JINGO DE LUNCH

Foto© by Tom Neitzke

Perpetuum mobile

Im Herbst 1987 erschien auf We Bite Records „Perpetuum Mobile“, das Debütalbum der Berliner Band JINGO DE LUNCH. Es war damals ein Album, auf das sich alle einigen konnten, Punks wie Hardcore-Kids. Zusammen mit den SPERMBIRDS waren sie die Band der Stunde, hatten gemeinsam, dass sie einen Sänger bzw. eine Sängerin mit nordamerikanischer Herkunft hatten und mit ihren mitreißenden Shows quer durch Europa das Szene-Publikum in Clubs, Squats, AZs und Juzes begeisterten.

Die von Yvonne Ducksworth (Ex-COMBAT NOT CONFORM, voc), Joseph „Sepp“ Ehrensberger (gt), Tom Schwoll (Ex-ZERSTÖRTE JUGEND, gt), Henning Menke (bs) und Steve Hahn (dr) gegründete Band veröffentlichte in der Folge die Alben „Axe to Grind“ (1989), „Underdog“ (1990), „B.Y.E“ (1991) und „Deja Voodoo“ (1994), löste sich 1997 auf und fand schließlich 2006 wieder zusammen. 2007 wurde die Compilation „The Independent Years“ veröffentlicht, 2010 „Land of the Free-ks“ und 2011 „Live in Kreuzberg“, bevor man sich 2012 erneut auflöste. Auf dem italienischen Label Radiation Records ist nun „Perpetuum Mobile“ endlich neu aufgelegt worden, und Tim und Yvonne erzählen uns aus diesem Anlass, wie das damals so war. Fast zeitgleich erscheinen auch neue Alben der aktuellen Bands der beiden, TREEDEON (Yvonne) und ES WAR MORD (Tom).

Wie und wann und aus welchen Bands hatten sich JINGO DE LUNCH damals zusammengefunden, was war der Plan, die Idee?

Tom: Eigentlich fing alles schon 1983 an, da gab es in Berlin nur wenige Bands. BETONCOMBO und STROMSPERRE waren irgendwie raus, ansonsten gab es noch VORKRIEGSJUGEND, die eine Single bei Vinyl Boogie veröffentlicht hatten und zu diesem Zeitpunkt an ihrer LP werkelten. ZERSTÖRTE JUGEND oder ZJ, quasi die kleine VKJ-Schwester, deren erste Platte gerade rausgekommen war, hatten sich gleich wieder aufgelöst. Gleichzeitig kam aber jede Menge richtig coole Musik aus den USA, die sich deutlich unterschieden hat vom klassischen europäischen Punk. Der Plan war, so einen Sound in Berlin zu machen. Ilja Schellschmidt, der Gitarrist von COMBAT NOT CONFORM, hat da auch eine wesentliche Rolle gespielt. Er war etwas älter als wir, und ich glaube, bei dem hat auch die Kindheit in Kreuzberg stattgefunden, er wusste zum Beispiel genau, wie und wo man einen billigen Proberaum aufreißt. Er hatte Interesse an politischen Konzepten, kreativen Prozessen und Vernetzung. Ilja war mega sportlich, fing sofort begeistert an zu skaten und wollte jeden Tag proben. Finne, Yvonne und ich waren das, was man heutzutage Straßenkids nennen würde, nur damals gab es besetzte Häuser, wir brauchten also nicht auf der Straße zu schlafen, sonst wären wir alle schnell wieder nach Hause gelaufen. Ich zumindest.
Yvonne: Ich wurde in Toronto geboren und habe als Kind in New York City und New Orleans gelebt, danach in Hanau und Dietzenbach, das war 1982. Bis zu meinem Rausschmiss hing ich dann in Frankfurt-Sachsenhausen mehr oder weniger auf der Straße herum. Am Frankfurter Hauptbahnhof habe ich zufällig Kati, eine befreundete Austauschstudentin, die ich aus meiner Schule in New Orleans kannte, wiedergetroffen. Sie war für einen Abend in Frankfurt, wegen der Buchmesse. Es war Oktober, und ich hatte keine Winterjacke. Sie besorgte mir auf dem Flohmarkt einen Bundeswehrparka und erzählte mir von einer Jugendwohnung in Berlin und meinte, ich solle mitkommen. Da habe ich das nötige Geld für die Bahn besorgt und bin mit einem One-Way-Ticket nach Berlin gefahren. In Kreuzberg habe ich in der Adalbert/Oranienstraße gewohnt. 1983 habe ich hauptsächlich mit den Punks in der Besetzerecke rumgehangen. Am Anfang in Berlin bin ich oft verarscht worden. „Ami, frisst du Burger. Willst du eine Cola?“ Klar trinke ich Cola, aber nur wenn ich krank bin. „Ami go home“ habe ich auch oft gehört. Aber wohin? Was war für mich „home“ und wo? Ilja hat auch in der Oranienstraße gewohnt und wir sind uns in der Kiez-Disco im Frontkino irgendwann über den Weg gelaufen. Er war anders, weshalb wir eine Band gegründet haben.
Tom: Na ja, am Anfang gab es noch einen Engländer, der singen wollte. Den Namen habe ich vergessen ...
Yvonne: Sein Name war Flag.
Tom: Genau, aber wir sind schnell auf die Idee kommen, dass Yvonne singen muss. So fing COMBAT NOT CONFORM an. Die Straight-Edge-Attitüde fand ich dann aber bald wieder zum Kotzen und habe mit Sepp und Heiland dann ZJ reformiert. Als rauskam, dass ihre Fanzines in meiner Junkie-WG als Klopapier benutzt wurden, war der Ofen erst mal aus zwischen mir und Yvonne.
Yvonne: Super Fanzines sind da weggeputzt worden, haha. Krispy Khrist Khronical aus New Orleans und Dit & Der berichteten von Konzerten in Louisiana und Texas. Vom Maximum Rocknroll waren es die ersten Originalausgaben. Ich habe schon viel verloren aber die Fanzines waren mir wirklich wichtig. Das hat mich sehr getroffen, diese krasse Egal-Haltung.
Tom: Ja, bin da mittlerweile voll bei Yvonne. Es hat leider eine ganze Weile gedauert, bis ich begriffen habe, wie stumpf ich zu dem Zeitpunkt war. Ich hatte außer Gitarrespielen nichts im Kopf und das soziale Umfeld war dauerbedröhnt. Autos klauen, Beschaffungskriminalität und Konsumieren, das fand ich voll Punk. Am liebsten allein, das volle Programm. Als ich anfing, mit Sepp zu spielen, habe ich gemerkt, dass Gitarrespielen zu zweit eine gute Sache ist, und fing dann auch an, mich für Songwriting zu interessieren.
Yvonne: Ich mochte Drogen noch nie besonders. Die Gründe dafür sind sehr persönlich, das hängt auch mit meiner Kindheit zusammen. Wenn ich die Szene beobachtet habe, hatte ich immer den Eindruck, dass Drogen eine Art Sedativum für Menschen sein können, so dass sie aufhören, sich zu wehren.

Wie ging es weiter?
Tom: Nach der zweiten ZJ-Platte, die irgendwie nicht ganz so geworden war, wie ich das erhofft hatte, fing ich an, wieder mit Finne zu spielen, der inzwischen auch bei CNC raus war. Es war eher ein lockeres Projekt. Als Finne mir erzählte, dass Yvonne da gerne mitmachen würde, war ich fast verblüfft.
Yvonne: CNC waren musikalisch mehr Hardcore. Der Sound war eher speziell, was ich sehr mochte. Aber ich fand auch den Rock’n’Roll-Ansatz, den Tom geprägt hat, sehr anziehend. Es hat richtig Spaß gemacht, zu den Riffs zu singen. Ich hatte selbst kein Problem damit, in zwei Bands zu singen, für mich hatten die recht unterschiedliche Stile.
Tom: Wir nannten uns MANSON YOUTH, fanden das ultra genial, ohne genau zu wissen, wer dahintersteckt, und pünktlich zum Studiotermin ist Sepp dann auch wieder dazugestoßen. Als die Aufnahmen für die Split-LP mit HOSTAGES OF AYATOLLAH im Kasten waren, war ich deutlich netter zu Yvonne. Die Mischung aus Gitarre, Geschwindigkeit und mittendrin diese verzweifelte Stimme mit diesen völlig unvorhersehbaren Phrasierungen, Melodien und verkopfter Beziehungsstress plus „Wer bin ich eigentlich“-Lyrics war genau das, wonach ich gesucht hatte. Dann hat es aber noch mal zwei Jahre gedauert, bis sie mir wieder soweit vertraut hat, um eine feste Band zu gründen. 1986/87 war ich ein halbes Jahr in Portugal und den USA, wo ich versucht habe, ein paar Probleme zu sortieren und schon den ernsthaften Ansatz hatte, ein paar Sachen grundlegend zu ändern. Dann kam JINGO DE LUNCH.
Yvonne: Ich hatte schon zwei Bands hinter mir – CNC und MANSON YOUTH. CNC hatten mich rausgeschmissen, als ich ein Silvester-Konzert in Berlin verpasst habe. Die Nacht davor hatten wir im AJZ-Bielefeld gespielt, und die sind ohne mich losgefahren mit der Idee, dass ich bei einer andere Band mitfahren sollte. Big Fail. Trampen hat nicht geklappt und Schnorrer und ich sind von der Autobahn zurück ins AJZ gegangen und haben da gefeiert. Als ich bei CNC raus war, habe ich neue Möglichkeiten gesucht. Das war 1987. Da kamen Steve Hahn und Henning dazu, die waren neu in Berlin, die kannten wir vorher nicht. Henning lernte ich kennen, als ich in der Disko hinter dem Tresen gearbeitet habe. Er hat mich gefragt, ob ich zum SLAYER-Konzert mitkommen will. Na klar wollte ich. Da haben wir Tom zufällig getroffen. Er hat sofort gefragt, ob ich wieder eine Band starten will. Ich wusste, dass Henning Bass spielt, der stand direkt daneben, da habe ich ihn gleich vorgeschlagen.

Meine Erinnerungen an Berlin 1987, in jener Zeit Ende der Achtziger, kurz vor dem Fall der Mauer, sind von einem Eindruck geprägt, der auch mit euch zu tun hat: Da kamen Leute an wie ihr, die Punk schon etwas hinter sich gelassen hatten, optisch wie musikalisch, während wir noch Springerstiefel trugen. Ihr dagegen hattet auf jeden Fall auch was von diesem Sleaze-Rock-Style à la Los Angeles, GUNS N’ ROSES etc. Wie erinnert ihr das?
Yvonne: Ich habe in der Buchbinderei mit Ilja vom CNC meinen Job gelernt, dann war CNC vorbei und der Job auch. Also als ich von Keuledruck weg war, habe ich in diversen Diskos und Kneipen gearbeitet. Dazu hab ich mit dem Klangkünstler und Drummer Peter Hollinger und anderen Musikern aus Hamburg Jazz gemacht, also meist Free Jazz. Da konnte ich gesanglich alles ausprobieren, das hat mir sehr viel Raum und Ideen gegeben, ohne Normen einfach mein Ding zu machen. Zu der Zeit hab ich mir eher Jazz-Shows in Ost Berlin, Hamburg und Frankfurt reingezogen, und dabei viel über meine eigenen gesanglichen Möglichkeiten gelernt ... Mode hatte weniger damit zu tun.
Tom: Wir haben als Hardcore-Band abgefangen, die Cowboystiefel kamen später. Ich fing an, meine Haare wachsen zu lassen, aber es war eher als Symbol für Individualität gemeint, ein Zeichen persönlicher Freiheit und nicht, weil ich das Genre wechseln wollte. Punk war eigentlich immer mein Ding. Als wir angefangen haben, hat Yvonne in einer Indie-Disko gearbeitet. Das Trash am Oranienplatz hatte echt gute DJ:anes, zwischen BOW WOW WOW, Terence Trent D’Arby, STYLE COUNCIL, Grace Jones kamen plötzlich HÜSKER DÜ, REPLACEMENTS, mittendrin Nina Simone und im Anschluss irgendwas von „Electric“ von THE CULT, BIG BLACK, PIXIES, „Highway to hell“. Die waren wirklich auf Zack.
Yvonne: WestBam hat auch im Trash aufgelegt und LAIBACH haben da gespielt. Ich wohnte damals mit Françoise Cactus in einer WG. Sie hat uns damals zu Johnny Thunders ins Loft geschleppt, als er da mit Patty Palladin gespielt hat. Tom war hin und weg und hat sofort ZJ-Krüger angerufen, damit er ihm so eine Gitarre besorgt, die Johnny da gespielt hat.
Tom: Bands wie EXPLOITED sind mir schon 1982 auf den Sack gegangen, obwohl ich die zweite Platte mittlerweile wieder ganz gut finde.

„Perpetuum Mobile“ überraschte in Zeiten oft noch rumpeliger Punk-Platten durch einen ausgesprochen „fetten“ Sound. Wie kam das?
Tom: Yvonne, Sepp und ich hatten schon relativ viel Studio- und Banderfahrung gesammelt, Konzerte gespielt und so etwas wie eine gemeinsame Vergangenheit und musikalische Schnittpunkte, auf die wir uns einigen konnten. Yvonne hatte uns einen Proberaum im Rauchhaus besorgt und wir haben ständig geprobt. Steve Hahn, der als Schlagzeuger dazukam, sah aus wie Tommy Lee von MÖTLEY CRÜE, er hätte sofort bei DIE TOTEN HOSEN oder Billy Idol einsteigen können, so wie der aussah. Ich fand ihn extrem cool. Er war fast ein klassischer Rock-Drummer, Zeugs von den SEX PISTOLS, CLASH, AC/DC oder THIN LIZZY, konnte er aus dem Effeff spielen und es hörte sich so authentisch original an, wie auf Platte. Hardcore war neu für ihn, wir mussten ihn zu der ersten Probe regelrecht überreden, weil er sich nicht sicher war, ob das überhaupt sein Ding war. Bei meinen Liedern hat er oft losgepoltert, zum Beispiel wenn ein halber Takt eingeschoben wurde, und die Tempi waren ihm auch suspekt, dann kamen Wörter wie: „Herrgottsack“. Wenn wir uns auf alles geeinigt und ein Lied spielen konnten, nickte er anerkennend, schaute in die Runde und sagte Dinge wie: „Das hat’n guten Drive.“ Im Vergleich zu anderen Drummern, mit denen wir damals gespielt haben, war sein Stil etwas strukturierter. Zu diesem Zeitpunkt war er eine echte Ausnahmeerscheinung. Ich glaube, dass die Platte „fett“ klang, war sein Ding, weil er „fett“ gespielt hat. Zwei Jahre später haben dann alle so gespielt wie Steve.
Yvonne: Wir hatten sieben Abende Zeit zum Aufnehmen. Tagsüber haben HELLOWEEN das Studio benutzt. Wir hatten den preiswerten Weg gewählt, haha.
Tom: Daran kann ich mich nicht mehr erinnern, es ist aber auch 35 Jahre her. Ein wichtiger Aspekt war, dass wir die 24-Spur-Maschine benutzt haben, die war neu im Music Lab. Archi, der damals noch bei INFERNO war, hatte uns den Tipp gegeben, dass eine 2“-Bandmaschine einen besseren Sound hat. Die hat aber pro Tag 300 Euro mehr gekostet. Na ja, We Bite Records hat sieben Tage für uns gebucht, ohne klarzustellen, welche Bandmaschine benutzt werden soll. Da haben wir einfach die große genommen.

Wer war dieser Angelo Plate, der als euer Produzent im Studio aufgeführt ist?
Yvonne: Angelo war Haustechniker im Music Lab. Wir mochten den, er hatte ZJ, CNC, PORNO PATROL und THE REST gemacht. Eigentlich alle Bands auf dem „What Doesn’t Hurt Us Makes Us Stronger“-Sampler und er war außerdem als Techniker festes Bandmitglied bei MEKANIK DESTRUEKTIW KOMANDOE, kurz:MDK. Die waren einigermaßen abgefahren und kamen eher aus dem „Geniale Dilletanten“-Umfeld, wenn ich mich richtig erinnere. Ich werde nie vergessen, wie er gemixt hat. Der ganze Prozess war total faszinierend für mich. Er hat sich auch die Zeit genommen, uns zu erklären, was er da tat. Gerade beim Song „13“ hat er Soundbeispiele genommen von Bands, die ich nie mit unserer Musik in Verbindung gebracht hätte; es ging auch nicht um die Musik, sondern um den Sound. Da hat sich mir eine ganz neue Welt eröffnet.
Tom: Hahaha, „Owner of a lonely heart“ von YES war die Präferenz für „13“. Jedesmal, wenn ich das irgendwo höre, muss ich sofort an Angelo und „13“ denken. Es war uns damals wichtig, dass da jemand ist, dem wir vertrauen. Das Music Lab war das Studio, in dem alle aufgenommen haben. Es gab drei Leute dort, Angelo Plate, Harris Jones und Frank. Frank – Nachname habe ich vergessen – hat zum Beispiel die erste ZJ-Platte aufgenommen und gemischt, die mir rückblickend von Sound und Songwriting am besten gefällt. Angelo kannten wir am besten, durch unsere vorigen Bands. Harris hat mit SLIME gearbeitet, die schon ein paar Jahre vor uns anfingen, Platten aufzunehmen. Er hat das ganze Aggressive Rockproduktionen-Zeug von Walterbach gemacht, der damals schon ziemlich umstritten war. Als Metalbands wie KREATOR, HELLOWEEN, GRAVE DIGGER, DESTRUCTION auf Aggressive Rockproduktionen durch die Decke gingen, hat er sich ganz auf diese Sparte spezialisiert. Wir fanden den Sound von Harris damals ganz geil, aber es war klar, um so zu klingen, musste man das Studio für ein oder zwei Monate buchen. Das konnte sich niemand leisten. Heutzutage werden Metal/Punk/Hardcore-Platten mathematisch am Computer zurechtgeschnitten und und alles klingt so fett wie „Terminator“, „Gladiator“ und „Mad Max“ zusammen. Früher war der Arbeitsprozess komplett anders.

Was hat es mit dem Coverartwork auf sich? Das war ja auch eher ungewöhnlich.
Tom: Das Bild ist von dem Berliner Maler und Grafiker Fritz Ebeling. Er war Meisterschüler bei Schmidt-Rottluff und war in den frühen Sechziger-Jahren bis zu ihrem Tod der Lebensgefährte meiner Großmutter. Es war also irgendwie familiär. Er hatte schon mal für ZJ etwas entworfen, das wollte Dave Pollack dann aber nicht.

Euer Album erschien zu einer Zeit, als es noch so was wie „Konsensplatten“ gab. Gefühlt hatte euer Album damals wirklich jede:r. Wie habt ihr damals und dann über die Jahre diesen Erfolg gleich mit eurem Debüt erlebt?
Yvonne: Ich habe mir keine großen Gedanken gemacht, wie die Platte ankommt, war mehr mit „keep your head above the water“ beschäftigt. Ernsthaft, ich bin seit dem 13. Lebensjahr auf mich selbst gestellt und fand es wichtig, meinen Job durchzuziehen. Musik war für mich Therapie und ich hatte keine großen Illusionen, dass da irgend etwas passiert, und war auch nicht sehr an „Fame“ interessiert. Mein Status damals war prekär und schwankte zwischen geduldet und illegal, und das, was ich gemacht habe, war „Schwarzarbeit“. Ich war ganz froh, ein eigene Zimmer zu haben und was zu Essen. Mir war wichtig, unabhängig zu sein, und dass das so bleibt ... Statt auf der Straße in irgendwelchen Sammelräumen zu pennen. Ich musste alle drei Monate auf Ämter-Rallye gehen wegen der Aufenthaltsgenehmigung. Ausländeramt can all lick my ass und Nachtarbeit ist ein Knochenjob.
Tom: Ich bin da mal mitgegangen. Wir sind über Nacht aus Belgien oder sonst wo gekommen und sind ohne zu schlafen dahin. Die waren alle total mies drauf da und ich fand das ganze Konzept komplett unanständig. Meinen Vorsprung in dieser Sache habe ich erst viel später kapiert. Als die Platte fertig war, hatte ich erst mal ziemliche Zweifel, ob das was taugt. Ich fand die Lieder wirklich toll, aber war mir nicht sicher über die Umsetzung. Wir sind mit der Anpressung in die Disko gegangen und haben befreundete DJ:anes gebeten, das doch mal zu spielen. Wir haben uns nicht das tanzbare, eventuell Disko-kompatible Lied „13“ gewünscht, sondern das schnellste auf der Platte. auch aus heutiger Sicht finde ich, dass das eine super Attitüde ist. Es hat eine Weile gedauert und dann wurde „13“ freitags und samstags im Trash zur Prime Time gespielt und die Tanzfläche war voll. Einige aus unserem Umfeld haben sich gefreut und andere fanden das richtig scheiße. Das haben wir natürlich auch mitgekriegt. Ich fand „Perpetuum Mobile“ dann zehn Jahre eher suboptimal. Als 1997 meine Tochter unterwegs war, habe ich die anderen angerufen, um Bescheid zu sagen, dass ich Vater werde, und habe aus irgendeinem Nostalgierappel das Ding noch mal aufgelegt. Da hat es klick gemacht und ich war plötzlich mega stolz. Sachen gibt’s ... aber seitdem ist das so.

Ihr habt euch mit den weiteren Platten, auf jeden Fall mit „Axe To Grind“, weiter Richtung ... Rock entwickelt. Wart ihr durch mit Punk und Hardcore?
Yvonne: Wir waren fünf unterschiedliche Menschen, alle mit verschiedenen musikalischen Vorlieben. Im Proberaum haben wir uns alle aber gut ergänzen können. Wir haben uns aber nie abgesprochen, ob sich das so oder so anhören müsste. Entscheidend war, ob uns der Sound gefallen hat oder nicht. Ich kam mit einer Vorliebe für Blues, Jazz, Punk und Metal in die Band und finde, der Song „13“ war schon der rockigste, den ich bis dahin gemacht hatte. Es hatte aber alles eine Punk/Hardcore-Attitüde und passende Lyrics, das kann man nicht trennen. Es war einfach die Mischung, die wir hören wollten in dieser Zeit. Jingo Music halt.

We Bite Records war damals das wohl wichtigste Punk/Hardcore-Label in Deutschland. Was habt ihr für Erinnerungen an jene Zeit mit We Bite?
Tom: Das wichtigste Label? Ich glaube, dass zum Beispiel X-Mist oder Buback in ihrer Haltung rückblickend wesentlich konsequenter waren. We Bite hat alles veröffentlicht und lizensiert, was nicht niet- und nagelfest war. Die wollten klotzen und hatten einen guten Draht zu den größeren Fanzines und kannten auch jemand beim Metal Hammer, der die erste SPERMBIRDS-LP extrem abgefeiert hatte. Wegen SPERMBIRDS sind wir auf die Idee gekommen, die anzuschreiben. Der Chef rief dann zwei Tage später bei uns an – der war Feuer und Flamme. Am Anfang hat er uns auch geholfen, ein paar Shows zu organisieren – mit SOCIAL UNREST und TOXIC REASONS –, und plötzlich sollten wir mit HOLY MOSES spielen. Da waren Bands wie SLAYER oder METALLICA, die ja auch eine Hardcore/Punk-Attitüde hatten, schon lange auf unseren Plattentellern angekommen und es gab kaum Berührungsängste. also ich wollte da sofort hin und die aus ihren Lederhosen schießen. Die Show ist dann aber doch nicht zustande gekommen, aus anderen Gründen.

Später war das ja eher unschön, irgendwann war We Bite auch „out of business“ ... War es schwer, an die Rechte, Bänder etc. des Albums ranzukommen?
Tom: Unschön fanden wir, dass wir für jede Abrechnung einen Anwalt bemühen mussten. We Bite ist mittlerweile aus dem Handelsregister gestrichen. Nachdem wir uns den Vertrag noch mal angeguckt haben, gab es keine Handhabe für We Bite, die Rechte weiterzuverhöckern.

Und wie kam es nun zum Rerelease auf dem italienischen Label Radiation Records? Wart ihr damals auch „Big in Italy“?
Yvonne: Wir haben schon vor JINGO DE LUNCH im AJZ Bielefeld mit vielen Bands aus Italien gespielt, da haben wir DECLINO, NEGAZIONE, CCM, KINA, INDEGESTI und die legendären UPSET NOISE kennen gelernt. Dazu muss ich sagen, dass jedes Jahr im Sommer ein Haufen italienischer Punks nach Berlin-Kreuzberg kamen. Die hingen in der TEK und am Heinrichplatz rum und haben jede Menge Musik mitgebracht. Ich schätze, die haben unsere Musik wieder nach Italien mitgenommen. Später sind wir mehrmals mit einem Mietbus nach Italien gefahren, aber auch ins Baskenland, oder Spanien, Belgien und Holland ... Italien und Baskenland waren immer Highlights.
Tom: Marco von Radiation Records hat Yvonne angeschrieben, dass er „Perpetuum Mobile“ gerne wieder veröffentlichen würde. Er kam dann auch nach Berlin und wir haben uns mit ihm getroffen – der hatte seine ganze Familie mitgebracht, bestimmt zwölf Leute, fast alles Frauen und na klar: seinen Oldschool-Plattenladen in Rom fanden wir auch cool.

Where are they now? Was machen eure damaligen Bandkollegen heute? Habt ihr noch Kontakt?
Yvonne: Alle sind noch in Berlin, Klar sehen wir uns ab und zu, alle sind wohlauf, und alle haben Bands oder Projekte. Steve, Tom und Sepp sind schon alle auf TREEDEON-Shows aufgetaucht. Manchmal treffen wir uns in lokalen Kneipen oder Cafés. Henning treffe ich halbjährlich auf ein Bier in Neukölln.

Fast forward nach 2023: Yvonne, du hast gerade mit TREEDEON ein neues Album raus. Was hat sich bei euch in den letzten fünf Jahren so getan?
Yvonne: Die dritte TREEDEON-Platte kam am 17. März raus und heißt: „New World Hoarder“. Die Platte wird von Exile on Mainstream veröffentlicht, der Chef ist ein guter Kumpel von uns: Andreas Kohl, der „Kanzler“. Ich singe und spiele Bass – gleichzeitig! Als Trio hatten wir den Vorteil, die ganze Corona-Zeit über im Proberaum legal zusammen weitermachen zu können, und wir haben sehr viel neues Material eingespielt. Sechs Songs davon haben wir auf die neue LP gepackt, über vierzig Minuten. Sonst arbeite ich als Schnapsherstellerin bei The Liquor Company. Wir machen Kräuterschnaps, KR23 und produzieren auch Cuate Rum, Gin XIX und Owls Bio Vodka – für mich ein sehr, sehr cooler Job, da ich früher schon Bier gebraut habe und es super gerne mag, leckere Sachen selber herzustellen. Ich bin auch bei den „Petrolettes“ aktiv. Das ist eine weltweite Frauen-Motorrad-Vereinigung, die ursprünglich in Berlin angefangen hat. Gründerin Irene Kotnik ist eine gute Freundin von mir.

Tom, auch du hast gerade eine neue Platte raus, mit ES WAR MORD. Wie waren bei dir die letzten Jahre?
Tom: Ja, wir haben gerade eine Platte veröffentlicht, „Die Utopie der Kosmonauten“. Die erste Auflage wird langsam knapp und ich freue mich sehr über die Resonanz, auch zum Beispiel, wenn ich persönlich angeschrieben werde – das macht schon was mit mir. Unterm Strich mag ich alle Bands, in denen ich gespielt habe. Ich bin seit vierzig Jahren „Sideman“ und finde diese Arbeit super. In einer Rock’n’Roll-Band neben einer schillernden Figur stehen, Gitarre spielen, für ein Solo ein paar Takte im Vordergrund stehen, den Refrain mitgrölen – das war immer mein Ding. Nun haben mich zwei Kumpels vor zwei Jahren überredet, eine Platte zu machen, bei der ich eigene Texte selbst vortrage, und es sieht so aus, als könnte das im Herbst veröffentlicht werden. Ich stehe in dieser Sache schwer unter Druck und wie ich mich kenne, verschiebe ich im letzten Moment wieder alles auf die nächsten vierzig Jahre. Das Projekt heißt FLEUR DE MALHEUR und ich mag die Musik sehr. Nicht nur, weil sie anders ist als die Musik, die ich ein Leben lang gemacht habe.

Und wo seht ihr jeweils die Verbindung zu eurem musikalischen Tun 1987?
Yvonne: Das war ein sehr schöner und aufregender Sommer, als das alles angefangen hat. Ich glaube, alle, die dabei waren, werden diese Zeit und diese Erfahrungen und Verbindungen gemeinsam in Erinnerung behalten. Die „Perpetuum Mobile“ ist der Soundtrack aus einer Zeit meines Lebens. Es ist schön, dass ich daran teilhaben konnte, und toll, dass ich auch weiterhin Musik machen kann. Ich hoffe bei jeder Platte, die ich mache, dass andere Menschen sich darin wiederfinden können. Es ist egal, welcher Musikstil, egal, in welche Schublade das einsortiert wird; es gehört mir und ich tue es für mich und andere. Das Maß dessen, was für mich Punk und Hardcore ausmacht, ist in mir und meinen Texten und die Konsequenz meiner Musik.
Tom: Ich habe 1987 versucht, Hardcore/Punk-Platten zu machen, und versuche das heute auch noch, mal gucken, wie lange noch. Ich mag die ganzen Strömungen: 77er-Stiefelettenpogo, Dunkelpunk, Deutschpunk, Hardcore, Crust, Stoner, Dub, Electro, Post- oder Pre- ganz egal, nur wenn ich „Punkrock“ höre, muss ich sofort an Wolfgang Petry oder JBO denken. Die Musik braucht nicht zu wichtig sein, mir gefällt es besser, wenn Musik selten ist.

Zum Schluss die Frage aller Fragen ... Viele Bands spielen Jahrzehnte später nochmal Konzerte zu alten Platten. Absurde Vorstellung oder denkbar in eurem Fall?
Yvonne: Wieso? Wir haben das 2007 schon gemacht. 25 Jahre JINGO DE LUNCH, wenn ich mich korrekt erinnere ... Jetzt machen wir neue Sachen.