimitglied bei den US-Grünen und sorgt dafür, dass ein Teil der Einnahmen durch die Plattenverkäufe von GOOD RIDDANCE gespendet werden. Seine politische Agenda ist heute wichtiger als je zuvor, wie er im Ox-Interview erklärt.

Russ, warum habt ihr euch eigentlich vor zwölf Jahren aufgelöst?


Einige in der Band haben geheiratet und Kinder bekommen. Außerdem hat unser Gitarrist Luke damals beschlossen, zurück an die Uni zu gehen. Bis zu diesem Zeitpunkt waren wir sehr intensiv auf Tour. Das ging dann natürlich nicht mehr. Also mussten wir uns alle andere Aktivitäten suchen, um unsere Miete zu bezahlen. Viel schwerwiegender für uns war aber, dass wir das Album „My Republic“ aufgenommen hatten, das fast niemand gekauft hat. Wir haben eine Tour zum Album gespielt und keiner kam zu den Shows. Deshalb wollten wir die Sache erhobenen Hauptes beenden und das Ende der Band selbst bestimmen. Wir hatten bis dahin schon mehr erreicht, als wir je erwartet hätten. Es fühlte sich so an, als wären wir unaufhaltsam auf dem absteigenden Ast. Deshalb haben wir uns entschieden aufzuhören.

Dann gab es eine lange Pause von fünf Jahren. Was ist in dieser Zeit passiert?

Ich habe Konzerte mit meiner anderen Band ONLY CRIME gespielt und ich habe einen Fulltimejob in einem Apple-Store. Dort repariere ich iPhones. Außerdem habe ich in dieser Zeit viel geschrieben. Zuerst für ein Musikmagazin namens AMP, das gibt es aber nicht mehr. Einer der Herausgeber hat mich gefragt, ob ich jeden Monat was schreiben könnte. Die Themen durfte ich mir selbst aussuchen. Eine großartige Plattform für mich. Ich habe auch jede Menge positives Feedback bekommen. Dann habe ich hin und wieder auch Anfragen von anderen Magazinen oder Fanzines wie Razorcake oder Alternative Press bekommen. Und vor vier Jahren erreichte mich eine Anfrage von der Washington Times für eine wöchentliche Hockey-Kolumne im Sportteil und eine Kolumne im politischen Teil der Zeitung. Das habe ich dann ungefähr zwei Jahre durchgezogen, für mich das höchste Level meiner journalistischen Tätigkeit. Dafür gab es richtig strikte Vorgaben, was das Format betraf. Dort habe ich viel gelernt. Am Ende gab es aber ein paar politische Meinungsverschiedenheiten mit den Herausgebern. Mir haben einfach manche Beiträge von anderen Autoren nicht gefallen, also bin ich ausgestiegen.

Ist es für dich schwerer, einen Artikel zu schreiben oder einen Songtext?

Es ist total anders. Songtexte sind schwer zu schreiben, weil man immer auch Reime und Rhythmen beachten muss. Ich versuche Dinge auszudrücken, über die vor mir schon tausende Punksänger in den vergangenen vierzig Jahren gesungen haben. Es muss aber trotzdem frisch und anders klingen. Mir ist es außerdem wichtig, mit meinen Texten gegen soziale Ungerechtigkeiten zu kämpfen. Das ist also definitiv eine andere Herausforderung als ein journalistischer Text. Ich bin über die Jahre besser geworden und will immer ein besseres Ergebnis als auf den Vorgängerplatten. Bei Artikeln in Zeitungen oder Zeitschriften geht es vor allem darum, die Aufmerksamkeit der Leser zu bekommen. Und zwar lange genug, damit sie den Text auch bis zum Ende lesen. Das ist eine ganz andere Herausforderung. Ich mache das inzwischen nicht mehr so oft wie früher. Es gibt schon eine Weile keine Anfragen mehr. Aber ich würde wirklich gerne wieder irgendwo eine regelmäßige Kolumne schreiben.

Du bist außerdem als professioneller Hockey-Scout unterwegs gewesen. Machst du das noch?

Nachdem ich jahrelang von Hockey besessen war, sagten mir alle meine Freunde, dass ich versuchen sollte, in dem Sport zu arbeiten. Das mache ich seit 2007, aktuell in einer Juniorliga namens Western Hockey League. Die besteht aus 22 Teams aus dem westlichen Kanada und dem Nordwesten der USA. Das sind Spieler im Alter zwischen 16 und 20 Jahren, die direkt in die NHL gedraftet werden, wenn sie gut sind. Durch die Musik habe ich jemanden kennen gelernt, der Teilhaber an einem Hockeyteam ist. So bin ich ins Business eingestiegen. Ich habe einen Online-Kurs gemacht, der sich auf Scouting- und General-Manager-Aufgaben konzentriert hat. Dann hat man mich losgeschickt, junge Spieler zu beobachten und Berichte zu schreiben. Ich liebe diesen Job, die Western Hockey League hat einen sehr guten Ruf, aber ich werde nicht wirklich dafür bezahlt. Natürlich würde ich gerne irgendwann für die National Hockey League arbeiten. Amateure für NHL-Teams scouten, das wäre super. Aber es ist schwierig. Ich war selbst nie Spieler oder Trainer und ich habe Tattoos am Hals. Das ist ein Problem.

Vor sieben Jahren habt ihr GOOD RIDDANCE wieder zu neuem Leben erweckt. Was war der Grund dafür?

Wir hatten alle wieder mehr Zeit. Die Kinder sind inzwischen in einem Alter, in dem sie nicht mehr die volle Aufmerksamkeit benötigen. Die beruflichen Werdegänge haben auch einen entspannten Punkt erreicht. In den fünf Jahren Pause bekamen wir außerdem immer wieder Angebote für Festivalauftritte. Die anderen Jungs waren total wild darauf, ich anfangs überhaupt nicht. Sie haben mich aber dann bei einem Kaffeekränzchen überzeugt. Also haben wir wieder geprobt und es machte einen Riesenspaß. Also haben wir für Ende April 2012 einen Auftritt beim Groezrock in Belgien zugesagt. Das war super, seitdem geht es weiter.

„Thoughts And Prayers“ ist schon das zweite Album nach dem Neustart. Was ist mit dem Albumtitel gemeint?

In den USA hatten wir dieses Jahr schon mehr als 250 Schießereien mit vielen Toten. Wir haben uns an diese Nachrichten gewöhnt, das finde ich beängstigend. Gewählte Politiker, die eigentlich etwas dagegen machen könnten, bleiben aber erstaunlich passiv. Wir haben leider eine Regierung, in der Lobbyisten die Gesetze formulieren und Politik gestalten. Vor allem die NRA, die National Rifle Association. Deshalb ist der Albumtitel natürlich ironisch gemeint, aber ein Statement. Denn ich denke, kein Mensch braucht privat Militärwaffen zu Hause. In meinen Augen sollten die Menschen nicht einmal jagen. Aber selbst für die Jagd brauchst du nicht solche Waffen. Sie sollten nicht so einfach für jeden erhältlich sein. Wenn andere Länder den Zugang limitieren können, können wir das auch. Und wenn Gedanken und Gebete das Einzige sind, was US-Politiker dazu beitragen können, ist das ein Armutszeugnis.

Warum ist es so schwer, diese Waffen zumindest für Privatleute zu verbieten? In Deutschland läuft niemand mit einer Knarre herum.

Eine große Rolle spielt sicher der zweite Verfassungszusatz, der das Recht beinhaltet, Waffen zu tragen. Weil es in der Verfassung steht, kann man das nicht so einfach ändern. Außerdem gibt es in Amerika eine sehr mächtige Waffenlobby. Menschen, die unglaubliche Summen Geld an Politiker bezahlen, damit nichts geändert wird. Viele Menschen in Amerika betrachten ihre Waffen als Grundrecht, um ihre Familien und Häuser gegen „schlechte Menschen“ wie Muslime, Schwule oder Lesben zu verteidigen. Und die Medien erzählen uns jeden Tag, wie wichtig es ist, sich zu schützen. Die Menschen, vor denen wir aber wirklich Angst haben müssen, sind vor allem weiße männliche Christen. Denn die sind hauptsächlich für die Schießereien verantwortlich.

Bei uns in Deutschland wird noch viel mehr als über Amokläufe und Schießereien über den Klimawandel geredet. Warum ist das in den USA kein so großes Thema?

Ich finde auch, dass sich die Amerikaner zu wenig damit beschäftigen. Der einfachste individuelle Beitrag, den jeder leisten kann, um den Klimawandel aufzuhalten, wäre es, keine tierischen Produkte mehr zu konsumieren. So könnte man sehr leicht den CO2-Ausstoß reduzieren. Aber viele Leute, die Angst vor der Erderwärmung haben, würden nie auf ihr Steak oder ihren Burger verzichten. Für mich hatte Deutschland immer Vorbildcharakter, was Umweltthemen betrifft. Schon lange bevor der Klimawandel so konkret wurde, hat man bei euch schon überall Solaranlagen gesehen und die Menschen haben ein Bewusstsein für dieses Problem entwickelt. Wie können wir unsere Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen und Atomkraft reduzieren? Was das betrifft, könnten die Amerikaner jede Menge von den Deutschen lernen. Aber Amerikaner denken, sie bräuchten von niemandem Hilfe, deshalb entgeht uns eine große Chance.

Aber die Deutschen sind kein perfektes Vorbild. Wir sind zum Beispiel weltweit führend, wenn es darum geht, Verpackungsmüll aus Plastik zu produzieren.

Keiner ist perfekt. Aber es ist einfach schön zu sehen, dass es Länder gibt, die viel mehr machen wollen, als sie momentan tun. Wenn jeder so denken würde, könnten wir viele Veränderungen in relativ kurzer Zeit bewirken. Aber irgendwie scheint jeder auf den anderen zu warten. Deshalb rede ich viel über Veganismus und Tierrechte, das kann jeder problemlos für sich machen. Sofort und ohne auf andere warten zu müssen. Das könnte ein Teil der Lösung sein.

Du bist schon seit einigen Jahren Mitglied der Grünen in den USA. Diese Partei wird in Deutschland immer erfolgreicher, warum nicht bei euch?

In den USA gibt es jede Menge Parteien, ähnlich wie in Deutschland. Anders als in Deutschland kennen die Amerikaner aber nur zwei Parteien. Republikaner und Demokraten. Außerdem haben die Menschen in Europa eine freie Presse. Die gibt es bei uns schon lange nicht mehr. Bei uns muss man sich zwischen zwei Optionen entscheiden, da gibt es keine Alternativen. Sie existieren zwar, aber niemand redet darüber. Bei uns gibt es eine überparteiliche Gruppe namens Commission On Presidential Debates, die alle TV-Debatten der Kandidaten kontrolliert. Die CPD lässt nur Kandidaten der beiden reichsten Parteien zu und macht eine Riesenshow daraus. Sie wählen die Moderatoren aus und bestimmen die Fragen. Diese TV-Duelle sind hauptverantwortlich für die Wahlentscheidungen in Amerika und auch in den Nachrichten wird nur über die beiden großen Parteien berichtet. Die Menschen werden also über die Medien indoktriniert. Wenn sie wählen gehen, haben sie von den anderen Kandidaten noch nie gehört. Also geben sie ihre Stimmen Republikanern oder Demokraten oder sie wählen gar nicht. Bei der letzten Präsidentschaftswahl vor drei Jahren war die Wahlbeteiligung gerade mal bei 58,9 Prozent. Und das waren vor allem wohlhabende Weiße. Die Grünen haben immer einen Kandidaten am Start, aber sie müssen darum kämpfen, um überhaupt zugelassen zu werden. Ich freue mich immer, wenn ich in Deutschland bin und die verschiedenen Wahlplakate sehe. In den USA sind es immer die gleichen Nasen. Die Grünen-Präsidentschaftskandidatin Jill Stein wollte vor drei Jahren am Rande des TV-Duells zwischen Barack Obama und Mitt Romney protestieren. Sie hat versucht, sich einzumischen, wurde verhaftet und in Handschellen abgeführt. Wegen Hausfriedensbruch und Ruhestörung. Das ist echt frustrierend.

Ihr spendet von jeder verkauften Kopie von „Thoughts And Prayers“ jeweils fünfzig Cent an Never Again MSD und Second Harvest Food Bank. Was sind das für Organisationen?

Never Again ist eine Non-Profit-Gruppe, die kurz nach dem Massaker in Parkland, Florida gegründet wurde. Dabei hat ein 19-Jähriger 14 Schüler und drei Erwachsene getötet. Diese Leute setzen sich für strengere Waffengesetze ein, damit vor allem Schulen sicherer werden. Inzwischen gibt es zum Glück viele von diesen Gruppen. Wir haben die Entscheidung für unsere Spende kurz nach diesem Massaker getroffen, deshalb hat uns ihre Botschaft ganz aktuell erreicht. Second Harvest Food Bank ist die größte Organisation in unserer Gegend, die hungrige Menschen mit Essen versorgt. Es ist uns ziemlich leicht gefallen, ihnen Geld zu geben. Wir haben sie schon vorher zu Shows von uns eingeladen. Wir tun also, was wir können, um zu sensibilisieren und Geld zu sammeln. Unsere Spenden werden diese Organisationen sicher nicht tragen können. Aber ich will nicht immer nur reden, sondern auch etwas machen. Mit unserer Musik wollen wir die Leute glücklich machen und zum Nachdenken anregen. Die Spenden sind für uns ein Weg, irgendwie auch Aktivisten zu sein.