KOCHKRAFT DURCH KMA

Foto© by WDR Thomas von der Heiden

Aufs Maul, ihr Neandertaler!

Mit dem von ihnen initiierten Projekt „Cock am Ring“ waren KOCHKRAFT DURCH KMA dieses Jahr in aller Munde. Eine Compilation und ein Festival, die sich für die Geschlechtergerechtigkeit auf großen Events wie Rock am Ring stark gemacht haben. Jetzt legt das Quartett aus Duisburg, Köln und Bonn eigene Musik nach. Vier Jahre nach dem Debütalbum „Endlich Läuse!“ veröffentlichen die Musiker:innen ihr zweites Album „Alle Kinder sind tot“. Eine wilde Mischung aus Elektro, Punkrock und Provokation. Um toxische Männlichkeit, notorische Raser oder Selbstoptimierer in sozialen Netzwerken aus der Reserve zu locken. Leicht verdaulich ist das nicht, aber inhaltlich liefert das Quartett sicher einen wichtigen Beitrag im aktuellen Diskurs. Das bestätigt auch das Gespräch mit Lana Van da Vla und Nicki Louder.

Euer neues Album heißt „Alle Kinder sind tot“. Was ist damit gemeint?

Nicki: Der Albumtitel lässt sich auf zwei verschiedene Arten lesen. Das eine ist die apokalyptische Variante, dass wir sagen, wir haben jede Menge Probleme da draußen wie etwa durch den Klimawandel. Und durch den Krieg in der Ukraine ist es nicht unbedingt besser geworden. Das heißt, wenn wir so weitermachen, sind irgendwann alle Kinder tot. Es gibt aber auch die persönlichere Lesart, dass die inneren Kinder gestorben sind. Wir als Gesellschaft haben alle den Humor verlernt und nehmen uns selbst zu ernst. Deshalb kann man den Albumtitel auch als freundliche Einladung verstehen, zum inneren Kind zurückzukehren. Damit die eben nicht sterben.

Wenn man eure Songs anschaut, kann man da jede Menge Humor entdecken, bei aller Lust auf Krawall. „Influencer:innen hassen diesen Trick“, „Wir fahren schnellerer“, „Moonwalk durch die Nachbarschaft“ oder „Mancave“. Da stecken einige wichtige Themen drin.
Lana: Im Song „Mancave“ geht es um vermeintlich positive Hobbyräume, die dazu benutzt werden, andere auszusperren. Wo es heißt: Meine Frau kommt hier nicht rein oder das ist nur für mich und meine Jungs. In diesen Räumen lassen Männer dann raus, was sie sonst nirgendwo sagen würden. Diesen ganzen misogynen Scheiß, den man vielleicht witzig findet, weil man früher jahrelang Al Bundy geschaut hat. Diese Räume, in denen es darum geht, so männlich wie möglich zu sein und alles Weibliche abzulehnen, halten wir für gefährlich. „Wir fahren schnellerer“ ist ein Song über die Menschen, die sich vehement gegen ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen wehren. Leute, die denken, es wäre ihr Recht, so schnell zu fahren, wie sie können. Denen geht es ums Prinzip und das geht uns einfach auf den Keks. Und im Song „Influencer:innen hassen diesen Trick“ geht es um den Drang zur Selbstoptimierung in sozialen Medien. Was man sich alles antut, damit man das wird, was einem dort vorgegaukelt wird.

Verpackt habt ihr eure Botschaften in ziemlich schroffen, aggressiven Sound. Woher kommt der? Habt ihr vorher schon in anderen Bands gespielt?
Lana: Das ist bei uns allen anders. Ich habe in Metalbands gespielt, seitdem ich 14 Jahre alt bin. Da haben wir immer versucht, so böse wie möglich zu sein, aber irgendwann habe ich gemerkt, dass so was wie KOCHKRAFT DURCH KMA noch viel krasser ist. Weil es viel ehrlicher ist und nicht so eine Gepose. Unser Schlagzeuger Beray hat vorher auch in verschiedenen Bands gespielt, aber irgendwann schlug sein Herz nur noch für Techno.
Nicki: Für mich ist es die erste Band, vorher habe ich Geige studiert. Das erklärt in meinen Augen auch, warum mich der Sound so abholt. Weil ich viel Schlimmeres gehört habe, seit ich vier Jahre alt war, haha. Nachdem ich zwanzig Jahre lang eine klassische Ausbildung durchlaufen habe, war die Band für mich wie eine Befreiung. Zu KOCHKRAFT DURCH KMA bin ich mehr oder weniger durch Zufall gekommen und habe von Anfang an gespürt, das ist das, was ich die ganze Zeit nicht verstanden habe, weil ich die ganze Zeit Mozart gespielt habe.

Was war denn der gemeinsame Plan, wenn ihr aus so unterschiedlichen Ecken kommt? Wie habt ihr euch auf diesen Sound und diese Texte geeinigt?
Nicki: Der Sound war relativ früh klar. Der analoge Bass-Synthie, kombiniert mit der tief gestimmten Gitarre, die gemeinsam dieses Brett erzeugen. Das kam vor allem von Beray, der auch als Musikproduzent arbeitet, aus dem Techno kommt und parallel viel Hardcore gehört hat. Die ganzen witzigen Ideen sind einfach zwischendurch entstanden.
Lana: Unser Sound hat sich im Lauf der Jahre natürlich auch entwickelt. Die Band existiert ja schon seit 2014. Am Anfang gab es erst mal die Idee und das Konzept, aber so richtig umsetzen können wir die erst jetzt mit der aktuellen Besetzung, finde ich. Vor allem der Humor ist im Laufe der Jahre gewachsen.

Seid ihr auch abseits der Musik aktiv, etwa in Organisationen oder sogar Parteien?
Lana: In einer Partei ist keiner von uns. Und unser Engagement kombinieren wir mit unserer Musik. Wir haben quasi unsere eigene Organisation gegründet. Anfang des Jahres haben wir zusammen mit dem Label Ladies & Ladys in Münster das Projekt Cock am Ring initiiert. Da haben wir 24 FLINTA+-Künstler:innen und -Bands dazu gebracht, jeweils einen Song von einer Band aus dem diesjährigen Line-up von Rock am Ring zu covern. Denn da gibt es jedes Jahr unheimlich viele Männer und nur ganz wenige Frauen auf der Bühne. Das war unsere Art, für mehr Geschlechtergerechtigkeit im Billing zu kämpfen. Der Erlös soll übrigens an den Rock am Ring-Veranstalter DreamHaus gehen, damit sie sich nächstes Jahr ein paar mehr Frauen im Line-up leisten können. Aus der Idee ist schließlich noch ein eigenes Festival entstanden, bei dem ein kleiner Teil der Bands auch auftreten durfte.
Nicki: Uns ist auch wahnsinnig wichtig, dass unser Merchandise klimaneutral produziert wird, genauso wie unsere Platten. Alle Menschen, mit denen wir arbeiten, unser Tonmann oder unsere Lichtfrau, haben wir sorgfältig ausgesucht und die begleiten uns auch schon sehr lange. Wir sind einfach Menschen, die sich viele Gedanken darüber machen, was wir tun und wie wir es tun.

Wie seid ihr auf die Idee für Cock am Ring gekommen?
Nicki: Grundsätzlich ist die Unwucht von Männern und Frauen auf Festivalbühnen schon lange ein Thema bei uns. Deshalb brauchte das auch endlich einmal ein Ventil, damit wir das nicht so in uns hineinfressen. Damit wir nicht in zehn Jahren die Band total frustriert an den Nagel hängen und uns ärgern, dass nie etwas passiert ist. Dann hatte unser Labelchef Mirko die Idee für diese Compilation, und so haben wir Tag und Nacht daran gearbeitet und das Cock am Ring Festival in die Wege geleitet.

Was gab es denn an Reaktionen auf euer Projekt?
Lana: Wir waren tatsächlich vor Ort und haben mit den Leuten geredet. Zwei von uns bei Rock am Ring und zwei von uns bei Rock im Park. Wir wollten aber nicht, dass unsere Flyer mit dem QR-Code zur Kompilation im Schlamm landen, deshalb haben wir Flyer aus Esspapier produziert. Und die haben wir dann verteilt.
Nicki: Ich denke, die Reaktionen kann man in drei Kategorien einordnen. Unsere Bubble fand die Aktion natürlich total toll. Da kam von allen Seiten ganz viel Liebe und positives Feedback. Dann gab es viele Festivalbesucher, die über das Thema noch nicht nachgedacht haben, denen es im Prinzip aber auch egal war. Und dann gab es natürlich noch die Hater im Netz, die sich unter den Artikeln über Cock am Ring ausgetobt haben.

Parallel zu Cock am Ring gab es noch ein ähnliches Event, das DCKS Festival in Köln, initiiert von der Komikerin Carolin Kebekus. Wusstet ihr davon?
Lana: Das war totaler Zufall. Wir wussten bis kurz vorher nicht, dass es tatsächlich stattfinden wird. Wir sind dann auf Carolin zugegangen und sie meinte: Mensch, wir hätten uns mal connecten sollen. Abgesehen davon war das DCKS Festival eine ganz andere Baustelle. Mit Künstler:innen wie NO ANGELS, Lea oder MINE war es auch viel kommerzieller konzipiert als unser Event. Unser Festival und unsere Kompilation waren ja mehr für ein Underground-Publikum gedacht.

Wird es eine Fortsetzung von Cock am Ring geben? Das Problem wird ja nicht so schnell verschwinden.
Nicki: Wir überlegen gerade, wie wir das Projekt in gute Hände geben können. Dass es eben weitergeht, aber nicht mit uns. Am Ende des Tages sind wir aber auch eine Band und wollen vor allem Musik machen. Jetzt haben wir ein halbes Jahr lang Bands kontaktiert, einige Songs produziert und natürlich die Werbetrommel gerührt. Das war alles toll, aber auch wir müssen ab und zu mal Geld verdienen. Deshalb können wir das Projekt jetzt auch guten Gewissens an unsere Nachfolger weitergeben.