JELLO BIAFRA

Foto© by Matthew Kadi

Trump hates him

Mögen die DEAD KENNEDYS auch seit Jahren schon durch die Lande ziehen und mit einem Sänger – dessen Name mir weder geläufig ist noch mich interessiert – ihre alten Hits zur Aufführung bringen, so ist und bleibt das Gesicht und die Stimme der legendären Band, die zwischen 1978 und 1986 aktiv war, für mich auf ewig Jello Biafra. Im Gegensatz zu seinen alten Bandkollegen, mit denen er sich über finanzielle Dinge unrettbar zerstritten hat, ist seine Kreativität seit der Post-DK-Zeit ungebrochen. Diverse Kooperationen und entsprechende Alben entstanden, etwa mit MINISTRY, MELVINS, D.O.A. und NOMEANSNO, und seit 2008 hat er mit THE GUANTANAMO SCHOOL OF MEDICINE eine feste Band, mit deren Ralph Spight (Ex-VICTIMS FAMILY) einen musikalischen Mitverschwörer. Mit „The Audacity of Hype“ (2009) und „White People And The Damage Done“ (2013) entstanden zwei exzellente Alben, denen zur Corona-Unzeit und passend zur US-Präsidentenwahl nun das dritte folgt, „Tea Party Revenge Porn“. Fast zwei Stunden telefonierte ich für dieses Interview mit Jello (jedes weitere mit ihm wird gefühlt länger, mein erstes fand Mitte der Neunziger statt, dieses dürfte ca. das zehnte sein), Redundanzen gab es nicht, so dass unsere Konversation hier nun in Gänze wiedergegeben wird.

Jello, wie geht es dir?

Ich habe mich schon besser gefühlt. Schon vor Corona musste ich Shows und Touren absagen, weil bei mir Vorhofflimmern festgestellt wurde, eine Herzrhythmusstörung – mal schlägt das Herz zu schnell, mal zu langsam. Ein Herzschrittmacher oder so hilft da nicht. Mein Akupunkteur hat das festgestellt, zum Glück in einem frühen Stadium. Ich war dann beim Kardiologen, bislang ist mir der große Pharmakonzern-Angriff erspart geblieben, mal sehen, wie es weitergeht. Nimmst du das auf? Ist okay. Ich rede sonst nicht groß darüber, ich will kein großes Internet-Drama daraus machen, aber die Leute können ruhig wissen, wie es mir geht. Es gibt da Methoden, die das temporär regulieren, das gefällt mir nicht, aber die Blutverdünner der Pharmaindustrie mag ich auch nicht – ich will nicht der 41.001. Kläger sein, der den Hersteller von Xarelto verklagt. Also habe ich versucht, es etwas entspannter anzugehen und mal ein Langzeit-EKG gemacht, um zu sehen, wie oft so eine Störung überhaupt auftritt. Der Kardiologe ist ziemlich alt, aber richtig gut, und der meinte nur, dass ich diese Herzrhythmusstörung schon eine ganze Weile hätte und ich beim Trainieren auf meinem NordicTrack-Fitnesstrainer immer richtig an seine Grenzen gelange. Und da die Shows der GUANTANAMO SCHOOL OF MEDICINE, wie du sie magst und erwartest, jedes Mal wie eineinhalb Stunden auf dem Fitnesstrainer sind, ist das nicht unkritisch ... Mein Herz wird da jedes Mal richtig lang extrem auf Tempo gebracht und das dann auch noch oft in einer extrem heißen Halle – und das kann mich umbringen. Und ich habe ehrlich gesagt keine Lust auf einen Abgang à la Jackie Wilson, dieser alte Soul-Sänger, der während eines Konzerts mit einem Herzinfarkt und Schlaganfall auf der Bühne umgekippt ist und dann noch ein paar Jahre im Koma lag, bevor er starb.

Irgendwann mal hieß es „Live fast, die young“, „Hope I die before I get old“ und so weiter. Nun merken wir mit über fünfzig oder sechzig, dass wir nicht unsterblich sind, und sehen solche Aussagen etwas anders ...
Das überrascht ja nicht, oder? Und Roger Daltrey singt auch mit über siebzig noch „Hope I die before I get old“ bei seinen Shows in Las Vegas. Mit Steve Soto von den ADOLESCENTS, der 2018 starb, sprach ich mal darüber, wie es so sei, in unserem Alter noch in Punkbands zu spielen, und der schaute mich nur wortlos an. Es ist, wie es ist. Paul Weller meinte mal, er wolle nur noch Lieder schreiben und singen über die Person, die er zum jeweiligen Zeitpunkt ist, und ich glaube kein Stück an so ein Konzept. Ich hatte ja schon mal erzählt, dass meine Beherrschung der Schauspieltechnik des Method Acting auf die Zeit zurückgeht, bevor ich Sänger in einer Band wurde, und so fiel es mir schon immer leicht, mich in die Situation von Menschen zu versetzen, die viel jünger oder älter sind als ich. Na ja, jedenfalls ist meine aktuelle gesundheitliche Situation für mich sehr unbefriedigend. Fünfzig zu werden, war ja schon beängstigend, da fing ich an zu zweifeln, ob ich das noch alles packe. Aber dann wurde ich sechzig und fühlte mich immer noch ziemlich gut. Tja, und dann wurde ich 61 und die Probleme begannen ... Neben dem Herzen macht mir mein Knie zu schaffen, das ja 1994 bei diesem Angriff im 924 Gilman Street Club verletzt wurde. Aktuell kann ich nicht mal auf dem Fitnesstrainer trainieren. Mein Kardiologe empfahl mir, auf Schwimmen auszuweichen ... Super Idee in Corona-Zeiten in öffentliche Schwimmbäder zu gehen. Außerdem bin ich auch nicht gerade der weltbeste Schwimmer, meine Schwimmkünste würden gerade mal ausreichen, mich zu retten, wenn ich ins Wasser fallen sollte. Und reich genug, um mir in mein Haus so einen Minipool mit Gegenstromanlage einbauen zu lassen, bin ich auch nicht.

Und die dadurch erhöhte Luftfeuchtigkeit wäre auch nicht gut für die Plattensammlung.
Genau! Außerdem wäre es fahrlässig, auch nur den kleinsten Platz, der zum Lagern von Platten taugt, durch einen Pool zu blockieren.

Mindestens zwei Songs auf dem neuen Album, „Boring day“ und „No more selfies“, finde ich für deine Verhältnisse erstaunlich persönlich. Wie kommt das?
Es gibt von mir eine ganze Menge persönliche Texte, nur habe ich die nie verwendet. Und wahrscheinlich wird die ganz harten „Was hat Sie mir nur angetan?“-Texte auch niemals jemand anderes zu lesen bekommen. Andere sind zu gewalttätig oder zu selbstmitleidig, als dass sie es Wert wären, einen Song für sie zu verschwenden. Und wieder andere sind so privat, dass sie auch besser privat bleiben sollten. So viele Jahre habe ich ja nicht mehr vor mir, da will ich machen, wonach mir ist. Und diese beiden Songs sind nun der Anfang einer Serie von Songs, hoffe ich, über die Ups und Downs des digitalen Zeitalters. Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass die ganze Technologie, die uns heute zur Verfügung steht, eine gute Sache ist. Aber es ist eben wichtig, dass wir die Werkzeuge verwenden und nicht die Werkzeuge uns. Dazu passt dann auch der dritte Song im Bunde zu diesem Thema auf dem neuen Album, „People with too much time on their hands“. Der Song fängt persönlich an, gewinnt dann aber noch eine andere Perspektive. Es geht da um all die Leute, die im Internet auf diese oder jene Geschichte stoßen und dann völlig aufgebracht sind und glauben, sie müssten das allen Freunden weiterleiten, ohne sich auch nur einmal zu fragen, ob das, was sie da gelesen haben, auch wirklich wahr ist. Nur so konnte es kommen, dass es bis heute Menschen gibt, die ernsthaft glauben, dass Donald Trump ein Genie ist und Barack Obama ein muslimischer Undercover-Agent, der in Afrika geboren wurde. Und dass Hillary Clinton Teil eines Kindesmissbrauchsrings ist, dessen Hauptquartier sich im Keller einer Pizzeria in Washington DC befindet. Wobei dieses Gebäude in Wirklichkeit nicht mal einen Keller hat. Aber die Leute glauben diesen Scheiß trotzdem. Nun, die Menschen werden immer so dumm sein. Mit meinen Spoken-Word-Auftritten und meinen YouTube-„Podblasts“ unter dem Titel „What would Jello do?“ versuche ich zumindest, nur über Dinge zu reden, die wahr sind. Ich neige ja schon mal zu Übertreibungen, gerade wenn ich Worst-Case-Szenario-Songs schreibe – was könnte in der Zukunft passieren, wenn sich die Leute nicht etwas klüger verhalten? –, und manchmal wünschte ich mir, ich würde aufhören, so was zu schreiben, gerade wenn sich mal wieder etwas bewahrheitet hat.

Diese persönlichen Texte sind also nicht einfach nur so „passiert“?
Diese eher persönlichen Texte sind eine bewusste Entscheidung. Ich habe bei Spoken-Word-Auftritten gemerkt, dass die Leute aufmerksamer zuhören, wenn ich einen persönlichen Aspekt ins Spiel bringe à la „Schau, mir selbst ist es passiert, dass ...“ anstatt zu sagen; „Ich habe irgendwo gelesen ...“ Speziell in diesen Zeiten finde ich das wichtig, da im Internet die wildesten Gerüchte und Lügen als Fakten dargestellt oder aufgefasst werden und die Leute das bereitwillig weiterverbreiten, mit teilweise sogar tödlichen Folgen. Etwa wenn ein junger Schwuler im Studentenwohnheim von Kommilitonen beim Sex gefilmt wird, das Video öffentlich wird und derjenige sich dann umbringt. Unter anderem darum geht es neben dem persönlichen Aspekt in „No more selfies“. Ich hatte nicht vor, daraus einen Song zu machen, bis ich bei der Beerdigung von Dave Brockie alias Oderus Urungus von GWAR war. Der starb 2014 mit fünfzig und war ein sehr guter Freund. Er, Winston Smith und ich konnten uns super über Kunst unterhalten. Die beiden waren auch sehr gut befreundet. Sein unnötiger Tod kam in einem Jahr, in dem noch ein paar andere Leute starben, wie Brian Goble von D.O.A. und SUBHUMANS, mein Vater, ein weiterer alter Freund ... und das zog mich massiv runter, ich hatte eine üble Depression. Letztlich kam ich da wieder raus, nur fühle ich mich aktuell fast wieder wie damals ... Bei der Beerdigung von Dave jedenfalls, die als großes Event inszeniert wurde, fiel mir irgendwann Daves Ex-Freundin und einstige Bandkollegin Danielle Stampe alias Slymenstra Hymen um den Hals und hörte nicht mehr auf zu weinen. Und in dem Moment kamen dann irgendwelche Fans auf uns zu und fragten nach einem Selfie. Das machte mich fassungslos. Das war noch schlimmer als der Typ in Nürnberg, der mitten während unseres Auftritts auf die Bühne kam, um ein Selfie zu machen. Vorher hatte da schon jemand versucht, mich festzuhalten, als ich auf die Bühne wollte, um ein Selfie zu machen. Das waren nicht mal Kids, sondern Erwachsene! Bei so einer Gelegenheit lassen die jede Zurückhaltung fallen, das macht mich fassungslos.

In all den Interviews mit dir über die Jahre hast du immer die US-Politik analysiert. Hat es Trump geschafft, selbst dich im negativen Sinne noch zu überraschen?
Da geht es mir wie vielen anderen: Immer wenn du denkst, deine schlimmsten Befürchtungen seien eingetreten, kommt noch was on top. Das große Problem mit diesem Deppen ist, der à la Idi Amin oder Berlusconi oder Milosevic agiert, dass auf der Ebene unter ihm Leute arbeiten, die wirklich böse Genies sind und all ihre Kraft investieren, um beispielsweise die Umweltschutzbehörde zu zerstören, das Erziehungsministerium und das Justizressort zu ruinieren. Und nun machen sie sich sogar daran, die US-Post zu zerstören unter dem Vorwand, dass es bei der Briefwahl zu Betrug kommen könne. Die Medienkonzerne in den USA schweigen zu all dem lieber, etwa dazu, dass unter Präsident George W. Bush die US-Post Rücklagen zu all ihren Pensionsverpflichtungen 75 Jahre im Voraus bilden musste – für Menschen also, die noch nicht mal geboren worden waren, aber ja vielleicht in der Zukunft mal für die Post arbeiten könnten. Keine andere Firma irgendwo auf der Welt wurde jemals zu so etwas verdonnert. Warum das gemacht wurde? Um die US-Post in den Ruin zu treiben, damit man sie dann privatisieren kann. Und FedEx, UPS, DHL oder Jeff Beeswax [Jeff Bezos von Amazon] können sich dann die Reste einverleiben. Und das Verschicken eines Briefes kostet dann 20 Dollar. Dabei funktioniert der Postdienst ja! Und die Post würde sogar jetzt schon Gewinn machen, hätte sie nicht diese Pensionslast zu tragen. Genauso ist es mit der Sozialversicherung: die funktioniert. Deshalb soll sie zerstört, privatisiert und an die Wall Street verkauft werden. Nur damit die Typen dort mit den Ersparnissen der Menschen an der Börse spielen und alles verzocken können.

Wenn dieses Pensionsproblem der US-Post doch schon so lange existiert, warum wurde das unter Obama nicht angegangen?
Das stört mich ja so sehr! Obama und sein Vizepräsident Biden hatten acht Jahre Zeit, sich des Problems anzunehmen, und sie taten es nicht. Genauso wie sie acht Jahre Zeit hatten, die Finanzverwaltung IRS zu reformieren, damit die ihren Job des Steuereintreibens richtig machen kann. Aber auch da ist nichts passiert. George W. Bush hatte sich seinerzeit damit gebrüstet, dass er hunderte Steuerfahnder in den Ruhestand geschickt habe, die sich um große Steuerhinterzieher kümmerten. Und stattdessen jagte man nun Arme und die Mittelschicht wegen Steuervermeidung. Auch das reparierte Obama nie. Die USA sind eine große Kleptokratie. Tja, und Obama hat auch seine Ankündigung, das Gefangenenlager Guantánamo zu schließen, nicht wahr gemacht. Und immer noch sind wir in Ländern aktiv, in denen wir nichts zu suchen haben.

Tja ... zu dem Thema hatten SLIME ja vor vierzig Jahren den Song „Yankees raus“ gemacht und mussten dafür viel Prügel einstecken. An diesen Song dachte ich in letzter Zeit immer, als es um den von Trump angekündigten US-Truppenabzug aus Deutschland ging.
Ich habe mir das 1982 mal erklären lassen, als die DEAD KENNDYS und MDC mit SLIME in Hamburg spielten. Ich kannte das Album ja, mein Freund Hans von VOMIT VISIONS hatte es mir geschickt, und ich interpretierte das so, dass SLIME wollten, dass die USA ihr Militär als Besatzer aus Deutschland abziehen sollten, und ich stimmte ihnen darin zu. Ich hatte mit der Aussage nie ein Problem, wir standen auf der gleichen Seite.

Mit Russland beschäftigst du dich auf dem neuen Album ebenfalls. Worum geht es in „We created Putin“?
In gewisser Weise erstaunt es mich, dass es einen alten Punkrock-Typen wie mich braucht, um das Thema aufzubringen. Nach dem Ersten Weltkrieg nahmen sich Großbritannien, Frankreich und die USA vor, Deutschland so richtig fertigzumachen, die Deutschen zu bestrafen, Reparationen zu fordern, und so weiter. In der Folge wurden die Deutschen angesichts ihrer schlimmen wirtschaftlichen Situation so sauer, dass letzten Endes Hitler an die Macht kam. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten wir, die USA, dann immerhin etwas gelernt, wir halfen mit dem Marshall-Plan beim Wiederaufbau von Deutschland und auch von Japan und hatten Erfolg beim Aufbau von starken Demokratien in diesen Ländern, so dass dort heute ein neuer starker Führer nicht attraktiv ist. Aber als dann die Sowjetunion fiel, war George Bush Präsident, als Nachfolger von Reagan, und da ging es nur um das eigene starke Militär und dass man kein Geld ausgeben werde, um irgendwem zu helfen. Man senkte die Steuern für die Reichen. Dabei hätten die Staaten der ehemaligen Sowjetunion dringend einen neuen Marshall-Plan gebraucht. Aber wir rührten keinen Finger! Boris Jelzin kam an die Macht, und dann hätte es auch vielleicht Schirinowski geschafft, dieser seltsame Verrückte. Ich habe das Lied in seiner Urform damals geschrieben, es hieß „Do the Zhirinovsky“, und nun grub ich es wieder aus, überarbeitete den Text im Hinblick auf die aktuelle Situation um Russland. Und wir bauten diese Reggae-Bridge ein über „Trumpski“. Schirinowski posierte damals vor einer Karte von „Großrussland“ inklusive Finnland und dem Baltikum und ich dachte mir nur, wie zum Teufel kann man mit so was durchkommen? Aber was wäre, fragte mich, wenn es eines Tages einen smarten Schirinowski gibt? So einen würde das Big Business hier in den USA lieben. Und tja, heute haben wir Putin. Nur haben wir längst die Kontrolle über ihn verloren, falls wir sie überhaupt je hatten. Zumindest schaffte er es eine Weile, diesen Eindruck zu vermitteln – bis zu dem Punkt, an dem es keinen Sinn mehr machte, diesen Eindruck zu vermitteln. Heute ist Putin ein Typ mit dem Auftreten eines James Bond-Schurken und möglicherweise sogar der reichste Mann der Welt, reicher sogar noch als Jeff Beeswax. Und es wird ja viel über die Macht der russischen Mafia geschrieben – der Kopf der Russenmafia ist Putin selbst. Oder zumindest achtet die Russenmafia darauf, Putin nicht im Weg zu stehen.

Und woher kommt nun die Verbindung von Putin zu Trump?
Manche denken ja, das käme von irgendeinem Video, in dem Trump zu sehen ist, „Golden Shower“ und so weiter. Ach, davor hat Trump doch keine Angst, es gibt ja sogar Fotos von ihm mit Jeffrey Epstein. Solche Skandale schocken Trump nicht, da kommt doch alle paar Tage was Neues. Meine Theorie ist die: Trump war von seinen Anfangstagen als Geschäftsmann an ein Gauner und so inkompetent, dass er sich nach dem Verschleudern des Vermögens seines Vaters um Bankkredite kümmern musste. Jedes Mal, wenn er wieder ein Business in den Sand gesetzt hatte, gründete er eine neue Firma mit ähnlichem Namen und das Spiel ging von vorne los, er lieh sich 100 Millionen von einer anderen Bank – die er natürlich auch nicht zurückzahlte. Und weiter ging’s. Trump war wie Miles Copeland von I.R.S. Records seinerzeit. Irgendwann um 2000 herum hatte er dann alle US-Banken durch und keine wollte ihm mehr Geld geben, also wandte er sich an die Deutsche Bank. „Hey, ihr habt doch auch Geld für Al-Qaida und die mexikanischen Drogenbosse gewaschen, wollt ihr nicht auch für mich arbeiten?“ – „Na klar! Hier sind 300 Millionen Dollar.“ Die Trump nie zurückgezahlt hat und ich denke, das hatte er auch nie vor. Spannend ist auch das Detail, dass just zu der Zeit der Finanzkrise, als Obama gerade Präsident geworden war, Trumps Firmenkomplex allenthalben neue Golfplätze mit Hotels und so eröffnete, im In- und Ausland. Tatsächlich war es wohl so, dass Trump diesen Golfanlagen nur seinen Namen „vermietete“ – er hätte gar nicht das Geld für solche Investitionen gehabt. In Golf-Magazinen konnte man damals Interviews mit seinen Söhnen finden, wo sie gefragt werden, von welchen Banken die Trumps das Geld hätten für solche Investitionen, und wo offen geantwortet wird, das käme von russischen Banken. Man fragt sich, wie viel Geld Trump sich von verschiedensten russischen Banken leihen konnte, bevor die anfingen, mal an Onkel Wladimir zu berichten, und der sich einen Reim darauf machte. Und dann Klartext redete: „Du machst jetzt, was ich sage, oder dein Penthouse gehört bald mir, aus dem Trump Tower wird der Putin Tower und an deinem Mar-a-Lago-Resort tausche ich die Schlösser aus!“ Und vor allem: „Wann immer ich will, können meine Agenten dich vergiften. Und deine Tochter auch.“ In einem der Bücher über Trump wurde enthüllt, dass der panische Angst davor hat, vergiftet zu werden, und deshalb ist er dafür bekannt, sich spontan aus einem zufällig gewählten McDonald’s einen Cheeseburger bringen zu lassen – nicht nur, weil er schlechten Geschmack in Bezug auf Essen hat, sondern weil er davon ausgeht, dass wer immer den Burger macht, ja nicht weiß, dass der für ihn ist, und der deshalb nicht vergiftet ist. Soweit also meine Theorie, warum Putin Trump so gut im Griff hat – und nein, der braucht ihn nicht als Nachfolger von Gerhard Schröder, wenn der mal seinen Posten bei Gazprom aufgibt. Trump könnte eine Firma nicht mal dann erfolgreich führen, wenn sein Leben davon abhinge.

Russland ist ein mächtiges, einflussreiches Land, aber meines Erachtens müsste uns als Menschen, die Meinungsfreiheit über alles schätzen, China viel mehr Sorgen bereiten.
Ja, das macht mir auch Angst. Aber wir müssen uns vergegenwärtigen, dass aktuell die größte Bedrohung für den Weltfrieden nicht von Putin, nicht vom Iran, nicht von Netanjahu in Israel ausgeht, sondern von den USA, von Trump und seinen „Trumpzis“, wie ich sie nenne, seine ihm treu ergebenen Mitarbeiter. Niemand weiß, was die als Nächstes vorhaben. Und Trump schert sich kein Stück um Menschenrechte, genauso wenig wie die Führung in Peking. Okay, nicht mal Trump würde so weit gehen wie die Chinesen bei der Unterdrückung der Uiguren im Westen des Landes. Aber wir liegen ganz gut im Rennen, was die Trennung von Kindern von ihren Eltern nach dem Überschreiten der Grenze zwischen Mexiko und den USA betrifft. Da sitzen immer noch 5.000 Kinder in so einer Art Konzentrationslager und wer weiß, ob sie jene, die da an COVID-19 sterben, nicht einfach irgendwo begraben. Die haben die Kinder einfach den Eltern weggenommen, ohne festzuhalten, wer die Eltern sind oder was mit denen passiert ist. Wenn du dachtest, die MS-13-Gang aus El Salvador sei ein übler Haufen, dann warte mal ab, wie diese Kids drauf sein werden, wenn die mal erwachsen sind und richtig wütend werden ... Die MS-13-Gang geht ja auf Leute zurück, die in den USA aufgewachsen sind oder als Kinder von Bill Clinton zurück nach El Salvador geschickt wurden wegen illegaler Einwanderung.

Um auf meine Frage zurückzukommen ...
Auch wenn China ein wichtiges Thema ist, treiben mich doch gerade andere Dinge mehr um, unter anderem die Entwicklung des Populismus und der Rechten in der ganzen Welt, speziell auch in Europa. Der Brexit in Großbritannien und was Putin damit zu tun hat, die Rechten in den Niederlanden, Frankreich, Italien, die AfD in Deutschland, Duterte auf den Philippinen, Bolsonaro in Brasilien ... Warum wiederholt sich diese Entwicklung überall auf der Welt? Meine Theorie: Die Konzerne, die Leute mit viel Geld, haben einfach genug von diesem „Occupy“-Shit. Dieses ganze „Resistance“-Getue, diese Anti-Großkonzern-Protestieren der jungen Menschen, das muss aufhören. Einfach mal mit dem Stiefel auftreten und all diese Leute zerquetschen. So wie Kakerlaken, für die jene Reichen die Protestierenden halten. Und praktischerweise haben diese Reichen ja längst Kontrolle über die großen Medienkonzerne. So haben die Massenmedien nach Trumps damaliger Ankündigung, als Präsident zu kandidieren, ihn als Popstar aufgebaut – als faschistischen Popstar. Sogar den ganzen schrecklichen Mist, den Trump von sich gegeben hat, haben die immer und immer wiederholt. Innerhalb einer Woche ging damals Trumps Popularität steil nach oben und da dachte ich mir: Oh shit, der wird gewinnen ... Das ist der Typ, denn die wollen. Klar, einen Jeb Bush oder Marco Rubio oder einen anderen der rechten, mit der Großindustrie verbandelten Fucks hätten die bevorzugt, und mir war auch klar, dass sich noch jemand Schlimmeres als George W. Bush finden lässt, aber dann ... bekamen wir die Antwort. Und sie merkten schnell, dass Trump zwar eine totale Luftnummer ist, aber auch dass er schon Fans hatte und schnell Millionen neue Fans gewann. Er wurde zur Kultfigur, und das ersparte ihnen eine hunderte Millionen Dollar teure Werbekampagne. Seine Anhänger mögen zwar die dümmsten Menschen im Lande sein, aber sie sind trotzdem nützlich. Und seine großen Förderer merkten auch, dass sie unter einem Präsidenten Trump mit weit mehr ungestraft würden davon kommen können als unter jedem anderen Präsidenten. Öffentlich kann man sich ja dann über ihn beklagen, aber insgeheim ist man begeistert.

Fast vier Jahre später stehen nun die nächsten Wahlen an. Auf wen wettest du, Trump oder Biden?
Wer immer gewinnt, das Volk verliert. Und nicht nur die Amerikaner – ihr auch. Biden ist kein Gewinn, der ist so rechts, wie es für einen Demokraten nur geht. Er ist einer der Köpfe hinter dem „War on Drugs“. Er war es, der die Justiz-Kommission des Senats dahingehend manipulierte, dass Clarence Thomas Oberster Richter werden konnte. Der war damals noch sehr jung, so dass davon ausgegangen werden konnte, dass der sehr lange Teil des Gerichts ist. Und er spielte auch eine Rolle beim „Patriot Act“ nach dem 11. September 2001 – er beschuldigte die Regierung damals, sich bei einem von ihm bereits vorgelegten Gesetzesentwurf bedient zu haben. Das sei ja alles seine Idee gewesen ... Mein Kommentar dazu: „Yeah, you’re not our friend, motherfucker ...“ Außerdem kommt er aus dem Bundesstaat Delaware, der die laxesten Steuergesetze und Regulierungsgesetze der USA hat und so was wie die Cayman Islands der USA ist. Biden wurde gefördert beispielsweise von den großen Kreditkartenkonzernen. Mein Bauchgefühl sagt mir, dass selbst wenn Biden es schaffen sollte, 10 oder 15 Millionen Stimmen mehr zu gewinnen, Trump es wieder machen wird. Außer der Widerstand und die Gewalt werden so stark, dass Trump nicht zu halten ist. Clinton und Obama waren auch nur möglich, damit die Leute mal wieder etwas Dampf ablassen können. Business as usual, eine leicht andere Schattierung der Poltik à la Reagan, damit nicht das Dach von der Hütte fliegt wegen zu viel Druck im Kessel. Deshalb könnte es sein, dass sie Biden gewinnen lassen.

Und da ist noch die Sache mit dem Wahlbetrug.
Trump lamentiert wegen der Briefwahl ständig davon, dabei weiß er doch selbst, dass der wirkliche Wahlbetrug ganz anders organisiert wird. Ohne den Wahlbetrug 2016 wäre er ja nicht Präsident. Das Ding nennt sich „Interstate Voter Registration Crosscheck Program“ und ist noch schlimmer als die Neuzuschneidung von Wahlbezirken, die man als „Gerrymandering“ bezeichnet. Crosscheck ist die Idee von einem Staatssekretär aus Kansas namens Kris Kobach, einem aufstrebenden rechten Extremisten, der hinter den Kulissen sehr viel Macht hat und eben auch der Wahlleiter im Staat ist. Ein böses Genie weit über dem Niveau von Carl Rowe oder Dick Cheney. Manche halten ihn für einen Hinterwäldler, aber er hat sehr gute Verbindungen. Er steckt auch hinter dem umstrittenen und später gestoppten Einwanderungsgesetz von Arizona. Der Journalist Greg Palast hat ausführlich zu Crosscheck recherchiert, wie damit in verschiedenen Bundesstaaten Stimmen „gestohlen“ wurden, es gibt auch einen Film dazu namens „Best Democracy Money Can Buy“. An einem Punkt hatte es Kobach geschafft, dass 29 Bundesstaaten ihm die Daten der registrierten Wähler überließen und er ließ sie durch sein Computerprogramm laufen, das dann doppelte Wählerregistrierungen identifizieren sollte – sich doppelt zu registrieren ist verboten. Das Programm kickte alle Dubletten aus den Wählerlisten der entsprechenden Staaten, die Stimmen jener Personen wurden nicht gezählt, da Wahlbetrug unterstellt wurde. In der Realität kommt das freilich nur selten vor. Palast schaffte es 2014/2015 sich die Daten von Crosscheck zu verschaffen und zu analysieren. Es stellte sich heraus, dass trotz Beteuerungen der Betreiber, Wähler nur bei sicherer Identifizierung von Doubletten durch gleiche Mittelinitialen und Sozialversicherungsnummern auszuschließen, das Gegenteil der Fall war. Es stellte sich vielmehr heraus, dass gezielt nach „typisch“ afroamerikanischen Nachnamen wie Washington, asiatischen wie Wong oder hispanischen wie Gonzalez gesucht wurde. Tja, und so kam es, dass die Stimmen unzähliger „Jose Gonzalez“ – ein sehr verbreiteter Name – in zig Bundesstaaten nicht gewertet wurden. Tja, und dann wunderte man sich bei der Wahl 2016, warum nicht mehr schwarze Wähler in sagen wir North Carolina für Hillary Clinton gestimmt haben. Nun, hatten sie wahrscheinlich, nur wussten diese nicht, dass ihre Stimme gar nicht gewertet worden war, wegen Crosscheck. Vergesst Putin, Crosscheck zeigt, wie man es „richtig“ macht! Und so kam nicht nur Trump ins Amt, sondern im ganzen Land rechte Abgeordnete, Senatoren, Bürgermeister und Gouverneure, so Tea Party-Leute, denen keiner zugetraut hatte, überhaupt ein Amt zu erringen. Das geschah in zig Bundesstaaten!

Welche konkreten Folgen hat das?
Was die Folge ist? Dass wir einen Senat haben, in dem so viele Rechte sitzen, dass die jetzt reihenweise rechte Richter für den Obersten Gerichtshof ernennen konnten, die für viele Jahre die Rechtsprechung bestimmen werden. Allein vier Richter sitzen da jetzt, die da nicht sitzen sollten, weil sie von Leuten gewählt wurden, die sich ihre Wahl gestohlen haben. Und die wissen das auch alle. Crosscheck wurde schließlich Ende letzten Jahres durch eine Klage der ACLU gestoppt – vorläufig. Aber die Trumpzis und die organisierten Rassisten spielen auf andere Weise verrückt, indem sie Millionen von Menschen aus den Wählerlisten streichen, schlimmer noch als 2018. Die Demokraten gewannen nicht nur, sondern erzielten auch große Siege bei Gouverneurs- und Senatswahlen in Texas, Georgia, Florida und mehr, aber die Wahlen wurden direkt vor aller Augen gestohlen. Brian Kemp, der die Wahlen in Georgia leitete, zeigte Reportern stolz 50.000 auf seinem Schreibtisch liegende Wähleranträge, meist afroamerikanischer Herkunft, die er nicht einmal bearbeiten wollte.

Du hast eben den Begriff „Tea Party“ verwendet, im Albumtitel „Tea Party Revenge Porn“ taucht der auch auf. Vor Jahren war das Phänomen verbreiteter, man denke an Sarah Palin, nun bringst du den Begriff wieder auf. Warum?
Die Tea Party-Bewegung ist keine Graswurzelbewegung, sondern wurde 2009 mit Geld von Ölbaronen von oben her ins Leben gerufen, um Obama das Leben schwer zu machen, und um Abgeordneten im Wahlkreis das Leben schwer zu machen, wenn sie dort über die Reform der Krankenversicherung sprechen mussten. Da wurden Leute mit den krudesten Ansichten gefördert, die plötzlich merkten, dass sie mit ihrer Meinung nicht alleine sind und dass da Geld vorhanden ist, um sie zu unterstützen und letztendlich sogar in Ämter zu hieven. Trump nannte dann sogar einige Exzesse der Tea Party-Bewegung „cool“. Plötzlich war es wieder „okay“, ein Rassist zu sein, zum Beispiel. Wir haben es im Deutschland der Dreißiger Jahre gesehen oder im Jugoslawien der Neunziger, dass da plötzlich Nachbarn zu Feinden wurden. Was löst solchen Hass aus? Der ist ja nicht schon immer da. Medien wie Fox News haben sicher einen guten Teil dazu beigetragen, und auch die Deregulierung der Medien unter Reagan und Clinton, die es ermöglichte, dass Großkonzerne sich ganze Radionetzwerke unter den Nagel reißen konnten. Und dann gibt es da noch ein Gesetz aus den Dreißigern namens „Fairness Doctrine“, das geschaffen wurde, um die Hetze etwa von in den USA sendenden Hitler-Unterstützern zu bekämpfen. Dieses Gesetz lief nach fünfzig Jahren unter Reagan aus, gegen eine Verlängerung legte Reagan ein Veto ein, und eigentlich hätten Obama und Biden das Gesetz wieder in Kraft setzen können, was sie aber nicht taten.

Du siehst ein Problem also in der einseitigen Berichterstattung?
Viel von dem Problem der USA hat damit zu tun, dass die Medienlandschaft von großen Konzernen kontrolliert wird. Und wenn du in einer eher ländlichen Gegend lebst, hörst du im Radio nichts anderes als rechte Talkshows. Und früher oder später glauben die Leute den Scheiß, den die dort erzählen. Stell dir vor, in Deutschland wäre die gesamte Medienlandschaft wie die Bild-Zeitung. Oder wie The Sun in Großbritannien. Die ja Rupert Murdoch gehört, dem wiederum der TV-Sender Fox gehört – und übrigens auch das Wall Street Journal. Eine neue Entwicklung ist all das aber nicht, es gab schon zu Bill Clintons Amtszeit einen Anstieg von Neonazi-Aktivitäten und damals breiteten sich auch diese rechten Milizen aus. Man denke nur an den Bombenanschlag von Oklahoma, der von Timothy McVeigh ausgeführt wurde, der aus der Michigan Militia kam, die ihn aber rausgeschmissen hatten, weil er selbst denen nicht ganz geheuer war. Die Berichterstattung über diese Milizen war damals seltsam, das wirkte eher so, als ob man Werbung für die machen wollte – „Hm, vielleicht sollte ich auch eintreten?“ Unter George W. ging dieses Milizenphänomen dann zurück – auch deshalb, weil es in Bushs Regierung Sympathisanten gab. Und die waren klüger geworden. Dick Cheney war zu smart, um Miliz-Mitglied zu sein, das brauchte er nicht. Tja, und dann kam Obama und es wurde die Geschichte verbreitet – auch von Trump –, dass der ja gar nicht Präsident sein dürfe, der sei ja nicht in den USA, sondern in Kenia geboren. Mit dem schwarzen Präsidenten Obama wurden die Rassisten dann immer wütender, und in Kombination mit Obamas lockerer Hand für die Wall Street rund um die Finanzkrise, was dazu führte, dass unzählige Amerikaner ihr Haus an die Banken verloren und nur Banken Hilfsgelder bekamen, aber nicht die Bürger, steigerte sich die Wut nur noch mehr. Die Wut auf Obama wuchs also, dazu kamen die Auswirkungen des Freihandelsabkommens NAFTA, das auf Bill Clinton zurückgeht, und dann kam auch noch die verhasste Hillary Clinton ins Spiel. Der Filmemacher Michael Moore sagte mal über all die wütenden Amerikaner: „They are on the same side we are and they don’t know it.“ Das sind Menschen, die einfach Angst um ihre Existenz haben, um ihren Job, ihr Haus, darum, ihre Familie ernähren zu können. Und dann fängt man eben an, nach Schuldigen zu suchen, und das Schema ist das Gleiche wie bei euch in Deutschland mit der AfD: Man macht die Zuwanderer für die Probleme verantwortlich. Oder die „Jüdische Weltverschwörung“ und George Soros. Und die Menschen sind so wütend und verzweifelt, dass sie anfangen, das zu glauben. Und sie reden mit ihren Freunden darüber, und ehe man sich versieht, hat man wie 2009/2010 in den USA Demos, bei denen man die Abschaffung von Obamas Krankenversicherung fordert und sich Tea Party nennt. Sarah Palin wurde ihr Aushängeschild, obwohl einer der eigentlichen Köpfe im Hintergrund jemand anderes war: Ginni Thomas – die Ehefrau des Obersten Richters Clarence Thomas! Seit damals ist die Tea Party-Bewegung aber keineswegs kleiner, sondern vielmehr größer geworden. Und als die Faschisten in Charlottesville, Virginia aufmarschierten, wurden die von den US-Medien nicht Nazis genannt, sondern als „Alt-Right“ bezeichnet. Klar, Alt-Country, Alt-Punk, Alt-Dies, Alt-Das – Alt-Right. Und plötzlich wirken die weniger bedrohlich und fast schon wie Popstars und sie bekommen mehr Zulauf.

Und was hat es nun mit dem Songtitel „Tea Party revenge porn“ auf sich?
Ich könnte ja jetzt einfach über diese Leute abhetzen oder all die Verschwörungsmythen aufzählen, die bei denen beliebt sind, aber ich entschied mich dafür, sie für sich selbst sprechen zu lassen. Und so vergleiche ich ihr Verhalten mit dem der Rednecks in dem Filmklassiker „2.000 Maniacs“: Da kommen Touristen aus dem Norden in die Stadt und werden von den Geistern im Bürgerkrieg getöteter Südstaatler abgeschlachtet. Ja, dachte ich mir, genau so sind diese Tea Party-Leute.

Wenn wir über den Titelsong reden, müssen wir auch über das Coverartwork sprechen, das, wie du mir verraten hast, mal wieder von deinem alten Freund Winston Smith stammt, der ja schon in der Frühzeit der DEAD KENNEDYS Artworks für euch gemacht hat. Man sieht eine Schlange, und im Maul hat sie ein menschliches Gehirn ...
Ich wollte das Motiv schon vor vielen, vielen Jahren verwenden, schon zu DEAD KENNEDYS-Zeiten. Aber irgendwie passte es damals zu keinem Album. Erstaunlicherweise hat aber auch nie jemand anders das Motiv verwendet – und ich fand dann auch heraus, warum: Winston Smith hat vergessen, es in seine Bücher aufzunehmen. Und es stellte sich heraus, dass meine Kopie, die er mir vor vielen Jahren in die Hand drückte, tatsächlich die am besten erhaltene Version des Motivs ist, das Original ist verschollen. Ich musste aber jetzt meine Kopie auch erst wieder suchen. Ich habe noch ein paar andere Artworks von ihm, die jetzt auch nach und nach zum Einsatz kommen werden. Ich fand das Motiv schon immer sehr kraftvoll, ich wusste, das muss man für etwas Besonderes verwenden. Übrigens schrieb ich „Satan’s combover“ und „Tea Party revenge porn“ schon vor ein paar Jahren, vor den Wahlen 2016, und wir spielten mindestens „Satan’s combover“ auch schon bei unserer letzten Tour in Deutschland. Damals hatte ich noch die Hoffnung, dass Trump nicht gewinnt ... und deshalb ist das Lied nicht speziell über ihn. Du dachtest, COVID-19 sei eine weltweite tödliche Pandemie? „Satan’s combover“ ist viel tödlicher! Womit ging das eigentlich los? Front National in Frankreich? Brexit in Großbritannien? AfD in Deutschland? Über diese Pandemie geht es in diesem Lied.

Na komm ... Die Frisuranspielung im Titel [ein „combover“ ist die Frisur, die ältere Männer gerne tragen und bei der die verbliebenen längeren Haare über die Glatze gekämmt werden] und die Textzeile „Tweet lie facts goodbye“ sind doch auch ein klarer Bezug und ein schöner Reim.
Okay, dieses „Tweet lie facts goodbye“ habe ich ganz zum Schluss noch eingefügt, ich wollte den Text etwas updaten. Das hässliche Phänomen, das ich beschreibe, ist aber viel älter, das fing ja schon an mit der Achse Hitler-Mussolini-Japan-Franco. Und später dann kam George W. mit seiner seltsamen „Achse des Bösen“. Und heute haben wir wieder so eine „Achse“, die aber weit weniger sichtbar ist, weil es eine Achse der Großkonzerne ist. Man muss sich auch in Erinnerung rufen, wie weit solche Verbindungen zurückreichen. In den Sechzigern gab es eben nicht nur eine linke Protestbewegung, die Bürgerrechtsbewegung, feministische Aktivistinnen, Umweltbewegte und Kämpfer für Schwulenrechte. Nein, es gab unter anderem auch „Young Americans for Freedom“, die immer gut finanziert waren und adrett auftraten. Diese Leute waren gut vernetzt, die machten Karriere, auch im Weißen Haus. Und viele dieser Typen, die beim Irakkrieg ihre Finger im Spiel hatten und auch jetzt wieder bei Trump, lassen sich zu „Young Americans for Freedom“ und ähnlichen Organisationen zurückverfolgen.

Im Sommer 2019 offenbarte sich Rob „The Baron“ Miller von einst AMEBIX – die auch mal auf Alternative Tentacles veröffentlichten – und TAU CROSS als Mensch mit sehr eigenwilligen Ansichten, der dem Holocaust-Leugner Gerard Menuhin für „Erleuchtung“ dankte. Mich hat das geschockt, irgendwie hielt ich Leute aus „unserer Szene“ immer für einigermaßen immun gegenüber solchem Schwachsinn.
Nein, das waren sie noch nie. Gerade Leute aus der Industrial- und auch der Goth-Szene sowie aus der frühen Black-Metal-Szene sind ja immer wieder mal mit Aussagen solcher Art aufgefallen. Oft gehen solche Einstellungen einher mit einer Begeisterung für den beziehungsweise ihre Interpretation des heidnischen Mystizismus. Und da wird aus der Wiederbelebung des Glaubens der Wikinger mal eben der Glaube an die Überlegenheit der weißen Rasse. Da wird dann das eine als Entschuldigung für das andere angebracht. Rob Miller verteidigte sich, wenn ich mich recht erinnere, damit, dass er nicht gewusst habe, dass dieser Autor diese Meinungen vertrete, er habe nur andere Teile von dessen Werk gut gefunden. Ich glaube, es ging um die Geschichte der Britischen Inseln. Rob lebt ja schon eine Weile von seiner Arbeit als Schwertschmied und beschäftigt sich viel mit Geschichte.

Nun, die YouTube-Playlist, die in diesem Kontext damals auftauchte, war ehrlich gesagt nicht gerade „appetitlich“ und recht eindeutig.
Ich habe keine Ahnung, wann das bei Rob anfing und wie tief das ging. Übrigens war das in den USA keine so große Kontroverse wie in Europa. Vielleicht weil man ihn hier nicht so kennt. Weißt du, manchmal ist es schwer, wenn jemand, den du als Freund ansiehst, eine Meinung vertritt, die so anders ist als deine. In Europa ist es eher üblich, dass man die Freundschaft dann einfach beendet. Hier in den USA ist so was nicht so einfach und nicht üblich. Ein alter Freund aus Kindheitstagen, mit dem ich bis zum Ende der Grundschulzeit viel machte, war eine ganze Weile ein Hitler-Anhänger. Wir stritten uns auf dem Spielplatz darüber! Wir tauschten jede Tag Argumente aus, und diese Diskussionen schärften meine Diskussionsfähigkeiten. Sein Vater war über die Jahre immer rechter geworden, daher kam das. Später wurden dann die Haare meines Freundes immer länger, er hasste die Hippies nicht mehr und verwandelte sich ins Gegenteil. Es gibt eben solche Leute, die von einem Extrem ins andere verfallen. Mir fällt da auch jemand aus einer bekannten Anarchopunk-Band ein, der später Börsenmakler wurde. Ein weiterer wichtiger Aspekt, der aus europäischer Sicht oft schwer verständlich ist, ist die Ideologie des Libertarianism. Manche denken, Libertäre seien ziemlich links, weil sie etwa für die Entkriminalisierung von Drogen sind. Und für mehr Freiheit. Ja, aber die Libertären wollen auch die Abschaffung aller Gesetze zur Waffenkontrolle und aller Steuern. Was mit Krankenhäusern, Schulen, Straßen wird, ist denen egal. Meine Lebenserfahrung lehrt mich, dass Einstellungen im Laufe eines Lebens oft einen Kreis beschreiben. Und am unteren Ende des Kreises wird das Bild dann oft unscharf. Da sind die Moderaten, die Zentristen, die irgendwie liberal und irgendwie auch konservativ sind, irgendwie in der Mitte halt. Und leider hat sich das Bild, das man von einer moderaten Einstellung hat, im Laufe der letzten Jahre immer weiter nach rechts verschoben. Seit Nixon geht das so, mit Reagan ging es weiter, und bei Bill Clinton waren dann Positionen etwa in Bezug auf das Gesundheitswesen weiter rechts als unter Nixon. Und dann kamen die beiden Bushs, Tea Party – was ist heute also ein „Moderater“? Joe Biden wurde als Moderater bezeichnet, aber was ist der wirklich? Wenn die rechte Spur schon die Steilküste hinabgestürzt ist, wo ist dann die Mitte der Straße? Heute verschwimmt vielfach, was rechts, links, Mitte ist. Allerdings, und wenn man jetzt wieder das Bild des Kreises nimmt, hast du ganz oben die wirklichen Extremisten von beiden Seiten, und auch hier verschwimmt manches, wird von der einen auf die andere Seite gewechselt. Waffen und die Einstellung dazu spielen da dann fast immer eine Rolle. Da ist man schnell bei linken Milizen, wie sie in den letzten Wochen aufgetaucht sind, die sich bilden, um was gegen rechte Milizen zu unternehmen. Das hat nichts mit Antifa zu tun, das sind nur irgendwelche Gruppen, die von Undercover-Cops unterwandert sind. Deren Job ist leicht dieser Tage, es reicht aus, sich eine Maske überzuziehen und ein paar Scheiben einzuschmeißen. Mit echten Anarchisten haben die nichts zu tun, das sind nur Provokateure, die den Konflikt anheizen wollen. Lief das nicht bei Hitler ähnlich? Und wie gesagt, im libertären Spektrum vereinigen sich da dann die Extreme. Und da kommen dann auch mal Fragen an mich, ob ich nicht hier oder da einen libertären Kandidaten unterstützen wolle, ich würde ja auch die Grünen unterstützen. Klare Antwort: Nein. Und nein, wir stehen auch nicht auf der gleichen Seite.

Fakt ist, man muss sich immer wieder für seine Position rechtfertigen.
Das ist eine Erfahrung, die Buzz von den MELVINS wegen eines alten Interviews gerade machen muss. Buzz und ich haben auch schon einige interessante Diskussionen geführt, er hat sich als liberalen Libertären bezeichnet, und wir sind in vielen Punkten verschiedener Meinung. Aber was würde es bringen, mich zu weigern, jemals wieder mit ihm zu reden, und MELVINS-Konzerte zu boykottieren? Oder die Platten aus dem Verkehr zu ziehen, die wir gemeinsam gemacht haben? So ticke ich nicht.

Apropos Platten: Wer ist 2020 Teil deiner Band THE GUANTANAMO SCHOOL OF MEDICINE? Immerhin sind sieben Jahre seit dem letzten Album vergangen.
Nun, verschiedene Bandmitglieder haben ihre Ups und Downs. Es gibt Gesundheitsprobleme, entweder bei der entsprechenden Person oder im familiären Umfeld, und so war irgendwie die letzten Jahre immer irgendwas. Bei mir war es meine Mutter, um die ich mich kümmern musste. Die hatte einen Schlaganfall, also war ich viel bei ihr in Colorado. Zum Glück hat sie sich weit besser erholt, als es zu hoffen war, sie kann immer noch in ihrem Haus leben und ihren Haushalt selbst führen. Und sie ist gerade 91 geworden. Es hätte auch anders ausgehen können, dann hätte ich mich um die Haushaltsauflösung und so kümmern müssen. Ich will gar nicht daran denken, was mich das an Zeit gekostet hätte ... Ich bin der letzte lebende Angehörige. Aber zum Glück ist sie ja noch unter uns, und ich bin sicher, ihr jahrelanges intensives Wandern und Klettern haben sie gerettet, das hat ihre Gesundheit gestählt. Die wollten sie im Krankenhaus schon in einen Rollstuhl setzen und ins Pflegeheim einweisen, aber dann haben sie ihre körperliche Leistungskraft gemessen und die hatte 99% dessen, was bei einem Menschen ihres Alters maximal möglich ist. Und so fingen sie an, sich intensiver um sie kümmern. Sie ist echt zäh. Und viel von meiner Motivation habe ich von ihr geerbt, nicht so sehr von meinem Dad. Wenn sie was will, ist sie sehr resolut. Und mit dieser ganzen Corona-Situation ist sie natürlich heilfroh, dass sie in ihrem eigenen Haus leben kann, mit etwas Hilfe. Ihr Kurzzeitgedächtnis ist zwar nicht mehr so gut, aber das Langzeitgedächtnis ist bestens. Ich habe sie zwölf Stunden lang interviewt, als ich bei ihr war, ihre ganze Lebensgeschichte aufgezeichnet. Sie wurde vor der Great Depression geboren, vor der Weltwirtschaftskrise von 1929, sie und mein Dad waren „Depression Kids“. Sie ist besessen von unserer Familiengeschichte, hat sehr gute Erinnerungen an Eltern, Großeltern, Onkel, Tanten und wie das Leben damals in ihrer Kindheit und Jugend so war. Sogar Geschichten aus der Kindheit ihrer Eltern hat sie noch parat. Ich finde es sehr wichtig, so eine Art von Geschichtsschreibung zu betreiben, die Geschichten unserer Eltern und Großeltern aufzuzeichnen, bevor sie sterben. Es sollten nicht nur die Native Americans sein, die ihre Überlieferungen festhalten, das sollten wir alle tun. Man muss doch auch festhalten, wie das Leben normaler Leute war – und nicht nur das von Berühmtheiten und Prominenten. Und ... ich muss meiner Mutter auch dankbar sein für ihre Einstellung: Sie hasst Trump mehr als jeder andere, den ich kenne. Aber was war deine Frage ...?

Deine Band ...
Ach ja! Es dauerte alles länger als gedacht, und dann hatte ich auch noch Probleme mit meiner Stimme, konnte nicht aufnehmen und musste anderes neu aufnehmen. Und wir sind diesmal auch nur zu viert, weil Kimo Ball an der zweiten Gitarre die Band verlassen hat. Wir vermissen unseren Freund sehr. Ralf musste sich deshalb um zwei Gitarrenspuren kümmern für diese Aufnahmen. Wenn wir wieder live auftreten können, möchte ich aber, dass wir wieder zu fünft auf der Bühne stehen, wir brauchen also einen neuen Gitarristen. Ich will live einfach diesen dicken Sound, diese Wechselwirkungen von zwei Gitarren. Die DEAD KENNEDYS waren in den ersten sechs Monaten ja auch eine fünfköpfige Band, da war 6025 noch dabei, und ich habe nach seinem Weggang immer dieses Zusammenspiel von zwei Gitarristen vermisst. Ich achte auch bei anderen Bands immer darauf, BLACK FLAG gefielen mir mit zwei Gitarren ebenfalls am besten. Und da wusste ich, dass ich eines Tages auch wieder eine Band mit zwei Gitarren haben will. Ralf brachte damals Kimo ins Spiel, und er war perfekt. Wir mussten jetzt nach dem letzten Album 2013 auch endlich wieder was aufnehmen, unser Bassist Larry Boothroyd meinte nur, er sei jetzt auch schon fünf Jahre in der Band und noch nie mit uns im Studio gewesen, und darauf hatte ich auch keine passendere Antwort, als dass wir unsere Ärsche mal wieder in ein Studio bewegen. 2019 war das, und der Plan war, das Album zu viert aufzunehmen und dann einen neuen Gitarristen einzuarbeiten und wieder Konzerte zu spielen, sobald mein Knie und mein Herz mitspielen und ich auf der Bühne tun kann, was ich will, und nicht nur wie eine Statue am Mikrofon stehen darf. Es gibt ja Sänger, die machen das schon immer so, das ist deren Stil, und man hält dann auch länger auf der Bühne durch. Eric Burdon von den ANIMALS beispielsweise, den habe ich in Las Vegas mal gesehen, als er zur gleichen Zeit wie das Punk Rock Bowling-Festival dort einen Auftritt hatte. Er war mit seiner Band die Hausband in meinem Hotel. Ich schaute mir mal einen Auftritt an, denn er ist wirklich mein absoluter Lieblingssänger. Früher wollte ich mal so werden wie er, er war mein Vorbild.

Eric Burdon?!
Ja. Anfangs imitierte ich die Stimmen anderer Sänger, um meinen eigenen Stil zu finden – ich übte das Singen beim Pizza-Ausliefern, da konnte keiner zuhören. Ich mochte seine Songs, seinen Stil. Er kam also da in Las Vegas auf die Bühne und begann mit einer psychedelischen Improvisation, und das Konzert war wirklich gut, er hatte eine gute Band und spielte nicht nur die ANIMALS-Songs – das war keine Dreißig-Minuten-Nummer. Seine Stimme ist immer noch gut, und dabei ist er schon fast achtzig. Viel bewegt hat er sich nicht auf der Bühne, aber da stand wirklich Eric fucking Burdon! Der Höhepunkt war seine Interpretation eines Leadbelly-Songs – ohne Band, nur Gesang – und da erstarrte der ganze Saal vor Ehrfurcht. Als er dann von der Bühne ging, sahen meine Freundin und ich uns an und konnten nur mühsam unsere Tränen unterdrücken, so ergreifend war das. Wir hatten gerade einen der großartigsten Sänger gesehen, der je gelebt hat. Ganz ehrlich, das war zusammen mit dem Auftritt von FLAG am Tag darauf mein absolutes Punk Rock Bowling-Highlight. Nun, für manche wie Eric Burdon funktioniert das, fast regungslos am Mikrofonständer zu stehen bei einem Auftritt, aber für mich ist das nichts. Aktuell freilich ist mein Knie so im Arsch, dass ich nicht mal wie bei meinen Spoken-Word-Shows einfach nur auf der Bühne herumlaufen könnte. Ich bin aktuell wirklich sehr frustriert. In dieser Hinsicht hätte das Timing mit Corona nicht besser sein können, haha! Andererseits würde ich gerade nichts lieber tun, als loszuziehen und auf einer Bühne stehen. Ich habe mir unser Album wieder und wieder angehört und bin so begeistert, dass ich es kaum erwarten kann, es live darzubieten. Right fucking now!

Und wie geht es mit deinem Herz weiter?
Da steht jetzt auch irgendwann an ... In Sachen Herz-OP ist das zwar eine kleinere Sache, aber es macht mir trotzdem total Angst. It scares the shit out of me! Ich habe noch nie so an mir herumschnippeln lassen. Okay, am Knie oder so, aber nicht so was. Die reden davon, dass sie irgendwas durch meine Arterien schieben wollen, um was zu veröden und so. Danach soll mein Herz wieder im Takt schlagen ... Kann schon sein, dass das alles ist, und danach kann ich wie gewohnt weitermachen. Aber es gibt eben auch Risiken, und ein Krankenhaus ist derzeit nicht der Ort, wo ich sein möchte, selbst wenn es nur über Nacht ist. Echt, ich habe Schiss davor. Aber es wird nicht besser, fürchte ich – mal bin ich okay, mal nicht ... Und es besteht bei dieser Art von Erkrankung immer die Gefahr von Blutgerinnseln und daran kann man sterben. Also nehme ich Blutverdünner, pflanzliche ... und habe keine Lust auf diese Medikamente der Pharmaindustrie. Die muss man aber nehmen, sonst operieren die dich nicht. Tja, aber wenn ich mir deren Nebenwirkungen anschaue, vergeht mir Lust vollends: Depression, Schlaflosigkeit und so weiter. Sorry, keine Lust darauf, das kenne ich schon alles zur Genüge. Und den Ärzten vertraue ich eben auch nicht.

Im Alter wird es nicht einfacher ...
Hätte ich jemals gedacht, dass ich mit 62 noch in einer Punkband bin? Nein! Ich dachte ja früher nicht, dass ich überhaupt 25 werde. Und dann wurde ich 25, 35, 45 und sagte mir, dass ich wohl doch für die Langstrecke gemacht bin. Ich hatte nie was mit Drogen am Hut, dachte eher, dass ich in jungen Jahren an Depressionen draufgehe. Aber es kam anders. Schon in meinen späten Teenagerjahren musste ich feststellen, dass ich zu feige bin, mich selbst umzubringen. Das war so ungefähr der absolute Tiefpunkt meines Lebens.

Wie hast du den Sommer 2020 verbracht, ohne Konzerte, Kino und was dir sonst noch wichtig ist?
Damit, dass ich mich darum gekümmert habe, dieses verdammte Album fertigzustellen. Ich habe mal wieder angefangen, eine Collage als Album-Beilage zu machen, aber bin schon wieder so hintendran, dass ich die Hoffnung schon fast aufgegeben habe, dass Vinyl- und CD-Version noch vor der Wahl in den Läden stehen. Mittlerweile kann freilich sogar ich Gefallen finden am digitalen Zeitalter, denn digital zumindest können wir das sehr kurzfristig veröffentlichen. Also wahrscheinlich ist das Album sogar schon digital raus, wenn dieses Heft erscheint. Vorab wird es auf jeden Fall „No more selfies“ und „Ghost of Vince Lombardy“ als Vinyl-7“ geben. Gemastert hat das Album diesmal unser Live-Soundmann Kurt Schlegel, nachdem Matt Kelly nach Atlanta gezogen ist und nicht mehr greifbar war für mich. Man muss auch mal was Neues ausprobieren, und ich bin ziemlich zufrieden mit dem Ergebnis. Und vor allem ist es kein „Alte weiße Männer“-Punk-Album. Manche, die das Album gehört haben, sagen, es sei unser bislang bestes. Nun, die drei bisherigen Alben klingen alle anders, und damit setzt sich fort, was bei den DEAD KENNEDYS-Alben begann: die klingen alle anders, und später bei LARD war das genauso. Ich bin stolz darauf, dass alle meine Alben anders klingen, keines gleicht dem anderen. Aber klar, das alte Familienrezept ist immer die Grundlage, und meine Stimme wird auch auf ewig so klingen. Ganz sicher gibt es aber kein AutoTune oder so zu hören und ich bezweifle auch stark, dass du oder sonst wer, der sich für mich interessiert, so was hören will. Mir reichen schon die Demos, die wir bei Alternative Tentacles geschickt bekommen und wo Bands AutoTune einsetzen ...

In welchen Rollen bist du für das Album verantwortlich?
Als Bandleader, als Songwriter, als Produzent. Seit „Frankenchrist“ ist das so, LARD mal ausgenommen. Mir ist es wichtig, dass so ein Album richtig gut wird, und da lastet jedes Mal eine Menge Druck auf mir.. Ich habe eine Historie, ich bin stolz auf alles, was ich aufgenommen habe, und dennoch überkommt mich bei jedem neuen Album die Angst, dass das nicht so gut wie die davor werden könnten. Oder dass es zu sehr wie ein vorheriges klingt. Zum Glück klappt es letzten Endes dann doch immer, so ein Album fordert meinen Ehrgeiz also jedes Mal aufs Neue heraus. Und ich mache eben „NordicTrack“-Musik, Fitnesstrainer-Musik, nicht Computermusik für den Hintergrund. Ich hasse Fitnesstrainer, ich hasse Workouts, aber ohne das kann ich nicht tun, was ich will. Und ich muss dringend wieder fitter werden, als ich es jetzt bin, um wieder auftreten zu können. Ich will ja nicht schnaufend auf der Bühne stehen und mich so fühlen, als würde ich gleich vor hunderten oder tausenden Zuschauern umkippen. Nein, ich werde erst wieder auf eine Bühne treten, wenn ich so einen Auftritt hinlegen kann, wie ich ihn von einer Band erwarte, die ich gerne live sehen will. Und bis dahin verstecke ich mich weiter in meinem Haus, meinem „Covid Cave“, denn mit meinem Herzen und meinem Asthma, das mich seit meiner Kindheit plagt, weiß ich, dass ich tot bin, wenn mich COVID-19 erwischt.

Dann hoffen wir mal auf 2021, wenn wir endlich alle geimpft wieder auf Konzerte gehen können und ein topfitter Jello Biafra auf der Bühne steht. Etwa beim Ruhrpott Rodeo.
Ja ... und die haben die DEAD KENNEDYS gebucht ... Mal sehen, wie ich damit umgehe ...

Alex wird sicher sagen: „Aber das sind doch nette Leute ...“
Nein, das sind sie nicht. Ich habe da Geschichten gehört ... Die echten DEAD KENNEDYS hätten so was nie gebracht. Ein weiterer Grund, weshalb ich nie zu denen zurückkehren werde, obwohl es immer wieder heißt, ich solle das doch tun, da sei so viel Geld zu verdienen. Nein, da müssten die sich schon ändern, und das finge bei regelmäßigen Proben an. Na ja, und was Bühnen betrifft ... Ich habe mittlerweile echt ein Problem mit unklimatisierten Hallen und Clubs. So ein stickiger, heißer Club mit Sauna-Klima, das packe ich nicht mehr mit meinem Herzen. Bei so was kann man einen Hitzschlag erleiden, und so was bringt sogar Football-Profis um. Nun, ich hoffe aber natürlich, dass sich so alt werde, wie meine Mutter jetzt ist. Ich muss nur gut aufpassen auf mich.

Also ich hätte nichts einzuwenden gegen dreißig weitere Jahre Jello.
Haha, nun, es gibt Musiker und Schauspieler, die auch mit neunzig noch aufgetreten sind. Ich habe mit meiner Mutter viel über Lebensqualität diskutiert, und solange die gegeben ist, ist alles gut. Aktuell freilich können wir uns nicht mehr sehen, die würde mich nicht ins Haus lassen. Und sie hat ja recht. Wahrscheinlich überlebt die Corona noch eher als ich. Ich hoffe jetzt auf eine Impfung, ich würde die sofort machen lassen. Auch wenn ich meine Bedenken hätte angesichts von möglicherweise schlimmen Nebenwirkungen oder den Zulassungskriterien der weitgehend privatisierten US-Arzneimittelbehörde. Man muss sich ja nur mal anschauen, was die bei Fentanyl angerichtet hat. Und was die unter einem Präsident Trumpenstein anrichten kann ... was mich zu dem Song „Taliban USA“ bringt, denn in den USA gibt es eine Menge evangelikaler Christen mit diesem Endzeit-Glauben, die an eine Erlösung am Tag des Jüngsten Gerichts glauben und all so was und die sich auch im direkten Umfeld von Trump finden, etwa Mike Pompeo, der Außenminister, der Umweltminister Mike Pence oder der bis 2019 amtierende Energieminister Rick Perry. Und in dieses Bild passt dann der Umzug der US-Botschaft nach Jerusalem, was von den Evangelikalen in den USA extrem abgefeiert wurde. Tja, mit einem Endzeit-Gläubigen als Präsident kann man sich dann auch fragen, warum der versucht hat, mit Nordkorea einen Atomkrieg vom Zaun zu brechen.

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Diskografie
„The Audacity of Hype“ (LP/CD, Alternative Tentacles, 2009) • „Enhanced Methods Of Questioning“ (12“/CD, Alternative Tentacles, 2011) • „Shock-U-Py!“ (10“/CD, Alternative Tentacles, 2012) • „White People And The Damage Done“ (LP/CD, Alternative Tentacles, 2013) • „Tea Party Revenge Porn“ (LP/CD, Alternative Tentacles, 2020)