HEADS.

Foto© by Basti Grim

Radikale Optimisten

Das deutsch-australische Noise-Post-Punk-Trio HEADS. besteht weiterhin auf den Punkt am Ende des Bandnamens. Ihr neues Album „Push“ setzt allerdings keinen solchen und endet genauso postapokalyptisch, wie es begonnen hat. Die das Artwork dominierende Signalfarbe Rot scheint ernstgemeint zu sein. Sänger Ed Fraser, Bassist Chris Breuer und Schlagzeuger Nic Stockmann zeigen sich dieses Mal deutlich gereifter, konsequenter und auch abwechslungsreicher. Und trotz hohem eigenen Wiederkennungswert sind Einflüsse von JOY DIVISION, IDLES, PROTOMARTYR oder SWANS nicht von der Hand zu weisen. Wir sprechen mit Chris und Nic über den Entstehungsprozess.

Push“ scheint mir ein unendliches Konzeptalbum zu sein. Nach der einleitenden apokalyptischen Stimmung arbeitet es sich offenbar einmal durch die Krise, gräbt sich durch bis ins Paradies, bis man, wie nach einem schlechten Traum, wieder am bösen Anfang zu erwachen scheint. Was für eine Idee steckt hinter dieser Dramaturgie?

Chris: „Push“ war tatsächlich nie als Konzeptalbum geplant. Umso schöner finden wir es natürlich, dass es so auf dich wirkt, und dass es wohl als in sich geschlossenes Werk zu funktionieren scheint. Schon beim Schreiben der Songs haben wir uns viele Gedanken um ihre Anordnung und die damit verbundene Wirkung gemacht. Mich freut es unheimlich, wenn das jemand zu schätzen weiß. Ich bin ja auch Fan von anderen Bands und liebe es einfach, ein Album von vorne bis hinten durchzuhören und mich davon richtig in den Bann ziehen zu lassen.

Wo seht ihr euch, seid ihr im Auge des Sturms oder habt ihr als HEADS. eher eine beobachtende Position von außen?
Chris: Wir haben unsere Augen überall.

Über welchen Zeitraum habt ihr die Songs für „Push“ geschrieben, in welchen Situationen?
Chris: Wir schreiben alle Songs gemeinsam, jeder von uns bringt sich und seine Ideen mit ein. „Push“ ist – anders als unser erstes Album „Collider“ und unser erste EP – in sehr kurzer Zeit entstanden. Mit unserem neuem Drummer Nic Stockmann und nur acht Wochen Zeit bis zur Aufnahme, haben wir sehr viel Zeit bei Christoph Bartelt im Proberaum verbracht. Aufgrund dessen konnten wir uns da viel besser hineindenken und einfühlen als bisher. Das heißt, wir konnten mit den Songs im Ohr einschlafen, morgens wieder damit aufwachen und dann gleich daran weiterarbeiten.

Trotz aller Melancholie ist „Push“ für mich ein positives Album, da Musik und Gesang wie Felsen in der Brandung stehen. Seht ihr euch eher als Optimisten oder Pessimisten?
Chris: Das kommt ganz auf das Thema an. Wären wir alle Pessimisten, würden wir es wahrscheinlich nie hinbekommen, so ein aufwändiges Album zu schreiben und auf Tour zu gehen. Also sind wir eher Optimisten, zumindest was unsere Kunst angeht. Allerdings fällt es mir gerade ziemlich schwer, bei den aktuellen gesellschaftlichen Problemen dieser Zeit einer zu bleiben.

Fabian Bremer hat euer Artwork gestaltet, schlicht in Rot und Schwarz und ausschließlich mit Schrift, die Vinylversion ist sogar noch schriftlastiger. Das wirkt sehr nüchtern und überlässt die Hörer*innen komplett ihrer Fantasie. Auch im Video gebt ihr nur visuelle Anhaltspunkte, aber keine konkreten Bilder vor. Ist es euch wichtig, dass von außen möglichst viel Raum für Interpretation bleibt?
Chris: Mit „Push“ haben wir insgesamt einen radikaleren Ansatz verfolgt, der sich nicht nur in unserer Musik, sondern auch im Artwork widerspiegeln sollte. Irgendein schönes Bild zu verwenden, schien uns für „Push“ deshalb nicht angemessen.

Nachdem „Collider“ zurückhaltender war und „Push“ etwas direkter und drängender, müsste beim nächsten Mal eigentlich die große Explosion folgen. Seid ihr mit dem Kopf schon beim kommenden Album, habt ihr Ideen dafür?
Chris: Vielleicht geht das nächste Album auch in eine total andere Richtung. Neue Pläne haben wir noch nicht, aber wir sind musikalisch viel offener, als man denken könnte.

Der Song „Paradise“ führt die Hörer*innen einmal raus aus der Dunkelheit. Habt ihr selbst eine Vorstellung vom Paradies?
Chris: Jeder hat wohl seine ganz eigene Vorstellung vom Paradies. Ich müsste mir erst mal ausgiebig Gedanken dazu machen, um keine falschen Entscheidungen für die Ewigkeit zu treffen. Denn selbst permanent gut gelaunte, lachende Menschen stelle ich mir auf Dauer als eine ziemliche Belastung vor.

Euer Album war von der Corona-Krise, zumindest was die Veröffentlichung angeht, nicht so stark betroffen. Empfindet ihr die Pandemie als kreativ beflügelnd und würde „Push“ anders klingen, wenn es in diesem Zeitraum entstanden wäre?
Chris: Unsere Aufnahmen inklusive Mixing, Mastering und Artwork wurden glücklicherweise circa Februar dieses Jahres fertig, deshalb war der Aufnahmeprozess davon tatsächlich nicht betroffen. „Push“ wäre sicherlich in der Corona-Zeit so nie entstanden. Dass wir diesmal alle in derselben Stadt waren, mehrmals die Woche geprobt und am Album vor Ort gearbeitet haben, war für uns und „Push“ sicherlich ein großer Vorteil.

Manche prophezeien, dass Live-Musik durch die Veranstaltungszwangspause wieder mehr Wertigkeit erlangen wird und die Szene gestärkt aus der Krise gehen könnte. Es wird häufig auch von einem „Gesundschrumpfen“ gesprochen und wieder andere sagen den Untergang der kompletten Konzertkultur voraus, da nicht alle Clubs überleben werden. Wie seht ihr das?
Nic: Eine Stärkung der Szene wäre natürlich wünschenswert. Ob das tatsächlich passieren wird, wird sich zeigen. Spannend finde ich allerdings, dass sich strukturell wahrscheinlich viel ändern wird. Meine Hoffnung ist, dass dieser Zusammenbruch des Eventgeschäfts wieder mehr Vielfalt zulässt und den paar großen Monopol-Veranstalter*innen und Ticketinganbietern, die aktuell einen Großteil des Marktes bestimmen, langfristig ihren Einfluss nimmt.

Was war das letzte Konzert, das ihr selbst vor dem Verbot von Großveranstaltungen besucht habt und welche Erinnerungen habt ihr daran?
Chris: Ich kann mich an mein letztes Konzert nicht erinnern. Das ist ein sehr schlechtes Zeichen, haha.
Nic: Bei mir war es King Krule in der Columbiahalle in Berlin. Ich bin ohne große Erwartungen dort hingegangen und extrem beeindruckt und begeistert wieder nach Hause gekommen. Ich habe selten einen Menschen gesehen, der sich so langsam bewegt. Sogar als mehrfach sein Gitarrengurt riss.

Käme ein Streaming- oder Autokino-Konzert für HEADS. infrage, wäre das der angemessene Rahmen, um eure Kunst zu präsentieren?
Chris: Leider sind Live-Sessions oft ziemlich langweilig und das oft trotz sehr guter Performances. Nic und ich versuchen deshalb gerade, ein eigenes Format namens „Zycho“ auf die Beine zu stellen, das über die reine musikalische Darbietung hinausgehen soll, um das Ganze einfach spannender und unterhaltsamer zu gestalten.

Wenn ihr hoffentlich bald wieder live auftreten könnt, welche Art von Shows mögt ihr am liebsten?
Nic: Hauptsache, wieder Konzerte spielen, über alles andere kann man dann nachdenken, wenn es soweit ist.

Ihr habt auch dieses Mal wieder Gastfeatures auf dem Album, Kristof von SWANS und Markus Lipka von EISENVATER zum Beispiel. Das sind zwei Bands, die soundmäßig nicht so weit von euch entfernt sind, aber wie kam es zu der Zusammenarbeit und wie einigt man sich dann genau auf den zu leistenden Beitrag?
Nic: Wir wollten dieses Mal auf der Platte unbedingt Lap Steel haben. Soundtechnisch war da Kristof Hahn natürlich einer unserer Wunschkandidaten, der Kontakt kam schließlich durch einen gemeinsamen Bekannten zustande. Zwischen der Anfrage und Kristofs Besuch bei uns im Studio vergingen dann nur zwei Tage. Mit einem Mitglied von SWANS zu arbeiten, hat bei mir auf jeden Fall einen Fanmoment ausgelöst, und es war beeindruckend, ihn beim Aufnehmen zu beobachten. Und Markus Lipka war in unseren Augen der optimale Gegenpart, um dem Album einen spannenden Rahmen zu geben.

Ihr habt „Push“ parallel auf Glitterhouse und This Charming Man veröffentlicht. Welche neuen Möglichkeiten haben sich dadurch ergeben?
Chris: Wir waren bisher bei This Charming Man und wollten einfach mal ein wenig Abwechslung hereinbringen und neue Leute erreichen. Wir waren und sind mit Chris’ Arbeit bei TCM sehr zufrieden, aber wir wollten einfach mal was anderes ausprobieren und das Label Glitterhouse schien uns aufgrund seiner Integrität und der noiserockigen Vergangenheit mit Bands wie MUDHONEY und HELMET als angemessener Partner. Bisher sind wir auch nicht enttäuscht worden. Im Gegenteil, es ist ein tolles Team!