Jörn „Krel“ Schröder (DRITTE WAHL)

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My Little Drummer Boy Folge 58

Seit über dreißig Jahren sind DRITTE WAHL nun schon aktiv und damit definitiv eine der großen Punkrock-Institutionen im Lande. Von Beginn an – und somit auf allen bisher erschienenen elf Alben – ist Krel der Motor der Band, der meist völlig zu Unrecht im Hintergrund bleibt. Dabei ist er es, der mit seinem unermüdlichen Drive die Songs der Band vorwärts treibt und seinen Mitstreitern auf der Bühne den nötigen Tritt in den Allerwertesten versetzt. Es wurde also dringend an der Zeit, mit Krel über seine vielen Jahre als Schlagzeuger zu sprechen.

Krel, wenn du dich an deine Kindertage zurückerinnerst, gab es in eurer Familie Geschichten, wo du schon als kleiner Junge auf den Töpfen deiner Eltern getrommelt hast?

Auf Töpfen oder dem Tisch habe ich sicherlich auch mal getrommelt, aber nicht so, dass man Musikalität daraus hätte ableiten können. Das kam dann doch für alle recht unerwartet. Es gab jedenfalls keine „Weißt du noch ...“-Geschichten, die meine Eltern später noch mal herausgekramt hätten. Auch letztens beim Klassentreffen – nach 36 Jahren – waren alle ganz erstaunt, weil die meisten ja keine Ahnung von meiner „Karriere“ hatten.

Kommst du aus einer musikalischen Familie und war in der ehemaligen DDR Musikunterricht als Kind ein Thema für dich?
Mein Vater hatte als Jugendlicher in einer Band Banjo gespielt. Ansonsten waren wir aber keine Familie, in der regelmäßig musiziert oder gesungen wurde. Den Musikunterricht in der DDR habe ich nicht als besonders inspirierend empfunden. Allerdings hatte ich als Kind auch noch keine Ambitionen, später mal selbst Musik zu machen. Also hat mich dann der Unterricht auch nicht sonderlich interessiert, weil dort ja auch nur Klassik,Volkslieder und Kampflieder der Arbeiterklasse behandelt wurden. Nichts, was uns als Kinder oder Teenager interessiert hätte.Wir hatten noch nicht mal Blockflötenunterricht. Und die Noten, da wusste auch keiner von uns, was er damit anfangen soll. Die kann ich bis jetzt nicht lesen und das ärgert mich heute manchmal sogar. Aber irgendwie habe ich keine Muße, mich tiefer damit zu befassen. Mit der Musikschule habe ich es dann später noch versucht, aber im Schichtsystem konnte ich nicht so viele Stunden wahrnehmen. Das habe ich schnell wieder gelassen und zuerst hat es ja auch ganz gut ohne geklappt. Wenn man irgendwann mitbekommt, dass einem so einiges an Technik fehlt, ist es schon zu spät. Da hatte man sich seinen Stiefel schon angewöhnt und den spult man den Rest der Karriere runter. Aber ein bisschen lerne selbst ich noch immer dazu. Jedenfalls lassen mich die Kollegen immer noch an die Drums, also kann es wohl nicht ganz so schlimm sein.

Was für Musik lief bei euch zu Hause und wann hast du das erste Mal an einem Schlagzeug gesessen?
Bei uns zu Hause lief eigentlich immer in der Küche das Radio mit den üblichen Schlagern und Hits der Siebziger. Außerdem haben meine Eltern auch Jazz und Beatmusik gehört und dann in den Achtzigern wurde ja auch schon mal die „härtere“ Gangart eingelegt, STATUS QUO, Suzi Quatro und solche Sachen. Als Teenie kamen dann Metal und Punk dazu. Das war aber eher Gunnars und mein Fall. Das erste Mal am Schlagzeug saß ich mit 19, ich hatte mir gerade eins gekauft. Ein Tacton in Gelb-Kristall mit selbstgebauten Beckenständern, das mich über zwei Monatsgehälter gekostet hat. Ich war ja schon Facharbeiter und habe eigenes Geld verdient. Deshalb hatte Gunnar mich auch gefragt, ob ich trommeln wollte, denn die anderen Instrumente hatten er und seine Kumpels schon unter sich verteilt. Da saß ich dann in einer Gartenlaube und wusste nicht so genau, wie man das jetzt wieder so schön aufbaut wie im Keller des Verkäufers. Aber irgendwie hat es dann doch geklappt und es konnte losgehen. Dass das mal so endet, wie es gerade läuft, hätte sich allerdings keiner von uns vorstellen können, denn es war 1986 und noch tiefste DDR. Der Plan war eigentlich nur, vielleicht mal eine Einstufung zu kriegen und damit offiziell auftreten zu dürfen. Weiter haben wir ja gar nicht gedacht.Wir wären wohl auch nicht auf die Idee gekommen, dafür unsere Jobs aufzugeben. Durch die Wende kam dann alles ganz anders.

Gab es in deinen Teenagerjahren Schlagzeuger, die dich besonders begeistert haben?
Damals habe ich zwar viel Musik gehört, aber die Heroes waren doch eher die Gitarristen mit den Soli. Auf die Schlagzeuger habe ich da noch nicht so geachtet. Das hat sich erst geändert, als ich selber einer war.

Gab es bei euch vor der Wende schon einen musikalischen Austausch zwischen Ost und West und wie habt ihr zu Beginn der Achtziger die Punk-Szene hüben und drüben wahrgenommen?
Bei uns nicht. Wir waren aber auch nie großartig Teil einer bestimmten Szene mit all den dazugehörenden Verbindungen. Wir haben zwar Musik aus dem Westen gehört und gemocht, aber hatten nie Kontakt zu Musikern oder Musikfans aus dem Westteil des Landes. Wir waren eigentlich eher unter dem Radar und haben von Anfang an unser eigenes Ding gemacht. Interessanterweise habe ich viele Musiker, die zu Wendezeiten in Rostock aktiv waren, erst im Laufe der Jahre nach der Wende richtig kennen gelernt. Wir waren ja auch nie Teil der Punk-Szene in Rostock, sondern wir kamen eher aus dem Metal-Bereich, was man, so glaube ich, immer noch hört. Mit Punk bin ich erst mit Liedern von DIE TOTEN HOSEN in Verbindung gekommen. Das war Ende der Achtziger. Vorher haben wir versucht, Rock- und Metal-Songs zu covern und eigene holprige Liedchen mit deutschen Texten selbst zu schreiben. Über DIE TOTEN HOSEN haben wir dann gemerkt, dass wir doch eher da hingehören. Das war nie eine vorgeplante Sache, aber unsere Songs gingen musikalisch eher in diese Richtung und textlich sowieso. Das hat sich dann auch bestätigt, als wir auf SLIME, CANAL TERROR, NORMAHL, TOXOPLASMA und so weiter gestoßen sind. Da waren wir wohl eine Punkband. Wir hatten vorher jedenfalls nicht viel mit der Szene zu tun, egal ob Ost oder West, und privat höre ich auch heute noch mehr Metal als Punk.

Hattest du die Möglichkeit, bei euch zu Hause zu üben, oder hattet ihr schon am Anfang einen eigenen Proberaum?
Zu Hause im Neubaublock gab es keine Gelegenheit. Wir hatten aber immer irgendwelche Räume wie Gartenlauben, Vereinshaus, stillgelegte Kneipen oder Jugendklubs zur Verfügung, was oft mit sonderbaren Aktionen verbunden war, wie Transport der Verstärker mit dem Zug und dann noch ein ordentlicher Fußmarsch oder alles im Bollerwagen herumfahren. Aber das hat uns nie gestört, weil wir immer Bock darauf hatten, zu proben oder uns einfach nur zu treffen. Biertrinken gehörte auch immer gerne dazu. Also man kann wirklich sagen, dass wir von Beginn an sehr viel Zeit und Energie in die Musik investiert haben.Wir haben anfangs ja auch an jeder Milchkanne gespielt.

Hast du viel für dich allein geübt oder nur zusammen mit der Band?
Für mich alleine habe ich tatsächlich relativ wenig geübt. Früher war das wegen des Aufwands mit dem Sachenschleppen auch gar nicht möglich und wir haben auch echt viel mit der Band geprobt. Jetzt scheitert das oft an einem fehlenden Proberaum oder daran, dass mein Schlagzeug mit all unseren Sachen in Berlin deponiert ist. Ab und an setze ich mich mal an das E-Drumset von meinem Sohn, aber das geht nur, wenn der in der Schule ist. Im Großen und Ganzen bin ich wohl eher ein Team-Prober.

Hast du als Anfänger versucht, bestimmte Lieblingsplatten nachzuspielen?
Platten nachspielen war nie mein Ding, sondern eher mal einzelne Songs, aber ich spiele meistens unsere Sachen und versuche, mich mit dem Klick noch vertrauter zu machen. Also einfach mal eine halbe Stunde oder so nach dem Klick und schauen, dass ich damit klarkomme. Wir haben ja jahrelang nur „lebendig“ und frei Schnauze gespielt und von daher gab es keinen Grund, mich damit zu befassen. Da wir jetzt aber auch mal Sachen samplen oder weil es dem Stück guttut, kommen immer mehr Songs mit Klick dazu, und da ich mich erst seit kurzem damit beschäftige, muss ich noch ordentlich daran arbeiten.

Wann hast du zum ersten Mal live gespielt?
Das war im Oktober 1988 in der Schülerspeisung Rostock-Evershagen zur Schülerdisco und es kam super an. Es gab ja auch keinen wirklichen Vergleich. Für viele waren wir sicherlich die erste Band, die sie jemals live gesehen haben. Einige Leute kommen sogar heute noch zu Konzerten in ganz Deutschland. Je nachdem, wohin es sie verschlagen hat. Da haben wir uns kurzzeitig für richtig gut gehalten. Jedenfalls solange, bis wir dann mal mit anderen Bands, wie etwa KEIMZEIT zusammen gespielt haben. Die haben uns dann schnell unsere Grenzen aufgezeigt und live lernt man auch immer viel dazu. Nicht nur im Proberaum.

Wie hat sich dein Schlagzeug im Laufe der Jahrzehnte verändert?
Also mal davon abgesehen, dass es hochwertiger geworden ist, spiele ich schon seit ewiger Zeit mit Bassdrum, Snare und zwei Toms. Dazu Hi-Hat, Ride-Becken und zwei Crash-Becken. Ab und an mal drei, aber nur mal testweise, weil ich da etwas hin- und hergerissen bin. Eigentlich reichen zwei, da ich das Ride auch als Crash nutze, aber manchmal steht mir auch der Sinn nach drei Becken. Sehr zur Freude des Tonmanns. Dann noch ein Singlepedal und das war es auch schon. Mit zwei Bassdrums habe ich es nie versucht und das würde, glaube ich, auch nicht zu DRITTE WAHL passen. Eine Double-Maschine hatte ich durchaus, aber die habe ich nicht wirklich oft genutzt und die Kollegen bevorzugen auch Einzelschläge. Treibt oft auch mehr. Also für Metal gilt: hören ja, aber spielen nein.

Du bist einer der wenigen Punk-Drummer, die mit Handschuhen spielen. Wie kam es dazu?
Zu Anfang habe ich auch ganz normal ohne Handschuhe gespielt, aber als wir 1994 das erste Mal für drei Wochen richtig auf Tour waren, habe ich gemerkt, dass ich schnell nasse Hände und Blasen an den Fingern kriegte. Daraufhin bekam ich den Ratschlag, es mit Bepanthen-Salbe und Handschuhen zu probieren. Das habe ich befolgt und für gut befunden. Mittlerweile habe ich mich so daran gewöhnt, dass ich gar nicht mehr anders spielen möchte.

Wie würdest du deinen eigenen Stil beschreiben? Bist du eher ein Techniker oder eher der Arbeiter?
Eindeutig der Arbeiter. Ich bevorzuge eine straighte Spielweise. Also eher AC/DC als Progrock. Ich sehe mich hier eher als Unterstützer, denn als Leadinstrumentalist. Ich mag einfache Parts, die leicht nachzuspielen sind.

Wie wohl fühlst du dich im Studio? Bist du immer sehr gut vorbereitet und bleibt dir da noch Platz für kurzfristige Improvisationen?
Im Studio fühle ich mich erheblich unwohler als auf der Bühne. Ich bin überhaupt kein Prüfungstyp. Wenn die rote Lampe angeht, gehen bei mir sozusagen die Lichter aus. Früher war durchaus Platz für Improvisation, aber jetzt ist es schon etwas durchgestyleter. Live sind die Songs allerdings von Konzert zu Konzert doch schon ein bisschen unterschiedlich, aber das fällt wahrscheinlich den meisten Leuten gar nicht auf. Ist auch nichts Großes, nur manchmal sind die Breaks unterschiedlich oder die Becken kommen mal an einer bestimmten Stelle und auch mal gar nicht. Wie mir gerade der Sinn steht. Die Gesamtabläufe ändern sich natürlich nicht. Im Endeffekt ist Studio ein bisschen so wie Fototermin oder Videodreh. Ich finde immer, man merkt, dass das nicht so mein Ding ist.

Gibt es unter den elf Alben von DRITTE WAHL irgendeins, das dir hinsichtlich des Drumsounds oder aus sonstigen Gründen besonders am Herzen liegt?
Im Grunde mag ich jedes Album. Vor allem, weil jedes seinen eigenen Charakter hat. Aber die „Strahlen“-CD von 1998 ist irgendwo doch mein großer Favorit. Vielleicht weil sie unser metallischstes Album ist und die Entstehungsgeschichte besonders eigen war. Wir hatten nach „Nimm 3“ bei dem ganzen Touren völlig verpeilt, dass schon ein Studiotermin fest gebucht war. Deswegen ist es das einzige Album, bei dem noch einige Songs im Studio zu Ende komponiert und getextet wurden. Bei allen anderen sind wir mit fertigen Songs ins Studio gegangen. Deshalb ist mir das wohl am stärksten in Erinnerung geblieben und den Drumsound mag ich tatsächlich auch besonders gern.

Könntest du dir vorstellen, neben oder nach DRITTE WAHL auch ganz andere Musik zu spielen oder bist du schon in anderen Projekten aktiv?
Zur Zeit kann ich mir nicht vorstellen, musikalisch etwas anderes als DRITTE WAHL zu machen. Aber man soll ja nie nie sagen. Wer weiß, was in Zukunft noch so kommt?