LETO

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Kollektiver Druckabbau

Die deutsche Punkband LETO scheint Krisen magisch anzuziehen. Während das Debütalbum vom G20-Gipfel überschattet wurde, hat ihnen beim neuen Album „Wider“ nun Corona einen Strich durch die Rechnung gemacht. Jannes, Phil und Paul sind aber trotzdem guter Dinge, als wir uns online treffen, um ausführlich über die zweite Platte zu sprechen.

Inwiefern war eure Albumproduktion erschwert?

Jannes: Das Album war im Januar fertig und es war angedacht, dass wir im März ins Studio gehen. Der Lockdown hat uns dann insofern behindert, weil wir nicht alle gemeinsam im Studio sein konnten. Es waren immer höchstens die Person, die eingespielt hat, der Produzent und eine weitere Person aus der Band, die Feedback geben konnte. Dadurch fehlte uns die Bandstimmung, aber es brachte auch Ruhe in die Produktion und wir waren alle sehr fokussiert.

Stichwort Ruhe: ich finde, das Album wirkt eher hibbelig und aufgekratzt. Deshalb dachte ich, das Album sei auch während der Krise, unter Druck, komponiert worden.
Jannes: Das resultiert eher daraus, dass persönlich und privat mehr der Kessel unter Druck war.

Schreibt ihr die Texte zusammen?
Jannes: Da Paul in der Endphase seines Medizinstudiums steckte, war es dieses Mal anders und alle Texte sind auf meinem Mist gewachsen, nachträglich haben wir uns dann die Gesangspassagen aufgeteilt. Texte schreiben ist für mich eine intime Sache, mein Bruder Tjark hat mich unterstützt. Er spielt selbst kein Instrument und war weniger in der Drucksituation, ein zweites Album herausbringen zu müssen, sondern kam komplett von außerhalb. Er konnte sich aber schnell auf meine Ebene begeben und ich habe ihm tatsächlich Bilder gemalt, die ich von den einzelnen Songs vor Augen hatte. Als Brüder denken wir doch an vielen Stellen ähnlich.
Phil: Mir gefällt es gut, dass die Texte so geschrieben sind, dass jeder seine eigene Deutung darin finden kann. Wenn Jannes seine eigene Interpretation offenlegt, dann stimmt die mit meiner oft überhaupt nicht überein. Und es ist okay so.

Paul, wie ist es für dich, wenn du die fremden Texte dann singen musst?
Paul: Ich bin trotzdem, alleine durch unsere Freundschaft, sehr dicht dran und weiß, was er sich bei den Texten denkt. Da sind viele tiefgreifende, private Sachen drin, die mir aber vertraut sind. Ich kann mich gut in ihn hineinversetzen, wir kennen uns sehr gut. Es ist gefühlt so, als hätte ich den Text geschrieben, haha.

Knobelt ihr aus, wer welche Parts singt?
Jannes: Das ergibt sich, aber es ist auch die Frage, wie wir den Song dann live hinkriegen. Das ist uns sehr wichtig. Rein rechnerisch ergeben sich auch Überlappungen, die sich unnatürlich anfühlen, wenn man sie ignoriert und nicht darauf achtet. Wir mussten uns dieses Mal gut absprechen, da mir einige Textzeilen sehr wichtig waren. Die wollte ich einfach selbst singen, bei anderen haben wir getestet, was sich besser anhört, und auch der Produzent hat natürlich mitentschieden.

Was für ein Produzent ist Kristian Kühl?
Paul: Er gibt sehr vielen kreativen Input, auf allen Ebenen, da er ja auch selbst Musiker ist. Und zwar ohne unangenehm zu sein, es war sehr bereichernd, und er ist unfassbar fokussiert. Der Typ ist der Wahnsinn, haha.
Jannes: Er ist detailverliebt und es geht sehr diszipliniert zu, das hat mich stark beeindruckt. Andererseits weiß er auch, wann gut ist und man besser am nächsten Tag weitermacht. Er mag diese direkte Art, hat auch kaum bei den Gesangsspuren nachgetunet. Genau das sind wir im Moment, wir sind sehr zufrieden mit dem Sound.

Bei „Wider“ denke ich an Widerstand. Ist Kunst Widerstand?
Jannes: Ich setze mich mit mir auseinander, bin aber schon in einem konventionellen Leben drin. Teilweise bin ich davon schwer desillusioniert, und die Band ist für mich schon eine Art Widerstand. Und auf „Wider“ gibt es Songs, die klarstellen, gegen was wir sind.
Paul: LETO sind kein Widerstand im Großen. Aber man ist schon irgendwo in einer Rolle drin, der man sich über die Band widersetzt. Auch wenn wir das selbst gewählt haben, stehen LETO doch komplett konträr zu dem, was wir sonst machen. Die Zeile „Wie viele Stunden wach gelegen, bis das, was am Tag war, stirbt“ aus dem Song „Schatten“, die trifft es für mich ganz gut.

Das Artwork zeigt eine weiße Raufasertapete. Als Inbegriff für Spießigkeit oder als Interpretationsfläche für neue Ideen?
Jannes: Raufasertapete ist schon eine Art von Spießigkeit, und dann am besten noch Schachbrettparkett dazu, haha. Wir haben lange überlegt, da unser letztes Artwork sehr voll war und wir etwas komplett anderes machen wollten. Das jetzt so blank stehen zu lassen, sollte auch zeigen, dass wir nichts mehr zu verbergen haben, und das darf jetzt für sich stehen.

„Keine Reaktion“ beschäftigt sich mit der Selbstoptimierung. Wo genau fängt das für euch an? Die Grenze verschiebt sich ja auch, wenn man älter wird.
Phil: Auf jeden Fall. In jüngeren Jahren, als man punkiger unterwegs war, ging man eher dagegen an. Und mit dem Alter optimiert man sich automatisch, das ist auch ein Reifeprozess. Die Frage ist ja auch, ob man das bewusst oder unbewusst macht. In dem Song geht es um Leute, die sich bewusst optimieren möchten, um vielleicht in eine gewisse Nische zu passen.
Jannes: Ich sehe in der bewussten Selbstzerstörung auch schon Heil. Im Moment ist so ein Druck drauf, gerade in unserer Generation wird mit Social Media alles nach außen gekehrt. Alles muss besser werden, sonst hat man gar keine Berechtigung mehr. Manchmal finde ich es schon romantisch, wenn man dem komplett entgegensteht und unperfekt ist. Alles zu optimieren finde ich widerwärtig. Jeder soll für sich ausloten, was er machen möchte.

Hat die pandemiebedingte Zwangspause euch gelockert?
Jannes: Ich bin ein rastloser Typ, der wahrscheinlich mit fünfzig mit einem Herzinfarkt umkippt, aber ich fand das nicht so toll und fühlte mich, besonders in den Abendstunden, eher negativ ausgebremst.
Phil: Für mich gab es fast keinen Unterschied, ich bin Altenpfleger im ambulanten Pflegedienst und musste nicht weniger arbeiten. Aber es waren weniger Autos auf der Straße und man ist vorsichtiger mit den Leuten umgegangen.

Hast du dich über das allabendliche Klatschen auf dem Balkon gefreut?
Phil: Ja, natürlich, es war schön, sich geehrt zu fühlen ...
Paul: ... für zwei Wochen, haha.
Phil: Ja, es hat sich nicht so lange gehalten. Aber die Sachen, die man sich erhofft hatte, sind natürlich nicht eingetreten. Am Anfang wurde ich auf der Straße lobend angesprochen und nach einigen Wochen wurde man wieder angepöbelt, wenn man ein bisschen im Parkverbot stand oder so was Banales. Ich dachte schon, dass es die Gesellschaft nachhaltig positiv beeinflusst.
Paul: Richtig doof ist, dass man Leute nicht drücken kann. Das wäre mir sonst nie aufgefallen, wie wichtig mir das ist. Man hat echt Lust, Leute anzufassen. Auch als wir uns mit LETO im Studio gesehen haben, hatte ich richtig Bock, die Boys anzupacken, haha.

Mit dem Song „Blau“ befasst ihr euch mit dem Geschlecht und den damit verbundenen Zwängen. Je mehr wir uns als Gesellschaft damit beschäftigen, umso klarer wird, dass wir beim Thema Feminismus noch ganz am Anfang stehen. Seht ihr euch als aktiven Teil der Bewegung?
Jannes: Leider ist unser Drummer Pascal jetzt nicht dabei, er ist eigentlich von uns am meistens engagiert und weiß auch am besten Bescheid. Wir befinden uns da noch im Lernprozess, das fängt schon beim Gendern an. Der Song entstand wegen teilweise brutalen Erfahrungen, die ich im Hinblick auf Geschlechtermechanismen mit meinem eigenen Sohn gemacht habe. Es geht ja auch nicht nur um Zweigeschlechtlichkeit, wir sind da echt noch sehr steinzeitlich. Wir haben lange überlegt, ob wir diesen Song so machen. Es ist schon dünnes Eis für eine patriarchale Band, die das gar nicht verkörpert. Aber ich dachte, jeder Beitrag hilft. Es ist sehr wichtig, sich dahingehend zu sensibilisieren. Auch eine Frauenquote auf Festivals finde ich richtig, nur dadurch öffnen sich kulturelle Einrichtungen dahingehend und es wird eine Nachfrage geschaffen.

Im Lied „Rotenburg“ setzt ihr euch kritisch mit der Enge des Dorflebens auseinander. Könnt ihr dem nur Negatives abgewinnen?
Phil: Auf dem Dorf wurde ich schon öfter mal mit rassistischen Sprüchen konfrontiert. Aber positiv ist sicher, dass man sich doch mehr Gedanken macht und anders sein will als die anderen. Paul und ich waren damals schon die Revoluzzer, nur weil wir Musik gemacht haben. Es war mir schon wichtig, dagegen anzustänkern und meine Ideale zu verteidigen.