KALA BRISELLA

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Langeweile als kreativer Motor

KALA BRISELLA, das sind immer noch Schlagzeugerin Anja, Dennis am Bass und Gitarrist und Texter Jochen. Den Gesang teilen sie sich auch auf ihrem dritten Album „Lost In Labour“ untereinander auf. Mittlerweile verdichten sich die Gerüchte, dass der Bandname der Post-Noise-Punkband irgendwas mit einer Pizzeria in Berlin zu tun hat.

Das dritte Album ist oft das wegweisende und manche Bands fühlen sich davon unter Druck gesetzt. Nicht so KALA BRISELLA. „Ach, ich dachte das zweite wäre das wegweisende?“, lacht Dennis. „Das dritte ist meistens das schwierige, glaube ich“, wirft Jochen ein. Anja ist folgender Meinung: „Nein, das zweite ist das schwierige. Also ich finde, wir haben uns von Album zu Album immer viel verändert. Also ist es wegweisend für jetzt und für letztes Jahr. Aber ich glaube, das nächste wird auch wieder anders.“ So witzig, tiefgründig und auch kryptisch wie die Antworten auf ein und die gleiche Frage, klingt auch die Musik des Trios. Nach genauer Überlegung sieht Jochen in „Lost In Labour“ dann doch eher die Weiterentwicklung von „Endlich krank“ und empfindet das Vorgängeralbum „Ghost“ thematisch und musikalisch eher als Zwischenschritt. Generell sind KALA BRISELLA sehr damit beschäftigt, alles, was sie als Band machen, in Zusammenhang zu bringen. „Wir versuchen, es immer in einem größeren Kontext zu sehen“, erklärt Dennis. Und Jochen fügt hinzu: „Es ist schon so, dass wir rückblickend schauen, was uns auf dem Vorgängeralbum nicht gefallen hat und was wir anders machen wollen. Das soll nicht heißen, dass es in dem Moment schon schlecht war. Manchmal merken wir an einigen Stellen, dass da zu viel Energie flöten ging und eine andere Vorgehensweise besser gewesen wäre.“

Im Vergleich zu „Ghost“, bei dem die Songs über einen sehr langen Zeitraum entstanden, konnten KALA BRISELLA bei „Lost In Labour“ gezielter arbeiten. Innerhalb von zehn Tagen selbst gewählter Isolation in einer alten Dorfschule wurden alle Kompositionen in einem zusammenhängenden Prozess geschrieben. Es wurde also eine Stimmung eingefangen und nicht viele Zwischentöne über mehrere Monate. „Wir sind mit einer konkreten Idee rangegangen und dann sind wir wie auf Gleisen ins Ziel gerollt. Alles, was gestört hat, wurde schon fast chirurgisch entfernt“, beschreibt Jochen die Vorgehensweise. Eine Phase der Isolation, die natürlich nicht mit den darauffolgenden deutschlandweiten Lockdowns zu vergleichen ist. „Man ging ja in die Isolation mit dem Ziel, ein Album zu machen. Ich bin jetzt auch kreativ, sehr sogar, aber eben ohne Ziel“, findet Anja und Dennis ergänzt: „Es ging eher um das Zusammensein und das Reduzieren von Ablenkung. Also wirklich zusammenzukommen, menschlich und musikalisch.“

Obwohl KALA BRISELLA lange Zeit gemeinsam auf kleinem Raum verbracht haben, sind sie sich nicht auf die Nerven gegangen. Abgesehen vom puren Musizieren, wurden lange Spaziergänge auf dem naheliegenden Feld gemacht oder es ging mit dem Auto auf Kneipensuche. Kneipen zu finden gestaltete sich eher schwierig. Langeweile als kreativer Motor, das ist ein Thema auf „Lost In Labour“. Aber kann man sich auch gemeinsam als Band langweilen, rumhängen und kein Wort wechseln? Jochen berichtet, dass KALA BRISELLA darin geübt sind: „Wenn man auf Tour ist, sitzt man oft sehr lange im Auto und wir reden dann einfach nichts miteinander. Das genieße ich sehr und wir haben alle auch nicht das Bedürfnis, lustige Spiele zu machen oder lange Gespräche zu führen. Wir können lange sehr gut nichts miteinander machen.“ Alle wirken damit glücklich und grinsen, Dennis fügt bestätigend hinzu: „Und das fühlt sich sehr gesund an.“ Gemeinsames Schweigen, die höchste Adelung jeder Beziehung.

Im Hinblick auf „Lost In Labour“ und den entsprechenden Song bietet sich die Frage an, wie viel „labour“ in „art“ steckt. Dennis fasst es zusammen: „Es ist auf jeden Fall viel mehr, als man denkt. Denn es ist nicht damit getan, die Lieder zu schreiben. Das ist ja schon schwierig genug, aber dann kommen noch die Aufnahme, der Klang und der Rattenschwanz mit Presse, Fotos und Cover. Das unterschätzen wir auch immer und das ist der Moment, in dem wir dann auf dem Zahnfleisch gehen.“

Viele Details, die man allesamt ernst nehmen muss, wenn man nicht möchte, dass zu viel von der Kunst verlorengeht. Aber zumindest antworten KALA BRISELLA auf die Frage nach Arbeit und Kunst alle gleich, was bedeutet, dass sie Musik auf jeden Fall als Kunst sehen. Aber ist jede Musik gleich Kunst? Unter Umständen kann man sich selbst dem Anspruch, Kunst machen zu wollen, stark unterwerfen. Bloß nicht zu kryptisch sein oder – noch schlimmer – so platt, dass es alle sofort verstehen. „Früher habe ich in meinem Zimmer still und heimlich Musik aufgenommen und die aber nur an Bekannte und Freunde weitergegeben, wenn sie mich dazu gezwungen haben. Und ich musste über die Jahre lernen, dass manche Songs zu ehrlich waren und da zu viel Wahrheit drinsteckte, und das die Leute auch irgendwie abgeschreckt hat. Das ist dann wohl auch keine Kunst mehr und eher ein Tagebucheintrag“, reflektiert Jochen. „Aber gleichzeitig finde ich auch, dass Kunst nicht zugänglich sein muss. Unsere Musik wird auch oft als sperrig bezeichnet, was ich aber gut finde.“ Und Anja ergänzt: „Wobei dieses Mal schon der Anspruch war, dass es zugänglicher wird, auch von den Texten und vom Sound her. Das heißt ja aber nicht, dass es keine Kunst mehr sein kann.“

Eine schwierige Kiste, besonders dann, wenn man keine Musik machen will, die letztendlich jeder reproduzieren könnte, der ein Instrument beherrscht. Im Song „Dafür“ spielen KALA BRISELLA mit den Extremen, finden aber, dass man nicht nur dafür oder dagegen sein kann und manches einfach auch egal sein darf. „Ich kann nicht jeden Tag rausgehen, alles beurteilen und zu allem eine Haltung haben. So was würde mich kaputt machen. Es ist gesund und wichtig, dass einem auch mal was scheißegal ist“, findet Jochen. Dennis sieht die Komplexität als einen weiteren wichtigen Punkt. Denn während Tendenzen schnell zu finden sind, ist er kein Freund von Gegensatzpaaren und schon gar nicht, wenn das in regelrechte Bewegungen ausartet.

Mit dem Song „Working star“ stellen KALA BRISELLA die übertriebene Identifikation mit dem eigenen Job infrage. Während Arbeitnehmer in Angestelltenverhältnissen von Chefs nicht wertgeschätzt werden, beuten Künstler sich häufig selbst aus. Sich über Geld zu definieren, kann schon funktionieren, aber für die meisten trifft das eher weniger zu. Dennis sieht die Grenze ganz deutlich überschritten, wenn Firmen die Belegschaft und das Arbeitsverhältnis unter den Slogan „Wir sind eine Familie“ stellen. Die gesunde Trennung ist dann nicht mehr gegeben und in wenigen Fällen basieren die damit verbundenen Zugeständnisse auf Gegenseitigkeit. Auch der tanzbare Song „Weiße Ritter“ schlägt in eine ähnliche Kerbe. Die gute Laune ist von KALA BRISELLA natürlich eher zynisch gemeint. „So tun, als ob man etwas Gutes tut, und eigentlich schaufelt man sich nur selbst was in die Taschen“, fasst Jochen den Kern zusammen „Bei dem Album sind wir mit mehr schwarzem Humor an die Sache herangegangen, sonst hätte es zu sehr nach erhobenem Zeigefinger geklungen.“

Hier und da etwas Negatives zu befeuern, davon kann sich niemand freimachen. Und wenn es nur die Tatsache ist, dass man durch seine Teilnahme bei Social Media die Sache am Laufen hält. Auch Jochen sieht das kritisch: „Für uns ist das die einzige Möglichkeit, um Leute zu erreichen, und man muss da teilweise schon ein ekliges Spiel spielen. Wir machen das noch subtil und halten uns größtenteils raus. Nach der ersten Single weiß man schon, dass man ab da jetzt Posts machen müsste, um bei der Veröffentlichung die größtmögliche Aufmerksamkeit zu haben. Wir sind alle Social-Media-Muffel und versuchen dann aber, so nett und fröhlich wie möglich zu wirken. Eigentlich hätten wir uns auch alle abmelden können und wären glücklicher.“ Die richtige Kunst findet meistens im echten Leben statt, dafür sind Begegnungen und Austausch nötig. Für das Artwork ließen sich KALA BRISELLA von dem Künstler Andreas Becker aus der Pfalz malen. Er kam nach Berlin, um die Band für seine Reihe „All the people I know“ auf deren Sofa zu verewigen. Das sehr ernste Gemälde erinnert an sozialistischen Realismus aus den Fünfziger Jahren und beweist, dass KALA BRISELLA doch „lost in art“ sind.