KASSIERER

Jetzt gibt’s was aufs Ohr!

Geschmack hat einen Namen: DIE KASSIERER. Seit 1985 ist man von Wattenscheid aus, jenem separatistischen Vorort von Bochum, darum bemüht, seine Mitmenschen mit Geschichten vom alltäglichen Wahnsinn zu unterhalten, was freilich nicht überall auf Gegenliebe und Anerkennung stößt.

So soll es Leute geben, und je weiter man sich vom Pott entfernt, um so mehr werden diese, die nicht so ganz verstehen können oder wollen, aus was für einem Universum das Quartett aus aus Wolfgang „Wölfi“ Wendland, Volker Kampfgarten, Mitch Maestro und Nicolai Sonnenscheisse auf diesen Planeten gelangen konnte. „Musik für beide Ohren“ heißt das neue Album, Sänger Wölfi stand dem Visions Rede und Antwort – auch auf die Frage, was für Probleme mensch haben muss, um sich in einer Band wie den KASSIERERN behaupten zu können. Wölfi: „Ich denke, dass eigentlich das Losgelöstsein von allem Irdischen die Voraussetzung dafür ist, um derartige künstlerische Großtaten zu vollbringen, wie für die KASSIERER zu spielen. Das bedeutet, dass insbesondere finanzielle Unabhängigkeit, Gesundheit und geistiges Wohlbefinden unmittelbare Voraussetzungen sind, um diesen gelebten oder gesungenen gotischen Dom entstehen zu lassen. Insofern ist die Voraussetzung zum Musizieren, dass wir keine Probleme haben.“
Na dann. Also gibt’s angesichts gewisser textlicher Schwerpunkte, zu denen auch oraler, analer und vaginaler Geschlechtsverkehr zählen, keinen Anlass zu Besorgnis, denn laut Aussage von Herrn Wendland habe man es sich lediglich zur Aufgabe gemacht, das reale Leben in Musik und Texte umzusetzen. „Wir vertonen das Leben so, wie wir es vom Hörensagen oder Sagenhören kennen“, erklärt mir der studierte Mann. „Klar, es gibt auch ein paar Ficktexte, aber die haben wir nur, um die Platte auch zu verkaufen. Unser „wahrer“ Inhalt liegt in den anderen Texten, und wenn man es mal statistisch erfasst, wird der Anteil der Ficktexte bei uns 95% bei einer LP respektive CD nie überschreiten.“
Bei den restlichen 5% handelt es sich im Falle des neuen Werkes um ein Loblied auf den Bochumer Polizeipräsidenten, einem Herrn, der auf den Namen Thomas Wenner hört. Wie jetzt? Punks plötzlich auf Schmusekurs zur Obrigkeit? Die genaus simple wie einleuchtende Erklärung des KASSIERER-Vordenkers Wendland: „Das künstlerische Schaffen bedingt, dass man von allen irdischen Dingen losgelöst lebt. Und dazu wiederum trägt Thomas Wenner einen großen Teil bei. Man muss nämlich in Bochum keine Angst haben, auf die Straße zu gehen, man muss keine Angst haben vor Schlägereien, Überfällen etc., denn Thomas Wenner sorgt mit seinen grün gekleideten Staffeln dafür, dass in Bochum wieder Freiheit herrscht. Freiheit, das bedeutet ja nicht nur Freiheit zu, sondern auch Freiheit von, von Dieben, Rowdys und sonstigem Gesindel. Das ist ja gerade dieser Freiheitsansatz, der von vielen falsch verstanden wird: Da ist schnell die Rede davon, dass man sich vom Staat überwacht fühlt und so, aber das ist ja völliger Quatsch. Der Staat, der für die Sicherheit des Bürgers sorgt, sorgt damit auch für die Freiheit des Bürgers. Und somit mussten wir einfach dieses Loblied auf unseren Polizeipräsidenten Thomas Wenner anstimmen.“
Mit jenem Herrn übrigens verbindet Wölfi seit Jahren eine innige Beziehung, denn anlässlich allsamstäglicher sogenannter „Punkertreffen“ in der Bochumer Innenstadt wurde dem Chef der KASSIERER seinerzeit ein Platzverweis erteilt, den der so nicht auf sich sitzen lassen wollte und vor das Verwaltungsgericht zog – mit Erfolg: „Mein Platzverweis wurde im Rahmen des Verfahrens zurückgenommen und sogar festgestellt, dass ich mich bei allen zukünftigen „Punktreffen“ – die seitdem in Bochum nicht mehr stattgefunden haben – aufhalten darf, es sei denn, dass ich „besoffen herumsitze und herumliege sowie gröle.“
Sowieso hat die Obrigkeit beziehungsweise ein paar ihrer Vertreter des öfteren ein Problem mit den virtuosen Reimschmieden aus dem Pott. Im Falle des letzten Albums „Habe Brille“ kam es sogar zum Versuch der Indizierung durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften – ein Unterfangen, das zwangsläufig scheitern musste. Und das war so: „Es gab einen Antrag des Jugendamts Leipzig, die Platte „Habe Brille“ zu indizieren“, berichtet Wölfi. „Dies sollte bei der BPJS erst vor einem Gremium von drei Leuten behandelt werden, das für die „schnellen“ Sachen zuständig ist, aber das wurde von uns abgewehrt, und so gab es eine Verhandlung vor dem zwölfköpfigen Gremium und dort überraschten wir mit einem umfangreichen Gutachten eines Germanisten, was so überraschend kam, dass die BJP ihrerseits beschloss, ein Gutachten in Auftrag zu geben. Dieser Gutachter kam zum Schluss, die Platte müsse indiziert werden. Von uns gab’s dazu dann ein Gegen-Gegengutachten, und danach löste sich die Sache in Wohlgefallen auf.“
Apropos Wohlgefallen. Es gibt ja durchaus Stimmen, die behaupten, den KASSIERERN falle nach 15 Jahren nichts mehr ein, sie würden sich wiederholen. Alles Blödsinn, meint man im Hause KASSIERER. Wölfi: „Das ist so, als würde man einem Architekten folgende Vorhaltung machen: „Was soll das sein? Ihr neues Haus? Es ist doch wieder aus Stein und Beton“. Aber zugegeben, anfangs hatte ich auch die Befürchtung, das neue Album könnte ein Selbstplagiat werden, aber ich denke, das ist sie meines Erachtens nicht geworden. Und ich habe auch den Eindruck, dass die Platte auch musikalisch sehr ausgereift ist, obwohl ich als Nichtmusiker davon zugegebenermaßen keine Ahnung habe.“
Musikalische Ausgereiftheit und virtuose Texte, das sind genau die Eigenschaften, die die fanatische Fangemeinde an den KASSIERERN zu schätzen – oder etwa nicht? „Stell dir mal vor, jede künstlerische Darbietung würde sich an der dümmstvorstellbaren Person orientieren, das wäre ja der Niedergang von Kunst und Kultur schlechthin“, doziert Wendland als Antwort auf meine Frage. „In „Kultur“ stecken ja zwei Worte drin, nämlich Kult und Ur, und man muss eben den Menschen für den Kult urbar machen. Da steckt also der Begriff Urbarmachung drin, und wir sind vielleicht insofern auf einem ganz niedrigen Niveau mit unserem Schaffen, als wir eine Urbarmachung für die Kultur an sich betreiben. Und wenn irgendwer später mal meint, uns als Fan aufgeben zu müssen, wird er danach sicher Kant, Goethe und ähnliches lesen.“
Und daran hege ich nicht den geringsten Zweifel. Guten Abend.