KALA BRISELLA

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Anschubser von Geschichten

KALA BRISELLA aus Berlin, das sind Anja (Gesang und Schlagzeug), Jochen (Gitarre, Gesang und Texte) und Dennis (Bass und Gesang), kennen gelernt hat sich das Trio am Theater in Freiburg. Der Sound auf dem aktuellen Album „Ghost“ wird allgemein als Noise oder Post-Punk gehandelt. Anja würde die Band mit „Entschuldigung, was befindet sich hinter dieser Wand?“ beschreiben, was gleichermaßen treffend wie sympathisch ist.

Wer oder was ist „Kala Brisella“?

Jochen:
Kala Brisella ist eine gute Freundin, die uns alle drei sehr gerne hat. Das ist gut zu wissen.

Dennis: Calabrisella ist ein kleiner Pizza-Imbiss am Hermannplatz, jede Pizza 3,50 Euro.

Anja: „Kala Brisella“ ist ein Film von A. Tarkowski, der nie ausgestrahlt wurde. Leider.

Gab es diesen einen Moment, in dem euch klar war, dass das euer KALA BRISELLA-Sound sein könnte?

Jochen:
Ehrlich gesagt gibt es diesen Moment ziemlich oft bei mir. Immer wenn wir uns in neue musikalische Bereiche trauen, gibt es einen Moment, wo ich denke: So, das ist es jetzt! Bei der nächsten Probe passiert dann das Gleiche mit einem ganz anderen Sound. Bei „Ghost“ haben wir uns mehr an klare Melodien gewagt, können uns aber vorstellen, bei dem nächsten Album wieder total dem Noise zu verfallen.

Anja: Für mich gibt es immer einen KALA BRISELLA-Sound. Er ändert sich allerdings ständig. So wie wir ... und manchmal braucht es etwas Zeit, das Neue zu verstehen beziehungsweise zu hören.

Wie geht ihr beim Schreiben von Songs vor? Sie wirken allesamt von der Basis her intuitiv und dann detailliert ausgefeilt.

Jochen:
Genau so passiert das auch. Wir improvisieren über Stunden und danach schauen wir, was wir gut fanden, und arbeiten das aus. Wir nehmen während der Proben ziemlich viel auf, und tatsächlich gibt es eine Datenbank mit sehr vielen verschiedenen musikalischen Parts, auf die wir immer zurückgreifen könnten. Daran kann man auch sehr gut unsere Entwicklung beobachten, was ich sehr interessant finde.

Dennis: Ja, genau so. Wir jammen sehr viel zusammen. Wenn daraus etwas Interessantes entsteht, nutzen wir das wieder als Grundlage für neue Improvisationen. Diese Arbeit wird immer kleinteiliger und am Ende wird dann noch unendlich lange gefeilt. Auch wenn der Song schon lange aufgenommen ist. Manche Songs entstehen aber auch innerhalb sehr kurzer Zeit, wie aus einem Guss.

Bands wie euch schreibt man gerne per se eine gesellschaftskritische Haltung zu. Könnt ihr das bestätigen? Wo fängt Kritik an und wo hört das Beschreiben aus eigener Sicht auf?

Jochen:
Unsere Gesellschaft zu beobachten macht einen manchmal sehr traurig und wütend, man verfällt automatisch in die Rolle des Kritikers. Das ist wichtig, aber leider auch beschränkend. Ich denke, man kann sich dem nicht so richtig entziehen und jeder ist Kritiker auf seine Art.

Anja: Bei uns und bei allem, was uns umgibt, fängt es an, und dort hört es auch wieder auf. Es dreht sich immer im Kreis, weil man darum kämpft, seinen Platz in dieser Welt mit seinen Strukturen sowie den anderen verstehen zu wollen. Der Punkt, ab dem Beschreibung als Kritik empfunden wird, liegt bei jedem woanders.

Bei den Texten erscheint es genau andersrum, hier seid ihr so genau ungenau wie möglich. Bewahrt ihr euch das Vage, um Interpretationsspielraum zu lassen, oder seid ihr euch in manchen Punkten einfach auch nicht sicher?

Jochen:
Ich finde es extrem schwer, einen gesellschaftlichen und sozialen Aspekt genau zu analysieren. Es gibt immer auf alles mehrere Perspektiven, die zu 100% stimmen. In den Texten versuche ich ein Gefühl zu kreieren, welches aus meiner Sicht am ehesten passt. Gefühle konkret auszusprechen funktioniert nicht. „Ich bin traurig, weil du ein Idiot bist“, klappt nur bedingt gut.

Dennis: Wo kann man sich denn überhaupt sicher sein, außer bei Haltung und Empfindung? Der Zweifel ist uns eingeschrieben und insgesamt schon wichtiger als eine klare Aussage oder Deutung. Leerstellen als quasi poetisches Element sind ja auch eher inklusiv, da sie es erlauben, dass der Hörer oder Leser diese Leerstellen eigenmächtig ausfüllt, mit eigenen Erfahrungen, Bildern und Geschichten. Die Kunst ist es vielleicht, einen Rahmen zu schaffen, der deutlich und eindeutig ist und gleichzeitig genügend Platz für eigene Gedanken lässt.

Anja: Die Welt ist klein, wenn man auf dem Mond sitzt und groß, wenn man vom Hermannplatz bis zur Pankstraße mit dem Fahrrad fährt. Dieses Gewisse ist gleichzeitig das Ungewisse und andersherum. Eine Leerstelle ist so für mich oftmals das, woran ich mich absurderweise festhalten kann.

Welche Vorteile seht ihr darin, zu dritt zu spielen?

Jochen:
Bei drei Leuten muss man weniger reden als bei vier.

Dennis: Zu dritt in einer Band zu sein bietet auf alle Fälle den Vorteil, dass sich Diskussionen noch in einem sehr übersichtlichen Rahmen bewegen können. Musikalisch bildet unsere Besetzung natürlich das klassische Rocktrio ab. Wir sehen unsere Instrumente aber eher wie bewegliche Module, die jeweils mit oder gegeneinander spielen können. Nicht immer bilden also Bass und Schlagzeug eine rhythmische Basis, zu der die Gitarre dann spielt, sondern oft gehen auch Schlagzeug und Gitarre zusammen oder Bass und Gitarre bilden eine Einheit, die gemeinsam agiert.

Anja: Es war eine Implosion, als wir uns trafen. Diese Verkettung ist nun nicht mehr wegzudenken oder aufzulösen. Es geht also einfach nicht mehr anders. I’m sorry.

Das Album „Ghost“ wirkt auf mich im positiven Sinne theatralisch. Habt ihr einen Bezug zum Theater?

Jochen:
Wir arbeiten alle drei im Theaterbereich und verdienen damit unser Geld. Das färbt schon ab.

Dennis: Ja, schon. Wir sind alle drei freiberuflich im Theater unterwegs, so haben wir uns auch kennen gelernt. Wir machen eigene Stücke, an denen wir oft auch alle drei gleichzeitig beteiligt sind. Die Video-Idee zu „I’m sorry“ ist auf unsere Tätigkeit im Theater und Performance zurückzuführen. Ob der Begriff „theatralisch“ auf unsere Musik passt, weiß ich nicht. Wir sprechen aber schon häufig über dramaturgische Bögen und Elemente in unseren Songs und unseren Shows.

Anja: Hm, theatralisch ist ein schwieriges Wort. Ich würde sagen, wir haben alle drei Lust darauf, Musik auch körperlich zu verstehen.

Ich bezeichne euch in meinem Review als „Anschubser von Geschichten“, könnt ihr damit etwas anfangen?

Jochen:
Das klingt wirklich sehr schön!

Dennis: Ich glaube, es geht in unseren Texten nicht nur um das, was gesagt wird, sondern auch um das, was nicht gesagt wird, um die Leerstellen. In dem Sinne können wir mit dem Begriff „Anschubser von Geschichten“ durchaus etwas anfangen.

Anja: Und es wäre schön, wenn das wirklich passieren würde.

Wie darf man den Albumtitel „Ghost“ in Folge von „Endlich krank“ verstehen? Ist es nach der Krankheit besser geworden mit dem Menschsein oder wurde der Kampf ein Stückchen weiter verloren und ihr spielt nur noch als abgekoppelte Geister mit?

Jochen:
Bei „Endlich krank“ bin ich noch Mensch. Ich sehe „Ghost“ aber eher als ein tieferes Erkennen: Ich bin ein Mensch und wenn ich keiner wäre, wäre das besser.

Dennis: Als wir bereits fast alle Lieder für das Album geschrieben hatten, haben wir festgestellt, dass es einen thematischen Faden in fast allen Songs gibt. Sie handeln fast alle von Momenten der Auflösung, vom Unsichtbar-Werden und von Distanz. Davon, dass die Dinge um uns in tausend Partikel aufgehen und nicht mehr greifbar sind. Der letzte Song, den wir schrieben, mit diesen Themen im Kopf, war „Gespenster“, und von da aus war dann auch der Albumtitel ziemlich schnell klar.

Anja: Vielleicht fallen wir gerade nicht so einfach um. Das tut zu doll weh. Wir haben uns deshalb entschlossen, einfach zu verschwinden und uns in Auflösung zu üben.